OLG Hamburg, Beschluss vom 16.11.2016 – 2 W 85/16

Oktober 20, 2020

OLG Hamburg, Beschluss vom 16.11.2016 – 2 W 85/16
Tenor

Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1. wird der Beschluss des Amtsgerichts Hamburg-Harburg vom 5.9.2016 dahingehend abgeändert, dass das Amtsgericht Hamburg-Harburg für die Erteilung des von der Beteiligten zu 1. mit Urkunde des Notars Dr. … vom 2.5.2016 beantragten Erbscheins nicht zuständig ist.

Die Beteiligte zu 1. hat die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Geschäftswert für die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens wird auf € 100.000,– festgesetzt.
Gründe

I.

Der Erblasser, Herr … ist zwischen dem 20. und 22.9.2015 in Torrevieja, Alicante in Spanien verstorben.

Die Beteiligte zu 1. ist seine Ehefrau, die Beteiligten zu 2. und 3. sind seine aus einer früheren Ehe hervorgegangenen Kinder.

Der Erblasser hat am 13.5.2077 ein privatschriftliches Testament errichtet. Mit weiterem privatschriftlichen Testament vom 16.12.2010 hat er sein früheres Testament widerrufen und unter anderem die Beteiligte zu 1. als alleinige Erbin eingesetzt.

Die Beteiligte zu 1. hat am 19.3.2015 beim Amtsgericht Hamburg-Harburg, Familiengericht einen Scheidungsantrag gestellt, in dem sie als Adresse des Erblassers G… U… L…, Fase 1. – B5 – 1 – D, Torrevieja, Spanien angegeben hat. Weiterhin hat sie vorgetragen, die Ehegatten lebten seit zwei Jahren getrennt; die Trennung sei erfolgt durch Auszug des Erblassers, seitdem wohne der Erblasser in Spanien.

Der Erblasser hat sich mit Schreiben vom 11.4. und 15.8.2015 an das Familiengericht gewandt sowie im Rahmen der von ihm beantragten Verfahrenskostenhilfe eine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eingereicht jeweils mit seiner Anschrift C… G…, Urb. L… L… Fase 1 Bl. 5/1d … Torrevieja in Spanien.

Die Beteiligte zu 1. hat mit Urkunde des Notars Dr. … vom 2.5.2016 einen Erbscheinsantrag gestellt, der sie als Alleinerbin nach dem Erblasser ausweist.

Die Beteiligten zu 2. und 3. sind dem entgegengetreten mit der Begründung, der letzte Wohnsitz ihres Vaters sei in Spanien gewesen, so dass nach der EuErbVO ausschließlich spanisches Recht zur Anwendung komme.

Das Amtsgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss vom 5.9.2016 durch die Rechtspflegerin den Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 1. zurückgewiesen, da es örtlich nicht zuständig sei; der Erblasser habe zum Zeitpunkt seines Todes schon mindestens zwei Jahre seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Spanien gehabt.

Gegen diesen ihr am 8.9.2016 zugestellten Beschluss wendet sich die Beteiligte zu 1. mit ihrer am Montag, den 10.10.2016 beim Amtsgericht eingegangenen Beschwerde. Der Erblasser habe nicht immer in Spanien gelebt. Er sei von Weihnachten 2013 bis Ende Februar 2014, August bis den Halben Monat September 2014 und im Januar und Februar 2015 in Hamburg gewesen.

Die Rechtspflegerin hat mit Beschluss vom 11.10.2016 der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Der Senat hat die Akte des Amtsgerichts Hamburg-Harburg, Familiengericht zum Aktenzeichen 630 F 84/15 beigezogen.

Zur Ergänzung des Sachverhaltes wird im übrigen auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Die gemäß den §§ 11 Abs. 2 RPflG, 342 Abs. 1 Nr. 6, 58, 59, 61,63, 64 FamFG zulässige Beschwerde der Beteiligten zu 1. hat in der Sache keinen Erfolg, führt aber zu der aus dem Tenor ersichtlichen Feststellung der Unzuständigkeit des Amtsgericht Hamburg-Harburg für die Erteilung des von ihr beantragten Erbscheins.

Nach § 16 Abs. 1 Nr. 6 RPflG bleibt in Nachlasssachen dem Richter u.a. Vorbehalten die Erteilung von Erbscheinen ( § 2353 BGB ), sofern eine Verfügung von Todes wegen vorliegt. Nach § 19 Abs. 1 Nr. 5 RPflG sind die Landesregierungen ermächtigt, durch Rechtsverordnung den für die Geschäfte in § 16 Abs. 1 Nr. 6 RPflG bestimmten Richtervorbehalt ganz oder teilweise aufzuheben. Hamburg hat hiervon mit der Verordnung zur Übertragung richterlicher Aufgaben auf den Rechtspfleger vom 8.11.2011, geändert am 13.11.2015, Gebrauch gemacht.

Da im vorliegenden Fall die Beteiligten zu 2. und 3. gegen den von der Beteiligten zu 1. beantragten Erbschein Einwände erhoben haben, die sich gerade gegen die von dieser behaupteten Zuständigkeit eines deutschen Nachlassgerichts richten, hatte die Rechtspflegerin gemäß § 1 Abs. 2 der Hamburgischen Verordnung zur Übertragung richterlicher Aufgaben auf den Rechtspfleger das Verfahren dem Richter zur weiteren Bearbeitung vorzulegen.

Die Rechtspflegerin war somit zum Erlass des angefochtenen Beschlusses nicht zuständig. Jedoch führt dieser Verstoß der Rechtspflegerin gegen ihre Vorlagepflicht an den Richter nicht zur Unwirksamkeit der erlassenen Entscheidung.

§ 5 Abs. 1 RPflG ordnet ebenfalls eine Vorlagepflicht für den Rechtspfleger für bestimmte Sachverhalte an.

§ 8 Abs. 3 RPflG bestimmt, dass ein Geschäft nicht deswegen unwirksam ist, weil es der Rechtspfleger entgegen § 5 Absatz 1 dem Richter nicht vorgelegt hat.

Entsprechendes muss gelten, wenn der Rechtspfleger entgegen § 1 Abs. 2 der Hamburgischen Verordnung zur Übertragung richterlicher Aufgaben auf den Rechtspfleger die Sache nicht dem Richter vorlegt.

Das Amtsgericht Hamburg-Harburg ist für die Erteilung des von der Beteiligten zu 1. beantragten Erbscheins international nicht zuständig.

Der Erblasser ist im September 2015 verstorben. Damit ist die gemäß seinem Art. 84 am 17.8.2015 in Kraft getretene EUErbVO anzuwenden.

Gemäß Art. 4 EUErbVO sind für Entscheidungen in Erbsachen für den gesamten Nachlass die Gerichte desjenigen Mitgliedstaates zuständig, in dessen Hoheitsgebiet der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt hat.

Entscheidung im Sinne dieser Verordnung ist gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchstabe g jede von einem Gericht eines Mitgliedstaates in einer Erbsache erlassenen Entscheidung ungeachtet ihrer Bezeichnung, somit auch ein Erbschein.

Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthaltes in Art. 4 EUErbVO als einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts, der für die Ermittlung ihres Sinnes und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, muss in der gesamten Europäischen Gemeinschaft eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten ( vgl. EUGH FamRZ 2009, 843 ff 845 ).

Nach Erwägungsgrund Nr. 23 der EUErbVO ist bei der Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts eine Gesamtbeurteilung der Lebensumstände des Erblassers in den Jahren vor seinem Tod und im Zeitpunkt seines Todes vorzunehmen, wobei alle relevanten Tatsachen zu berücksichtigen sind, insbesondere die Dauer und die Regelmäßigkeit des Aufenthalts des Erblassers in dem betreffenden Staat sowie die damit zusammenhängenden Umstände und Gründe. Der so bestimmte gewöhnliche Aufenthalt sollte unter Berücksichtigung der spezifischen Ziele dieser Verordnung eine besonders enge und feste Bindung zu dem betreffenden Staat erkennen lassen.

Die Beteiligte zu 1. hat selber in ihrem Scheidungsantrag vom 19.3.2015 angegeben, der Erblasser wohne bereits seit zwei Jahren in Spanien.

Der Erblasser selber hat sich in diesem familiengerichtlichen Verfahren beim Familiengericht aus Spanien gemeldet und im Rahmen der von ihm beantragten Verfahrenskostenhilfe als Anschrift seine Adresse in Spanien angegeben. Er hat in seinem Schreiben vom 11.4.2015 gebeten, einen Termin zur mündlichen Verhandlung auf Ende Juni 2015 zu legen, da er aus finanziellen Gründen nicht früher nach Hamburg kommen könne. Im Schreiben vom 15.8.2015 hat er mitgeteilt, er plane Anfang September 2015 nach Hamburg zu fliegen. Aus den weiter zur Akte gereichten Unterlagen ergibt sich, dass ihm seine Rente nach Spanien überwiesen wurde und er im Oktober 2014 bei der Deutschen Bank in Spanien einen Kredit über € 4.000,– aufgenommen hat. Nach alledem steht fest, dass der Erblasser bereits lange Zeit vor seinem Tod seinen Daseinsmittelpunkt und damit seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Spanien gehabt hat.

Daran ändert sich auch nichts, wenn der Erblasser tatsächlich zeitweilig wieder in Hamburg gewesen sein sollte. Entgegen den Angaben der Beteiligten zu 1. in ihrem Erbscheinsantrag hatte der Erblasser seinen letzten Wohnsitz nicht in Hamburg sondern in Torrevieja/Spanien.

Selbst wenn man davon ausgehen würde, dass der Erblasser gemäß Art. 22 Abs. 2 EU-ErbRVO konkludent mit den Bestimmungen seines Testamentes eine Rechtswahl hinsichtlich des deutschen Rechts vorgenommen hat, würde ein deutsches Nachlassgericht nur unter den Voraussetzungen des Art. 7 EUErbVO zuständig, die vorliegend nicht erfüllt sind, da die beiden Kinder des Erblassers die Unzuständigkeit des deutschen Nachlassgerichts eingewandt haben.

Der Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 1. ist jedoch nicht zurückzuweisen. Vielmehr hat sich gemäß Art. 15 EUErbVO das Gericht eines Mitgliedstaates, das in einer Erbschaftssache angerufen wird, für die es nicht zuständig ist, von Amts wegen für unzuständig zu erklären. Dieses hat der Senat, der im Beschwerdeverfahren an die Stelle des Amtsgerichts getreten ist, auszusprechen.

Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 84 FamFG. Über außergerichtliche Kosten der Beteiligten braucht nicht entschieden werden, da diese nicht angefallen sind.

Die Verpflichtung der Beteiligten zu 1. zur Tragung der erstinstanzlichen Gerichtskosten ergibt sich bereits aus § 22 Abs. 1 GNotKG.

Die Festsetzung des Verfahrenswertes folgt aus den §§ 61 Abs. 1, 40 Abs. 1 Nr. 2 GNotKG. Maßgeblich ist der Wert des Nachlasses, den die Beteiligte zu 1. im Erbscheinsantrag mit € 100.000,– angegeben hat.

Die Rechtsbeschwerde ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 70 Abs. 2 FamFG nicht vorliegen.

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

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Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

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Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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