FG Düsseldorf, Beschluss vom 20.07.2020 – 4 K 1095/20 Erb

Oktober 20, 2020

FG Düsseldorf, Beschluss vom 20.07.2020 – 4 K 1095/20 Erb

Tenor

Das Verfahren wird ausgesetzt.

Der Gerichtshof der Europäischen Union wird um eine Vorabentscheidung zu folgenden Fragen ersucht:

Sind die Artikel 63 Absatz 1 und 65 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung eines Mitgliedstaats über die Erhebung der Erbschaftsteuer entgegenstehen, die hinsichtlich der Berechnung der Steuer vorsieht, dass der Freibetrag auf die Steuerbemessungsgrundlage im Fall des Erwerbs von im Inland belegenen Grundstücken dann, wenn der Erblasser zur Zeit seines Todes und der Erbe zu dieser Zeit ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat hatten, niedriger ist als der Freibetrag, der zur Anwendung gekommen wäre, wenn zumindest einer von ihnen zu diesem Zeitpunkt seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im erstgenannten Mitgliedstaat gehabt hätte?

Sind die Artikel 63 Absatz 1 und 65 AEUV dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung eines Mitgliedstaats über die Erhebung der Erbschaftsteuer entgegenstehen, die hinsichtlich der Berechnung der Steuer vorsieht, dass Verbindlichkeiten aus Pflichtteilen im Fall des Erwerbs von im Inland belegenen Grundstücken dann, wenn der Erblasser zur Zeit seines Todes und der Erbe zu dieser Zeit ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat hatten, nicht abziehbar sind, während diese Verbindlichkeiten vollständig von dem Wert des Erwerbs von Todes wegen abziehbar wären, wenn zumindest der Erblasser oder der Erbe zu dem Zeitpunkt des Todes des Erblassers seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im erstgenannten Mitgliedstaat gehabt hätte?
Gründe

I.

1. Die Klägerin ist österreichische Staatsangehörige und wohnt seit dem Jahr 2014 in Österreich. Sie ist die Tochter des Erblassers, der ebenfalls österreichischer Staatsangehöriger war und in Österreich wohnte.

2. Der Erblasser war Eigentümer dreier bebauter Grundstücke in Deutschland sowie eines unbebauten Grundstücks in Ratingen bei Düsseldorf.

3. Der Erblasser setzte mit einem von ihm errichteten Testament die Klägerin zu seiner Alleinerbin ein. Seine Ehefrau E und seinen Sohn S setzte er auf einen Pflichtteil. Der Erblasser verstarb am 12. August 2018 in Österreich.

4. Die Klägerin verpflichtete sich nach dem Tod des Erblassers in einem Pflichtteilsübereinkommen, als Alleinerbin an E und S zur Berichtigung ihrer Pflichtteilsansprüche Beträge von …€ und … € zu zahlen. Sie beantragte in ihrer beim beklagten Finanzamt abgegebenen Erbschaftsteuererklärung, die Verbindlichkeiten aus den Pflichtteilen in Höhe von 43 %, mithin in Höhe von insgesamt … € von dem Wert ihres Erwerbs von Todes wegen als Nachlassverbindlichkeiten abzuziehen. Zu diesem Betrag gelangte sie, indem sie den Anteil des der deutschen Erbschaftsteuer unterliegenden Grundvermögens in Deutschland mit einem von ihr ermittelten Wert von … € mit 43 % des Werts des gesamten in den Nachlass fallenden Vermögens von … € berechnete. Den Wert des nicht der deutschen Erbschaftsteuer unterliegenden Vermögens (Kapitalvermögen und ein Grundstück in Spanien) berechnete sie mit … €.

5. Das beklagte Finanzamt setzte gegen die Klägerin Erbschaftsteuer fest. Dabei unterwarf es nur die in Deutschland belegenen Grundstücke der Besteuerung. Den Abzug der Pflichtteile als Nachlassverbindlichkeiten lehnte es ab, weil diese nicht mit den vorgenannten Grundstücken in wirtschaftlichem Zusammenhang stünden. Ferner berücksichtigte es bei der Berechnung der festgesetzten Erbschaftsteuer anstatt eines für Kinder des Erblassers an sich nach § 16 Absatz 1 Nummer 2 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) vorgesehenen Freibetrags unter Bezugnahme auf § 16 Absatz 2 ErbStG nur einen geminderten Freibetrag.

6. Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage, die Erbschaftsteuer herabzusetzen. Ihr stehe der in § 16 Absatz 1 Nummer 2 ErbStG vorgesehene Freibetrag von 400.000 € ungekürzt zu. § 16 Absatz 2 ErbStG widerspreche dem Unionsrecht. Ferner widerspreche es dem Unionsrecht, den Abzug der von ihr zu zahlenden Pflichtteile als Nachlassverbindlichkeiten nicht zumindest anteilig in Höhe des von ihr berechneten Betrags zuzulassen.

7. Das beklagte Finanzamt trägt vor: Gemäß § 16 Absatz 2 ErbStG sei der in § 16 Absatz 1 Nummer 2 ErbStG vorgesehene Freibetrag um einen Teilbetrag zu mindern. Die von der Klägerin zu zahlenden Pflichtteile könnten nach § 10 Absatz 6 Satz 2 ErbStG nicht als Nachlassverbindlichkeiten abgezogen werden, weil sie nicht mit einzelnen zum Nachlass gehörenden Vermögensgegenständen in wirtschaftlichem Zusammenhang stünden.

II.

8. Für die Entscheidung über die Vorlagefrage sind folgende Vorschriften des deutschen Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Februar 1997 (Bundesgesetzblatt Teil I, Seite 378), zuletzt geändert durch Artikel 4 des Gesetzes vom 23. Juni 2017 (Bundesgesetzblatt Teil I, Seite 1682), von Bedeutung:

9. § 1 Steuerpflichtige Vorgänge

(1) Der Erbschaftsteuer (Schenkungsteuer) unterliegen

1. der Erwerb von Todes wegen;

2. die Schenkungen unter Lebenden;

10. § 2 Persönliche Steuerpflicht

(1) Die Steuerpflicht tritt ein

1. in den Fällen des § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3, wenn der Erblasser zur Zeit seines Todes, der Schenker zur Zeit der Ausführung der Schenkung oder der Erwerber zur Zeit der Entstehung der Steuer (§ 9) ein Inländer ist, für den gesamten Vermögensanfall (unbeschränkte Steuerpflicht). Als Inländer gelten

a) natürliche Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,

b) deutsche Staatsangehörige, die sich nicht länger als fünf Jahre dauernd im Ausland aufgehalten haben, ohne im Inland einen Wohnsitz zu haben,

3. in allen anderen Fällen für den Vermögensanfall, der in Inlandsvermögen im Sinne des § 121 des Bewertungsgesetzes besteht (beschränkte Steuerpflicht).

11. § 3 Erwerb von Todes wegen

(1) Als Erwerb von Todes wegen gilt

1. der Erwerb durch Erbanfall …, durch Vermächtnis … oder auf Grund eines geltend gemachten Pflichtteilsanspruchs (§§ 2303 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs);

12. § 9 Entstehung der Steuer

(1) Die Steuer entsteht

1. bei Erwerben von Todes wegen mit dem Tode des Erblassers, …

13. § 10 Steuerpflichtiger Erwerb

(1) Als steuerpflichtiger Erwerb gilt die Bereicherung des Erwerbers, soweit sie nicht steuerfrei ist … In den Fällen des § 3 gilt als Bereicherung der Betrag, der sich ergibt, wenn von dem … Wert des gesamten Vermögensanfalls, soweit er der Besteuerung nach diesem Gesetz unterliegt, die nach den Absätzen 3 bis 9 abzugsfähigen Nachlassverbindlichkeiten … abgezogen werden…

(5) Von dem Erwerb sind, soweit sich nicht aus den Absätzen 6 bis 9 etwas anderes ergibt, als Nachlassverbindlichkeiten abzugsfähig

1. die vom Erblasser herrührenden Schulden…;

2. Verbindlichkeiten aus Vermächtnissen, Auflagen und geltend gemachten Pflichtteilen und Erbersatzansprüchen…

(6) Nicht abzugsfähig sind Schulden und Lasten, soweit sie in wirtschaftlichem Zusammenhang mit Vermögensgegenständen stehen, die nicht der Besteuerung nach diesem Gesetz unterliegen. Beschränkt sich die Besteuerung auf einzelne Vermögensgegenstände (§ 2 Absatz 1 Nummer 3 ..), so sind nur die damit in wirtschaftlichem Zusammenhang stehenden Schulden und Lasten abzugsfähig.

14. § 15 Steuerklassen

(1) Nach dem persönlichen Verhältnis des Erwerbers zum Erblasser oder Schenker werden die folgenden drei Steuerklassen unterschieden:

Steuerklasse I:

1. der Ehegatte und der Lebenspartner,

2. die Kinder und Stiefkinder, …

15. § 16 Freibeträge

(1) Steuerfrei bleibt in den Fällen der unbeschränkten Steuerpflicht (§ 2 Absatz 1 Nummer 1 und Absatz 3) der Erwerb

1. des Ehegatten und des Lebenspartners in Höhe von 500 000 Euro;

2. der Kinder im Sinne der Steuerklasse I Nr. 2 und der Kinder verstorbener Kinder im Sinne der Steuerklasse I Nr. 2 in Höhe von 400 000 Euro;

(2) In den Fällen der beschränkten Steuerpflicht (§ 2 Absatz 1 Nummer 3) wird der Freibetrag nach Absatz 1 um einen Teilbetrag gemindert. Dieser Teilbetrag entspricht dem Verhältnis der Summe der Werte des in demselben Zeitpunkt erworbenen, nicht der beschränkten Steuerpflicht unterliegenden Vermögens und derjenigen, nicht der beschränkten Steuerpflicht unterliegenden Vermögensvorteile, die innerhalb von zehn Jahren von derselben Person angefallen sind, zum Wert des Vermögens, das insgesamt innerhalb von zehn Jahren von derselben Person angefallenen ist. Die früheren Erwerbe sind mit ihrem früheren Wert anzusetzen.

16. § 37 Anwendung des Gesetzes

(14) § … § 16 Absatz 1 und 2 in der am 25. Juni 2017 geltenden Fassung sind auf Erwerbe anzuwenden, für die die Steuer nach dem 24. Juni 2017 entsteht.

17. Ferner ist folgende Vorschrift des Bewertungsgesetzes (BewG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. Februar 1991 (Bundesgesetzblatt Teil I, Seite 230), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 4. November 2016 (Bundesgesetzblatt Teil I, Seite 2464), von Bedeutung:

§ 121 Inlandsvermögen

Zum Inlandsvermögen gehören:

1. das inländische land- und forstwirtschaftliche Vermögen;

2. das inländische Grundvermögen; …

18. In zivilrechtlicher Hinsicht sind folgende Vorschriften des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuchs (ABGB) für die gesamten deutschen Erbländer der Österreichischen Monarchie (Justizgesetzsammlung Österreichs Nummer 946/1811), zuletzt geändert durch Artikel 6 des am 13. November 2017 kundgemachten Bundesgesetzes (Bundesgesetzblatt Teil I Nummer 153/2017), von Bedeutung:

19. § 756.

Der Pflichtteil ist der Anteil am Wert des Vermögens des Verstorbenen, der dem Pflichtteilsberechtigten zukommen soll.

20. § 757.

Pflichtteilsberechtigt sind die Nachkommen sowie der Ehegatte oder eingetragene Partner des Verstorbenen.

21. § 759.

Als Pflichtteil gebührt jeder pflichtteilsberechtigten Person die Hälfte dessen, was ihr nach der gesetzlichen Erbfolge zustünde.

22. § 761.

(1) Der Pflichtteil ist in Geld zu leisten…

23. § 764.

(1) Der Pflichtteilsanspruch ist von der Verlassenschaft und nach der Einantwortung von den Erben zu erfüllen…

24. § 765.

(1) Der Pflichtteilsberechtigte erwirbt den Anspruch für sich und seine Nachfolger mit dem Tod des Verstorbenen.

(2) Den Geldpflichtteil kann der Pflichtteilsberechtigte erst ein Jahr nach dem Tod des Verstorbenen fordern.

25. § 778.

(1) Auf Antrag eines Pflichtteilsberechtigten wird zur Ermittlung des Pflichtteils die gesamte Verlassenschaft genau beschrieben und geschätzt.

(2) Die Schätzung hat auf den Todestag des Verstorbenen abzustellen. Bis zur Erfüllung des Geldpflichtteils stehen dem Pflichtteilsberechtigten die gesetzlichen Zinsen zu.

26. Darüber hinaus sind folgende Vorschriften des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 (Bundesgesetzblatt Teil I, Seite 42, 2909; 2003, 738) von Bedeutung:

27. § 2303 Pflichtteilsberechtigte; Höhe des Pflichtteils

(1) Ist ein Abkömmling des Erblassers durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen, so kann er von dem Erben den Pflichtteil verlangen. Der Pflichtteil besteht in der Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils…

28. § 2311 Wert des Nachlasses

(1) Der Berechnung des Pflichtteils wird der Bestand und der Wert des Nachlasses zur Zeit des Erbfalls zugrunde gelegt…

(2) Der Wert ist, soweit erforderlich, durch Schätzung zu ermitteln. Eine vom Erblasser getroffene Wertbestimmung ist nicht maßgebend.

III.

29. Der Senat setzt das bei ihm anhängige Klageverfahren aus (§ 74 der Finanzgerichtsordnung) und legt dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gemäß Art. 267 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) die im Tenor formulierten Fragen zur Vorabentscheidung vor. Die Entscheidung über die Klage hängt von der Beantwortung dieser Fragen ab.

30. Der Senat hat Zweifel, ob § 16 Absatz 2 ErbStG mit Artikel 63 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 65 AEUV vereinbar ist.

31. Der deutsche Gesetzgeber hat als Reaktion auf das Urteil des EuGH vom 8. Juni 2016 in der Rechtssache C-479/14 (ECLI:EU:C:2016:412) in § 16 Absatz 2 ErbStG eine Neuregelung eingeführt. Danach ist für Erwerbe, für welche die Steuer nach dem 24. Juni 2017 entsteht (§ 37 Abs. 14 ErbStG), der Freibetrag des § 16 Absatz 1 ErbStG um einen nach Maßgabe des § 16 Absatz 2 Satz 2 und 3 ErbStG zu berechnenden Teilbetrag zu mindern.

32. Der Senat hat Zweifel, dass diese Neuregelung mit Art. 63, 65 AEUV in ihrer Auslegung durch den EuGH zu vereinbaren ist. Der EuGH hat bereits entschieden, dass die Benachteiligung des Erwerbers durch den geringeren Freibetrag in Höhe von seinerzeit lediglich 2.000 Euro nach § 16 Absatz 2 ErbStG in der Fassung des Artikels 1 des Gesetzes zur Reform des Erbschaftsteuer- und Bewertungsrechts vom 24. Dezember 2008 (Bundesgesetzblatt Teil I, Seite 3018) in den Fällen der beschränkten Steuerpflicht (§ 2 Absatz 1 Nummer 3 ErbStG) nicht mit der Notwendigkeit gerechtfertigt werden kann, die Kohärenz des deutschen Steuersystems zu wahren (EuGH, Urteil vom 17. Oktober 2013 Rs. C-181/12 ECLI:EU:C:2013:662, Randnr. 61). Ferner hat der EuGH in einem § 16 Absatz 2 ErbStG alter Fassung betreffenden Vertragsverletzungsverfahren entschieden, dass kein Rechtfertigungsgrund für eine unterschiedliche Behandlung von Erwerbern in den Fällen der unbeschränkten und beschränkten Steuerpflicht besteht (EuGH, Urteil vom 4. September 2014 Rs. C-211/13 ECLI:EU:C:2014:2148, Randnr. 49 ff.). Zudem hat Generalanwalt Mengozzi in seinen Schlussanträgen vom 12. Juni 2013 in der Rechtssache C-181/12 (ECLI:EU:C:2013:384) unter Randnr. 84 f. ausgeführt, dass der Freibetrag des § 16 Absatz 1 Nummer 1 ErbStG dem Erwerber in den Fällen der beschränkten Steuerpflicht ungekürzt zuzustehen habe. Eine Kürzung dieses Freibetrags hat Generalanwalt Mengozzi abgelehnt, obgleich nach den Ausführungen des Senats in seinem der Rechtssache C-181/12 zugrunde liegenden Vorlagebeschluss vom 2. April 2012 unter Randnr. 16 rechnerisch auch die Gewährung des Freibetrags in Höhe von etwa 62 % in Betracht gekommen wäre.

33. Der Senat hat auch Zweifel, ob § 10 Absatz 6 Satz 2 ErbStG mit Artikel 63 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 65 AEUV vereinbar ist.

34. Im Streitfall liegt ein Fall der beschränkten Steuerpflicht vor, weil weder der Erblasser noch die Klägerin im Zeitpunkt des Todes des Erblassers in Deutschland einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hatten (§ 2 Absatz 1 Nummer 3 Satz 1 ErbStG). Das beklagte Finanzamt hat deshalb nur das inländische Grundvermögen der Besteuerung unterworfen (§ 121 Nummer 2 BewG).

35. § 10 Absatz 6 Satz 2 ErbStG hat im Streitfall zur Folge, dass die Klägerin von ihrem Erwerb von Todes wegen die von ihr zu erfüllenden Verbindlichkeiten aus den Pflichtteilen ihrer Mutter und ihres Bruders überhaupt nicht gemäß § 10 Absatz 5 Nummer 2 ErbStG als Nachlassverbindlichkeiten abziehen kann. Denn nach § 10 Absatz 6 Satz 2 ErbStG sind in den Fällen der beschränkten Steuerpflicht, in denen sich die Besteuerung auf einzelne Vermögensgegenstände beschränkt (§ 2 Absatz 1 Nummer 3 ErbStG), nur die damit in wirtschaftlichem Zusammenhang stehenden Schulden und Lasten abzugsfähig.

36. Nach der Rechtsprechung des deutschen Bundesfinanzhofs (BFH) liegt ein von § 10 Absatz 6 Satz 1 und 2 ErbStG vorausgesetzter wirtschaftlicher Zusammenhang nur dann vor, wenn die Schulden oder Lasten bestimmten zum Nachlass gehörenden Vermögensgegenständen zugeordnet werden können. Die Bemessung des Pflichtteils nach dem Wert des Nachlasses (§ 2311 BGB) begründet hiernach keinen wirtschaftlichen Zusammenhang, sondern allenfalls einen rechtlichen Zusammenhang der Pflichtteilverbindlichkeit mit den zum Nachlass gehörenden Vermögensgegenständen (BFH, Urteil vom 22. Juli 2015 II R 12/14, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Band 250, Seite 225).

37. Entsprechendes gilt nach Überzeugung des Senats im Streitfall für den der Mutter und dem Bruder der Klägerin nach österreichischem Recht zustehenden Pflichtteil. Auch diese Ansprüche können keinem bestimmten zur Verlassenschaft gehörenden Vermögensgegenstand zugeordnet werden. Vielmehr ist nach § 756 ABGB der Pflichtteil lediglich ein Anteil am Wert des Vermögens des Verstorbenen, der dem Pflichtteilsberechtigten zukommen soll. Nach § 759 ABGB bemisst sich die Höhe der pflichtteilsberechtigten Person nach der Hälfte dessen, was ihr nach der gesetzlichen Erbfolge zustünde. Gemäß § 761 Absatz 1 Satz 1 ABGB ist der Pflichtteil grundsätzlich in Geld zu leisten.

38. § 10 Absatz 6 Satz 2 ErbStG führt demnach im Streitfall dazu, dass die Klägerin noch nicht einmal einen Teilbetrag der von ihr zu erfüllenden Pflichtteile ihrer Mutter und ihres Bruders als Nachlassverbindlichkeiten gemäß § 10 Absatz 5 Nummer 2 ErbStG abziehen kann. Hätte der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes oder hätte die Klägerin in diesem Zeitpunkt in Deutschland einen Wohnsitz oder einen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt und läge deshalb ein Fall der unbeschränkten Steuerpflicht vor (§ 2 Absatz 1 Nummer 1 Satz 2 Buchstabe a ErbStG), könnte die Klägerin die Pflichtteile ihrer Mutter und ihres Bruders als Nachlassverbindlichkeiten uneingeschränkt gemäß § 10 Absatz 5 Nummer 2 ErbStG von ihrem Erwerb von Todes wegen abziehen.

39. Nach Auffassung des Senats ist es zweifelhaft, dass diese unterschiedliche Behandlung von Inländern und von nicht in Deutschland wohnenden Personen durch § 10 Absatz 6 Satz 2 ErbStG mit Artikel 63 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 65 AEUV zu vereinbaren ist. Der EuGH hat in Bezug auf Erbschaften bereits entschieden, dass zu den Maßnahmen, die als Beschränkungen des Kapitalverkehrs nach Artikel 63 Absatz 1 AEUV verboten sind, solche gehören, die eine Wertminderung des Nachlasses dessen bewirken, der in einem anderen Mitgliedstaat als dem ansässig war, in dem sich die betreffenden Vermögensgegenstände befinden und der den Erwerb von Todes wegen besteuert (EuGH, Urteil vom 23. Februar 2006 Rs. C-513/03, ECLI:EU:C:2006:131 Randnr. 44; vom 17. Oktober 2013 Rs. C-181/12, ECLI:EU:C:2013:662 Randnr. 23 sowie vom 26. Mai 2016 Rs. C-244/15, ECLI:EU:C:2016:359 Randnr. 28). Unzulässig ist es hiernach, bei der Besteuerung eines Erwerbs von Todes wegen zwischen zum Zeitpunkt ihres Todes gebietsansässigen und zu diesem Zeitpunkt gebietsfremden Personen zu unterschieden, wie etwa durch Vorschriften über die beschränkte Abzugsfähigkeit von Verbindlichkeiten (EuGH, Urteile vom 11. Dezember 2003 Rs. C-364/01, ECLI:EU:C:2003:665 Randnr. 76; vom 11. September 2008 Rs. C-11/07, ECLI:EU:C:2008:489 Randnr. 46; vom 11. September 2008 Rs. C-43/07, ECLI:EU:C:2008:490 Randnr. 38).

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Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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