Schleswig-Holsteinisches FG 3 K 74/04

Juli 26, 2017

Schleswig-Holsteinisches FG 3 K 74/04 – Verfassungsmäßigkeit der Besteuerung als Vorerbin

Die Beteiligten streiten um die Verfassungsmäßigkeit der Besteuerung der Klägerin als Vorerbin.

Die Klägerin ist befreite Vorerbin des am 28. April 2000 verstorbenen Herrn A. Als Nacherbin ist die A und B-Stiftung eingesetzt worden. Die Klägerin gab am 17. April 2001 eine Erbschaftsteuer(ErbSt)-Erklärung zu dem Erbfall ab, die allerdings noch nicht vollständig war, weil das Bestehen oder die Werthaltigkeit einiger Forderungen des Erblassers unklar waren. Mit ErbSt-Bescheid vom 4. März 2002 setzte der Beklagte die ErbSt auf 500.000 € fest. Der Bescheid wurde aus mehreren Gründen nach § 165 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) für vorläufig erklärt.

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Die Klägerin legte dagegen am 18. März 2002 Einspruch ein, den sie damit begründete, dass die Besteuerung des Vorerben wie ein Vollerbe nach § 6 des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) gegen Art. 3 Abs. 1 und Art. 14 Grundgesetz (GG) verstoße und deshalb verfassungswidrig sei. Auch die ErbSt als solche sei verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen.

Der ErbSt-Bescheid vom 4. März 2002 wurde aus hier nicht erheblichen Gründen durch Bescheide vom 30. Juni 2002 und vom 24. September 2002 geändert.

Mit Einspruchsentscheidung vom 29. März 2004 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück.

Die Klägerin hat dagegen am 15. April 2004 Klage erhoben. Zur Begründung trägt sie vor, dass § 6 ErbStG verfassungswidrig sei. Der Vorerbe sei ursprünglich im ErbStG von 1906 wie ein Nießbraucher besteuert worden. Erstmals durch § 7 ErbStG 1922 sei der Vorerbe wie ein Vollerbe besteuert worden. Begründet worden sei dies damals mit einem Anschluss des Steuerrechts an das Zivilrecht. Ein Nießbraucher müsse indes nicht die Steuerwerte der Nachlassgegenstände, sondern nur das Nutzungsrecht daran versteuern.

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Der befreite wie der unbefreite Vorerbe sei aber in wirtschaftlicher Hinsicht gleich leistungsfähig wie ein Nießbraucher, so dass die unterschiedliche Besteuerung gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoße. Der Wertzuwachs eines Nießbrauchers und eines Vorerben durch die Erbschaft sei im Wesentlichen gleich und deutlich geringer als der Wertzuwachs bei einem Vollerben. Die Besteuerung des Vorerben verstoße auch gegen die in Art. 14 GG gewährleistete Erbrechtsgarantie. Ferner liege schon in § 6 ErbStG selbst eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung vor. Im Übrigen sei die ErbSt als reine Substanzbesteuerung verfassungswidrig.

Während des Klageverfahrens wurde der angefochtene ErbSt-Bescheid durch Änderungsbescheide vom 17. Dezember 2004, vom 13. Mai 2005 und vom 21. Juli 2005 nochmals aus hier nicht erheblichen Gründen geändert.

Die Klägerin beantragt,

den ErbSt-Bescheid vom 4. März 2002 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29. März 2004 und der Fassung des Änderungsbescheides vom 21. Juli 2005 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er bezieht sich zur Begründung auf die Einspruchsentscheidung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene ErbSt-Akte des Beklagten Bezug genommen.

Gründe Schleswig-Holsteinisches FG 3 K 74/04

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Der ErbSt-Bescheid vom 21. Juli 2005 ist als letzter Änderungsbescheid gemäß § 68 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Gegenstand des Verfahrens geworden (vgl. BFH-Beschlüsse vom 2. Dezember 1999 II B 78/99, BFH/NV 2000, 680; vom 15. November 2005 XI B 33/04, BFH/NV 2006, 352). Ein Einspruch gegen diesen Verwaltungsakt ist ausgeschlossen (§ 68 Satz 2 FGO).

Die Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der angefochtene ErbSt-Bescheid ist rechtmäßig.

Die verfassungsrechtlichen Einwände der Klägerin gegen ihre Heranziehung zur Erbschaftsteuer greifen nicht durch.

Die Erbschaftsteuer als solche ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Die verfassungsrechtliche Garantie des Erbrechts (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) lässt es zu, dass der Steuergesetzgeber eine Erbschaftsteuer (vgl. Art. 106 Abs. 2 Nr. 2 GG) vorsieht, die den durch den Erbfall beim Erben anfallenden Vermögenszuwachs und die dadurch vermittelte Leistungsfähigkeit belastet. Entscheidet sich der Gesetzgeber dabei für eine gesonderte Bewertung der zu besteuernden Güter, so muss er die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig umsetzen und die Steuerpflichtigen – ungeachtet verfassungsrechtlich zulässiger Differenzierungen – gleichmäßig belasten.

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Der Spielraum für den steuerlichen Zugriff auf den Erwerb von Todes wegen findet seine Grenze dort, wo die Steuerpflicht den Erwerber übermäßig belastet und die ihm zugewachsenen Vermögenswerte grundlegend beeinträchtigt. Die Steuerbelastung darf das Vererben vom Standpunkt eines wirtschaftlich denkenden Eigentümers nicht als ökonomisch sinnlos erscheinen lassen. (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. Juni 1995, 2 BvR 552/91, BVerfGE, 93, 165, BStBl II 1995, 671).

Die Klägerin trägt nicht vor, dass der Gesetzgeber mit der Erbschaftsteuer die aufgezeigte Grenze der Steuerbelastung – allgemein oder in ihrem Fall – überschritten haben könnte. Dafür ist angesichts eines Höchststeuersatzes von 50 % ab einem steuerpflichtigen Erwerb von über 25.565.000 EUR auch nichts ersichtlich (vgl. auch FG München, Urteil vom 10. August 2005, 4 K 1705/05, EFG 2005, 1886).

Ein Verstoß gegen das aus Art. 3 Abs. 1 GG zu folgernde Gebot der – ungeachtet verfassungsrechtlich zulässiger Differenzierungen – gleichmäßigen Besteuerung nach der wirtschaftlichen oder finanziellen Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. Juni 1995, 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, 121, BStBl II 1995, 655; Beschluss vom 22. Juni 1995, 2 BvR 552/91, BVerfGE, 93, 165, BStBl II 1995, 671; Beschluss vom 28. Oktober 1997, 1 BvR 1644/94; BVerfGE 97, 1) ist in der Besteuerung der Klägerin als befreite Vorerbin nach § 6 Abs. 1 ErbStG nicht zu sehen.

Danach gilt der Vorerbe als Erbe. Ein – wie hier -nach § 2136 BGB vollumfänglich von den Beschränkungen und Verpflichtungen des § 2113 Abs. 1 und der §§ 2114, 2116 bis 2119, 2123, 2127 bis 2131, 2133, 2134 BGB befreiter Vorerbe steht wirtschaftlich einem “Vollerben” fast gleich (vgl. Weinmann, in: Moench/Kien-Hümbert/Weinmann, Erbschaft- und Schenkungssteuer, § 6 ErbStG, Rdn. 4, <Stand: Dezember 2003>). Er ist Eigentümer der Nachlassgegenstände geworden (§ 2100 i.V.m. § 1922 Abs. 1 BGB) und kann bis auf Verfügungen von Todes wegen und – grundsätzlich – unentgeltliche Verfügungen (§ 2136 i.V.m. § 2113 Abs. 2 BGB) frei über sie bestimmen. Seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu Lebzeiten wird durch diese Beschränkungen nicht geschmälert.

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Der Umstand, dass auch für den befreiten Vorerben das Prinzip der dinglichen Surrogation gilt (§ 2111 BGB), führt ebenfalls zu keiner nennenswerten Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des befreiten Vorerben im Vergleich zum “Vollerben”. Nutzungen sind von der Surrogation ausgenommen und dem befreiten Vorerben stehen diese am Nachlass auch insoweit zu, als es sich um Übermaßfrüchte handelt. Er muss dem Nacherben insoweit keinen Wertersatz leisten (§ 2136 i.V.m. § 2133 BGB).

Der befreite Vorerbe ist auch zum Verbrauch oder zur anderweitigen Verwendung von Nachlassgegenständen befugt, ohne Wertersatz schulden zu müssen (vgl. § 2136 i.V.m. § 2134 BGB). Hinzu kommt, dass ein Vorerbe die Erbschaftsteuer nicht aus seinem Vermögen zu entrichten braucht, sondern den Nachlass um die Erbschaftsteuer zu mindern hat (§ 20 Abs. 4 ErbStG). Im wirtschaftlichen Ergebnis ist deshalb der Nacherbe Träger der Steuerlast, der jedoch seinerseits den Vorteil hat, dass bei Eintritt des Nacherbfalls die Steuer die Bemessungsgrundlage des Nacherbfalls mindert. Lediglich das Nachlassvermögen, dessen Erträge dem Vorerben zustehen, wird durch die Besteuerung verringert.

Eine Schlechterstellung des Vorerben im Vergleich zum “Vollerben”, der durch die Entrichtung der Erbschaftsteuer aus dem ererbten oder seinem sonstigen Vermögen ebenfalls in seiner finanziellen Leistungsfähigkeit eingeschränkt ist, ist auch insoweit nicht erkennbar (vgl. FG München, Urteil vom 24. November 1999, 4 K 72/97, EFG 2000, 279).

Die Rüge einer gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßenden Ungleichbehandlung durch § 6 Abs. 2, 3 und 4 ErbStG, greift ebenfalls nicht durch. Dies folgt schon daraus, dass dort Regelungen für den Nacherbfall (Abs. 2 und 3) bzw. Nachvermächtnisse und beim Tode des Beschwerten fällige Vermächtnisse (Abs. 4) enthalten sind, von denen die Klägerin als Vorerbin nicht betroffen ist.

Die Besteuerung der Klägerin als befreite Vorerbin gemäß § 6 Abs. 1 ErbStG verstößt schließlich auch nicht gegen Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG. Die Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleistet das Rechtsinstitut der Privaterbfolge.

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Das Erbrecht hat die Funktion, das Privateigentum als Grundlage der eigenverantwortlichen Lebensgestaltung mit dem Tode des Erblassers nicht untergehen zu lassen, sondern seinen Fortbestand im Wege der Rechtsnachfolge zu sichern. Dem Recht des Erblassers zu vererben, das durch seine Testierfreiheit geschützt ist, entspricht das Recht des Erben, kraft Erbfolge zu erwerben. Auch der Erbe genießt den Schutz des Grundrechts und kann ihn – jedenfalls vom Eintritt des Erbfalls an – geltend machen. Art 14 Abs. 1 Satz 2 GG überlässt es dem Gesetzgeber, Inhalt und Schranken des Erbrechts zu bestimmen.

Diese Regelungsbefugnis eröffnet auch dem Erbschaftsteuergesetzgeber im Rahmen der Garantie des Privaterbrechts eine weitreichende Gestaltungsbefugnis. Wenngleich die Gewährleistung von Eigentum und Erbrecht in einem Zusammenhang stehen, garantiert die Erbrechtsgarantie nicht das (unbedingte) Recht, den gegebenen Eigentumsbestand von Todes wegen ungemindert auf Dritte zu übertragen; die Möglichkeiten des Gesetzgebers zur Einschränkung des Erbrechts sind – weil sie an einen Vermögensübergang anknüpfen – weitergehend, als die zur Einschränkung des Eigentums.

Der Spielraum für den steuerlichen Zugriff auf den Erwerb von Todes wegen findet seine Grenze dort, wo die Steuerpflicht den Erwerber übermäßig belastet und die ihm zugewachsenen Vermögenswerte grundlegend beeinträchtigt. Die Steuerbelastung darf das Vererben vom Standpunkt eines wirtschaftlich denkenden Eigentümers nicht als ökonomisch sinnlos erscheinen lassen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. Juni 1995, 2 BvR 552/91, a.a.O.).

Anhaltspunkte für eine übermäßige Belastung der Klägerin durch ihre Besteuerung als Vorerbin liegen nicht vor. Dies folgt schon aus der Steuerbefreiung nach § 13 ErbStG a.F. (10.000 DM) und aus dem Freibetrag nach § 16 Abs. 1 ErbStG a.F. (400.000 DM) sowie aus dem Steuersatz von 19 % des steuerpflichtigen Erwerbs.

Nach alledem war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil keiner der Gründe des § 115 Abs. 2 FGO vorliegt.

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