Verweisung eines Nachlassverfahrens durch das Amtsgericht Schöneberg

März 7, 2020

OLG Karlsruhe, Beschluss vom 29. Januar 2019 – 209 AR 2/19
Verweisung eines Nachlassverfahrens durch das Amtsgericht Schöneberg aus wichtigem Grund
Leitsatz
1. Die Verweisung eines Nachlassverfahrens durch das AG Schöneberg gemäß § 343 Abs. 3 Satz 2 FamFG ist grundsätzlich für das andere Gericht bindend.
2. Wegen der bindenden Wirkung der Verweisung sind die Voraussetzungen eines wichtigen Grundes i.S.v. § 343 Abs. 3 Satz 2 FamFG (anders als bei einer Abgabe nach § 4 FamFG) nicht zu prüfen, wenn es zwischen den beteiligten Gerichten zu einem negativen Kompetenzkonflikt kommt.
3. Es ist zumindest vertretbar (und daher nicht zu beanstanden), wenn das AG Schöneberg bei einer Verweisung gemäß § 343 Abs. 3 Satz 2 FamFG keine umfassende einzelfallbezogene Zweckmäßigkeitsprüfung vornimmt, sondern sich allein darauf stützt, dass der einzige Nachlassgegenstand sich im Bezirk des anderen Gerichts befindet.

Tenor
Örtlich zuständiges Gericht für das Nachlassverfahren ist das Amtsgericht Singen.
Gründe
I.
Mit Schriftsatz vom 25.05.2018 an das Amtsgericht – Nachlassgericht – Singen hat das Landratsamt Konstanz beantragt, für den am 20.08.2017 verstorbenen Erblasser den Erben zu ermitteln und gegebenenfalls die Erbschaft des Landes Baden-Württemberg gemäß § 1964 Abs. 1 BGB festzustellen. Der Erblasser lebte in der Schweiz und verstarb dort. Im Bezirk des Amtsgerichts Singen befindet sich ein Grundstück, welches sich im Eigentum des Erblassers befand. Das Landratsamt Konstanz hat geltend gemacht, auf dem Grundstück befinde sich eine Vielzahl verschiedener unzulässiger Abfallablagerungen. Es sei notwendig, den Erben des Verstorbenen zu ermitteln, da der Erbe zur Beseitigung der Ablagerungen verpflichtet sei.
Mit Verfügung vom 02.07.2018 hat das Amtsgericht Singen die Nachlassakte dem Amtsgericht Schöneberg übersandt mit der Bitte, das Verfahren zu übernehmen. Das Amtsgericht Schöneberg hat mit Beschluss vom 18.07.2018 das Nachlassverfahren an das Amtsgericht Singen zurückverwiesen. Die Voraussetzungen für eine örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Schöneberg gemäß § 343 Abs. 1 bis 3 FamFG seien nicht ersichtlich. Zunächst sei vom Amtsgericht Singen zu prüfen, welche Staatsangehörigkeit der Erblasser hatte, wo er verstorben ist und welches der letzte inländische Aufenthalt war.
Vom Amtsgericht Singen wurden daraufhin Rückfragen beim Landratsamt Konstanz und bei den zuständigen schweizerischen Behörden Ermittlungen durchgeführt. Diese Ermittlungen führten zu dem Ergebnis, dass der Erblasser schweizerischer Staatsangehöriger war. Er verstarb in Schaffhausen (Schweiz). Dort hatte er seinen letzten Wohnsitz. Vom Einwohnermeldeamt in Schaffhausen wurde festgestellt, dass der Erblasser 1982 von Unterkulm (Kanton Aargau/Schweiz) zugezogen war. Weitere Ermittlungen bei der zuständigen Behörde in Unterkulm blieben erfolglos. Ein früherer Wohnsitz in Deutschland ließ sich nicht feststellen.
Mit Verfügung vom 17.10.2018 hat das Amtsgericht Singen das Nachlassverfahren erneut an das Amtsgericht Schöneberg abgegeben. Es sei nunmehr geklärt, dass der Erblasser zu keinem Zeitpunkt einen Wohnsitz in Deutschland gehabt habe.
Mit Beschluss vom 26.10.2018 hat das Amtsgericht Schöneberg sich gemäß § 343 Abs. 3 Satz 1 FamFG für zuständig erklärt und gleichzeitig die Sache aus wichtigem Grund nach § 343 Abs. 3 Satz 2 FamFG an das Amtsgericht Singen verwiesen. Zur Begründung hat das Amtsgericht Schöneberg darauf hingewiesen, dass sich die Nachlassgegenstände im Gerichtsbezirk des Amtsgerichts Singen befinden.
Mit Beschluss vom 08.11.2018 hat das Amtsgericht Singen sich für unzuständig erklärt und das Verfahren an das Amtsgericht Schöneberg verwiesen. Die Voraussetzungen eines wichtigen Grundes gemäß § 343 Abs. 3 Satz 2 FamFG seien nicht gegeben. Nach erneuter Rücksendung der Akte durch das Amtsgericht Schöneberg hat das Amtsgericht Singen mit Beschluss vom 27.12.2018 das Nachlassverfahren dem Oberlandesgericht Karlsruhe – Zivilsenate in Freiburg – zur Entscheidung gemäß § 5 FamFG vorgelegt.
II.
Als örtlich zuständiges Gericht ist das Amtsgericht Singen zu erklären.
1. Die Voraussetzungen für eine gerichtliche Bestimmung der Zuständigkeit gemäß § 5 Abs. 1 Ziffer 4 FamFG liegen vor. Sowohl das Amtsgericht Schöneberg als auch das Amtsgericht Singen haben sich rechtskräftig für unzuständig erklärt. Die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Karlsruhe – Zivilsenate in Freiburg – für die Bestimmung der Zuständigkeit ergibt sich aus § 5 Abs. 2 FamFG.
2. Das Nachlassverfahren betrifft ein Feststellungsverfahren gemäß § 1964 BGB. Die Erben des in der Schweiz verstorbenen Erblassers stehen nicht fest. Das Nachlassgericht hat zu prüfen, ob ein Erbrecht des Fiskus in Betracht kommt; gegebenenfalls kommen Ermittlungen nach anderen Erben in Betracht, und sodann eine mögliche Feststellung der Staatserbfolge. Für dieses Nachlassverfahren ist das Amtsgericht Singen gemäß § 343 Abs. 3 Satz 2 FamFG zuständig i. V. m. § 47 Ziff. 2 IntErbRVG. Denn die Verweisung durch das Amtsgericht Schöneberg ist für das Amtsgericht Singen bindend.
3. Die Bindungswirkung der Entscheidung ergibt sich aus der Formulierung “verweisen” in § 343 Abs. 3 Satz 2 FamFG. Mit dieser Formulierung wollte der Gesetzgeber klarstellen, dass eine entsprechende Regelung in § 73 Abs. 2 FGG (a. F.) hinsichtlich der Bindungswirkung übernommen werden sollte (vgl. BT-Drucksache 16/6308, Seite 277; Bassenge/Roth, FamFG, 12. Auflage 2009, § 343 FamFG Rn. 5 sowie BT-Drucksache 18/4201, Seite 59).
Aus der Bindungswirkung ergibt sich, dass die Frage, ob ein wichtiger Grund im Sinne von § 343 Abs. 3 Satz 2 FamFG (bzw. § 73 Abs. 2 FGG a. F.) vorliegt – anders als bei einer Abgabe gemäß § 4 FamFG – grundsätzlich nicht überprüfbar ist. Dies entspricht den Rechtsprechungsgrundsätzen, die zur gleichartigen Frage bei Verweisungen gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO entwickelt wurden (vgl. beispielsweise BGH, NJW-RR 2002, 1498).
Zur Vorläuferregelung in § 73 Abs. 2 FGG a. F. bestand in Rechtsprechung und Literatur Einigkeit, dass der wichtige Grund bei der Abgabe durch das Amtsgericht Schöneberg an ein anderes Nachlassgericht im Gerichtsstandsbestimmungsverfahren nicht zu überprüfen ist (vgl. Jansen, FGG, Band 3, 3. Auflage 2006, § 73 FGG Rn. 27; KG, NJW 1955, 108; BayObLG FamRZ 1990, 101; KG, Rechtspfleger 2001, 34; OLG Köln, Beschluss vom 25.02.2008 – 2 Wx 48/07 -, Rn. 17, zitiert nach Juris). An dieser Auffassung ist auch nach der Neuregelung in § 343 Abs. 3 FamFG festzuhalten; denn der Gesetzgeber hatte nicht die Absicht, an der Bindungswirkung einer Verweisung durch das Amtsgericht Schöneberg etwas zu ändern (vgl. BT-Drucksache 16/6308, Seite 277; Bassenge/Roth, FamFG, 12. Auflage 2009, § 343 FamFG Rn. 5).
Die bindende Wirkung der Verweisung soll langwierige Zuständigkeitsstreitigkeiten vermeiden. Bei der Regelung in § 343 Abs. 3 Satz 1 FamFG handelt es sich um eine Auffangvorschrift. Es geht nicht um eine Zuständigkeitskonzentration wegen einer besonderen Sachkompetenz eines Gerichts, sondern um die Praktikabilität einer abstrakten Zuständigkeitsnorm für bestimmte Fälle mit Auslandsbezug. Es dürfte daher wohl durchaus den Intentionen des Gesetzgebers entsprechen, wenn das Amtsgericht Schöneberg im Rahmen der Auffangszuständigkeit gemäß § 343 Abs. 3 Satz 1 FamFG zunächst nach möglichen Anknüpfungspunkten für die örtliche Zuständigkeit eines anderen Amtsgerichts sucht, und gegebenenfalls von der Möglichkeit einer Verweisung gemäß § 343 Abs. 3 Satz 2 FamFG Gebrauch macht, wenn aus seiner Sicht Gesichtspunkte für die Zuständigkeit eines anderen Gerichts in Betracht kommen (vgl. Mayer in Münchener Kommentar, FamFG, 2. Auflage 2013, § 343 FamFG Rn. 31, 34; Fröhler in Prütting/Helms, FamFG, 4. Auflage 2018, § 343 FamFG Rn. 74, 78; ebenso die oben zitierte Rechtsprechung zu § 73 Abs. 2 FGG (a. F.)). Es erscheint im Hinblick auf den Gesetzeszweck eher fraglich, ob ein wichtiger Grund im Sinne von § 343 Abs. 3 Satz 2 FamFG dabei eine umfassende “einzelfallbezogene Zweckmäßigkeitsprüfung” des Amtsgerichts Schöneberg voraussetzen muss (so KG Berlin, Beschluss vom 05.01.2016 – 1 AR 34/15 -, zitiert nach Juris; OLG Köln, Rechtspfleger 2017, 155; OLG München, MDR 2018, 941). Es ist zumindest vertretbar – und daher nicht willkürlich – wenn das Amtsgericht Schöneberg die Verweisung darauf stützt, dass sich der einzige Nachlassgegenstand (ein Grundstück in H.) im Bezirk des Amtsgerichts Singen befindet. (Vgl. zu diesem Gesichtspunkt beispielsweise Fröhler in Prütting/Helms, FamFG, 4. Auflage 2018, § 343 FamFG Rn. 74.) Daher könnte die Bindungswirkung der Verweisung auch dann nicht entfallen, wenn man die Auffassung der zitierten Oberlandesgerichte (Erforderlichkeit einer einzelfallbezogenen Zweckmäßigkeitsprüfung) für vorzugswürdig halten würde (a. A. KG Berlin, a. a. O.; OLG Köln, a. a. O.; OLG München, a. a. O.; vgl. zur Wirksamkeit einer Verweisung bei einer Abweichung von einer “ganz überwiegenden” oder “fast einhelligen” Rechtsauffassung BGH, NJW-RR 2002, 1498).
4. Allerdings hat die Rechtsprechung § 73 Abs. 2 Satz 2 FGG a. F. dahingehend verstanden, dass eine bindende Abgabeverfügung nur dann in Betracht kommt, wenn die Voraussetzungen für eine örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Schöneberg gemäß § 73 Abs. 2 Satz 1 FGG a. F. festgestellt sind (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 25.02.2008 – 2 Wx 48/07 -, Rn. 17, zitiert nach Juris; BayObLG a. a. O.; Jansen, a. a. O., § 73 FGG Rn. 6). Ob diese Voraussetzung auch für eine bindende Abgabe gemäß § 343 Abs. 3 Satz 1 FamFG gilt, kann dahinstehen. Denn im Beschluss vom 26.10.2018 hat das Amtsgericht Schöneberg die Voraussetzungen gemäß § 343 Abs. 3 Satz 1 FamFG zutreffend festgestellt.

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

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Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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