Haftung des Nachlasses nach § 20 Abs. 3 ErbStG

März 8, 2020

FG Düsseldorf, Urteil vom 21. Februar 2018 – 4 K 1144/17
Haftung des Nachlasses nach § 20 Abs. 3 ErbStG – Nachrangige Vollstreckung in den ungeteilten Nachlass
1. Die Bejahung eines wegen bestehender Wiederholungsgefahr berechtigten Interesses an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts (hier: Pfändungs- und Einziehungsverfügung) setzt eine hinreichend konkrete Gefahr voraus, dass die Behörde die vom Kläger für rechtswidrig erachtete Maßnahme in absehbarer Zukunft wiederholen wird.
2. Eine Inanspruchnahme des Erben als Steuerschuldners ist grundsätzlich auch dann ermessensfehlerfrei, wenn die Steuerforderung bei den Miterben als Haftungsschuldnern durch Vollstreckung in den ungeteilten Nachlass realisiert werden könnte.
3. Aus der Systematik des Steuerschuld- und Haftungsrechts lässt sich kein subjektives Recht auf ermessensfehlerfreie Auswahlentscheidung dahingehend herleiten, dass anstatt des in erster Linie verantwortlichen Steuerschuldners ein Haftungsschuldner in Anspruch zu nehmen ist.
4. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kann in Einzelfällen die vorrangige Vollstreckung in den ungeteilten Nachlass gebieten, wenn der Erbschaftsteuerschuldner darlegen kann, dass ihn die Vollstreckungsmaßnahmen in nicht zumutbarer Weise übermäßig belasten würden (vgl. Rechtsprechung des BVerfG).
5. Revision eingelegt (Az. des BFH: VII R 16/18).

Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin ist die Tochter der Erblasserin A. Die Erblasserin verstarb … 2015. Sie wurde von der Klägerin und von ihrem Bruder, B., zu einem Anteil von jeweils ½ beerbt.
Zum Nachlass der Erblasserin gehörten neben Grundbesitz Geschäftsanteile an der C.-GmbH. Darüber hinaus verfügte die Erblasserin an ihrem Todestag über Wertpapiere, die in Depots bei der D-Bank AG sowie der E-Bank AG verwahrt wurden und einen Kurswert von jeweils etwa 3.000.000 € jeweils zuzüglich Zinsen hatten. Ferner war die Erblasserin Inhaberin von Konten bei der D-Bank AG mit einem Guthaben von etwa 7.000.000 €, bei der F-Bank AG mit einem Guthaben von etwa 79.000 € und bei der E-Bank AG mit einem Guthaben von insgesamt etwa 4.000.000 €.
Das beklagte Finanzamt setzte gegen die Klägerin mit Bescheid vom 29. Juli 2016 23.614.830 € Erbschaftsteuer fest, die bis zum 11. August 2016 zu entrichten war. ()
Die Klägerin legte gegen diesen Bescheid Einspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung. Das beklagte Finanzamt setzte die Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheids in Höhe von 18.055.449 € aus, so dass noch 5.559.381 € zu entrichten waren.
Die Klägerin beantragte mit Schreiben vom () September und () Dezember 2016, wegen der von ihr noch zu entrichtenden Erbschaftsteuer die Forderungen aus dem auf den Namen der Erblasserin bei der D-Bank AG geführten Konto zu pfänden. Ihr Bruder lehne eine Auseinandersetzung des Nachlasses oder von Teilen des Nachlasses ab. Sie selbst sei derzeit nicht in der Lage, die zu entrichtende Erbschaftsteuer aus eigenen Mitteln zu zahlen. Sie sei zwar auch Gesellschafterin der C.-GmbH in Höhe von ⅓ des Stammkapitals. Nach dem Gesellschaftsvertrag der C.-GmbH habe ein Gesellschafter jedoch aus der Gesellschaft auszuscheiden, wenn sein Geschäftsanteil gepfändet werde und die Pfändung länger als zwei Monate andauere. Darüber hinaus sei sie in Höhe von 4,167 % des Grundkapitals Aktionärin der G-AG. Auch insoweit bestünden jedoch umfangreiche Verfügungsbeschränkungen. Aus ihren Beteiligungen erhalte sie jährlich Ausschüttungen in Höhe von xx € nach Steuern. Hiervon bestreite sie ihren Lebensunterhalt und unterstütze die H. GmbH, an der sie über die I-GmbH in Höhe von 75 % des Stammkapitals beteiligt sei. Sie sei Eigentümerin von drei in J-Stadt belegenen Eigentumswohnungen sowie eines mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstückes in J-Stadt mit angrenzendem Baugrundstück. Das Baugrundstück sei in Höhe von etwa 800.000 € belastet. Ferner sei sie Eigentümerin eines in K-Stadt belegenen und von der H. GmbH genutzten Grundstücks. Das Grundstück mit einem Wert von etwa 10.000.000 € sei in Höhe von etwa 8.000.000 € belastet. Die H. GmbH sei derzeit nicht in der Lage, den Mietzins an sie zu entrichten. Sie unterhalte bei der D-Bank AG ein Konto mit einem Guthaben von derzeit 150.000 €, bei der E-Bank AG ein Konto mit einem Guthaben von 3.000 €, bei der L-Bank AG ein Konto mit einem Wert von weniger als 10.000 € sowie ein Depot mit Aktien im Wert von etwa 1.700.000 €. Darüber hinaus unterhalte sie bei der M-Bank AG, der Sparkasse N-Stadt und der O-Bank AG Konten ohne nennenswerte Bestände. Gegenüber ihrem Bruder habe sie auf Grund einer Teilungsanordnung in dem gemeinschaftlichen Testament ihrer Eltern noch einen Ausgleichsanspruch, den sie mit xx € beziffert habe. ()
Das beklagte Finanzamt pfändete mit vier Verfügungen vom 15. Dezember 2016 die Forderungen der Klägerin aus ihren Geschäftsbeziehungen mit der D-Bank AG, der E- Bank AG, der M-Bank AG sowie der Sparkasse N-Stadt und ordnete die Einziehung der gepfändeten Forderungen an. Die Drittschuldner zahlten auf Grund der Verfügungen an das beklagte Finanzamt im Januar 2017 insgesamt 133.510,31 €.
Die Klägerin legte gegen die Pfändungs- und Einziehungsverfügungen Einspruch ein, mit dem sie vortrug: Die Verfügungen seien rechtswidrig, weil im Nachlass Guthaben bei Banken und von diesen verwahrte Wertpapiere im Wert von mindestens etwa 17.000.000,- € vorhanden seien. Hierauf könne das beklagte Finanzamt zugreifen, weil die vollstreckbare Steuerforderung bei Weitem nicht die Hälfte der Guthaben und des Wertes der Wertpapiere ausmache. § 20 Abs. 3 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) ordne keine nachrangige Haftung des Nachlasses an, die erst dann eingreife, nachdem alle denkbaren Vollstreckungsmaßnahmen gegen einen oder mehrere Miterben zu keiner vollständigen Befriedigung der Finanzverwaltung geführt hätten. Ihr Bruder werde durch eine Pfändung in Teile des Nachlasses nicht beeinträchtigt. Ihm werde bei der endgültigen Auseinandersetzung ein Ausgleichsanspruch gegen sie zustehen. Ihr Bruder benutze die Finanzbehörden derzeit dazu, sie wirtschaftlich in die Knie zu zwingen, um eine Auseinandersetzung nach seinen Vorstellungen durchsetzen zu können. Durch die Pfändungen werde sie sehr stark beeinträchtigt, weil sie ihren Ausgaben für den täglichen Bedarf, ihre Versicherungsbeiträge, ihre Darlehensrückzahlungsverbindlichkeiten und ihre Angestellten nebst abzuführender Lohnsteuer und Sozialversicherungsabgaben nicht mehr bezahlen könne. Es drohe für sie der Verlust ihres Krankenversicherungsschutzes, während eine Vollstreckung in den Nachlass erfolgversprechend sei. Eine Aufnahme von Darlehen sei ihr nach dem Erlass der angefochtenen Verfügungen nicht mehr möglich.
Das beklagte Finanzamt erließ gegenüber der Klägerin und B. zwei auf § 20 Abs. 3 ErbStG gestützte Haftungsbescheide vom 23. März 2017, mit der sie beide zur Entrichtung der von der Klägerin noch geschuldeten Erbschaftsteuer von 5.193.516,45 € zuzüglich Säumniszuschläge aus dem Nachlass aufforderte.
Mit Entscheidung vom 27. März 2017 wies das beklagte Finanzamt den Einspruch gegen die Pfändungs- und Einziehungsverfügungen zurück. Zur Begründung führte es aus: Die Verfügungen seien nach pflichtgemäßem Ermessen ergangen, weil die Ergreifung dieser Vollstreckungsmaßnahmen habe erwarten lassen, dass sie unter angemessener Berücksichtigung der Belange der Klägerin am schnellsten und sichersten zum Erfolg geführt hätten. Nach § 219 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) habe nicht vorrangig der Nachlass gemäß § 20 Abs. 3 ErbStG in Anspruch genommen werden müssen. Die Klägerin habe eingeräumt, vermögend zu sein, auch wenn ihr Vermögen nicht kurzfristig verfügbar sei. Eine Vollstreckung in ihr Privatvermögen sei deshalb nicht offensichtlich aussichtslos gewesen. Angesichts der Höhe des Steueranspruchs sei es zudem geboten gewesen, zeitnah mehrere Vollstreckungsmaßnahmen zu ergreifen, um eine Gefährdung des Steueranspruchs auszuschließen. Die Pfändungen seien auch nicht unbillig, weil sie für die Klägerin nur Nachteile mit sich gebracht hätten, die üblicherweise mit einer Vollstreckung verbunden seien. Grobe Nachteile könnten durch Schuldnerschutzvorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) abgemildert werden.
Am 21. und 24. April 2017 wurden unter Bezugnahme auf die Haftungsbescheide vom 23. März 2017 von auf den Namen der Erblasserin lautenden Konten bei der D-Bank AG und der E- Bank AG insgesamt 5.661.305,73 € an das beklagte Finanzamt gezahlt. Das beklagte Finanzamt hob daraufhin mit Bescheiden vom 27. April 2017 die Pfändungs- und Einziehungsverfügungen vom 15. Dezember 2016 auf.
Die Klägerin hat am 2. Mai 2017 Klage erhoben, mit der sie vorträgt: Die Klage sei nach der Aufhebung der angefochtenen Pfändungs- und Einziehungsverfügungen als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig. Da das beklagte Finanzamt mehr als die bislang entrichtete Erbschaftsteuer gegen sie festgesetzt habe, drohten ihr bei einem späteren Widerruf der gewährten Aussetzung der Vollziehung erneut Pfändungs- und Einziehungsverfügungen. Die insgesamt gegen sie festgesetzte Erbschaftsteuer werde sie aus ihrem Privatvermögen nicht entrichten können.
Die Pfändungs- und Einziehungsverfügungen seien auch rechtswidrig gewesen, weil das beklagte Finanzamt zu Unrecht angenommen habe, dass der Nachlass gemäß § 20 Abs. 3 ErbStG nur nachrangig in Anspruch genommen werden dürfe. Das beklagte Finanzamt habe nicht erkannt, dass die Erbschaftsteuer eine Nachlassverbindlichkeit sei. Das beklagte Finanzamt hätte deshalb zumindest gleichrangig in den Nachlass vollstrecken müssen. Hätte das beklagte Finanzamt in die zum Nachlass gehörenden Bankkonten anstatt in ihr unzureichendes Vermögen vollstreckt, wäre sie nicht belastet und die Erbschaftsteuer unmittelbar getilgt worden. Ein Pfändungsschutzkonto hätte ihr nichts genützt, weil sie nicht über regelmäßige monatliche Einkünfte verfüge. Es sei nicht erkennbar, dass das beklagte Finanzamt Ermessen ausgeübt und ihre Belange angemessen berücksichtigt habe. Das beklagte Finanzamt habe ohne Ausübung eines Ermessens Vollstreckungsmaßnahmen gegen sie durchgeführt und weitere Vollstreckungsmaßnahmen erst einer besonderen und lang andauernden Prüfung unterzogen. Der Steueranspruch sei auch nicht gefährdet gewesen, weil sich im Nachlass ausreichende finanzielle Mittel befunden hätten. Nach der unzutreffenden Auffassung des beklagten Finanzamts müsse ein Miterbe durch Vollstreckungsmaßnahmen erst in die persönliche Insolvenz getrieben werden, bevor nach § 20 Abs. 3 ErbStG der Nachlass in Anspruch genommen werden könne.
Die Klägerin beantragt,
festzustellen, dass die vier Pfändungs- und Einziehungsverfügungen vom 15. Dezember 2016 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27. März 2017 rechtswidrig waren.
Das beklagte Finanzamt beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist es auf seine Einspruchsentscheidung.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist nach § 100 Abs. 1 Satz 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zulässig. Die von der Klägerin angefochtenen Pfändungs- und Einziehungsverfügungen haben sich durch ihre Aufhebung erledigt. Die Klägerin hat auch ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der von ihr geltend gemachten Rechtswidrigkeit der Pfändungs- und Einziehungsverfügungen. Insoweit genügt jedes konkrete, vernünftigerweise anzuerkennende schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art (Bundesfinanzhof – BFH -, Urteil vom 5. Februar 2013 VII R 23/12, BFH/NV 2013, 949). Ein solches berechtigtes Interesse kann sich daraus ergeben, dass ein konkreter Anlass für die Annahme besteht, die Behörde werde die von dem Kläger für rechtswidrig erachtete Maßnahme in absehbarer Zukunft wiederholen. Eine Wiederholungsgefahr muss jedoch hinreichend konkret sein (BFH, Urteil vom 5. Februar 2013 VII R 23/12, BFH/NV 2013, 949).
Im Streitfall besteht eine hinreichend konkrete Wiederholungsgefahr. Das beklagte Finanzamt hat mit Bescheid vom 29. Juli 2016 insgesamt 23.614.830 € Erbschaftsteuer gegen die Klägerin festgesetzt, von der bislang nur ein Teilbetrag entrichtet worden ist. Die der Klägerin gewährte Aussetzung der Vollziehung wird spätestens nach dem Ergehen einer Einspruchsentscheidung beendet sein. Die Klägerin muss dann damit rechnen, dass das beklagte Finanzamt erneut Vollstreckungsmaßnahmen gegen sie ergreifen wird. Das beklagte Finanzamt hat in seiner Einspruchsentscheidung zudem ausgeführt, dass es sich als berechtigt ansieht, in das Vermögen der Klägerin zu vollstrecken. Es ist derzeit auch nicht ersichtlich, dass die Erbschaftsteuer auf einen Betrag herabgesetzt wird, der bereits entrichtet worden ist.
Die Klage ist jedoch unbegründet. Die vier Pfändungs- und Einziehungsverfügungen vom 15. Dezember 2016 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27. März 2017 waren rechtmäßig.
Rechtsgrundlagen für die Pfändungs- und Einziehungsverfügungen vom 15. Dezember 2016 waren die §§ 249 Abs. 1 Satz 1, 309 Abs. 1 Satz 1 und 314 Abs. 1 Satz 1 AO. Nach § 249 Abs. 1 Satz 1 AO können die Finanzbehörden Verwaltungsakte, mit denen eine Geldleistung gefordert wird, im Verwaltungsweg vollstrecken. Den Finanzbehörden steht hiernach Ermessen (§ 5 AO) zu, die gesetzlich vorgesehenen Vollstreckungsmaßnahmen (§§ 281 ff. AO) gegen den Vollstreckungsschuldner durchzuführen BFH, Beschluss vom 1. Februar 2005 VII B 180/04, BFH/NV 2005, 1002). Dieses Ermessen war im Streitfall nicht durch die Haftung des Nachlasses für die an dem Erbfall Beteiligten gemäß § 20 Abs. 3 ErbStG eingeschränkt.
Bei der Bestimmung des § 20 Abs. 3 ErbStG handelt es sich um einen Haftungstatbestand (BFH, Urteil vom 20. Januar 2016 II R 34/14, BFHE 252, 389; Beschluss vom 18. Dezember 2009 II B 165/09, BFH/NV 2010, 677). Die Haftung des Nachlasses nach § 20 Abs. 3 ErbStG tritt bis zur Auseinandersetzung der Miterben neben die der Erben für sämtliche Nachlassverbindlichkeiten gemäß § 1967 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BFH, Urteil vom 20. Januar 2016 II R 34/14, BFHE 252, 389). Die Vorschrift lässt die persönliche Verpflichtung des Erben nach § 20 Abs. 1 Satz 1 ErbStG unberührt (Richter in Viskorf/Knobel/Schuck/Wälzholz, ErbStG, 4. Aufl., § 20 Randnr. 22). Der Haftungstatbestand des § 20 Abs. 3 ErbStG stellt vielmehr eine Sicherungsmaßnahme zugunsten der Finanzbehörde dar (BFH, Urteil vom 20. Januar 2016 II R 34/14, BFHE 252, 389).
Der Miterbe als Schuldner seiner eigenen Erbschaftsteuer (§ 20 Abs. 1 Satz 1 ErbStG) sowie die Miterben als Inhaber des Nachlasses und Haftungsschuldner (§ 20 Abs. 3 ErbStG) sind Gesamtschuldner (§ 44 Abs. 1 AO) (vgl. BFH, Beschluss vom 11. Juli 2001 VII R 28/99, BFHE 195, 510, BStBl II 2002, 267). Unbeschadet der Bestimmung des § 219 Satz 1 AO, die sich nur auf die Erhebung des Haftungsanspruchs durch den Erlass eines Leistungsgebots (§ 254 AO) bezieht, hat die Finanzbehörde grundsätzlich ein Auswahlermessen, ob sie einen Steuerschuldner oder einen Haftungsschuldner in Anspruch nimmt (Alber in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO § 219 Randnr. 5).
Im Rahmen dieser Ermessensentscheidung ist zu berücksichtigen, dass mit § 20 Abs. 3 ErbStG die Miterben als Inhaber des Nachlasses und damit als Haftungsschuldner neben einen Miterben als Steuerschuldner (§ 20 Abs. 1 Satz 1 ErbStG) gestellt werden, um die Rechtsstellung der Finanzbehörde durch eine zusätzliche Sicherungsmaßnahme zu verbessern (BFH, Urteil vom 20. Januar 2016 II R 34/14, BFHE 252, 389). Der Finanzbehörde soll im öffentlichen Interesse die gebotene Einziehung von Steuerforderungen auch dann ermöglicht werden, wenn ein Miterbe als Steuerschuldner zahlungsunfähig ist oder bei ihm die Forderung aus sonstigen Gründen nicht oder nicht ohne weiteres zu realisieren ist. Die Haftungsvorschrift des § 20 Abs. 3 ErbStG kann mithin nicht den Sinn haben, die Finanzbehörde mit unter Umständen schwierigen Ermittlungen und Prüfungen hinsichtlich der Frage zu belasten, ob eine Steuerforderung anstatt bei dem Steuerschuldner bei den Miterben als Haftungsschuldnern realisiert werden kann. Daher ist eine Inanspruchnahme des Steuerschuldners grundsätzlich auch dann ermessensfehlerfrei, wenn neben diesem ein Haftungsschuldner für die Steuerschuld einzustehen hat (vgl. BFH, Beschluss vom 8. Juli 2004 VII B 257/03, BFH/NV 2004, 1513). Jedenfalls lässt sich aus der Systematik des Steuerschuld- und Haftungsrechts kein subjektives Recht auf ermessensfehlerfreie Auswahlentscheidung dahingehend herleiten, dass anstatt des in erster Linie verantwortlichen Steuerschuldners ein Haftungsschuldner in Anspruch zu nehmen ist (BFH, Beschluss vom 8. Juli 2004 VII B 257/03, BFH/NV 2004, 1513).
Hiervon ausgehend kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg darauf berufen, dass das beklagte Finanzamt verpflichtet war, anstatt die zu entrichtende Erbschaftsteuer im Wege der Vollstreckung ihr gegenüber geltend zu machen zunächst von dem Haftungstatbestand des § 20 Abs. 3 ErbStG hätte Gebrauch machen müssen.
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kann zwar in Einzelfällen zu einer hiervon abweichenden Beurteilung führen. Denn eine Vollstreckungsmaßnahme darf den Betroffenen nicht übermäßig belasten, muss für ihn mithin zumutbar sein (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 19. Oktober 1982 1 BvL 34/80 und 1 BvL 55/80, BVerfGE 61, 126). Die Klägerin hat bis zum Ergehen der Einspruchsentscheidung jedoch nicht dargelegt, dass die vom beklagten Finanzamt gegen sie ergriffenen Vollstreckungsmaßnahmen sie übermäßig belastet haben. Die Nachteile, die sie aufgezeigt hat, gehen nicht über solche Nachteile hinaus, denen ein Vollstreckungsschuldner üblicherweise ausgesetzt ist. Soweit sie behauptet hat, sie werde wegen des Ergehens der vier Pfändungs- und Einziehungsverfügungen die von ihr geschuldeten Krankenversicherungsbeiträge nicht mehr entrichten können und deshalb insoweit einen Versicherungsschutz verlieren, hat sie nicht dargelegt, in welcher Höhe sie auf eine etwaige Freigabe der gepfändeten Forderungen angewiesen gewesen wäre. Dann hätte das beklagte Finanzamt eine teilweise Freigabe der Forderungen prüfen können (§ 258 AO) (vgl. Jatzke in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO § 258 Randnr. 16).
Auf der Grundlage des Vortrags der Klägerin im Verwaltungs- und Einspruchsverfahren kann auch nicht angenommen werden, dass sie durch die vom beklagten Finanzamt ergriffenen Vollstreckungsmaßnahmen in die persönliche Insolvenz getrieben worden wäre. Die Klägerin hat vielmehr in ihrem Schreiben vom () Dezember 2016 dargelegt, aus ihren Beteiligungen jährlich Ausschüttungen in Höhe von etwa xx € nach Steuern zu erhalten, wovon sie auch ihren Lebensunterhalt bestreite. Darüber hinaus hat sie mitgeteilt, Eigentümerin von drei in J-Stadt belegenen – offenbar unbelasteten – Eigentumswohnungen sowie eines mit einem Einfamilienhaus bebauten – offenbar gleichfalls unbelasteten – Grundstücks in J-Stadt mit angrenzendem Baugrundstück zu sein. Nur das angrenzende Baugrundstück soll in Höhe von etwa 800.000 € belastet gewesen sein. Soweit der Prozessbevollmächtigte der Klägerin in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht hat, das Grundvermögen der Klägerin habe diese nicht belasten können, hat sie dies im Einspruchsverfahren nicht nachvollziehbar dargelegt. Unbeschadet dessen hat die Klägerin angegeben, Gesellschafterin der C. GmbH in Höhe von ⅓ des Stammkapitals und Aktionärin der G- AG zu sein. Die von ihr genannten Regelungen in dem Gesellschaftsvertrag der C. GmbH, nach denen ein Gesellschafter aus der Gesellschaft auszuscheiden hat, wenn sein Geschäftsanteil gepfändet wird und die Pfändung länger als zwei Monate andauert, sowie die Verfügungsbeschränkungen hinsichtlich der Aktien an der G- AG hätten eine Vollstreckung des beklagten Finanzamts nicht hindern können. Ein Steuerpflichtiger ist nämlich grundsätzlich gehalten, zur Begleichung seiner Abgabenschuld sämtliche verfügbaren Mittel einzusetzen und auch seine Vermögenssubstanz anzugreifen, es sei denn, dies würde den Ruin für ihn bedeuten (BFH-Urteil vom 27. Februar 1991 XI R 23/88, BFH/NV 1991, 430). Letzteres ist von der Klägerin indes nicht dargelegt worden.
Vor dem Hintergrund der von der Klägerin selbst geschilderten Einkunfts- und Vermögenssituation konnte mithin in Anbetracht einer zu entrichtenden Steuer von 5.559.381 € nicht von einer Zahlungsunfähigkeit (§ 17 der Insolvenzordnung – InsO -) oder drohenden Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) ausgegangen werden.
Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg auf die ermessenslenkenden Vorschriften der Vollstreckungsanweisung (BStBl. I 1996, 1114) berufen. Abschnitt 7 Abs. 2 Satz 1 der Vollstreckungsanweisung bezieht sich ebenso wie Abschnitt 7 Abs. 1 nur auf eine einstweilige Einstellung oder Beschränkung der Vollstreckung nach § 258 AO. Diese Vorschriften können daher keine ermessenslenkenden Anweisungen für die Frage enthalten, ob eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung zu erlassen ist oder nicht. Soweit die Klägerin auf Abschnitt 23 Abs. 2 Satz 2 der Vollstreckungsanweisung verweist, nach der in erster Linie solche Vollstreckungsmaßnahmen ergriffen werden sollen, von denen nach den besonderen Umständen des Falles bei angemessener Berücksichtigung der Belange des Vollstreckungsschuldners am schnellsten und sichersten ein Erfolg zu erwarten ist, so kann hieraus auch kein Ermessensfehler des beklagten Finanzamts hergeleitet werden. Die Pfändungs- und Einziehungsverfügungen vom 15. Dezember 2016 haben zu einem schnellen und sicheren Erfolg geführt, weil die Drittschuldner auf Grund der Verfügungen an das beklagte Finanzamt im Januar 2017 insgesamt 133.510,31 € gezahlt haben.
Anders als die Klägerin meint, hat das beklagte Finanzamt ihre Belange berücksichtigt. Ein Ermessensfehler (§ 102 Satz 1 FGO) liegt insoweit nicht vor. So hat das beklagte Finanzamt in seiner Einspruchsentscheidung ausgeführt, eine Vollstreckung in das Privatvermögen der Klägerin sei nicht offensichtlich aussichtslos gewesen, weil sie eingeräumt habe, vermögend zu. Die Pfändungen seien nicht unbillig, weil sie für die Klägerin nur Nachteile mit sich gebracht hätten, die üblicherweise mit einer Vollstreckung verbunden seien. Grobe Nachteile könnten durch Schuldnerschutzvorschriften der ZPO abgemildert werden.
Der Hinweis des beklagten Finanzamts auf die Möglichkeit der Einrichtung eines Pfändungsschutzkontos (§ 850k ZPO) war in diesem Zusammenhang nicht unzutreffend. Denn für den Pfändungsschutz des Guthabens auf einem derartigen Konto ist es ohne Bedeutung, auf welchen Gutschriften es beruht. Geschützt sind deshalb Guthabenbeträge unabhängig von ihrer Herkunft und Regelmäßigkeit und damit auch Einmalzahlungen aus sonstigen Einkünften (Herget in Zöller, ZPO, 32. Aufl., § 850k Randnr. 3).
In diesem Zusammenhang sind Zweckmäßigkeitsüberlegungen nicht anzustellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Der Senat hat die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.

Schlagworte

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Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

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