Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 29. März 2001 – 10 Wx 3/00 Erbausschlagung Minderjähriger nach einem 1960 in der DDR verstorbenen Erblasser; Vorlage an BGH bei Abweichung von Entscheidung eines OLG in Prozesssache

April 22, 2019

Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 29. März 2001 – 10 Wx 3/00
Erbausschlagung Minderjähriger nach einem 1960 in der DDR verstorbenen Erblasser; Vorlage an BGH bei Abweichung von Entscheidung eines OLG in Prozesssache
1. Ist der Erblasser im Jahre 1960 im Gebiet der ehemaligen DDR gestorben, kommt es hinsichtlich der Wirksamkeit der von einem Erben abgegebenen Ausschlagungserklärung auf die Vorschriften des BGB in der im Jahre 1960 in der DDR geltenden Fassung an.
2. Die Erbausschlagung eines Kindes bedurfte nach § 1643 Abs. 2 Satz 1 BGB in der im Jahre 1960 in der DDR geltenden Fassung der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung. Die Genehmigung war aber nicht erforderlich, wenn der Anfall an das Kind erst infolge der Ausschlagung des Vaters eintrat und dieser neben dem Kind berufen war, § 1643 Abs. 2 Satz 2 BGB. Mit Rücksicht auf den damals in der DDR geltenden Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau war die Genehmigung ebenso wenig erforderlich, wenn der Anfall an das Kind erst infolge der Ausschlagung der sorgeberechtigten Mutter eintrat und diese neben dem Kind berufen war.
3. Die Frist zur Ausschlagung der Erbschaft beginnt mit dem Zeitpunkt, in welchem der Erbe von dem Anfall und dem Grunde der Berufung Kenntnis erlangt, § 1944 Abs. 2 Satz 1 BGB. Die für die Kenntnis des Erben maßgeblichen Person ist im Falle seiner Geschäftsunfähigkeit oder eingeschränkten Geschäftsfähigkeit der gesetzliche Vertreter.
4. Die Ausschlagungsfrist von sechs Monaten nach § 1944 Abs. 3 BGB, die gilt, wenn der Erblasser seinen letzten Wohnsitz nur im Ausland gehabt hat oder wenn sich der Erbe bei dem Beginn der Frist im Ausland aufhält, ist auch dann maßgebend, wenn der Erblasser seinen Wohnsitz in der DDR hatte, der Ausschlagungsberechtigte aber in Berlin (West) lebte.
5. Einer Vorlage der weiteren Beschwerde an den BGH gemäß § 28 Abs. 2 FGG bedarf es nicht, wenn das OLG im Verfahren der weiteren Beschwerde der Freiwilligen Gerichtsbarkeit von der Entscheidung eines OLG in einer Prozesssache abweichen möchte.

Tenor
Auf die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 1. wird der Beschluß des Landgerichts Potsdam vom 3. November 1999 aufgehoben.
Das Amtsgericht Potsdam wird angewiesen, einen Erbschein des aus dem am 04. Februar 1999 erteilten und am 12. März 1999 wieder eingezogenen Erbschein ersichtlichen Inhalts, also dahin zu erteilen, dass der Erblasser von seiner Schwester M A P geborene L, gestorben am … allein beerbt worden ist.
Der Wert der weiteren Beschwerde wird auf 5.000 DM festgesetzt.
Gründe
I. Die Beteiligten zu 2. und 3. sind die Urenkel des Erblassers. Dieser war verwitwet. Seine Kinder A E, geb. L, und C L schlugen die Erbschaft nach ihm aus. Seine Enkelin, Frau J Le, geb. B Tochter seiner vorverstorbenen Tochter L B, geb. L, die zum damaligen Zeitpunkt in B wohnte, schlug am 12.04.1960 die Erbschaft nach dem Erblasser aus. Ihre Erklärung ging am 19.04.1960 beim Staatlichen Notariat P ein. Sie schlug überdies gemeinsam mit ihrem Ehemann am 20./21.06.1960 die Erbschaft für ihre Kinder, die Beteiligten zu 2. und 3., die zum damaligen Zeitpunkt noch nicht volljährig waren, aus. Diese Erklärung ging am 24.06.1960 beim Staatlichen Notariat P ein.
Das Amtsgericht erteilte am 8. Mai 1996 einen Erbschein, der die Schwester des Erblassers M A P, geb. L nachverstorben am …, als seine Alleinerbin auswies. Dieser Erbschein wurde von der Rechtspflegerin des Amtsgerichts mit Beschluß vom 10.12.1998 eingezogen, weil die Erbausschlagung der Frau Le für die Beteiligten zu 2. und 3. nicht fristgemäß erfolgt sei.
Gegen diesen Beschluß legte der Beteiligte zu 1. Beschwerde ein. Mit Beschluß vom 04.02.1999 hob die Rechtspflegerin ihren Beschluß vom 10.12.1998 auf. Ferner wies sie mit weiterem Beschluß vom 04.02.1999 den Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 3. zurück. Sie erteilte am 04.02.1999 einen neuen Erbschein, der M P als Alleinerbin des Erblassers auswies. Auf die Erinnerung des Beteiligten zu 3. hob der Richter beim Amtsgericht mit Beschluß vom 03.03.1999 die Beschlüsse der Rechtspflegerin vom 04.02.1999 auf. Ferner wies er sie an, den Erbschein vom 04.02.1999 als unrichtig einzuziehen. Auf die Begründung der Entscheidung wird verwiesen.
Mit Beschluß vom 12.03.1999 zog die Rechtspflegerin den erteilten Erbschein vom 04.02.1999 gemäß richterlicher Anordnung wegen Unrichtigkeit ein. Das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen reichte die ihm erteilte 1. Ausfertigung des Erbscheins vom 04.02.1999 unter dem 20.04.1999 an das Amtsgericht zurück.
Der Beteiligte zu 1. hat am 06.04.1999 gegen den Beschluß der Rechtspflegerin vom 12.03.1999 Beschwerde eingelegt, mit der er die Wiedererteilung des eingezogenen Erbscheins begehrt. Er macht geltend, die Erbausschlagung der Frau Le für die Beteiligten zu 2. und 3. sei fristgemäß erfolgt. Die Frist des § 1944 Abs. 3 BGB sei anzuwenden, da bereits im Jahre 1960 die Bundesrepublik Deutschland von der damaligen DDR als Ausland behandelt worden sei. Wegen der Einzelheiten wird auf die Beschwerdeschrift verwiesen.
Die Rechtspflegerin und der Richter haben der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Landgericht zur Entscheidung vorgelegt.
Durch den angefochtenen Beschluß hat das Landgericht die Beschwerde des Beteiligten zu 1. zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, ein Erbschein zugunsten der Schwester M A P des Erblassers könne nicht erteilt werden. Denn sie sei von der Erbfolge ausgeschlossen, weil Erben der ersten Ordnung vorhanden seien. J Le habe zwar die ihr nach ihrem Großvater angefallene Erbschaft für sich wirksam ausgeschlagen. Eine wirksame Ausschlagungserklärung für ihre Kinder, die Beteiligten zu 2. und 3., liege jedoch nicht vor. Insoweit könne dahinstehen, ob die Ausschlagungsfrist von sechs Wochen gem. § 1944 Abs. 1 BGB oder die Frist von sechs Monaten gem. § 1944 Abs. 3 BGB gegolten habe. Denn die am 24.06.1960 eingegangene Ausschlagungserklärung der Frau J Le und ihres Ehemannes habe nach § 1643 Abs. 2 BGB der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung bedurft. Da eine solche Genehmigung nicht vorliege, sei die Ausschlagung nicht wirksam geworden.
Gegen diese Entscheidung wendet sich der Beteiligte zu 1. mit der weiteren Beschwerde. Er trägt vor, das Landgericht habe bei seiner Entscheidung die Vorschrift des § 1643 Abs. 2 Satz 2 BGB übersehen. Danach sei die Ausschlagung genehmigungsfrei, wenn der Erbanfall an die Kinder, wie hier, infolge der Ausschlagung durch einen Elternteil erfolge.
Die Beteiligten zu 2. und 3. sind der weiteren Beschwerde entgegengetreten. Auch sie vertreten die Auffassung, daß das Landgericht die Vorschrift des § 1643 Abs. 2 Satz 2 BGB übersehen habe. Die vom Landgericht getroffene Entscheidung sei im Ergebnis dennoch nicht zu beanstanden, da für die Ausschlagung eine Frist von sechs Wochen gegolten habe, die nicht eingehalten worden sei.
II.
Die gem. §§ 27, 29 FGG zulässige weitere Beschwerde ist begründet. Der angefochtene Beschluß beruht auf einem Rechtsverstoß. Das Landgericht ist bei seiner Entscheidung zu Unrecht davon ausgegangen, daß Erben der ersten Ordnung, nämlich die Beteiligten zu 2. und 3., vorhanden seien, weil diese die Erbschaft nicht wirksam ausgeschlagen hätten. Tatsächlich liegen wirksame Ausschlagungserklärungen der Beteiligten zu 2. und 3. vor. Der Erblasser ist daher nicht von ihnen, sondern gemäß § 1925 Abs. 1, 3 BGB von seiner Schwester M A P allein beerbt worden. Da der Sachverhalt genügend geklärt ist, kann der Senat von einer Aufhebung und Zurückverweisung absehen und selbst eine Entscheidung treffen. Dabei reicht es vorliegend jedoch nicht aus, den Beschluß des Amtsgerichts vom 12.03.1999, mit dem der die Schwester des Erblassers als Alleinerbin ausweisende Erbschein vom 04.02.1999 eingezogen worden ist, aufzuheben. Denn nach erfolgter Kraftloserklärung oder Ablieferung, wie sie hier durch das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen erfolgt ist, bedarf es der Erteilung eines neuen gleichlautenden Erbscheins, da die durchgeführte Einziehung als solche nicht mehr rückgängig gemacht werden kann (BGHZ 40, 54, 55 f; BayObLGZ 1980, 72, 73; BayObLG, FamRZ 1989, 550, 551; Palandt/Edenhofer, BGB, 60. Aufl., § 2361, Rz. 14). Einen solchen Erbschein kann der Senat als Gericht der weiteren Beschwerde nicht selbst erteilen, sondern hat dies dem dafür funktionell zuständigen Erstgericht zu überlassen (Keidel/Kahl, FGG, 14. Aufl., § 27, Rz. 65 sowie § 25, Rz. 6).
Allerdings hat das Landgericht zutreffend die Zulässigkeit der Erstbeschwerde bejaht. Insbesondere war der Beteiligte zu 1. insoweit beschwerdeberechtigt. Für eine formelle Beschwer reicht es aus, wenn der Beteiligte weniger als beantragt erreicht hat (Keidel/Kahl, a.a.O., § 19, Rz. 76). Der Beteiligte zu 1.hat mit Schriftsatz vom 02.02.1999 beantragt, den Erbschein vom 08.05.1996, der durch Beschluß des Amtsgerichts vom 10.12.1998 eingezogen wurde, erneut zu erteilen. Diesem Antrag wurde nicht entsprochen.
Das Landgericht ist auch zutreffend davon ausgegangen, daß der Beteiligte zu 1. antragsberechtigt ist. Ausweislich der Bestellungsurkunde des Amtsgerichts C vom 09.06.1997 (…) ist der Beteiligte zu 1. zum Nachlaßpfleger für die unbekannten Erben der M P bestellt worden. Als Nachlaßpfleger steht ihm zwar kein Antragsrecht auf Erteilung eines Erbscheins nach dem Erblasser, für dessen unbekannte Erben er bestellt worden ist, zu (Palandt/Edenhofer, a.a.O. § 2353, Rz. 13). Antragsberechtigt ist ein Nachlaßpfleger aber, soweit es um die Erteilung eines Erbscheins bezüglich eines anderen Nachlasses geht, an dem Rechte der unbekannten Erben, für die er bestellt worden ist, wahrzunehmen sind (BayObLG, FamRZ 1991, 230; Palandt/Edenhofer, a.a.O.). Das trifft vorliegend zu.
Zu Unrecht hat das Landgericht aber angenommen, die von der Enkelin des Erblassers, J Le, und ihrem Ehemann für die gemeinsamen Kinder, die Beteiligten zu 2. und 3., abgegebenen Ausschlagungserklärungen seien unwirksam.
Gemäß Art. 235 § 1 Abs. 1 EGBGB bleibt für die erbrechtlichen Verhältnisse das bisherige Recht maßgebend, wenn der Erblasser vor dem Wirksamwerden des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik Deutschland gestorben ist. Als rein intertemporale Norm regelt diese Vorschrift allerdings nicht, ob auf einen früheren Erbfall das in der ehemaligen DDR oder das im bisherigen Bundesgebiet geltende Recht zur Anwendung kommt, sondern setzt eine Zuordnung des erbrechtlichen Verhältnisses zu einer der beiden Teilrechtsordnungen bereits voraus. Nach der deshalb stets erforderlichen interlokalen Vorprüfung richtet sich die Rechtsnachfolge von Todes wegen nach einem deutschen Erblasser nach den Bestimmungen derjenigen Teilrechtsordnung, deren räumlichem Geltungsbereich der Erblasser durch seinen gewöhnlichen Aufenthalt angehörte (BGH, FamRZ 1994, 304; Senat, FamRZ 1997, 1023, 1024; FamRZ 1998, 1619, 1620; FamRZ 1999, 188, 190; FamRZ 1999, 1461, 1462; Limmer, ZEV 1994, 290, 291; Palandt/Edenhofer, a.a.O., EGBGB Art. 235 § 1, Rz. 5). Dementsprechend bestimmt sich vorliegend die Frage, von wem der Erblasser beerbt worden ist, nach dem Recht der ehemaligen DDR. Denn der Erblasser ist am 07.03.1960 und damit weit vor dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland am 03.10.1990 verstorben. Anzuwenden ist das BGB in der im Jahre 1960 in der DDR in Kraft befindlichen Fassung, das bis zum Inkrafttreten des ZGB der DDR am 01.01.1976 auch in der DDR galt. Denn nach § 8 Abs. 1 EGZGB bestimmte sich die Regelung erbrechtlicher Verhältnisse nach dem vor Inkrafttreten des ZGB geltenden Recht, wenn der Erbfall vor diesem Zeitpunkt eingetreten war (vgl. auch Senat, FamRZ 1999, 188, 190; FamRZ 1999, 1461, 1462). Auch die Ausschlagung einer Erbschaft und die Anfechtung der Ausschlagung beurteilen sich nach dem jeweiligen Erbstatut (KG, OLGZ 1993, 278, 281; KG, OLGZ 1993, 405, 406; OLG Karlsruhe NJW-RR 1995, 1349; Staudinger/Rauscher, BGB, 13. Bearbeitung, Art. 235 § 1 EGBGB, Rz. 175; vgl. auch Senat, FamRZ 1997, 1023, 1024; FamRZ 1998, 1619, 1620). Damit kommt es für die Wirksamkeit der für die Beteiligten zu 2. und 3. abgegebenen Ausschlagungserklärung ebenfalls darauf an, ob die Vorschriften des BGB in der im Jahre 1960 in der DDR geltenden Fassung beachtet worden sind. Das ist zu bejahen.
Die Unwirksamkeit der Ausschlagungserklärung läßt sich entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht darauf stützen, daß es an einer vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung der Ausschlagung gefehlt habe. Zwar bedurfte die Erbschaftsausschlagung eines Kindes nach § 1643 Abs. 2 Satz 1 BGB in der im Jahre 1960 in der DDR geltenden Fassung der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung. Die Genehmigung war aber nicht erforderlich, wenn der Anfall an das Kind erst infolge der Ausschlagung des Vaters eintrat, wenn dieser neben dem Kind berufen war, § 1643 Abs. 2 Satz 2 BGB. Der Begriff “Vater” ist in der Textausgabe des BGB der DDR aus dem Jahre 1956 jedoch mit Rücksicht auf den Grundsatz der Gleichberechtigung der Frau kursiv gedruckt (vgl. auch das Vorwort, Seite VI f. der Textausgabe, herausgegeben vom Ministerium der Justiz der Regierung der DDR, 1956). Anders als noch nach dem Wortlaut der §§ 1627 ff BGB in der im Jahre 1960 in der DDR geltenden Fassung lag die elterliche Gewalt für das Kind nicht mehr allein beim Vater. Vielmehr war seinerzeit bereits zu berücksichtigen, daß gemäß Art. 31 der Verfassung der DDR vom 07.10.1949 (GBl. S. 5) und § 16 Abs. 1 des Gesetzes über den Mutter- und Kinderschutz und die Rechte der Frau (MKSchG) vom 27.09.1950 (GBl. S. 1037) die elterliche Sorge von beiden Elternteilen gemeinsam ausgeübt wurde. Daher waren die Vorschriften der §§ 1627 bis 1683 BGB in der damaligen Fassung, soweit sie nicht aus anderen Gründen gegen die Prinzipien der Verfassung verstießen und deshalb aufgehoben wurden, auf beide Elternteile auszudehnen (Jansen, Leitfaden des Familienrechts der Deutschen Demokratischen Republik, 1958, S. 147). Somit ist nach der insoweit maßgeblichen Rechtspraxis in der ehemaligen DDR (vgl. BGHZ 124, 270, 277; BGH, NJW 1993, 2531, ZEV 1995, 221; MünchKomm/von Feldmann, BGB, 3. Aufl., Art. 231 § 6 EGBGB, Rz. 2) die Vorschrift des § 1643 Abs. 2 Satz 2 BGB in ihrer seinerzeitigen Fassung dahin zu verstehen, daß ihre Rechtsfolgen nicht nur bei Ausschlagung durch den Vater, sondern bei Ausschlagung durch einen vertretungsberechtigten Elternteil eintraten. Folglich war die Genehmigung ebensowenig erforderlich, wenn der Anfall an das Kind erst infolge der Ausschlagung der sorgeberechtigten Mutter eintrat, wenn diese neben dem Kind berufen war. So liegt der Fall hier.
Der Anfall an die Beteiligten zu 2. und 3. ist erst dadurch eingetreten, daß ihre Mutter, J Le, die Enkelin des Erblassers, die Erbschaft unter dem 12.04.1960 ausgeschlagen hat. Diese unzweifelhaft rechtzeitige Ausschlagungserklärung war auch wirksam. Sie ist, wie in § 1945 Abs. 1 BGB in der damals in der DDR geltenden Fassung vorgesehen, durch Erklärung gegenüber dem Staatlichen Notariat (vgl. hierzu Senat, FamRZ 1997, 1023, 1024) in öffentlich beglaubigter Form abgegeben worden. Dem steht nicht entgegen, daß die Erklärung der J Le durch einen in Berlin-Spandau, also im damaligen Westteil Berlins, ansässigen Notar beglaubigt worden war. Denn eine vor dem Wirksamwerden des Beitritts erfolgte notarielle Beurkundung oder Beglaubigung ist nach Art. 231 § 7 Abs. 1 EGBGB nicht deshalb unwirksam, weil sie von einem Notar vorgenommen wurde, der nicht in dem in Art. 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet berufen oder bestellt war, sofern dieser im Geltungsbereich des Grundgesetzes bestellt war (KG, OLGZ 1993, 405, 407). Angesichts dessen kann dahinstehen, ob von der Formwirksamkeit der Beglaubigung der Erbschaftsausschlagung auch deshalb ausgegangen werden kann, weil die Wahrung der Ortsform ausreicht (so Palandt/Heinrichs, a.a.O., EGBGB 231 § 7, Rz. 2).
Die Mutter war auch nicht neben den Kindern, sondern an deren Stelle zur Erbin berufen. Einer vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung bedurfte es daher nach § 1643 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht.
Die für die Beteiligten zu 2. und 3. durch ihre gesetzlichen Vertreter vorgenommene Ausschlagung (vgl. Palandt/Edenhofer, a.a.O., § 1945, Rz. 2), war fristgemäß. Die insoweit maßgebliche Ausschlagungsfrist von sechs Monaten gem. § 1944 Abs. 3 BGB ist eingehalten.
Die Ausschlagungsfrist beginnt mit dem Zeitpunkt, in welchem der Erbe von dem Anfall und dem Grunde der Berufung Kenntnis erlangt, § 1944 Abs. 2 Satz 1 BGB. Kenntnis des Anfalls liegt regelmäßig in der Kenntnis der den Anfall begründenden Tatsachen, wozu auch der Wegfall vorrangig berechtigter Verwandter gehört (Palandt/Edenhofer, a.a.O., § 1944, Rz. 4). Hier ist den Beteiligten zu 2. und 3. das Erbe aufgrund der Ausschlagungserklärung ihrer Mutter J Le, die am 19.04.1960 beim Staatlichen Notariat Potsdam (Stadt) eingegangen war, angefallen.
Die für die Kenntnis des Erben maßgebliche Person ist im Falle seiner Geschäftsunfähigkeit oder eingeschränkten Geschäftsfähigkeit der gesetzliche Vertreter (BayObLG, Rpfleger 1984, 403; OLG Hamburg, MDR 1984, 54; OLG Hamm, OLGZ 1982, 41, 45; MünchKomm/Leipold, BGB, 3. Aufl., § 1944, Rz. 14). Ob dann, wenn das Kind im Wege der Gesamtvertretung durch beide Elternteile vertreten wird, die Kenntnis eines Elternteils genügt (so MünchKomm/Leipold, a.a.O.; Soergel/Stein, BGB, 12. Aufl., § 1944, Rz. 12; a. A. LG Freiburg, BWNotZ 1993, 44; Palandt/Edenhofer, a.a.O., § 1944, Rz. 8) und ob dieser Grundsatz auch auf die Ausübung der elterlichen Sorge nach dem im Jahre 1960 geltenden Recht der DDR anzuwenden wäre, kann ebenso dahinstehen wie die Frage, wann der Vater der Beteiligten zu 2. und 3. Kenntnis von Anfall und Grund der Berufung erlangt hat. Denn selbst wenn man allein auf die Kenntnis der Mutter, die jedenfalls bei Abgabe ihrer eigenen Ausschlagungserklärung im April 1960 vorgelegen haben muß, abstellt mit der Folge, daß der Lauf der Ausschlagungsfrist begonnen hat, ist diese eingehalten. Im vorliegenden Fall gilt nämlich nicht die Ausschlagungsfrist von sechs Wochen nach § 1944 Abs. 1 BGB, sondern diejenige von sechs Monaten nach § 1944 Abs. 3 BGB.
Gem. § 1944 Abs. 3 BGB beträgt die Ausschlagungsfrist sechs Monate, wenn der Erblasser seinen letzten Wohnsitz nur im Ausland gehabt hat oder wenn sich der Erbe bei dem Beginn der Frist im Ausland aufhält. Im vorliegenden Fall hatte der Erblasser seinen Wohnsitz in der DDR. Die Beteiligten zu 2. und 3. aber lebten damals, also auch bei Beginn der Ausschlagungsfrist, in Berlin (West).
Der Begriff “Ausland” in § 1944 Abs. 3 BGB ist nicht im staatsrechtlichen Sinne zu verstehen (AG Bleckede, MDR 1968, 588; Staudinger/Otte, BGB, 13. Aufl., § 1944, Rz. 3; Soergel/Stein, a.a.O., § 1944, Rz. 5; MünchKomm/Leipold, a.a.O., § 1944, Rz. 22; a. A. RGRK/Johannsen, BGB, 12. Aufl., § 1944, Rz. 25; so auch BGH, NJW 1952, 1415, zum Begriff des “Inlands” i. S. d. § 606 ZPO). Abzustellen ist vielmehr auf die Kommunikationsprobleme und die sich aus der Verschiedenheit der Rechtsordnungen ergebenden Entscheidungsschwierigkeiten, die auftreten können, wenn Erblasser oder Erbe durch Grenzen vom Sitz des Rechtsverhältnisses getrennt sind (AG Bleckede, a.a.O.; Staudinger/Otte, a.a.O.; MünchKomm/Leipold, a.a.O.). Wegen der Schwierigkeiten, die im Rechtsverkehr vor dem 03.10.1990 bestanden haben, sind die Bundesrepublik Deutschland einschließlich Berlin (West) und die DDR einschließlich Berlin (Ost) im Verhältnis zueinander als Ausland i. S. d. § 1944 Abs. 3 BGB zu betrachten (OLG Hamm, ZEV 1994, 246; AG Bleckede, a.a.O.; Staudinger/Otte, a.a.O.; Soergel/Stein, a.a.O.; MünchKomm/Leipold, a.a.O.; Kummer, ZEV 1994, 248; a. A. OLG Frankfurt, ZEV 1994, 247). Dabei bestand die von Kommunikationsproblemen gekennzeichnete Situation zwischen den beiden deutschen Staaten bereits vor der Ablösung des BGB-Erbrechts durch das ZGB der DDR am 01.01.1976 (Staudinger/Otte, a.a.O.) und auch vor dem Bau der “Mauer” am 13.08.1961. Ein etwa reibungsloser Ablauf im Einzelfall schließt die Anwendung von § 1944 Abs. 3 BGB nicht aus.
Nach alledem ist von einer sechsmonatigen Ausschlagungsfrist auszugehen. Selbst wenn man hinsichtlich der Kenntnis von Anfall und Grund der Berufung auf die Mutter der Beteiligten zu 2. und 3. abstellte und diese mit ihrer eigenen Ausschlagungserklärung vom April 1960 annähme, wäre die Ausschlagungsfrist erst im Oktober 1960 abgelaufen. Tatsächlich ist die von den Eltern der Beteiligten zu 2. und 3. für die Kinder abgegebene Ausschlagungserklärung bereits am 24.06.1960 beim Staatlichen Notariat Potsdam (Stadt) eingegangen. Der Umstand, daß die Beglaubigung der Erklärung von einem in Berlin (West) ansässigen Notar vorgenommen worden ist, berührt, wie bereits ausgeführt, die Wirksamkeit der Ausschlagungserklärung nicht.
Da infolge der wirksamen Ausschlagung der Erbschaft durch die Beteiligten zu 2. und 3. keine gesetzlichen Erben der ersten Ordnung gemäß § 1924 Abs. 1 BGB vorhanden sind, ist die Schwester des Erblassers als gesetzliche Erbin der zweiten Ordnung gemäß § 1925 Abs. 1 BGB Alleinerbin geworden. Dem Antrag des Beteiligten zu 1., erneut einen entsprechenden Erbschein zu erteilen, ist demnach zu entsprechen.
Obwohl die Frage, ob Berlin (West) und die DDR im Verhältnis zueinander als Ausland i. S. d. § 1944 Abs. 3 BGB zu betrachten sind, in der obergerichtlichen Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt wird (OLG Hamm, ZEV 1994, 246 einerseits; OLG Frankfurt, ZEV 1994, 247 andererseits), bedarf es vorliegend keiner Vorlage der weiteren Beschwerde an den Bundesgerichtshof, § 28 Abs. 2 FGG. Eine Abweichung von Entscheidungen des Bundesgerichtshofs selbst ist nicht ersichtlich. Die Abweichung von der Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts gebietet die Vorlage aber nur, wenn diese Entscheidung auf weitere Beschwerde hin ergangen ist. Es muß sich also um eine Entscheidung im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit handeln. Entscheidungen eines Oberlandesgerichts in Prozeßsachen geben zur Vorlegung keine Veranlassung (KG NJW 1960, 1817, 1819; BayObLGZ 1983, 283, 285; OLG Düsseldorf, NJW 1988, 1033, 1035; Jansen, FGG, 2. Aufl., § 28, Rz. 13 f., 20; Keidel/Kahl, a.a.O., § 28, Rz. 23). Die beiden genannten Entscheidungen der Oberlandesgerichte Hamm und Frankfurt aber sind jeweils auf Berufung einer Partei in einem Zivilrechtsstreit ergangen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 13 a Abs. 1 Satz 2 FGG.

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