OLG Frankfurt am Main, 23.08.2013 – 20 W 210/11

April 19, 2019

OLG Frankfurt am Main, 23.08.2013 – 20 W 210/11
Leitsatz:

Zur Frage der Anfechtung der Erbausschlagung bei dem der Ausschlagende ausweislich des Protokolls des Nachlassgerichts zum einen lediglich angegeben hat, dass er die Erbschaft “aus allen Berufungsgründen” ausschlage und zum anderen unter dem im Protokoll vorgegebenen Unterpunkt “Bezüglich des Nachlasses ist mir folgendes bekannt:” geantwortet hat: “nichts, die Wohnung ist polizeilich versiegelt”
Tenor:

Der Beschluss des Nachlassgerichts vom 30.12.2010 wird aufgehoben.

Das Nachlassgericht wird angewiesen – vorbehaltlich der Vorlegung von Personenstandsurkunden, aus denen sich ergibt, dass der Beschwerdeführer der Bruder des Erblassers ist – den von dem Beschwerdeführer am 01.06.2010 beantragten Erbschein, der ihn als Alleinerben des Erblassers ausweisen soll, zu erteilen.
Gründe

I.

Der Erblasser war ledig und kinderlos; seine Eltern sind vorverstorben.

Bei dem Beschwerdeführer soll es sich um den Bruder des Erblassers handeln; weitere Geschwister hatte der Erblasser nicht.

Am 02.07.2004 hat der Beschwerdeführer zu Protokoll des Nachlassgerichts die Ausschlagung der Erbschaft nach dem Erblasser aus allen Berufungsgründen erklärt, zugleich auch als Mitsorgerechtsinhaber einer damals minderjährigen Tochter (auf das Protokoll, Bl. 2 der Akte, wird Bezug genommen).

Nachfolgend haben die weiteren Abkömmlinge des Beschwerdeführers die Erbschaft ebenfalls ausgeschlagen.

Nachdem mit Schreiben der A Versicherung vom 11.09.2009 an das Nachlassgericht bekannt geworden war, dass Versicherungsleistungen in Höhe von insgesamt Euro 18.963,45 in den Nachlass fallen (Bl. 32 f. der Akte), hat das Nachlassgericht mit Beschluss vom 26.11.2009 einen Nachlasspfleger bestellt (Blatt 35 der Akte).

Dieser hat in seinem Bericht an das Nachlassgericht vom 23.02.2010 (Bl. 39 f. der Akte) mitgeteilt, dass nach seinen bisherigen Recherchen das Vermögen, das aus der vorgenannten Versicherung bestehe, die Verbindlichkeiten decke. Wahrscheinlich könne der Bruder des Erblassers die Anfechtung seiner Erbausschlagung erklären.

Mit Schreiben vom 05.03.2010 an das Nachlassgericht (Bl. 41 f. der Akte) hat der Verfahrensbevollmächtigte des Beschwerdeführers dargelegt, der Nachlasspfleger habe dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 23.02.2010 mitgeteilt, er sei mit der Erstellung eines Vermögensverzeichnisses über den Nachlass befasst; diesem Schreiben sei eine Mitteilung der A Lebensversicherung beigefügt gewesen, aus dem sich ein in den Nachlass fallendes Lebensversicherungskapital in Höhe von Euro 18.963,45 ergebe. Auf eine telefonische Nachfrage habe der Nachlasspfleger mitgeteilt, es seien Nachlassverbindlichkeiten von schätzungsweise Euro 3.100,00 zu erwarten. Es sei derzeit davon auszugehen, dass der Nachlass des Erblassers nicht überschuldet gewesen sei, was der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Erbausschlagung angenommen habe. Dieser hätte seinerzeit keine Möglichkeit gehabt, sich über den genauen Nachlassbestand zu informieren, da die Wohnung des Erblassers polizeilich versiegelt gewesen sei. Da er von finanziellen Schwierigkeiten des Erblassers zu dessen Lebzeiten gewusst habe, sei er der Annahme gewesen, dass dieser nur Schulden hinterlassen würde.

Am 19.03.2010 hat der Beschwerdeführer zu Protokoll des Nachlassgerichts erklärt, er habe am 23.02.2010 durch den Nachlasspfleger erfahren, dass der Nachlass nicht, wie von ihm angenommen, überschuldet sei. Insoweit nehme er auf den (vorgenannten) Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten Bezug, dessen Inhalt er zum Bestandteil seiner Erklärung mache. Hiermit fechte er die Ausschlagungserklärung an und nehme das Erbe an. (Bl. 46 der Akte).

Mit Schreiben vom 30.03.2010 (Bl. 47 ff. der Akte) hat der Nachlasspfleger den Nachlass zum Todestag mit Euro 16.345,45 mitgeteilt (Lebensversicherung Euro 18.963,45 abzüglich Bestattungskosten, die von dem Beschwerdeführer getragen worden seien, in Höhe von Euro 2.618,00). Die Hauptgläubigerin, die B GmbH, habe mitgeteilt, dass die Forderung ausgebucht worden sei.

Am 01.06.2010 hat der Beschwerdeführer sodann zu Protokoll des Nachlassgerichts einen Erbschein beantragt, der ihn als alleinigen Erben des Erblassers ausweisen soll (Bl. 58 ff. der Akte).

Mit Schriftsatz vom 10.06.2010 (auf Bl. 60 f. der Akte wird im einzelnen Bezug genommen) hat der Verfahrensbevollmächtigte des Beschwerdeführers u.a. dargelegt, der Beschwerdeführer hätte seinerzeit angegeben, dass er davon ausgehe, dass der Nachlass des Erblassers verschuldet sei, über die Höhe der Schulden sei ihm nichts genaues bekannt, und er habe wegen der polizeilichen Versiegelung der Wohnung auch nicht die Möglichkeit, Unterlagen des Nachlasses zu sichten, bzw. eine genaue Prüfung vorzunehmen. Es liege auf der Hand, dass der Beschwerdeführer niemals die Erbschaft ausgeschlagen hätte, wenn er der Auffassung gewesen wäre, der Erblasser hätte Aktivvermögen hinterlassen. Der Beschwerdeführer habe mit der Erbausschlagung auch keine anderen gesetzlichen Erben begünstigen wollen. All das mache nur Sinn, weil der Beschwerdeführer im Juli 2004 persönlich der Überzeugung gewesen sei, dass der Erblasser nur Schulden hinterlassen habe, über deren genaue Höhe er im Zeitpunkt der Ausschlagung “nichts” habe sagen können und zur Begründung habe er darauf verwiesen, dass die Wohnung versiegelt worden sei.

Mit Beschluss vom 30.12.2010 hat das Nachlassgericht den Erbscheinsantrag des Beschwerdeführers zurückgewiesen (auf Bl. 82 f. der Akte wird Bezug genommen). Die form- und fristgerechte Anfechtungserklärung greife nicht durch, weil kein Irrtum zu erkennen sei. Zwar hätten die Ermittlungen ergeben, dass schon zum Todeszeitpunkt des Erblassers keine Überschuldung des Nachlasses vorgelegen habe, doch aus der Ausschlagungserklärung sei nicht ersichtlich, dass der Beschwerdeführer die Ausschlagung wegen Überschuldung des Nachlasses erklärt habe. Da es sich bei der Erbausschlagung um eine amtsempfangsbedürftige Willenserklärung handele, für deren Auslegung es auf den für die Nachlassbeteiligten erkennbaren Sinn der Erklärung ankomme, könnten Umstände, die nicht aus der Urkunde ersichtlich und nicht allgemein bekannt seien, zur Auslegung nicht herangezogen werden (BayObLG, FamRz 2003, 121). Aus der Erklärung ergebe sich, dass der Beschwerdeführer vorsorglich ausgeschlagen habe, ohne vorher zu prüfen, woraus der Nachlass bestehe. Folgerichtig habe er die Frage nach seiner Kenntnis über den Bestand des Nachlasses mit “nichts” beantwortet. Sein jetziger Vortrag, er habe seinerzeit angegeben, dass er von einer Überschuldung des Nachlasses ausgehe, könne der Urkunde nicht entnommen werden und passe auch nicht zum Gesamtbild des protokollierten Inhalts. Aus dem Inhalt der Erklärung ergebe sich vielmehr, dass der Beschwerdeführer in bewusster Unkenntnis des Nachlasswertes ausgeschlagen habe; eine bewusste Unkenntnis schließe aber einen Irrtum aus (RGZ 62, 201- 205). Der Beschwerdeführer hätte als potentieller gesetzlicher Erbe alle ihm zustehenden Rechte zur Ermittlung des Nachlasswertes wahrnehmen können.

Gegen diesen am 20.01.2011 zugestellten Beschluss hat der Verfahrensbevollmächtigte des Beschwerdeführers mit Schriftsatz an das Nachlassgericht vom 21.02.2011 – dort eingegangen am selben Tag – Beschwerde eingelegt (Bl. 87 der Akte) und diese mit weiterem Schriftsatz vom 07.03.2011 begründet (auf Bl. 88 ff. der Akte wird Bezug genommen). Es liege kein Fall der “bewussten Unkenntnis” vor, sondern ein beachtlicher Irrtum hinsichtlich des Nachlasswertes. Der Beschwerdeführer sei bei seiner Erbausschlagung davon ausgegangen, dass der Nachlass überschuldet ist. Über die exakte Höhe dieser Schulden habe er am Tag der Erbausschlagung “nichts” genaues sagen können, da die Wohnung noch versiegelt gewesen sei. Bei den Gesprächen mit verschiedenen benannten Personen seien alle Beteiligten davon ausgegangen, dass der Erblasser nur Schulden hinterlassen würde, so dass man übereingekommen sei, dass es für den Beschwerdeführer das Beste sei, die Erbschaft auszuschlagen. Dem Beschwerdeführer und diesen Personen sei bekannt gewesen, dass der Erblasser vor seinem Tod keine regelmäßigen Arbeitseinkünfte gehabt habe und er in ärmlichen Verhältnissen in einer entsprechenden Wohngegend gelebt habe. Der Erblasser hätte in den drei Jahren vor seinem Ableben den Beschwerdeführer mehrfach um finanzielle Unterstützung gebeten, mit dem Hinweis darauf, dass er Schulden habe und über keine ausreichenden Einkünfte verfüge, um diese Schulden abzutragen. Um welche Schulden es sich hierbei genau gehandelt habe, habe der Erblasser nicht erwähnt. Da er von seinem Bruder “angepumpt” worden sei, sei der Beschwerdeführer davon ausgegangen, dass der Nachlass des Erblassers verschuldet sei. Der Beschwerdeführer sei davon ausgegangen, mit der gewählten Formulierung genau zum Ausdruck gebracht zu haben, dass sein Bruder nur Schulden hinterlassen würde, die er und seine Kinder nicht erben sollten und wollten, und dass eine weitergehende Begründung, warum und weshalb er die Erbschaft für sich und seine damals minderjährigen Kinder ausschlage, nicht erforderlich sei. Er sei bei der Beurkundung hierauf auch nicht hingewiesen oder angesprochen worden.

Mit Beschluss vom 19.04.2011 hat das Nachlassgericht der Beschwerde nicht abgeholfen und diese dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main zur Entscheidung vorgelegt (Bl. 106 der Akte). Auch in der Beschwerdeschrift würden nur Tatsachen vorgetragen, die der Ausschlagungserklärung selbst nicht entnommen werden könnten. Die Frage nach dem Nachlass diene nicht dazu, die Motive des Ausschlagenden zu erfragen. Vielmehr habe das Nachlassgericht nach Eingang einer Ausschlagungserklärung zu prüfen, ob Sicherungsmaßnahmen erforderlich seien. In der Regel werde diese Frage wie folgt beantwortet: Der Nachlass ist überschuldet oder dürfte überschuldet sein. Dies sei der vorliegenden Erklärung nicht zu entnehmen.

Mit Schriftsatz vom 02.05.2011 (auf Bl. 112 f. der Akte wird im einzelnen Bezug genommen) hat der Verfahrensbevollmächtigte des Beschwerdeführers u.a. darauf hingewiesen, aufgrund des Nichtabhilfebeschlusses sei dokumentiert, dass der Beschwerdeführer bei seiner Ausschlagungserklärung überhaupt nicht nach dem “Warum” befragt worden sei. Für das Nachlassgericht sei danach einzig und allein von Bedeutung gewesen, ob aufgrund der Ausschlagungserklärung irgendwelche Sicherungsmaßnahmen erforderlich würden. Der Beschwerdeführer sei bei der Protokollierung der Erbausschlagung in keinster Weise aufgeklärt oder darauf hingewiesen worden, dass es von rechtlicher Relevanz sein könne, den Grund für die Erbausschlagung anzugeben bzw. zu Protokoll zu erklären.

II.

Die Beschwerde ist gemäß § 58 FamFG statthaft. Der Beschwerdeführer ist nach § 59 Abs. 1 FamFG beschwerdeberechtigt, da er durch den Beschluss des Nachlassgerichts in seinem möglichen gesetzlichen Erbrecht nach dem Erblasser beeinträchtigt wird. Die Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig, da sie insbesondere form- und fristgerecht eingelegt wurde (§§ 63, 64 FamFG).

Die Beschwerde ist auch begründet.

Der Beschwerdeführer hat – vorbehaltlich weiterer Urkundenvorlage (wird ausgeführt) – einen Anspruch auf Erteilung des von ihm beantragten Alleinerbscheins als gesetzlicher Erbe des Erblassers (§ 1925 Absatz 1, 2. Alternative BGB).

Diese Erbenstellung hat er auch nicht durch seine Erbausschlagungserklärung vom 02.07.2004 verloren, da er diese Erklärung durch seine Ausschlagungserklärung vom 19.03.2010 wirksam angefochten hat (§ 1957 Absatz 1 BGB).

Die Ausschlagung einer Erbschaft kann, ebenso wie deren Annahme, nur nach den allgemeinen Vorschriften über die Willenserklärung unter Lebenden angefochten werden (§§ 119, 123 BGB), da die §§ 1954 bis 1957 BGB zwar davon ausgehen, dass eine Anfechtung der grundsätzlich unwiderruflichen Willenserklärungen der Erben über Annahme und Ausschlagung der Erbschaft möglich ist, insoweit aber keine besonderen Bestimmungen für die Anfechtungsgründe vorsehen. Die erweiterten Anfechtungsmöglichkeiten für letztwillige Verfügungen (§§ 2078 ff BGB) gelten nicht (Weidlich, in Palandt, BGB, 72. Aufl. 2013, § 1954 BGB, Rn. 1).

Vorliegend kommt nur eine Irrtumsanfechtung wegen Eigenschaftsirrtums nach § 119 Abs. 2 BGB in Betracht. Sie setzt voraus, dass derjenige, der seine Erklärung anficht, sich über Eigenschaften der Person oder der Sache im Irrtum befunden hat, die im Verkehr als wesentlich angesehen werden. Der Nachlass wird als “Sache” i.S.v. § 119 Abs. 2 BGB angesehen (Weidlich, in Palandt, a.a.O., § 1954, Rn. 6), der bloße Wert einer Sache ist aber keine Eigenschaft i. S. v. § 119 Abs. 2 BGB (Ellenberger, in Palandt, a.a.O., § 119, Rn. 27). Allerdings kann eine verkehrswesentliche Eigenschaft dann vorliegen, wenn sich der Nachlass entgegen den Erwartungen des Erben als überschuldet darstellt, wobei der Irrtum bezüglich der Überschuldung nur dann einen Anfechtungsgrund darstellt, wenn der Irrtum auf unrichtigen Vorstellungen über die Zusammensetzung des Nachlasses hinsichtlich des Bestandes an Aktiva und Passiva beruht (Weidlich, in Palandt, a.a.O., § 1954, Rn. 6 m. w. N. z. Rspr.). Hält in einem solchen Falle der Ausschlagende die nicht überschuldete Erbschaft für überschuldet, dann besteht für ihn, sofern der Irrtum kausal war, ein Anfechtungsgrund. Dagegen berechtigt ein bloßer Irrtum über die Größe des Nachlasses nicht zur Anfechtung. Wer eine Erbschaft für finanziell uninteressant gehalten und daher ausgeschlagen hat, kann die Ausschlagung nicht anfechten, wenn sich später ein Nachlassgegenstand als wertvoller erweist, als bei der Ausschlagung angenommen wurde (OLG Düsseldorf, NJW-RR 2009, 12 ff. [OLG Düsseldorf 05.09.2008 – I-3 Wx 123/08] m.w.N.).

Vorliegend bestand nach den Darlegungen des Beschwerdeführers bei diesem schon deswegen ein maßgeblicher Eigenschaftsirrtum, weil er die Zugehörigkeit des Anspruchs gegen die A Lebensversicherung in Höhe von Euro 18.963,45 nicht kannte, aufgrund dessen Existenz der Nachlass schon zum Zeitpunkt der Ausschlagungserklärung nicht überschuldet war.

Soweit das Nachlassgericht hingegen auf den Inhalt der Ausschlagungserklärung des Beschwerdeführers vom 02.07.2004 abgestellt und darauf hingewiesen hat, dass Umstände, die aus der Urkunde nicht ersichtlich und allgemein bekannt seien, zur Auslegung der Ausschlagungserklärung nicht herangezogen werden könnten, sich aus dem Inhalt der Urkunde vielmehr ergebe, dass der Beschwerdeführer in bewusster Unkenntnis des Nachlasswertes ausgeschlagen habe, was wiederum einen Irrtum ausschließe, teilt der Senat diese Ansicht aus folgenden Gründen nicht:

Aus der protokollierten Ausschlagungserklärung des Beschwerdeführers ist schon nicht ersichtlich ist, dass dieser überhaupt eine Angabe gemacht hat, wieso er die Erbschaft ausgeschlagen hat und weiterhin ist aus dem Protokoll auch nicht ersichtlich, dass er hierzu überhaupt befragt wurde.

Er hat ausweislich des Protokolls vielmehr zum einen lediglich angegeben, dass er die Erbschaft “aus allen Berufungsgründen” ausschlägt, was nichts über den Grund der Ausschlagung aussagt. Zum anderen hat er unter dem im Protokoll vorgegebenen Unterpunkt “Bezüglich des Nachlasses ist mir folgendes bekannt:” – der nach Mitteilung der Rechtspflegerin nicht dazu dient, die Motive des Ausschlagenden zu erfragen, sondern lediglich auf die Prüfung des Nachlassgerichts in Folge einer Ausschlagungserklärung abzielt, zu ermitteln, ob Sicherungsmaßnahmen hinsichtlich des Nachlasses erforderlich sind – geantwortet: “nichts, die Wohnung ist polizeilich versiegelt”. Auch daraus ergibt sich jedoch nicht, dass der Beschwerdeführer im Protokoll erklärt hat, aus welchen Gründen er die Erbschaft ausgeschlagen hat, da er hierzu ausweislich des Protokolls gar nicht befragt worden ist. Dass – wie die Rechtspflegerin in ihrer Nichtabhilfeentscheidung mitgeteilt hat – diese Frage in der Regel dahingehend beantwortet wird, der Nachlass sei überschuldet oder dürfte überschuldet sein, ändert nichts daran, dass der Beschwerdeführer zum Grund der Ausschlagung ausweislich des Protokolls nicht befragt worden ist.

Wenn aber somit die vorliegende Protokollierung die Frage des Motivs der Ausschlagung des Beschwerdeführers schon gar nicht erfasst, kann nicht – mit dem Argument, dass im Hinblick darauf, dass es sich bei der Erbausschlagung um eine amtsempfangsbedürftige Willenserklärung handele, für deren Auslegung es auf den, den Nachlassbeteiligten erkennbaren Sinn der Erklärung ankomme und dabei, weil den Nachlassbeteiligten in der Regel nur der Inhalt der Ausschlagungserklärung als solcher zugänglich sei, solche Umstände, die nicht aus der Urkunde ersichtlich und nicht allgemein bekannt seien, bei der Auslegung nicht herangezogen werden dürften (vgl. hierzu u.a. BayObLG, Beschluss vom 05.07.2002, Az. 1Z BR 45/01, und Beschluss vom 19.03.1992, Az. BReg 1 Z 56/91, jeweils zitiert nach juris) – aus dem Schweigen der Urkunde zu dieser Frage im Umkehrschluss geschlossen werden, dass dem Beschwerdeführer die Überschuldung des Nachlasses egal gewesen wäre, er die Ausschlagung mithin unabhängig von einer vorgestellten Nachlassüberschuldung vorgenommen hätte.

Dies würde im Ergebnis bedeuten, dass ein Erbprätendent den Inhalt seiner Ausschlagungserklärung und den dann Eingang in das Ausschlagungsprotokoll gefundenen Inhalt seiner Erklärung von sich aus unter allen rechtlich relevanten Gesichtspunkten überwachen müsste, also insbesondere – wie vorliegend -, dass er von sich aus an die Erklärung des Grundes für seine Ausschlagungserklärung hätte denken müssen und weiterhin, dass er hätte prüfen müssen, ob dieser Grund auch Eingang in das Protokoll über seine Ausschlagungserklärung gefunden hat, da andernfalls von vorneherein jegliche Anfechtung der Ausschlagungserklärung aufgrund eines Irrtums im Bereich dieses Ausschlagungsgrundes faktisch ausgeschlossen wäre. Dies kann allerdings von einem Erbprätendenten nicht verlangt werden, da das Gesetz bei der Ausschlagungserklärung die Angabe von Gründen nicht vorsieht.

Im Übrigen können auch die Nachlassbeteiligten – also alle Personen, die von der Ausschlagung rechtlich betroffen werden, insbesondere Miterben, Nächstberufene und Nachlassgläubiger -, auf deren Verständnis für die Auslegung der Ausschlagungserklärung abzustellen ist (vgl. BayObLG, Beschluss vom 19.03.1992, a.a.O.), bei vorliegendem Inhalt der Ausschlagungserklärung mangels enthaltener Aussagen zum Motiv der Ausschlagung schon weder zu dem Verständnis kommen, dass hier eine Ausschlagung unabhängig von einer möglichen Überschuldung des Nachlasses erfolgt ist oder aber eine solche wegen Überschuldung. Damit ist aber auch die Sicherheit des Rechtsverkehrs, der die Ausschlagungserklärung gegenüber dem Nachlassgericht dient, nicht betroffen, da sich die Nachlassbeteiligten bei vorliegendem Protokollinhalt, mangels Angaben zum Ausschlagungsgrund, gerade noch keine Gewissheit über die wesentlichen Rechtsverhältnisse bilden konnten, vielmehr auch noch mit einer Anfechtung aufgrund eines Irrtums im Bereich des Ausschlagungsgrundes rechnen mussten.

Weiterhin kann vorliegend auch nicht davon ausgegangen werden, dass dem Beschwerdeführer bei der Erbausschlagung die Höhe eines möglichen erbrechtlichen Erwerbs gleichgültig gewesen sei, oder er diese Erbausschlagungserklärung in bewusster Unkenntnis des Nachlasswertes abgegeben hat, was einer Irrtumsanfechtung entgegengestanden hätte (vgl. insoweit OLG Düsseldorf, Beschluss vom 05.09.2008, Az. 3 Wx 123/08, zitiert nach juris bzw. RGZ 62, 201 ff., 205). Da die Frage, was ihm bezüglich des Nachlasses bekannt sei, gerade nicht dazu diente, seine Motive für die Ausschlagung zu erfragen, sondern zur Prüfung durch das Nachlassgericht, ob Sicherungsmaßnahmen hinsichtlich des Nachlasses erforderlich sind, kann die darauf erfolgende Antwort, hinsichtlich des Nachlasses sei ihm nichts bekannt, die Wohnung sei polizeilich versiegelt, auch nicht dahingehend ausgelegt werden, dass der Beschwerdeführer mit dieser Antwort zum Ausdruck geben wollte, dass ihm die Höhe des erbrechtlichen Erwerbs gleichgültig ist. Sie kann vielmehr nur dahingehend ausgelegt werden, dass er zum Zustand des Nachlasses im Hinblick auf die Frage, ob bezüglich diesem etwas zu veranlassen ist, keine Auskünfte geben kann, da die Wohnung versiegelt ist. Auch kann nicht von einer bewussten Unkenntnis im Sinne der zitierten Entscheidung des Reichsgerichts ausgegangen werden. Dies würde voraussetzen, dass der Beschwerdeführer sich klar über seine Unkenntnis gewesen wäre und die Ausschlagungserklärung trotzdem gewollt hätte, möge eine Überschuldung vorliegen oder nicht. Der Beschwerdeführer hat die Erbausschlagungserklärung jedoch vielmehr aufgrund der ihm vorher bekannten Umstände abgegeben (keine regelmäßigen Einkünfte des Erblassers vor seinem Tod; Erblasser lebte in ärmlichsten Verhältnissen in einer entsprechenden Wohngegend; Erblasser bat den Beschwerdeführer in den drei Jahren vor seinem Tod mehrfach um finanzielle Unterstützung, mit dem Hinweis, dass er Schulden habe und über keine ausreichenden Einkünfte verfüge, um diese Schulden abzutragen). Er hat die Erbausschlagungserklärung somit gerade nicht in bewusster Unkenntnis sondern in einer festen Vorstellung von der Zusammensetzung des Nachlasses, eben nur aus Forderungen gegen diesen bestehend, abgegeben. Dies ist somit eine andere Ausgangslage, als diejenige, die der Reichsgerichtsentscheidung zugrunde lag, und steht einer Anfechtung nicht entgegen (zu einer der vorliegenden vergleichbaren Fallgestaltung vgl. Beschluss des erkennenden Senats vom 19.10.1998, Az. 20 W 541/95, zitiert nach juris: Ausschlagungserklärung wegen Irrtums über die Zusammensetzung des Nachlasses, alleine, weil das Sozialamt an einen Vater wegen der Prüfung seiner Einstandspflicht für Zahlungen an den Erblasser herangetreten war).

Letztlich kann auch von der erforderlichen Kausalität des Irrtums des Beschwerdeführers für die Abgabe seiner Erbausschlagungserklärung ausgegangen werden, die dann gegeben ist, wenn er die Ausschlagungserklärung bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben hätte (§ 119 Absatz 2 i.V.m. § 119 Absatz 1 BGB); vom Gesetz wird somit neben dem subjektiven ein objektiv normativer Maßstab als Beurteilungskriterium vorgegeben (vgl. Beschluss des erkennenden Senats vom 19.10.1998, a.a.O.).

Geht man davon aus, dass der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt seiner Ausschlagungserklärung bereits gewusst hätte, dass zum Nachlass eine Aktivforderung in Höhe von Euro 18.963,45 gehört, so spricht bereits mehr dafür, dass er in diesem Fall die angefochtene Ausschlagungserklärung zumindest zunächst nicht vorgenommen hätte, sondern er vielmehr erst dann, wenn sich bei weiterer Untersuchung der Höhe der Forderungen gegen den Nachlass ergeben hätte, dass diese die Aktivforderung übersteigen würden, die Annahme der Erbschaft angefochten hätte. Hinzu kommt, dass vorliegend im Übrigen von einem doppelten Irrtum auf Aktiv- und Passivseite des Nachlasses ausgegangen werden muss, da – wie sich aus dem Bericht des Nachlasspflegers vom 30.03.2010, Bl. 47 ff. der Akte, ergibt – der Erblasser – im Gegensatz zur Vorstellung des Beschwerdeführers – tatsächlich im Wesentlichen keine lebzeitigen Schulden hatte, die Schulden tatsächlich wohl erst im Zusammenhang mit seinem Versterben entstanden sind (Bestattung, Abwicklung Mietwohnung, notärztliche Versorgung), so dass bei verständiger Würdigung auch nicht davon ausgegangen werden musste, dass diese Schulden die Aktiva übersteigen würden. Für die Kausalität spricht letztlich dann noch die Vermutung, dass auch geringe Nachlässe in der Regel angenommen werden.

Letztlich hat der Beschwerdeführer die Anfechtung auch innerhalb der in § 1954 Absatz 1 BGB normierten Frist von sechs Wochen erklärt, die gemäß § 1954 Absatz 2 BGB ab Kenntnis von dem Anfechtungsgrund zu laufen begann, vorliegend also ab der Mitteilung des Nachlasspflegers an den Beschwerdeführer vom 23.02.2010. Auch die Form der Anfechtung durch Erklärung gegenüber dem Nachlassgericht ist eingehalten worden (§ 1955 BGB).

Die Erteilung des Erbscheins hat das Nachlassgericht vorzunehmen (§ 2361 Absatz 1 BGB).

Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass derzeit – soweit ersichtlich – lediglich eine Sterbeurkunde des Erblassers, die Sterbeurkunden der Eltern des Beschwerdeführers und die Geburtsurkunde des Beschwerdeführers vorliegen (Bl. 54 der Akte). Aus diesen Urkunden ergibt sich allerdings nicht, dass es sich bei dem Beschwerdeführer um den Bruder des Erblassers handelt. Ein entsprechender urkundlicher Nachweis wird somit vor Erteilung des Erbscheins noch zu erfolgen haben.

Im Hinblick auf den Erfolg der Beschwerde ergeht die Entscheidung kostenfrei (§ 131 Absatz 1 und 3 KostO i.V.m. § 136 Absatz 1 Nr. 2 GNotKG).

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