OLG Frankfurt, Beschluss vom 27. Juli 1995 – 20 W 319/95 Wirkungen eines Erbverzichtsvertrages mit Kindern aus erster Ehe bei Versterben des Halbbruders aus zweiter Ehe

April 22, 2019

OLG Frankfurt, Beschluss vom 27. Juli 1995 – 20 W 319/95
Wirkungen eines Erbverzichtsvertrages mit Kindern aus erster Ehe bei Versterben des Halbbruders aus zweiter Ehe
Schließt ein Vater mit seinen Kindern aus erster Ehe einen Erbverzichtsvertrag und verstirbt nach dem Vater, der von seiner zweiten Ehefrau und dem gemeinsamen Sohn aus der zweiten Ehe beerbt wird, der Sohn aus zweiter Ehe, so bezieht sich der Erbverzicht nur auf den Erbfall nach dem Vater, nicht aber auch auf den des verstorbenen Halbbruders, kann also nicht verhindern, daß das Vermögen des Vaters den Kindern aus erster Ehe als Bestandteil des Nachlasses ihres Halbbruders, soweit es dort noch vorhanden ist, zufällt.
vorgehend LG Kassel, kein Datum verfügbar, 3 T 281/95
vorgehend AG Homberg (Kassel), kein Datum verfügbar, VI S 3/95

Tenor
Die weitere Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Beteiligte zu 1) hat die den Beteiligten zu 2) bis 4) im Verfahren der weiteren Beschwerde etwa entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Der Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde beträgt 122.812,50 DM.
Gründe
Der am 1.8.1993 verstorbene Rechtsanwalt … war seit dem 22.1.1944 in zweiter Ehe mit der Beteiligten zu 1) verheiratet. Aus dieser Ehe ist der 1953 geborene und am 22.3.1995 verstorbene Erblasser hervorgegangen, der keine Verfügung von Todes wegen hinterlassen hat. Die Beteiligten zu 2) bis 4) sind Kinder aus der ersten Ehe des Vaters des Erblassers. Sie schlossen mit ihrem Vater am 1.8.1975 einen notariellen Vertrag, durch den ihr Vater jedem von ihnen einen Betrag von 90.000 DM im Wege der vorweggenommenen Erbfolge schenkte und durch den sie auf ihr gesetzliches Erb- und Pflichtteilsrecht nach ihrem Vater verzichteten.
Der Beteiligte zu 3) erwirkte unter dem 22.5.1995 bei dem Rechtspfleger des Nachlaßgerichts einen Erbschein des Inhalts, daß der Erblasser von der Beteiligten zu 1) zu 1/2 und von den Beteiligten zu 2) bis 4) – seinen Halbgeschwistern – zu je 1/6 Anteil des Nachlasses gesetzlich beerbt worden ist. Hiergegen hat die Beteiligte zu 1) unter dem 24.5.1995 Erinnerung eingelegt mit den Anträgen, den erteilten Erbschein einzuziehen und ihr einen Erbschein zu erteilen, der sie als Alleinerbin des Erblassers ausweist. Sie hat vorgetragen, der Verzichtsvertrag vom 1.8.1975 äußere Rechtswirkungen auch auf den infolge des Todes des Erblassers eingetretenen Erbfall, weil der Nachlaß des jetzigen Erblassers zum überwiegenden Teil aus dem Nachlaß des vorverstorbenen Vaters stamme, dem gegenüber die Beteiligten zu 2) bis 4) aber gerade den Verzicht auf ihr gesetzliches Erbrecht erklärt hätten.
Rechtspfleger und Richter des Nachlaßgerichts haben der Erinnerung nicht abgeholfen. Das Landgericht hat die jetzt als Beschwerde geltende Erinnerung durch Beschluß vom 19.6.1995 zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die mit Anwaltsschriftsatz vom 12.7.1995 eingelegte weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1).
Die nach § 27 Abs. 1 FGG statthafte, auch sonst zulässige weitere Beschwerde ist nicht begründet. Die Entscheidung des Landgerichts hält der im Verfahren der weiteren Beschwerde allein möglichen rechtlichen Nachprüfung (§§ 27 Abs. 1 FGG, 550 ZPO) stand. Der vom Nachlaßgericht am 22.5.1995 erteilte Erbschein ist richtig. Die Ablehnung seiner Einziehung und der Erteilung eines die Beteiligte zu 1) als Alleinerbin ausweisenden neuen Erbscheins durch die Vorinstanzen ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Der angefochtene Beschluß geht ohne Rechtsfehler davon aus, daß der Erblasser von der Beteiligten zu 1) zu 1/2 und von den Beteiligten zu 2) bis 4) zu je 1/6 Anteil des Nachlasses beerbt worden ist (§ 1925 Abs. 3 Satz 1 BGB). Daran ändert auch, wie das Landgericht mit Recht angenommen hat, der Verzichtsvertrag vom 1.8.1975 nichts. Die Ansicht der weiteren Beschwerde, die Beteiligten zu 2) bis 4) müßten sich wegen des Verzichtsvertrages so behandeln lassen, als sei die Linie ihres Vaters erloschen, also ein Abkömmling ihres Vaters nicht (mehr) vorhanden (vgl. § 1925 Abs. 3 Satz 2 BGB), trifft nicht zu.
Ein Erbverzichtsvertrag bezieht sich immer nur auf den Erbfall derjenigen Person, mit der der Verzichtende den Verzichtsvertrag (§§ 2346, 2348 BGB) abgeschlossen hat. Seine Wirkung besteht nach § 2346 Abs. 1 Satz 2 BGB darin, daß der Verzichtende von der Erbfolge ausgeschlossen ist, wie wenn er zur Zeit des Erbfalls nicht mehr lebte. Den Verzichtsvertrag vom 1.8.1975 haben die Beteiligten zu 2) bis 4) lediglich mit dem vorverstorbenen Vater des jetzigen Erblassers abgeschlossen. Ihm gegenüber haben sie auf ihr gesetzliches Erbrecht verzichtet. Auf Grund des Erbverzichts sind sie nicht Erbe ihres am 1.8.1993 verstorbenen Vaters geworden. Damit hat der ihm gegenüber ausgesprochene Verzicht der Beteiligten zu 2) bis 4) seine endgültige Erledigung gefunden.
Ein allgemeiner Verzicht des Inhalts, daß der Verzichtende auch bei anderen Erbfällen von der Erbfolge ausgeschlossen sein soll, ist dagegen dem geltenden Recht, wie allgemein anerkannt ist, fremd (OLG Celle RdL 1957, 322/323; Staudinger/Ferid/Cieslar BGB 12. Aufl. Rn. 13, MünchKomm/Strobel BGB 2. Aufl. Rn. 9, Soergel/Damrau BGB 12. Aufl. Rn. 9, Palandt/Edenhofer BGB 54. Aufl. Rn. 1, Erman/Schlüter BGB 9. Aufl. Rn. 2, je zu § 2346; Lange/Kuchinke Lehrbuch des Erbrechts 3. Aufl. § 7 II 4 a Fußn. 53 = S. 133; Brox Erbrecht 15. Aufl. Rn. 289 = S. 191; Schlüter Erbrecht 12. Aufl. § 5 II 3 e = S. 23). Der von den Beteiligten zu 2) bis 4) im Vertrag vom 1.8.1975 erklärte Verzicht kann, weil er nur beim Erbfall des Vertragsgegners, also bei dem Erbfall ihres Vaters, wirkt, nicht verhindern, daß das Vermögen des Vaters – jedenfalls teilweise – den Beteiligten zu 2) bis 4) als Bestandteil des Nachlasses ihres Halbbruders, soweit es dort noch vorhanden ist, zufällt. Diese Rechtsfolge hätte nur dadurch ausgeschlossen werden können, daß die Beteiligten zu 2) bis 4) auch mit ihrem Halbbruder – dem Erblasser – einen Erbverzichtsvertrag gemäß § 2346 BGB geschlossen hätten. Das ist jedoch nicht geschehen. Nach alledem erstreckt sich der Erbverzicht der Beteiligten zu 2) bis 4) nicht auf den Erbfall nach ihrem Halbbruder.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 13 a Abs. 1 Satz 2 FGG, die Wertfestsetzung in Anlehnung an die unbeanstandet gebliebene landgerichtliche Wertfestsetzung auf den §§ 131 Abs. 2, 30 Abs. 1 KostO.

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