LG Freiburg (Breisgau), Beschluss vom 19. April 1983 – 4 T 115/82 Zur Frage der Erstreckung der Enterbung eines Verwandten auf dessen Abkömmlinge – Nichtigkeit der Erbeinsetzung – Auslegung des Testaments

April 6, 2019

LG Freiburg (Breisgau), Beschluss vom 19. April 1983 – 4 T 115/82
Zur Frage der Erstreckung der Enterbung eines Verwandten auf dessen Abkömmlinge – Nichtigkeit der Erbeinsetzung – Auslegung des Testaments
1. Die Enterbung eines Verwandten von der gesetzlichen Erbfolge zieht nicht ohne weiteres den Ausschluß seiner Abkömmlinge nach sich. Für die Erstreckung der Enterbung spricht weder eine gesetzliche noch in der Regel eine tatsächliche Vermutung (Vergleiche bGH, 1959-01-14, V ZR 28/58, LM § 1938 BGB Nr 1). Jedenfalls dann, wenn das Testament keine positive Erbeinsetzung enthält, kann eine Erstreckung des Ausschlusses auf die Abkömmlinge nur auf die individuelle Auslegung des Testaments begründet werden (Vergleiche BGH, 1959-01-14, V ZR 28/58, LM § 1938 BGB Nr 1; Vergleiche BayObLG München, 1965-05-07, BReg 1 b Z 312/64, BayOblGZ 1965, 166).
2. Der wirkliche Wille des Erblassers kann nur Berücksichtigung finden, wenn er in der Verfügung von Todes wegen irgendwie – wenn auch nur versteckt oder andeutungsweise – Ausdruck gefunden hat (Vergleiche BGH, 1982-12-08, IVa ZR 94/81, WM IV 1983, 234; Vergleiche BGH, 1981-04-09, IVa ZB 6/80, DNotZ 1982, 323). Eine Erbeinsetzung, die in dem Testament nicht enthalten und nicht einmal angedeutet ist, ermangelt der gesetzlichen Form und ist nach BGB § 125 S 1 nichtig (Vergleiche BGH 1982-12-08, IVa ZR 9/81, WM IV 1983, 234; Vergleiche BGH, 1981-04-09, IVa ZB 6/80, DNotZ 1982, 323).

Tenor
1. Auf die Beschwerde der … wird der Beschluß des Notariats II – Nachlaßgericht – Freiburg vom 10.9.1982 aufgehoben.
2. Das Nachlaßgericht wird angewiesen, den Günter Erz als Alleinerben ausweisenden Erbschein vom 16.8.1982 einzuziehen und einen … als Miterbin zu 1/2 auf Grund gesetzlicher Erbfolge ausweisenden Teilerbschein zu erteilen.
3. Der Antrag des … auf Erteilung eines ihn als Alleinerben ausweisenden Erbscheines wird zurückgewiesen.
4. Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei. Eine Erstattung außergerichtlicher Auslagen findet nicht statt.
5. Der Beschwerdewert wird auf 52.212,60 DM festgesetzt.
Gründe
Der am 18.9.1980 verstorbene Erblasser errichtete am 1.6.1975 ein handschriftliches Testament, in dem er unter anderem folgendes verfügte:
“Unterzeichneter wünscht nach seinem Tode, die ihm gehörigen Anzüge meinem …. …, … zu überlassen. Die Wohnungseinrichtung des einzelnen Zimmers, Tisch, 2 Sessel, Bettcouch werden vorerst … überschrieben, dann nach deren Tod ebenfalls meinem …. … vermacht.
Die Kinder meines Sohnes, … und … erhalten jeweils 5.000,– DM…
Mein Sohn … bei … erhält als einmalige Zahlung DM 2.000,– (Zweitausend) seine Mutter sowie … geborene … wohnhaft in … bei … werden enterbt, trotz gerichtlicher Inanspruchnahme.
Die Bettwäsche sowie die Betten, die mir gehören werden ebenfalls meinem Sohn …. … zugesprochen für seine Kinder.
…”
Wegen des Testamentsinhaltes im einzelnen wird auf die Urschrift des Testamentes im Beilagenheft A “ständige Beilagen” am Schluß der Verfahrensakten Bezug genommen.
Das Aktivvermögen des Erblassers, das sich bis zum Erbfall nicht wesentlich verändert hat, betrug bei Testamentserrichtung annähernd 160.000,– DM (AS. 121, 131 f, 141-145).
Der Beteiligte Ziffer 1, …, … des Erblassers aus seiner zweiten geschiedenen Ehe, leitet aus dem Testament seine Einsetzung als Alleinerbe her und hat Antrag auf Erlaß eines diesbezüglichen Erbscheins gestellt. Der ursprüngliche Verfahrensbeteiligte …, Sohn des Erblassers aus seiner ersten geschiedenen Ehe, war dagegen der Ansicht, er sei kraft Gesetzes Miterbe zu 1/2 geworden und hatte die Erteilung eines entsprechenden Teilerbscheines beantragt. Diesen Antrag hat die erkennende Kammer im vorangegangenen Beschwerdeverfahren 4 T 57/81 durch den Beschluß vom 25.9.1981 zurückgewiesen, da der Erblasser den Sohn Hansjörg durch das vorgenannte Testament enterbt hat. Im übrigen hat die Kammer die Sache zur weiteren Ermittlung und Entscheidung über den Antrag des … an das Nachlaßgericht zurückverwiesen.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Gründe jener Entscheidung Bezug genommen.
Auf Grund der für die künftige Entscheidung des Nachlaßgerichts angestellten rechtlichen Erwägungen der Kammer hat die einzige, am 27.8.1967 geborene … des …, die jetzige Beteiligte Ziffer 2, vertreten durch ihre Eltern einen Erbschein beantragt, der sie auf Grund gesetzlicher Erbfolge als Miterbin zu 1/2 ausweist. Das Nachlaßgericht hat nach Anhörung der Zeuginnen … und … und nach Ermittlung des zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung vorhandenen Vermögens des Erblassers einen den Beteiligten … auf Grund des Testamentes als Alleinerbe ausweisenden Erbschein erteilt und den Antrag der … durch den angefochtenen Beschluß vom 10.9.1982 zurückgewiesen.
Die hiergegen mit dem Ziel der Einziehung des erteilten Erbscheines und Aufhebung des Zurückweisungsbeschlusses gerichtete Beschwerde der … ist zulässig. Insbesondere ist der Vater … für das vorliegende Verfahren von der Vertretung seiner Tochter nicht ausgeschlossen. Die Voraussetzungen der §§ 1795 Abs. 1, 2, 1629 Abs. 2, 181 BGB liegen nicht vor.
Das Rechtsmittel hat in der Sache auch Erfolg.
Dem Testament läßt sich nicht der Wille des Erblassers entnehmen, die von der erkennenden Kammer im Beschluß vom 25.9.1981 festgestellte Erbausschließung des Hansjörg Erz erstrecke sich auch auf dessen Abkömmlinge. In jener Entscheidung hat die Kammer unter Ziffer 5. darauf hingewiesen, daß eine derartige Erstreckung des Erbausschlusses nach der Rechtsprechung im Zweifel nicht angenommen werden kann (BGH LM § 1938 BGB Nr. 1 m.w.N.). Allgemein anerkannt ist, daß die Enterbung eines Verwandten von der gesetzlichen Erbfolge nicht ohne weiteres den Ausschluß seiner Abkömmlinge nach sich zieht. Die entfernteren Abkömmlinge erben kraft selbständigen eigenen Rechts, nicht kraft des Erbrechts des vom Erbrecht Ausgeschlossenen. Für die Erstreckung der Enterbung spricht weder eine gesetzliche noch in der Regel eine tatsächliche Vermutung (BGH aaO). Jedenfalls dann, wenn wie hier das Testament keine positive Erbeinsetzung enthält, kann eine Erstreckung des Ausschlusses auf die Abkömmlinge nur auf die individuelle Auslegung des Testaments begründet werden (BGH aaO; BayObLGZ 1965, 166, 176).
Zutreffend geht zwar das Nachlaßgericht auf Grund der von ihm durchgeführten Beweisaufnahme davon aus, daß der Wille des Erblassers dahin ging, seinen Sohn … positiv als Alleinerben einzusetzen; damit korrespondiert der Wille, nicht nur seinem Sohn …, sondern auch dessen Abkömmlingen nach seinem Tode nichts zukommen zu lassen. Entgegen der Ansicht des Nachlaßgerichts hat aber weder der Alleinerbeinsetzungswille, noch der darin enthaltene Enterbungswille in dem Testament einen Niederschlag gefunden, so daß er unbeachtlich ist. In ständiger Rechtsprechung hat der BGH im Anschluß an das Reichsgericht daran festgehalten, daß der wirkliche Wille des Erblassers nur Berücksichtigung finden könne, wenn er in der Verfügung von Todes wegen irgendwie – wenn auch nur versteckt oder andeutungsweise – Ausdruck gefunden hat (z.B. BGH WM 1983, 234; DNotZ 1982, 323; FamRZ 1981, 662). Eine Erbeinsetzung, die in dem Testament nicht enthalten und nicht einmal angedeutet ist, kann dem Zweck der Formvorschrift nicht gerecht werden. Sie ermangelt daher der gesetzlich vorgeschriebenen Form und ist nach § 125 Satz 1 BGB nichtig (BGH aaO).
Für eine Erbeinsetzung des Sohnes … enthält das Testament entgegen dem erteilten Erbschein keinerlei Anhaltspunkte. Ihm sind lediglich verhältnismäßig geringwertige Sachgegenstände zugewendet. Die verfügten Geldzuweisungen betragen soweit ersichtlich insgesamt 21.500,– DM. Angesichts des Gesamtvermögens des Erblassers bei der Testamentserrichtung von annähernd 160.000,– DM hat er damit nur über einen geringen Teil und zwar durch Aussetzung von Vermächtnissen verfügt. Über den wesentlichen Teil seines Vermögens hat er keine Bestimmung getroffen. Eine positive Erbeinsetzung enthält die Verfügung von Todes wegen damit nicht.
Der in dem außerhalb des Testaments erkennbar gewordenen Willen des Erblassers, sein Vermögen dem Sohn … zu hinterlassen, zugleich enthaltene Wille, alle Drittpersonen also auch die Beschwerdeführerin als Abkömmling des Sohnes … von der Erbfolge auszuschließen, hat in dem Testament keinen Niederschlag gefunden. Die Formulierung “die Kinder meines Sohnes, … und … erhalten …” manifestiert entgegen der Auffassung des Beteiligten Ziffer 1 nicht den Ausschließungswillen des Erblassers bezüglich der Abkömmlinge seines Sohnes …. Zu Recht weist die Beschwerdeführerin darauf hin, daß diese Vermächtniszuwendung zugunsten der Kinder von … ohne Bedeutung für die Frage der Erbeinsetzung ist. In dieser Verfügung kommt lediglich zum Ausdruck, daß die Kinder … und … wie auch andere in dem Testament Bedachte im Gegensatz zu der Beschwerdeführerin ein Vermächtnis erhalten sollten. Auch in der Verfügung, mit der der Erblasser seinem Sohn … nur 2000,– DM “als einmalige Zahlung” zugewendet und diesen damit von der Erbfolge ausgeschlossen hat, findet der Wille des Erblassers, auch sonstige gesetzliche Erben außer seinem Sohn … zu enterben, keine hinreichende Stütze. Die vom Erblasser verfügte Enterbung diente zwar dem Ziel, sein Vermögen weitestgehend in die Hände seines Sohnes … gelangen zu lassen. Dieses Ziel kann in der Regel sinnvollerweise auch nur durch eine Erstreckung des Erbausschlusses auf die Abkömmlinge erreicht werden. Das setzt jedoch voraus, daß der Erblasser seine Zielvorstellung in einer wenn auch noch so versteckten Weise in dem Testament zu erkennen gegeben hat. Das ist vorliegend gerade nicht der Fall. Sollte gleichwohl die konkrete Bestimmung, dem Sohn … einen einmaligen Betrag von 2000,– DM zuzuwenden und ihn damit zu enterben, bereits als Ausdruck der Abfindung des ganzen Stammes gesehen werden, würde das eine unzulässige Umkehrung des von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsatzes der im Zweifel anzunehmenden Nichterstreckung bedeuten.
Da somit keine Gesichtspunkte in dem Testament für einen Ausschluß auch der Beschwerdeführerin sprechen und eine ergänzende Auslegung – gleichgültig, ob der Erblasser bei der Testamentserrichtung von der Existenz der Beschwerdeführerin wußte oder nicht – mangels Vorliegens einer ergänzungsbedürftigen Lücke nicht in Betracht kommt, ist die Beschwerdeführerin neben dem Sohn … kraft Gesetzes Miterbin zu 1/2 Anteil geworden. Das Nachlaßgericht hatte daher zu ihren Gunsten antragsgemäß einen entsprechenden Teilerbschein zu erteilen und den Erbschein vom 16.8.1982 einzuziehen.
Wegen der Nebenentscheidungen vgl. §§ 131 Abs. 1 Satz 2, 30 Kostenordnung, § 13 a Abs. 1 Satz 1 FGG. Der Beschwerdewert bemißt sich entsprechend dem Erbteil der Beschwerdeführerin nach der Hälfte des Nachlaßvermögens abzüglich der Nachlaßverbindlichkeiten (157.566,93 DM abzüglich Vermächtnisse in Höhe von 19.000,– DM abzüglich Erbfallschulden von ca. 2000,– DM abzüglich der Differenz zwischen Vermächtnis und Pflichtteil des … (1/4 von 136.566,92 DM – 3000,– DM = 32.141,73 DM) = 104.425,19 DM : 2 = 52.212,60 DM).

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Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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