OLG Hamm, Beschluss vom 25. März 1976 – 15 W 121/75  Stillschweigende Ersatzberufung der Abkömmlinge des Bedachten, der nicht Abkömmling des Erblassers ist, auf Grund ergänzender Testamentsauslegung

Februar 17, 2020

OLG Hamm, Beschluss vom 25. März 1976 – 15 W 121/75

Stillschweigende Ersatzberufung der Abkömmlinge des Bedachten, der nicht Abkömmling des Erblassers ist, auf Grund ergänzender Testamentsauslegung

Hat eine Erblasserin ihren Geliebten zu ihrem Erben eingesetzt, so bedarf es für die Annahme einer stillschweigenden Ersatzberufung seiner Abkömmlinge einer hinreichenden Andeutung dieser Willensrichtung in der letztwilligen Verfügung.

 

Gründe

Der am 5. März 1973 vorverstorbene … der Beteiligten zu 1) bis 3), hatte sich von seiner Familie getrennt. Seit 1960 bis zu seinem Tode hat er mit der Erblasserin in einer gemeinsamen Wohnung zusammengelebt.

Am 24. Januar 1965 verfaßten … und die Erblasserin jeweils ihre letztwilligen Verfügungen. Diese haben folgenden Wortlaut:

Dr. B.

“Testament:

Hiermit erkläre ich, der unterzeichnete … , daß ich bisher noch keine Verfügung von Todes wegen getroffen habe. Ich errichte nachfolgendes eigenhändige

Testament.

Ich setze … , wohnhaft in … , … , zu meiner alleinigen Erbin ein. Sie hat mich seit dem Jahre 1960 betreut und versorgt. … soll als mein Vorausvermächtnis mein Kraftfahrzeug und 3.000,-​- DM in bar erhalten.

Meine Kinder … , geboren am 14.8.1936, U. geboren am 6.11.1938 und … , geboren am 26.12.1940 sind versorgt. Ich bitte sie, ihren Pflichtteilsanspruch nicht geltend zu machen.

Meine Ehefrau lebt von mir getrennt. Sie ist ebenfalls durch eigene Einkünfte und meine Pension versorgt. Die Pension soll auf ihren Pflichtteilsanspruch angerechnet werden.

Ich beauftrage Herrn … , dieses Testament in amtliche Verwahrung des Amtsgerichts Essen-​Steele zu geben.

E., den 24.1.1965

… “.

Fräulein …

“Testament:

Hiermit erkläre ich, die unterzeichnete … , daß ich bisher noch keine Verfügung von Todes wegen getroffen habe.

Ich errichte nachfolgendes eigenhändige

Testament.

Ich setze Herrn … zu meinem alleinigen Erben ein. … ist mir seit langen Jahren ein guter Freund. Ich habe keine gesetzlichen Erben.

Ich beauftrage Herrn … aus … , dieses Testament in amtliche Verwahrung beim Amtsgericht Essen-​Steele zu geben.

E., den 24.1.1965

… “.

Wegen des Nachlasses des … war es zwischen den gesetzlichen Erben einerseits und … andererseits zu Auseinandersetzungen gekommen, die beim Tode der Erblasserin noch nicht beigelegt waren.

Im Erbscheinsverfahren 7 VI 199/73 (AG Essen-​Steele) hatte die Witwe des … die Erteilung eines Erbscheins für sich und ihre drei Kinder beantragt. Sie hatte zur Begründung geltend gemacht, daß das Testament ihres Ehemannes vom 24.1.1965 im Hinblick auf sein Liebesverhältnis zu … sittenwidrig sei (Geliebtentestament). Das Verfahren endete damit, daß zwischen der Antragstellerin und ihren drei Kindern einerseits und dem Beteiligten zu 4), der inzwischen zur Sicherung und Verwaltung der Hinterlassenschaften der Erblasserin und zur Ermittlung der Erben … als Nachlaßpfleger bestellt worden war, eine Einigung zustande kam und Frau … den Erbscheinsantrag zurücknahm. Das Nachlaßgericht hat dann auf Antrag des Nachlaßpflegers einen Erbschein des Inhalts ausgestellt, daß Fräulein H. Alleinerbin des … geworden sei.

Im jetzt anhängigen Verfahren begehrt der Beteiligte zu 1) mit seinem Antrag vom 22. April 1974 einen gemeinschaftlichen Erbschein dahin, daß er und seine Schwester … und …, die Beteiligten zu 2) und 3), als Kinder des … auf Grund des eingangs angeführten Testaments der Erblasserin deren Erben zu je einem Drittel des Nachlasses geworden seien. Er ist der Meinung, daß er mit seinen Schwestern bei sinnentsprechender Anwendung des § 2069 BGB als Ersatzerben ihres Vaters, den … überlebt hat, anzusehen seien.

Nach Anhörung des Zeugen … hat das Amtsgericht durch Beschluß vom 16. Dezember 1974 den Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 1) zurückgewiesen mit der Begründung, daß eine analoge Anwendung des § 2069 BGB hier nicht gerechtfertigt sei, weil eine nahe und eindeutig enge Bindung der Erblasserin auch zu den Abkömmlingen des von ihr bedachten Dr B. nicht zu erkennen sei. Die Beschwerde des Beteiligten zu 1) ist mit Beschluß des Landgerichts vom 10. Februar 1975 als unbegründet zurückgewiesen worden. Hiergegen wenden sich die Beteiligten zu 1) bis 3) mit ihrer weiteren Beschwerde.

Das Rechtsmittel ist nach §§ 20, 27, 29 FGG zulässig. Beschwerdeberechtigt sind trotz § 20 Abs 2 FGG auch die Beteiligten zu 2) und 3), die den Erbscheinsantrag nicht gestellt haben, und zwar deswegen, weil auch sie den vom Beteiligten zu 1) gestellten Antrag auf Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins in erster Instanz hätten stellen können (Keidel-​Winkler, Freiwillige Gerichtsbarkeit, 10. Aufl, § 20 FGG Rdn 98). Sachlich ist die weitere Beschwerde aber nicht gerechtfertigt, weil die angefochtene Entscheidung nicht auf einer Verletzung des Gesetzes beruht, § 27 FGG.

Als Grundlage für das vom Beteiligten zu 1) mit seinem Antrage in Anspruch genommene Erbrecht kommt – wie die Vorinstanzen zutreffend angenommen haben – nur das einzige Testament der Erblasserin vom 24.1.1965 in Betracht, da die Beteiligten zu 1) bis 3) nicht zum Kreise der gesetzlichen Erben der Erblasserin gehören. Das beanspruchte Erbrecht scheitert auch nicht von vornherein zwingend daran, daß der im Testament als alleiniger Erbe bedachte Vater der Beteiligten zu 1) bis 3) vor der Erblasserin verstorben ist und daß die genannten Beteiligten im Testament überhaupt nicht erwähnt, insbesondere nicht als Ersatzerben berufen sind. Bei einer Sachlage, wie sie hier gegeben ist, sind vielmehr folgende Rechtsgrundsätze zu beachten:

Nach § 2069 BGB ist, wenn der Erblasser einen seiner Abkömmlinge bedacht hat und dieser nach der Errichtung des Testaments wegfällt, im Zweifel anzunehmen, daß die Abkömmlinge des Weggefallenen insoweit bedacht sind, als sie bei der gesetzlichen Erbfolge an seine Stelle treten würden. Diese Vorschrift stellt eine Auslegungsregel (keine gesetzliche Vermutung und keine Ergänzungsregel) dar, durch die ein Grundgedanke der gesetzlichen Verwandtenerbfolge zur Geltung gebracht wird. Entsprechend der allgemeinen Funktion solcher Regeln greift sie nur ein, soweit sich ein abweichender Erblasserwille nicht feststellen läßt. Kommt sie hiernach zum Zuge, so ist als Testamentsinhalt festzustellen, daß bei Wegfall eines bedachten Erblasser-​Abkömmlings nach Testamentserrichtung die Ersatzberufung des betreffenden  Stammes gewollt ist. Mit anderen Worten: nach der Anschauung des Gesetzgebers soll in einem solchen Falle in der bloßen Einsetzung einer Person zugleich die genügende Kundgebung des Willens einer Ersatzberufung anderer Personen gefunden werden. Für diesen gesetzlich geregelten Sonderfall ist “im Zweifel” – nämlich ohne jeden weiteren innerhalb oder außerhalb des Testaments gegebenen Anhaltspunkt – in der Einsetzung des bedachten Abkömmlings zugleich bereits die konkludente Ersatzberufung der Abkömmlinge des Eingesetzten (soweit sie nach § 1924 Abs 3 BGB an dessen Stelle als gesetzliche Erben des Erblassers berufen wären) zu sehen. Das gilt auch dann, wenn der Erblasser bei der Errichtung des Testaments an die Möglichkeit eines vorzeitigen Wegfalls des von ihm eingesetzten Abkömmlings nicht gedacht hat; insoweit bildet § 2069 BGB dann einen Anwendungsfall der sog ergänzenden Testamentsauslegung (vgl hierzu insbesondere: RGZ 99, 82, 82ff; 134, 277ff; BayObLG in Das Recht 1904 Nr 1295; KG in Das Recht 1910 Nr 2380; RG in Das Recht 1913 Nr 699; OLG Düsseldorf in HRR 1941 Nr 627; Staudinger-​Seybold, BGB 11. Aufl, §§ 2068-​2070, Rdn 1 – 3; Soergel-​Siebert-​Knopp, BGB, 10. Aufl, § 2069 Rdn 1 – 4).

Da im vorliegenden Falle der von der Erblasserin als ihr Erbe eingesetzte Vater der Beteiligten zu 1) bis 3) – Dr B. – nicht ihr Abkömmling war, liegen die Voraussetzungen des § 2069 BGB nicht vor, wie die Vorinstanzen auch zutreffend ausgeführt haben.

In Rechtsprechung und Schrifttum besteht aber Einmütigkeit darüber, daß der dem § 2069 BGB zugrunde liegende Rechtsgedanke nicht lediglich für diesen Sonderfall Geltung besitzt. Allerdings enthält das BGB keine der genannten Vorschrift ähnliche und für die Ersatzerbfolge bedeutsame Auslegungsregel für den Fall, daß der Erblasser nicht einen Abkömmling, sondern eine andere Person bedacht hat und daß diese unter Hinterlassung von Abkömmlingen vor dem Erblasser weggefallen ist. Bei den Beratungen zum BGB stand zwar ein Antrag zur Debatte, die Regel des § 2069 BGB ausdrücklich  auch auf letztwillige Zuwendungen an andere Personen auszudehnen. Da es jedoch schwierig erschien, den Personenkreis zu umgrenzen, bei dem eine entsprechende Willensrichtung des Erblassers zur Ersatzberufung der Abkömmlinge des Bedachten bereits im Zweifelsfalle unterstellt werden könnte, ist von einer Regel für solche anderen Fälle abgesehen worden. Das, was für den Fall des § 2069 im Gesetz ausdrücklich anerkannt ist – daß nämlich auf dem Wege der Auslegung bereits in der bloßen Einsetzung einer Person  zugleich die Kundgebung des Willens einer Ersatzberufung gefunden werden könne – hat aber für andere Fälle, in denen  der Bedachte kein Abkömmling des Erblassers ist, nicht ausgeschlossen werden sollen; vielmehr hat in diesen Fällen die Feststellung der Willensrichtung des Erblassers ohne einengende gesetzliche Vorschriften der richterlichen Auslegung anheimgegeben werden sollen (RG aaO). Dementsprechend ist anerkannt, daß in der Einsetzung des Bedachten auch dann, wenn er kein Abkömmling des Erblassers ist, zugleich die Ersatzberufung der Abkömmlinge des Bedachten gesehen werden kann, wenn anderweitige Umstände, seien es auch nur solche außerhalb des Testaments, diese Auslegung als im Willen des Erblassers liegend erscheinen lassen. Eine solche Auslegung kann insbesondere in Betracht kommen, wenn der Bedachte ein sonstiger naher Angehöriger des Erblassers ist und wenn die sonstigen Testamentsbestimmungen oder auch nur Umstände außerhalb des Testaments erkennen lassen, daß der Erblasser die Zuwendung nicht gerade nur der von ihm bezeichneten Person hat machen, sondern sie für den ganzen Stamm hat gelten lassen wollen (vgl die bereits angeführte Rechtsprechung; ferner: OLG Stuttgart in BWNotZ 1963, 27; KG MDR 1954, 39; Staudinger-​Seybold, aaO Rdn 8; Soergel-​Siebert-​Knopp aaO Rdn 16). Eine solche stillschweigende Ersatzberufung kann im Wege der ergänzenden Testamentsauslegung selbst dann angenommen werden, wenn der Erblasser bei der Testamentserrichtung an die Möglichkeit des Wegfalls des Eingesetzten nicht gedacht hat (RGZ 134, 280). Bei dieser ergänzenden Testamentsauslegung handelt es sich nicht mehr darum, den (erwiesenen oder mutmaßlichen) wirklichen Willen des Erblassers zur Geltung zu bringen, sondern denjenigen hypothetischen Willen zu ermitteln und zu berücksichtigen, den der Erblasser vermutlich gehabt hätte, wenn er bei der Testamentserrichtung die künftige Entwicklung wenigstens als möglich vorausgesehen hätte.

Ob man die Anwendung dieser Rechtsgrundsätze als eine “analoge” oder “erweiternde” Anwendung des § 2069 BGB oder als eine von  dieser Vorschrift losgelöste rein individuelle Testamentsauslegung nach allgemeinen Grundsätzen bezeichnen will (vgl dazu einerseits die angeführten Entscheidungen in Das Recht 1904 Nr  1295; Das Recht 1910 Nr 2380; MDR 1954, 39; Staudinger-​Seybold, Rdn 8; Palandt-​Keidel, BGB, 35. Aufl, § 2069 Anm 4; andererseits OGHZ 4, 222; BGH in NJW 1973, 242, 244; Soergel-​Siebert-​Knopp, Rdn 16), ist nach Auffassung des Senats nur eine unerhebliche Frage der Terminologie; sachliche Unterschiede in der  rechtlichen Beurteilung durch Rechtsprechung und Schrifttum sind insoweit nicht zu erkennen.

In Anwendung dieser Grundsätze war im vorliegenden Falle zunächst zu erforschen, ob die Erblasserin im Zeitpunkt der Testamentserrichtung an die Möglichkeit eines vorzeitigen Wegfalls des von ihr eingesetzten Erben tatsächlich gedacht und  was sie für diesen Fall wirklich oder mutmaßlich gewollt hat. Falls sich insoweit keine Feststellungen treffen ließen, war zu ermitteln, welche letztwillige Anordnung sie mutmaßlich getroffen hätte, wenn sie den vorzeitigen Wegfall des Bedachten vorausschauend berücksichtigt hätte. Sodann mußte geprüft werden, ob der so ermittelte wirkliche, mutmaßliche oder hypothetische Wille der Erblasserin zumindest andeutungsweise in ihrem Testament erkennbar geworden ist.

Das Landgericht hat zu diesen Fragen ausgeführt:

Die letztwillige Verfügung der Erblasserin sehe lediglich vor, daß Dr B. Alleinerbe habe werden sollen. Die Beteiligten zu 1) bis 3) seien darin nicht erwähnt. Der Wortlaut des Testaments gebe auch keinen Anhaltspunkt dafür, daß der Beschwerdeführer und seine Geschwister bedacht werden sollten. Die Erblasserin habe zwar gegenüber den Zeugen Prof S. wiederholt die Meinung geäußert, daß nach ihrem Tode das ganze Vermögen auf die Kinder B. überginge. Selbst wenn das aber ihr Wunsch gewesen wäre – was im Hinblick auf das nicht ungetrübte Verhältnis zur Familie B. nicht ganz ohne Zweifel sei – könnte der Beschwerdeführer auf Grund des Testaments kein Erbrecht für sich daraus ableiten. Der “Wunsch” bzw “Wille” der Erblasserin hätte nämlich nur dann Rechtswirksamkeit erlangt, wenn er in der für die Errichtung von letztwilligen Verfügungen vorgeschriebenen Form  erklärt worden wäre. Das sei aber nicht geschehen.

Für eine analoge Anwendung des § 2069 BGB sei hier kein Raum. Die in Literatur und Rechtsprechung gebilligte erweiterte Anwendung des § 2069 BGB setze voraus, daß zwischen dem Abkömmling des bedachten Dritten und dem Erblasser eine nahe und eindeutig enge Beziehung – wie zB zu Stiefkindern oder Geschwisterkindern – bestanden habe. Eine weitergehende Auslegung der genannten Bestimmung – nämlich ein Verzicht auf eine enge Beziehung zwischen dem Erblasser und den Abkömmlingen des Bedachten – würde dem Gesetzeszweck nicht mehr genügen. Ein hiernach erforderliches enges Verhältnis habe aber zwischen den Beteiligten zu 1) bis 3) einerseits und Frau H. H. andererseits nicht bestanden. Es habe vielmehr bis zuletzt zwischen der Erblasserin und der Familie B. aus naheliegenden persönlichen und vermögensrechtlichen Gründen Spannungen gegeben. Unter diesen Umständen sei eine entsprechende Anwendung des § 2069 BGB ausgeschlossen.

Diese Erwägungen werden zwar den hier maßgeblichen, oben dargelegten Rechtsgrundsätzen, insbesondere über die ergänzende Testamentsauslegung, nur unvollkommen gerecht. Jedoch hält das vom Landgericht gefundene Ergebnis, daß die Beteiligten zu 1) bis 3) nicht Erben der Erblasserin geworden seien, der im Rechtsbeschwerdeverfahren möglichen Nachprüfung stand.

In der Frage nach dem wirklichen, mutmaßlichen oder hypothetischen  Willen der Erblasserin läßt der angefochtene Beschluß nicht erkennen, was die Beschwerdekammer als Ergebnis ihrer Ermittlungen eigentlich hat feststellen wollen. Sie entnimmt der Aussage des vom Amtsgericht gehörten Zeugen S. eine “Meinungsäußerung” der Erblasserin, daß nach ihrem Tode das ganze Vermögen auf die Kinder B. “überginge”. Einen “Wunsch” oder “Willen” der Erblasserin in dieser Richtung bezeichnet sie als “nicht ganz ohne Zweifel”. Auf diesen Gesichtspunkt kommt es aber nicht entscheidend an. Deshalb kann auch auf sich beruhen, ob zur Erforschung des Erblasserwillens nicht noch die Anhörung der Kinder B., zumindest der im Inlande wohnhaften Beteiligten zu 1) und 3), gem § 12 FGG erforderlich gewesen wäre; immerhin hätten etwaige Äußerungen der Erblasserin über ihre Gründe für die Nichterrichtung eines neuen Testaments nach dem Wegfall des vorverstorbenen Dr B. unter Umständen Rückschlüsse auf ihre Willensrichtung z Zt der Testamentserrichtung vom 24.1.1965 ermöglichen können.

Die angefochtene Entscheidung wird indessen im Ergebnis von der Erwägung des Landgerichts getragen, daß der Wortlaut des Testaments vom 24.1.1965 keinen Anhaltspunkt für eine Einsetzung der Beteiligten zu 1) bis 3) gebe. Selbst wenn man eine von der Erblasserin wirklich oder mutmaßlich gewollte Ersatzberufung der Abkömmlinge des von ihr Bedachten als erwiesen unterstellt, hat dieser Wille in dem Testament keine hinreichende Andeutung gefunden.

Allerdings genügt in den von § 2069 unmittelbar erfaßten Fällen nach dem Willen des Gesetzgebers im Zweifel schon die bloße Einsetzung des Bedachten zugleich als Ausdruck der Ersatzberufung seiner Abkömmlinge. Darüber hinaus kann nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts auch dann, wenn eine nicht zu den Abkömmlingen des Erblassers gehörige Person bedacht ist, schon in der Einsetzung dieser Person ein – wenngleich unvollkommener – Anhalt gefunden werden für einen weitergehenden, auf die Ersatzberufung der Abkömmlinge (des Bedachten) gerichteten Erblasserwillen, zu dessen abschließender Feststellung außerhalb des Testaments liegende Umstände genügen können (RGZ 134, 289, 290). Dieser weitgehende Verzicht auf im Testament selbst enthaltene deutliche Anhaltspunkte für eine Ersatzberufung ist aber in der Rechtsprechung nur dann gemacht worden, wenn es sich bei dem Bedachten um eine mit dem Erblasser nahe verwandte oder verschwägerte Person (RGZ 99, 82: Geschwisterkind; RG in HRR 1928 Nr 959: Stiefkind; RG in Das Recht 1913 Nr 699: Bruder; BGH in NJW 1973, 242 und OLG Düsseldorf in HRR 1941, Nr 627: Geschwister) oder um den Ehegatten (KG in MDR 1954, 39) handelte. In derartigen Fällen liegt nämlich die – in den Entscheidungen durchweg auch erörterte – Möglichkeit besonders nahe, daß der Erblasser die Zuwendung nicht gerade nur der von ihm bezeichneten Person hat machen, sondern diese Person nur als die erste ihres Stammes hat einsetzen wollen.

Davon unterscheidet sich die Sachlage im vorliegenden Falle nach Ansicht des Senats erheblich. Zwischen der Erblasserin und dem von ihr eingesetzten Vater der Beteiligten zu 1) bis 3) bestand nämlich keine Verwandtschaft, Schwägerschaft oder Ehe, sondern ein Liebesverhältnis. Das legt die Annahme nahe, daß sie ihn nicht lediglich als den ersten seines Stammes, sondern gerade um der engen persönlichen Beziehungen willen als ihren Erben  eingesetzt hat. Darauf deuten im Testament auch die Worte hin: “Dr B. ist mir seit langen Jahren ein guter Freund”. Bei  einer solchen Sachlage müssen über die bloße Einsetzung des guten Freundes hinaus konkrete Anhaltspunkte im Testament gefordert werden, wenn zugleich eine Ersatzberufung der Abkömmlinge des Bedachten angenommen werden soll. Dies entspricht nach den allgemeinen Anforderungen an die Auslegung, insbesondere an die ergänzende Auslegung letztwilliger Verfügungen.

An solchen konkreten Anhaltspunkten  fehlt es hier. Auch der im Testament enthaltene Hinweis der Erblasserin, daß sie “keine gesetzlichen Erben habe”, reicht zur Annahme der Ersatzberufung nicht aus; denn er läßt nicht erkennen, wer als Ersatzerbe des Eingesetzten bei dessen vorzeitigem Wegfall zum Zuge kommen sollte.

Zwar mag unterstellt werden, daß die Erblasserin – wie die weitere Beschwerde geltend macht – in Übereinstimmung mit Dr B. einen Übergang ihres Nachlasses auf die Kinder B. als Ersatzerben lieber gesehen hätte als den Erbanfall an weitläufige, ihr persönlich unbekannte gesetzliche Erben; dies gilt besonders für die Weitervererbung des auf Frau H. übergegangenen Nachlasses Dr B. . Aber ein dahingehender Wille zur Ersatzberufung hätte zumindest andeutungsweise im Text des Testaments vom 24.1.1965 Ausdruck finden müssen. Das ist indessen nicht der Fall.

Aus diesem Grunde ist es für die Entscheidung auch unerheblich, ob das Landgericht – wie die Beschwerdeführer weiterhin rügen – ohne ausreichende Sachaufklärung von einem gespannten persönlichen Verhältnis zwischen ihnen und der Erblasserin für den hier entscheidenden Zeitpunkt der Testamentserrichtung vom 24.1.1965 ausgegangen ist.

Nach alledem beruht die angefochtene Entscheidung im Ergebnis nicht auf einer Verletzung des Gesetzes, § 27 FGG. Die weitere Beschwerde mußte daher zurückgewiesen werden.

 

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