BGH, 27.03.1996 – IV ZR 185/95

Mai 9, 2019

BGH, 27.03.1996 – IV ZR 185/95
Amtlicher Leitsatz:

Eine auf Feststellung der Pflichtteilsberechtigung gerichtete Klage unterbricht die Verjährung eines Pflichtteilsergänzungsanspruchs nach § 2325 BGB nicht, wenn im Feststellungsprozeß zu der beeinträchtigenden Schenkung nichts vorgetragen wird.
Tatbestand:
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Die Parteien streiten noch um einen Pflichtteilsergänzungsanspruch in Höhe von 56.875 DM.
2

Der Kläger ist der Sohn des am 23. September 1987 verstorbenen Herrn Dr. R. (Erblasser). Die Beklagte zu 1) ist die Ehefrau, die Beklagte zu 2) das adoptierte Kind des Erblassers. Der Beklagte zu 3) ist der Testamentsvollstrecker und frühere Nachlaßverwalter. Der Erblasser wurde aufgrund Erbvertrags vom 11. November 1986 von der Beklagten zu 1), den drei Kindern des Erblassers aus erster Ehe (darunter dem Kläger) und der adoptierten Beklagten zu 2) beerbt. Der Kläger schlug mit Erklärung vom 15. Dezember 1987 die Erbschaft aus.
3

Mit notarieller Urkunde vom 12. Dezember 1986 hatte der Erblasser der Beklagten zu 1) ein durch sein Vorableben aufschiebend bedingtes, lebenslanges Nießbrauchsrecht an dem Anwesen H. 44 in L. eingeräumt, das am 16. Januar 1987 im Grundbuch eingetragen wurde. Von dem Nießbrauch erhielt der Kläger im Dezember 1988 durch einen Schriftsatz des Beklagten zu 3) vom 12. Dezember 1988 Kenntnis.
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Am 15. Oktober 1990 reichte der Kläger beim Landgericht Klage gegen die Beklagten zu 1) und 2) ein mit dem Antrag:
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“Es wird festgestellt, daß der Kläger bezüglich des Nachlasses des am 23. September 1987 verstorbenen Dr. R. pflichtteilsberechtigt ist zu 1/16 des Nettowertes des Nachlasses.”
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Durch seit 19. März 1991 rechtskräftiges Urteil des Landgerichts vom 21. Januar 1991 wurde antragsgemäß erkannt. Zu dem Nießbrauch hatte der Kläger bis zur Verkündung des Urteils nichts vorgetragen.
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Mit der jetzigen, seit 14. März 1994 anhängigen Klage verlangt der Kläger neben dem restlichen, von den Beklagten inzwischen anerkannten ordentlichen Pflichtteilsanspruch Ergänzung seines Pflichtteils wegen des eingeräumten Nießbrauchs. Er sieht diesen als nach § 2325 Abs. 1 BGB ausgleichspflichtige Schenkung des Erblassers an die Beklagte zu 1) an. Der Kläger ist der Auffassung, ihm stehe 1/16 des von ihm mit 910.000 DM bezifferten Wertes dieser Schenkung zu. Die von den Beklagten erhobene Einrede der Verjährung hält der Kläger für nicht durchgreifend, da die Verjährungsfrist durch die Feststellungsklage vom 15. Oktober 1990 unterbrochen worden sei.
8

Die Klage blieb in den ersten beiden Rechtszügen erfolglos. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Anspruch weiter.
Entscheidungsgründe
9

Die Revision hat keinen Erfolg. Der geltend gemachte Pflichtteilsergänzungsanspruch ist verjährt.
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1. Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, daß die Verjährungsfrist durch die jetzige, am 14. März 1994 eingereichte Klage nicht mehr unterbrochen werden konnte, weil sie bereits im Dezember 1991 abgelaufen war.
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Der Pflichtteilsergänzungsanspruch nach § 2325 BGB verjährt gemäß § 2332 Abs. 1 BGB grundsätzlich in drei Jahren. Der Fristbeginn setzt neben der Kenntnis des Erbfalles voraus, daß der Pflichtteilsberechtigte sowohl die beeinträchtigende Verfügung von Todes wegen als auch die beeinträchtigende Verfügung unter Lebenden kennt (BGHZ 103, 333, 336, 337 [BGH 09.03.1988 – IVa ZR 272/86]; Senatsurteil vom 25.1.1995 – IV ZR 134/94 – NJW 1995, 1157 = ZEV 1995, 219 unter II 1 a). Wird diese Kenntnis zu unterschiedlichen Zeitpunkten erlangt, ist der spätere maßgebend, hier also Dezember 1988, als der Kläger von dem Nießbrauch erfuhr.
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2. Die Klage im Vorprozeß hat weder zur Unterbrechung der Verjährung noch zu einer rechtskräftigen Feststellung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs geführt.
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a) Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist die Verjährung nicht nach § 209 Abs. 1 BGB unterbrochen worden, weil der Pflichtteilsergänzungsanspruch nicht Streitgegenstand der Feststellungsklage vom 15. Oktober 1990 gewesen sei. Zum Sachverhalt des jetzt geltend gemachten Pflichtteilsergänzungsanspruchs habe der Kläger im dortigen Verfahren nichts vorgetragen. Bei den Ansprüchen auf den Pflichtteil und auf Pflichtteilsergänzung handele es sich auch nicht um einen einzigen einheitlichen Anspruch, sondern um zwei selbständige Ansprüche, die unabhängig voneinander bestünden und verschiedene Rechtsverhältnisse im Sinne von § 256 ZPO darstellten.
14

b) Demgegenüber meint die Revision, daß beide Ansprüche trotz fehlender Identität ihrem Grund und ihrer Rechtsnatur nach wesensgleich seien. Deshalb habe die den ordentlichen Pflichtteil betreffende Feststellungsklage gleichzeitig die Verjährung für den Pflichtteilsergänzungsanspruch unterbrochen und zu dessen rechtskräftiger Feststellung durch das landgerichtliche Urteil vom 23. Januar 1991 geführt.
15

c) Das Berufungsgericht hat richtig entschieden.
16

aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist für den Umfang der Rechtskraft und grundsätzlich auch für den Umfang der Verjährungsunterbrechung nach § 209 Abs. 1 BGB der den prozessualen Anspruch bildende Streitgegenstand maßgebend, der durch den Klageantrag und den zu seiner Begründung vorgetragenen Lebenssachverhalt bestimmt wird (BGH, Urteile vom 7.2.1995 – VI ZR 201/94 – NJW 1995, 1614 [BGH 07.02.1995 – VI ZR 201/94] unter II 1 b; vom 23.6.1993 – XII ZR 12/92 – NJW 1993, 2439 unter II 2 b m.w.N.).
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Der Pflichtteilsergänzungsanspruch war nicht Streitgegenstand des Vorprozesses. Entsprechend dem Klageantrag ist im dortigen Urteil lediglich festgestellt worden, daß der Kläger bezüglich des Nachlasses des Erblassers zu 1/16 des Nettowertes des Nachlasses pflichtteilsberechtigt ist. Der Pflichtteilsergänzungsanspruch nach § 2325 BGB ist aber gerade nicht auf eine wertmäßige Beteiligung am Nachlaß gerichtet, weil der Gegenstand der Schenkung nicht zum Nachlaß gehört. Der für die Begründung eines Pflichtteilsergänzungsanspruchs kennzeichnende Sachverhalt ist die beeinträchtigende Schenkung unter Lebenden, hier die Einräumung des Nießbrauchs. Dazu hatte der Kläger nichts vorgetragen.
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bb) Die von der Revision aus den früheren Senatsurteilen vom 29. Mai 1974 (IV ZR 163/72, NJW 1974, 1327) und vom 23. Februar 1972 (IV ZR 135/70, NJW 1972, 760) hergeleitete Wesensgleichheit von Pflichtteilsanspruch und Pflichtteilsergänzungsanspruch führt hier zu keiner über den Streitgegenstand hinausreichenden Unterbrechung der Verjährung durch die Klage im Vorprozeß. Eine solche materiellrechtliche Wesensgleichheit von Ansprüchen ist nur eine notwendige, aber noch keine hinreichende Bedingung dafür, daß die Unterbrechungswirkung ausnahmsweise über den Streitgegenstand hinausgeht. Es handelt sich dabei um ein negatives Abgrenzungsmerkmal, d.h. die Unterbrechungswirkung tritt nicht ein, wenn die Unterschiede in der rechtlichen Ausgestaltung der Ansprüche so groß sind, daß eine Wesensgleichheit zu verneinen ist (vgl. BGH, Urteile vom 23.6.1993 aaO. m.w.N.; vom 5.12.1991 – VII ZR 106/91 – NJW 1992, 1111 [BGH 05.12.1991 – VII ZR 106/91]). Dementsprechend war der Gesichtspunkt einer Wesensgleichheit für den Beginn der Verjährung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs im Senatsurteil vom 23. Februar 1972 und für die Unterbrechung der Verjährung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs im Senatsurteil vom 29. Mai 1974 nicht allein ausschlaggebend. Als weitere Voraussetzung der Verjährungsunterbrechung muß hinzukommen, daß der zur Begründung des jetzigen Anspruchs vorgetragene Lebenssachverhalt in seinem Kern bereits Gegenstand der früheren Klage gewesen ist. Nur so kann der Zweck der Vorschrift des § 209 Abs. 1 BGB erreicht werden, dem Schuldner unmißverständlich klarzumachen, welcher Anspruch gegen ihn geltend gemacht wird, damit er beurteilen kann, ob und wie er sich dagegen verteidigen will.
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Diese Grundsätze stehen im Einklang mit der Rechtsprechung des Senats. Trotz der Ähnlichkeit des Pflichtteils- und des Pflichtteilsergänzungsanspruchs handelt es sich um zwei selbständige Ansprüche (BGHZ 103, 333, 337 [BGH 09.03.1988 – IVa ZR 272/86]; Urteil vom 25.1.1995 aaO.).

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Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

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