Oberlandesgericht Brandenburg: Beschluss vom 21.12.2020 – 3 W 134/20

Mai 27, 2021

Oberlandesgericht Brandenburg: Beschluss vom 21.12.2020 – 3 W 134/20

In dem einstweiligen Verfügungsverfahren

Antragstellerin und Beschwerdeführerin,
Verfahrensbevollmächtigter:
Rechtsanwalt …
gegen
1. …
Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin,
Betreuerin:
Rechtsanwältin …
2. Rechtsanwältin …

hat das Brandenburgische Oberlandesgericht – 3. Zivilsenat – durch die Richterin am Oberlandesgericht xxx am 21.12.2020 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 11.11.2020 – 13 O 271/20 – wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Beschwerdewert beträgt bis zu 10.000 €.

Gründe

I.

Zur Sicherung ihrer behaupteten Erbansprüche beantragt die Antragstellerin den Erlass einer einstweiligen Verfügung, mit der der Antragsgegnerin – der Betreuerin der Mutter der Antragstellerin – untersagt werden soll, das im Eigentum der Mutter stehende, mit einer Doppelhaushälfte bebaute Grundstück in … OT … , …, zu verkaufen.

Das Landgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 11.11.2020 wegen fehlender Darlegung und Glaubhaftmachung eines Verfügungsanspruchs zurückgewiesen.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin, der das Landgericht nicht abgeholfen hat. Die Antragstellerin meint, ihre Mutter sei aufgrund des Testaments ihrer Eltern vom 01.01.2016 nach dem Tod ihres Vaters Vorerbin und sie – die Antragstellerin – Nacherbin geworden. Nach dem Willen ihrer Eltern habe sie Alleinerbin nach dem Tod des letztverstorbenen Elternteils werden sollen. Dass die Begriffe “Vor- und Nacherbe” in diesem Zusammenhang nicht verwendet worden seien, sei unerheblich. Es handele sich um einen typischen Fall eines “Berliner Testaments”. Die Antragsgegnerin sei im Rahmen der ihr obliegenden treuhänderischen Verwaltung nicht befugt, die Immobilie, die einen wesentlichen Bestandteil des Nachlasses bilde, zu verkaufen.

II.

Die zulässige sofortige Beschwerde ist unbegründet. Das Landgericht hat den nach §§ 935, 940 ZPO erforderlichen Verfügungsanspruch, den sie aus einer vermeintlichen Nacherbenstellung herleitet, zu Recht verneint.

Die Antragstellerin ist nicht zur Nacherbin in dem Testament vom 01.01.2016 bestimmt worden.

Der Wortlaut des Testaments enthält die Begriffe “Vorerbe” und “Nacherbe” nicht. Dies ist allerdings auch nicht zwingend erforderlich, um die Rechtsfolgen der §§ 2100 ff. BGB herbeizuführen; maßgebend ist vielmehr der in der letztwilligen Verfügung zu Tage getretene Wille, die Erbschaft zunächst dem Erst- und anschließend dem Zweitberufenen zuzuwenden (OLG Köln, Urteil vom 27.07.2016 – I-2 U 14/16, Rn. 30, juris; Münchener Kommentar/Leipold, BGB, 8. Aufl., § 2084 Rn. 39).

Bei der Testamentsauslegung ist vor allem der wirkliche Wille des Erblassers zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften (BGH, Beschluss vom 19.06.2019 – IV ZB 30/18 Rn. 15). Eine Vor- und Nacherbschaft kann – unabhängig von der Begriffswahl – von Eheleuten aber nur dann gewollt sein, wenn sie die Vorstellung haben, dass beim Tod des länger lebenden Ehegatten das Gesamtvermögen getrennt nach dem Vermögen des Vorverstorbenen und dem Eigenvermögen des Überlebenden vererbt werden und als je getrennte Vermögensmassen auf die (Nach-)Erben übergehen soll (OLG Schleswig, Beschluss vom 06.06.2016 – 3 Wx 1/16, BeckRS 2016, 19260 Rn. 30). Dies ist hier zu verneinen.

Bei der Auslegung kann auf Begrifflichkeiten, die vermögensbezogenen Charakter haben, abgestellt werden. Für die Einheitslösung spricht dabei, wenn die Ehegatten im Testament Regelungen für ihr beiderseitiges, gemeinsames oder einheitliches Vermögen treffen. Auch die Formulierung “unser Vermögen” deutet an, dass die Ehegatten von einer Verschmelzung der Vermögensmassen in der Hand des Überlebenden und damit von der Einheitslösung ausgehen (Burandt/Rojahn/Braun, Erbrecht, 3. Aufl., § 2269 Rn. 13). Ein solcher Fall liegt hier vor. Das Testament der Eheleute wird mit dem Satz eingeleitet “Wir, die Eheleute C… und I…-B… G…, geb. Gl…, setzen uns hiermit gegenseitig zu alleinigen Erben unseres gesamten Nachlasses ein.” Darüber hinaus ist auch in den folgenden Sätzen, die die Einsetzung der Antragstellerin als Erbin des Letztversterbenden betreffen, davon die Rede, dass sie – die Antragstellerin – Alleinerbin aller festen und beweglichen Teile unseres gesamten Vermögens (also der Eheleute) werden soll, worauf das Landgericht schon zutreffend hingewiesen hat.

Hingegen ist die Einsetzung des Ehegatten zum Alleinerben grundsätzlich neutral, da auch der alleinige Vorerbe ein Alleinerbe ist. Es kann aber sein, dass Laien einen an sich neutralen Begriff wie Alleinerbe wählen, um eine Vor- und Nacherbfolge auszuschließen, so dass dieser Begriff beim Hinzutreten weiterer Umstände im Sinne der Einheitslösung auszulegen ist (Burandt/Rojahn/Braun, a. a. O., § 2269 Rn. 15). Das ist hier in Gesamtschau mit der Verwendung des Begriffs “unser gesamtes Vermögen” zu bejahen.

Maßgebliche Anhaltspunkte – auch außerhalb des Testaments – dafür, dass die Eheleute entgegen der Formulierung in dem Testament die Trennungslösung gewollt haben und nicht von einer Einheitslösung ausgegangen sind, liegen nicht vor. Es fehlt jegliches Verfügungsverbot, das die Trennungslösung indizieren könnte (vgl. hierzu Burandt/Rojahn/Braun, a. a. O., § 2269 Rn. 14). Auf den von der Antragstellerin durch eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemachten, auf dem Sterbebett geäußerten Wunsch ihres Vaters, das Familienvermögen möge erhalten bleiben und daher nicht veräußert werden, kommt es nicht an, weil dieser Wunsch keinerlei Ausdruck in dem Testament gefunden hat. Denn wenn der (mögliche) Wille des Erblassers in dem Testament auch nicht andeutungsweise oder versteckt zum Ausdruck gekommen ist, ist der nicht formgerecht erklärte Wille des Erblassers unbeachtlich (BGH, Beschluss vom 19.06.2019 – IV ZB 30/18, Rn. 17).

Auch im Hinblick auf die wirtschaftlichen Absichten des Erblassers wird wegen der erbschaftsteuerlichen Belastung der Vor- und Nacherbschaft im Zweifel anzunehmen sein, dass eine insofern günstigere Gestaltungsform gewollt ist (Staudinger/Avenarius (2019) BGB § 2100, Rn. 9).

Insgesamt ergibt die Auslegung des Testaments vom 01.01.2016 mithin, dass die testierenden Eheleute von der zentralen Vorstellung ausgegangen sind, der Nachlass des Erstversterbenden gehe auf den Überlebenden über und vererbe sich dann als einheitliche Vermögensmasse nach dessen Tod auf die Antragstellerin. Dann aber haben sie gewollt, dass der Überlebende Alleinerbe des Erstversterbenden werden soll und die Antragstellerin Schlusserbin. Soweit trotz der aufgezeigten Umstände und Hinweise für diese Auslegung noch Zweifel verbleiben, greift jedenfalls die Auslegungsregel des § 2269 Abs. 1 BGB ein. Haben danach die Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament, durch das sie sich gegenseitig als Erben einsetzen, bestimmt, dass nach dem Tode des Überlebenden der beiderseitige Nachlass an einen Dritten fallen soll, so ist im Zweifel anzunehmen, dass der Dritte für den gesamten Nachlass als Erbe des zuletzt versterbenden Ehegatten eingesetzt ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Eine Rechtsbeschwerde ist nicht möglich, §§ 574 Abs. 1, 542 Abs. 2 ZPO.

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