BGH, Urteil vom 23. Februar 1977 – IV ZR 140/75 Zum Erbrecht und Unterhaltsanspruch nichtehelicher Kinder gegen die Großeltern

April 21, 2019

BGH, Urteil vom 23. Februar 1977 – IV ZR 140/75
Zum Erbrecht und Unterhaltsanspruch nichtehelicher Kinder gegen die Großeltern
1. Ist der Vater eines nichtehelichen Kindes vor Inkrafttreten des Nichtehelichengesetzes (1970-07-01) verstorben und der Vater des Vaters nach dem 1970-07-01, dann besitzt das Kind Unterhaltsansprüche gegen die Erben des Vaters nach altem Recht (BGB § 1712 v 1896-08-18) sowie erbrechtliche Ansprüche gegen die Erben seines Großvaters nach neuem Recht.

Tatbestand
Der Kläger ist am 6. April 1959 von der inzwischen verstorbenen T.K. nichtehelich geboren worden. Sein Vater ist der damalige Student J.D., der die Vaterschaft am 4. Juni 1959 in gerichtlicher Urkunde anerkannt und sich in dieser Urkunde zur Unterhaltszahlung verpflichtet hatte. J.D. ist am 27. August 1959 verstorben. Seine gesetzlichen Erben sind sein Vater, der Arzt Dr med K.D., zu 1/2 und seine drei Geschwister, darunter die Beklagte, zu je 1/6. Dr D. ist am 26. August 1970 verstorben. Er hatte am 8. Mai 1969 zwei Erbverträge geschlossen. In dem einen Vertrag hatte er seine beiden Töchter, die Beklagte und deren Schwester Frau H.B. geb D., je zu 1/2 als Erben eingesetzt mit dem Vermerk “gleichviel, ob und welche Pflichtteilsberechtigten vorhanden sind”. In dem anderen Erbvertrag hatte er seiner zweiten Ehefrau Vermächtnisse ausgesetzt und mit ihr beiderseitigen Pflichtteilsverzicht vereinbart.
Der Kläger hat die Erbverträge aufgrund des § 2079 BGB angefochten und die Auffassung vertreten, nach dem Tode seines Großvaters Dr med K.D. stünden ihm Erbersatzansprüche gegen dessen Erben, also auch gegen die Beklagte, zu. Da ihm der Wert des Nachlasses nicht bekannt sei, müsse er auf Auskunft klagen. Den Auskunftsanspruch habe er auch dann, wenn die Anfechtung der Erbverträge unbegründet sein sollte, da er dann pflichtteilsberechtigt sei. Im Wege der Stufenklage hat der Kläger auf Erteilung von Auskunft über den Bestand des Nachlasses seines Großvaters Dr D. sowie auf Zahlung des nach Auskunftserteilung zu beziffernden Betrages geklagt. Außerdem hat er mit der Klage die Feststellung begehrt, daß ihm nach seinem Großvater ein Erbersatzanspruch gemäß § 1934a Abs 1 BGB zustehe.
ie Beklagte hat die Auffassung vertreten, dem Kläger stehe ein Erbersatzanspruch nicht zu, weil er von ihr in einem anderen noch anhängigen Rechtsstreit Unterhaltszahlung verlange. Unterhaltsansprüche und Erbansprüche könnten aber nicht nebeneinander bestehen. Hilfsweise hat sie vorgebracht, die Anfechtung der Erbverträge sei ausgeschlossen, weil anzunehmen sei, der Erblasser würde auch bei Kenntnis davon, daß der Kläger pflichtteilsberechtigt sei, die letztwillige Verfügung getroffen haben.
Das Landgericht hat die Beklagte durch Teilurteil zur Auskunftserteilung verurteilt und die vom Kläger erhobene Feststellungsklage mangels Rechtsschutzbedürfnisses abgewiesen. Im Berufungsrechtszug hat die Beklagte Abweisung der Klage und im Wege der Widerklage die Feststellung begehrt, daß dem Kläger keine Ansprüche erbrechtlicher Art am Nachlaß des Dr D. zustehen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung zurückgewiesen.
Mit der Revision verficht die Beklagte weiter die im Berufungsrechtszug gestellten Anträge.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten konnte keinen Erfolg haben.
Zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, dem Kläger stehe nach seinem Großvater Dr K.D. ein Erbersatzanspruch zu oder, falls ihm dieser durch Erbverträge entzogen worden sei und die Anfechtung der Erbverträge nicht durchgreife, ein Pflichtteilsanspruch nach § 2338a BGB.
Der Erzeuger des nichtehelich geborenen Klägers hat die Vaterschaft zu dem Kläger am 4. Juni 1959 in gerichtlicher Urkunde anerkannt. Demzufolge ist er nach dem Nichtehelichengesetz vom 19. August 1969 als Vater des Klägers anzusehen, und es gelten für die familienrechtlichen Ansprüche und erbrechtlichen Ansprüche des Klägers die Vorschriften des Nichtehelichengesetzes, soweit sich nicht aus dessen Übergangsvorschriften etwas anderes ergibt (Art 12 §§ 1 und 2 iVm § 3 Abs 1 Satz 1 NEhelG). Durch das Nichtehelichengesetz ist die Vorschrift des § 1589 Abs 2 BGB aF, nach der ein nichteheliches Kind und dessen Vater nicht als verwandt galten, aufgehoben worden und das nichteheliche Kind nach seinem Vater und dessen Verwandten erbberechtigt geworden. Die neuen erbrechtlichen Vorschriften kommen allerdings nur zur Anwendung, wenn der Erblasser nach dem Inkrafttreten des Nichtehelichengesetzes, dem 1. Juli 1970, verstorben ist (Art 12 § 1 iVm § 10 Abs 1 NEhelG). Ein Erbrecht des Klägers ist daher nicht nach seinem am 27. August 1959 verstorbenen Vater, dagegen nach seinem Großvater entstanden, der am 26. August 1970, nach dem Inkrafttreten des Nichtehelichengesetzes, verstorben ist. Hinsichtlich seiner Erbberechtigung nach seinem Großvater ist der Kläger an die Stelle seines vorverstorbenen Vaters getreten (§ 1924 Abs 3 BGB). Gemäß § 1934a Abs 1 BGB hat er an Stelle des gesetzlichen Erbteils einen Erbersatzanspruch erworben, da sein Großvater eheliche Abkömmlinge und einen Ehegatten hinterlassen hat. Ist dem Kläger der Erbersatzanspruch durch die von dem Großvater geschlossenen Erbverträge entzogen worden und die vom Kläger ausgesprochene Anfechtung der Erbverträge nicht wirksam, dann ist er pflichtteilsberechtigt (§ 2338a BGB).
Die Beklagte ist der Ansicht, dem Kläger stünden keine erbrechtlichen Ansprüche zu, weil er Unterhaltsansprüche gegen sie geltend mache; Unterhaltsansprüche und Erbansprüche könnten aber nicht nebeneinander bestehen. Damit unterscheidet die Beklagte nicht die beiden Erbfälle, die durch den Tod des Vaters des Klägers und durch den Tod seines Großvaters eingetreten sind. Für jeden dieser beiden Erbfälle stehen dem Kläger allerdings nicht nebeneinander Unterhaltsansprüche und Erbansprüche gegen die Erben des Erblassers zu. Hinsichtlich des Vaters des Klägers verbleibt es sowohl für die erbrechtlichen Verhältnisse wie für das Unterhaltsrecht bei dem früheren Recht, da der Vater des Klägers vor dem 1. Juli 1970 verstorben ist (Art 12 § 10 Abs 1 NEhelG). Das bedeutet, daß der Kläger keine erbrechtlichen Ansprüche nach seinem Vater erlangt hat. Dagegen ist die Unterhaltsverpflichtung, die dem Vater des Klägers diesem gegenüber oblag, mit dem Tode des Vaters nicht erloschen, sondern auf dessen Erben übergegangen mit der Besonderheit, daß diese den Kläger mit dem Betrag abfinden können, der ihm als Pflichtteil gebühren würde (§ 1712 Abs 1 Satz 2, Abs 2 Satz 1 BGB aF). Diese Unterhaltsverpflichtung trifft auch die Beklagte als Schwester und gesetzliche Erbin des Vaters des Klägers. Hinsichtlich des Erbfalls, der durch den Tod des Großvaters des Klägers eingetreten ist, gilt dagegen das neue Erbrecht und Unterhaltsrecht, da der Großvater nach dem 1. Juli 1970 verstorben ist. Nach seinem Großvater ist der Kläger, wie bereits ausgeführt worden ist, erbberechtigt geworden, und die Beklagte ist als erbvertragliche Erbin des Großvaters, ihres Vaters, Schuldnerin der erbrechtlichen Ansprüche des Klägers. Der Unterhaltsanspruch, den der Kläger möglicherweise gegen seinen Großvater nach neuem Recht erworben hatte, ist dagegen mit dessen Tode erloschen (§ 1615a iVm § 1615 Abs 1 BGB). Bei dieser Unterhaltsverpflichtung des Großvaters handelt es sich nicht um die auf ihn als Erben seines Sohnes (zu 1/2) übergegangene Unterhaltspflicht des Sohnes, sondern um die Unterhaltsverpflichtung, die dem Großvater als Verwandten des Klägers subsidiär nach den §§ 1601, 1606 BGB oblag. Diese ist unabhängig von der, die ihm als Erben seines Sohnes zugefallen ist (Odersky, Nichtehelichengesetz, 3. Aufl Anm III 3 zu Art 12 § 10 NEhelG S 724).
Das Nichtehelichengesetz hat weder angeordnet noch ist der Systematik des neuen Rechts zu entnehmen, daß die Unterhaltsverpflichtung, die auf die Erben des Vaters eines nichtehelichen Kindes übergeht, mit dem Tode eines dieser Erben, nach dem das nichteheliche Kind erbberechtigt ist, entfallen soll. Das nichteheliche Kind steht sich durch das Nebeneinanderbestehen von Unterhaltsansprüchen gegen die Erben seines vor dem 1. Juli 1970 verstorbenen Vaters und von Erbansprüchen gegen einen nach dem 1. Juli 1970 verstorbenen Verwandten auch nicht besser als ein eheliches Kind. Es steht sich vielmehr insofern schlechter, als es nach seinem vor dem 1. Juli 1970 verstorbenen Vater kein Erbrecht besitzt und wegen der auf die Erben des Vaters übergegangenen Unterhaltsverpflichtung durch diese mit der Zahlung des Pflichtteils abgefunden werden kann, während das eheliche Kind sowohl nach seinem Vater wie nach seinem nachversterbenden Großvater erbberechtigt ist und sich mit dem Pflichtteil nur begnügen muß, wenn ihm der Erbteil durch letztwillige Verfügung entzogen worden ist.
Hält die Revision sonach mit ihrer Ansicht, erbrechtliche Ansprüche und unterhaltsrechtliche Ansprüche könnten nicht nebeneinander bestehen, die beiden Erbfälle nicht auseinander, so ist auch ihr Vorbringen verfehlt, der Kläger könne nach dem Großvater keine erbrechtlichen Ansprüche erworben haben, weil er nach seinem Vater nicht erbberechtigt geworden sei. Das Gegenteil ergibt sich aus den Übergangsregeln des Art 12 §§ 1 und 10 Abs 1 NEhelG. Hiernach gilt für nach dem 1. Juli 1970 eingetretene Erbfälle das neue Recht, wonach das nichteheliche Kind ein Erbrecht nach seinen Verwandten erhält (§ 1), und das gilt auch dann, wenn nach § 10 Abs 1 gegen einen anderen, vor dem 1. Juli 1970 verstorbenen Erblasser keine erbrechtlichen Ansprüche bestehen.
Demgemäß haben die Vorinstanzen dem Kläger zu Recht gegen die Beklagte einen Anspruch auf Auskunftserteilung über den Nachlaß seines Großvaters zugesprochen. Diesen hat der Kläger gleichgültig, ob er nur Pflichtteilsberechtigter ist (§ 2314 BGB) oder ob ihm der volle Erbersatzanspruch zusteht (§ 1934b Abs 2 iVm § 2314 BGB).
Aus den vorstehenden Ausführungen über die erbrechtlichen Verhältnisse ergibt sich zugleich, daß die von der Beklagten im Berufungsrechtszug erhobene Widerklage unbegründet ist, mit der sie die Feststellung begehrt hat, daß dem Kläger keinerlei Ansprüche erbrechtlicher Art am Nachlaß des Dr D. zustehen. Das Berufungsgericht hat die Unbegründetheit dieser Widerklage in den Entscheidungsgründen des Urteils festgestellt, jedoch ihre Abweisung nicht in der Entscheidungsformel ausgesprochen. Das war durch das Revisionsgericht nachzuholen, und zwar als Berichtigung von Amts wegen, so daß es einer entsprechenden Anschlußrevision nicht bedurfte (BGH NJW 1964, 1858).

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