OLG Köln, Beschluss vom 24. Februar 1992 – 2 Wx 41/91 Erbscheinserteilung für Erben eines belgischen Erblassers: Anwendbares Erbstatut; Anforderungen an den Beweis des Überlebens eines Ehegatten bei Versterben aufgrund gemeinsamer Ursache

April 21, 2019

OLG Köln, Beschluss vom 24. Februar 1992 – 2 Wx 41/91
Erbscheinserteilung für Erben eines belgischen Erblassers: Anwendbares Erbstatut; Anforderungen an den Beweis des Überlebens eines Ehegatten bei Versterben aufgrund gemeinsamer Ursache
1. Bei einem Erblasser mit belgischer Staatsangehörigkeit und ständigem Aufenthalt in Deutschland verweist das belgische Recht für Mobilien auf das deutsche Recht zurück, für Immobilien auf das Recht des Belegenheitsstaates. Für Grundstücke in Frankreich ist danach französisches Recht Erbstatut. Die deutschen Nachlaßgerichte sind in bezug auf die in Frankreich belegenen Immobilien nicht zur Erbscheinserteilung zuständig. Die Geltungsbeschränkung muß aus dem Erbschein hervorgehen.
2. Todeszeitpunkt iSd BGB §§ 1922, 1923 ist der Eintritt des Hirntodes im Sinne eines irreversiblen Funktionsverlustes des Gehirns, so daß dauerhaft keine Gehirnkurven mehr mitgeschrieben werden können und eine Reanimation ausgeschlossen ist. Bei Versterben aufgrund gemeinsamer Ursache sind strenge Anforderungen an den Beweis des Überlebens zu stellen. Von gleichzeitigem Tod ist auszugehen, wenn die genauen Todeszeitpunkte nicht feststellbar sind, sondern nur Zeiträume festgestellt werden können, innerhalb derer der Tod eingetreten sein muß und sich diese Zeiträume überlappen.
Tenor
Auf die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1) wird der Beschluß der 11. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 17.6.1991 (11 T 272/90) aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Landgericht, dem auch die Entscheidung über die Kosten der weiteren Beschwerde vorbehalten bleibt, zurückverwiesen.
Gründe
I. Der Erblasser war belgischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt in …, von wo aus er Juweliergeschäfte führte. Seine Ehefrau war deutsche Staatsangehörige.
Die Eheleute haben am 24.11.1976 je ein notarielles Testament errichtet. Der Erblasser hat seine Ehefrau zur Alleinerbin eingesetzt und unter Nr.2 bestimmt:
“Sollte für den Fall, daß ich meine Ehefrau überlebe, zu meinem Nachlaß das Hausgrundstück …, … gehören, vermache ich dieses Hausgrundstück meiner Schwiegermutter Frau Witwe … geborene …, wohnhaft Köln-Dünnwald, Berliner Str. 956 und, falls meine Schwiegermutter vor mir sterben sollte, ersatzweise den Verwandten meiner Ehefrau, welche zur Zeit des Erbfalls ihre gesetzlichen Erben sein würden im Verhältnis ihrer gesetzlichen Erbteile”.
Die Ehefrau hat in ihrem Testament den Erblasser zum Alleinerben eingesetzt und weiter verfügt:
“Sollte mein Ehemann Herr … vor mir oder gleichzeitig mit mir versterben, setze ich zur Ersatzerbin ein meine Mutter Frau Witwe …, wohnhaft in …, ….
Falls mein Ehemann … mich überlebt, vermache ich meiner Mutter Frau Witwe … geborene … den lebenslänglichen unentgeltlichen Nießbrauch an dem Hausgrundstück in …, ….”
Beide Eheleute sind in der Nacht vom 28. zum 29.6.1989 ermordet worden. Zum umfangreichen Nachlaß des verstorbenen Ehemanns gehörte auch ein Zweifamilienhaus in ….
Der gerichtsmedizinische Sachverständige … ist in seinem Gutachten nach Leichenfundortbesichtigung am 29.6.1989 (gegen 11.30 Uhr) aufgrund der gemessenen Temperaturen der Toten zum Ergebnis gekommen, daß beim Ehemann der Tod mit 95 % Wahrscheinlichkeit zwischen 21.00 und 2.30 Uhr bei einem Mittelwert von 23.45 Uhr eintrat und bei der Ehefrau mit 95% Wahrscheinlichkeit zwischen 22.15 und 3.45 Uhr bei einem Mittelwert von 1.00 Uhr.
Das Amtsgericht hat den Sachverständigen zum genauen Todeszeitpunkt vernommen, dieser hat bekundet, daß der Todeszeitpunkt nach der Leichenabkühlungsmethode und ferner auch nach anderen Methoden berechnet worden sei, was aber zu keinen anderen Ergebnissen und zu keiner weiteren Eingrenzung des Todeszeitpunktes geführt habe. Nach den festgestellten Verletzungen bei Herrn M. (vollständige Durchtrennung der linken Drosselvene und der linken Halsschlagader und außerdem Stichverletzungen an der rechten Drosselvene und rechten Halsschlagader) müsse der Tod im Sinne des irreversiblen Funktionsverlusts des Gehirns schnell eingetreten sein. Die bei Frau … festgestellten Verletzungen (vollständige Durchtrennung der rechten Halsschlagader und Durchstich der linken Drosselvene) müßten ebenfalls zu einem schnellen Todeseintritt geführt haben, wenn auch möglicherweise etwas langsamer, da nur zwei große Gefäße verletzt waren. Der Sektionsbefund schließe einen früheren Tod durch Herzanfall aus. Die Täter haben im Strafverfahren übereinstimmend erklärt, daß zunächst auf den Ehemann eingestochen worden ist und daß erst, als dieser ohne Gegenwehr am Boden lag, auf die aufmerksam gewordene Ehefrau im angrenzenden Schlafzimmer eingestochen wurde. Unter ergänzender Berücksichtigung des im Strafverfahren festgestellten Geschehensablaufs — wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt des Strafurteils Bezug genommen — könne kein vernünftiger Zweifel daran bestehen, daß Herr … — mit einem Zeitintervall von einer bis wenigen Minuten — vor Frau … verstorben sei, wenn auch allein aufgrund der medizinischen Totenbegutachtung eine sichere Schlußfolgerung auf die Reihenfolge des Todeseintritts nicht möglich sei.
Die Eheleute sind kinderlos verstorben. Ebenso sind die Eltern und Großeltern des Ehemanns verstorben. Die Beteiligten zu 1) ist die Tochter eines Onkels des Ehemanns mütterlicherseits.
Mit Beschluß vom 10.9.1990 hat das Amtsgericht den Teilerbscheinsantrag aufgrund gesetzlicher Erbfolge der Beteiligten zu 1) zurückgewiesen und angekündigt, dem Antrag der Erbin der Ehefrau (den die Beteiligten zu 2) nach ihrem Tod weiterverfolgen), einen Erbschein zu erteilen, der Frau M. als Alleinerbin nach ihrem Ehemann ausweist, stattzugeben.
Nach dem Inhalt des Testaments des Ehemanns, das keine Regelung für den Fall gleichzeitigen Versterbens enthalte, sei seine Ehefrau zunächst Erbin geworden, da sie ihn nach den getroffenen Feststellungen überlebt habe.
Die gegen diesen Beschluß gerichtete Beschwerde hat das Landgericht durch den angefochtenen Beschluß vom 17.6.1991 zurückgewiesen, und am 27.8.1991 ist ein Erbschein erteilt worden, der Frau … als Erbin ihres Ehemanns … ausweist.
Das Landgericht hat den die Testamente der Eheleute beurkundenden Notar zu der Frage, was bei der Errichtung der notariellen Testamente besprochen worden ist, vernommen. Auf den Inhalt der Aussage wird Bezug genommen. Das Landgericht hat ohne nähere Begründung die Auffassung vertreten, auf den Erbfall sei einheitlich deutsches Recht anzuwenden. Es ist davon ausgegangen, daß der Ehemann kurz vor seiner Ehefrau verstorben ist. Weiter hat es die Auffassung vertreten, daß bei dieser Sachlage die Ehefrau Erbin geworden sei, da der Ehemann für den Fall des gleichzeitigen Versterbens keine Ersatzerbfolge angeordnet habe. Eine ergänzende Testamentsauslegung komme nicht in Betracht, da der Ehemann nach der eindeutigen Aussage des Notars für den Fall eines Unglücksfalls mit kurzfristigem Überleben der Ehefrau keine Regelung habe treffen wollen, sondern ihn bewußt offengelassen habe.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1). Sie rügt zunächst — wie schon im Beschwerderechtszug –, daß das Landgericht für die Immobilie in Frankreich nicht deutsches Recht habe anwenden dürfen. Das Landgericht habe ferner ihren Sachvortrag nicht berücksichtigt, daß für die Fälle eines dem Gesamthirntod vorausgehenden Herz- und Atmungsstillstandes der Sterbezeit ein Zeitraum von ca. 10 Minuten hinzuzurechnen sei. Dann aber reiche der feststellbare Sterbezeitpunkt des Ehemanns in den der Ehefrau hinein, so daß von gleichzeitigem Todeseintritt auszugehen sei. Im übrigen berücksichtige die Testamentsauslegung des Landgerichts nicht hinreichend den wirklichen Willen des Erblassers.
Die Beteiligten zu 2) verteidigen die angefochtene Entscheidung.
II.
1) Die an keine Frist gebundene weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1) ist statthaft (§ 27 FGG) und formgerecht eingelegt (§ 29 I FGG). Die Beschwerdeberechtigung folgt aus §§ 29 Abs.4, 20 Abs. 1 und 2 FGG. Die Beschwerdeführerin gehört zum Kreis der gesetzlichen Erben, und ihr Antrag auf Erteilung eines Teilerbscheins ist zurückgewiesen worden.
2) Die weitere Beschwerde hat in der Sache insoweit Erfolg, als der angefochtene Beschluß aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen ist. Die Entscheidung des Landgerichts beruht auf einer Verletzung des Gesetzes (§§ 27 FGG, 550, 551 ZPO).
Hinsichtlich des in Frankreich belegenen unbeweglichen Vermögens hätte ein Erbschein nach deutschem Recht nicht erteilt werden dürfen, so daß es ínsoweit eines einschränkenden Geltungsvermerkes bedurfte.
Auch hinsichtlich des inländischen Vermögens reichen die bisherigen Feststellungen nicht aus, um ein Vorversterben des Erblassers vor seiner Ehefrau mit Sicherheit zu bejahen, so daß seine Ehefrau und nicht seine gesetzlichen Erben Rechtsnachfolger wurden.
3) Im Einzelnen:
a) Gemäß Art. 25 EGBGB unterliegt die Rechtsnachfolge von Todes wegen dem Recht des Staates, dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes angehörte. Maßgebend ist somit für den Erblasser mit … Staatsangehörigkeit das … Recht. Gemäß Art. 4 I EGBGB ist damit auch das belgische IPR anwendbar (Gesamtverweisung).
Das … IPR kennt gemäß Art.3 Abs.2 des … Code civil eine sog. Nachlaßspaltung, denn es verweist hinsichtlich der Immobilien auf das Recht des Belegenheitsstaats, im übrigen auf das Recht des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts (vgl. OLG Köln NJW 1986, 2200 m.w.N.; Ferid-Firsching, Internationales Erbrecht, Belgien, Grdz. C Rn.5). Diese Kollisionsregel gilt sowohl für die gesetzliche wie auch für die testamentarische Erbfolge (Rigaux, Droit international privé Bd.2, S.461). Der Erblasser hatte im Sinne der … Gesetze seinen Wohnsitz (domicile civil nach Art. 102 des belgischen Code civil) in …, da dies sein dauernder Aufenthalt und Daseinsmittelpunkt war, wovon auch die Beteiligten übereinstimmend ausgehen.
Das deutsche Recht nimmt die das bewegliche Vermögen (Art. 529 … Code civil) betreffende Rückverweisung an, wie sich aus Art. 4 Abs.1 S.2 EGBGB ergibt, so daß für das bewegliche Vermögen die deutschen Sachnormen gelten.
Hinsichtlich des unbeweglichen Vermögens verweist das belgische Recht auf das Recht des Belegenheitsstaates, für das in … gelegene Grundstück also auf … Recht weiter. Das … Recht nimmt diese Weiterverweisung an, denn nach … IPR ist gemäß Art. 3 II des … Code civil das … Recht maßgebend (vgl. BayObLGZ 1982, 284 (289) und Rpfleger 1990, 422; Murad Ferid, Das französische Zivilrecht, Bd. 1, S. 172 m.w.N.). Für die in … belegene Immobilie ist also … Recht maßgebend. Dies ergibt sich im übrigen auch aus Art. 3 III EGBGB, denn die in … belegenen Immobilien unterliegen nach … Recht besonderen Vorschriften (BayObLG Rpfleger 1990, 442).
Die deutschen Nachlaßgerichte sind für eine Erbscheinserteilung nur zuständig, wenn und soweit auch in der Sache deutsches Recht anwendbar ist (OLG Zweibrücken IPrax 1987, 108 m.Anm. Witz/Bopp IPrax 1987, 83 ff.-Gleichlaufgrundsatz). Eine internationale Zuständigkeit des deutschen Nachlaßgerichts für das in Frankreich belegene Vermögen besteht daher nicht (BayObLG Rpfleger 1990, 422). Das gilt jedenfalls dann, wenn deutsches Recht kraft Rückverweisung nur für einen Teil des Nachlasses Erbstatut ist, denn in diesem Fall ist ein allgemeiner Erbschein (Eigenrechtserbschein) nach § 2353 BGB unrichtig (vgl. BayObLG IPRspr.1989, 550; Palandt/Edenhofer, 51.Aufl., § 2353 Anm. 24).
Daraus folgt, daß ein Erbschein für das in Frankreich belegene Vermögen nicht erteilt werden kann, denn ein Fremdrechtserbschein kann gemäß § 2369 BGB grundsätzlich nur erteilt werden, wenn es sich um in … belegenes Vermögen handelt. Ob eine Ausnahme im Sinne einer Notzuständigkeit (vgl. KG JR 1963, 144; OLG Karlsruhe OLGZ 1981, 399; Witz/Bopp IPrax 1987, 85 m.w.N.) dann besteht, wenn ein ausländischer Erbschein für das ausländische Vermögen nicht zu erlangen ist, kann dahinstehen, da für die Voraussetzungen einer solchen Notzuständigkeit nichts ersichtlich ist. Weder ist die Möglichkeit ausgeschlossen, in … einen Nachweis der Rechtsnachfolge zu erlangen noch ist damit zu rechnen, daß der Erbschein in … anerkannt würde (vgl. dazu Witz/Bopp, IPrax 1987, 85).
b) Soweit- hinsichtlich des beweglichen Vermögens und der in … belegenen Immobilien — auf die Erbfolge deutsches Recht anwendbar ist, ist das deutsche Nachlaßgericht für die Erteilung eines darauf beschränkten Erbscheins zuständig (vgl. Soergel-Birk, 11.Aufl., Art.25 Rdnr. 336; Kegel, Internationales Privatrecht, 6. Aufl., S.667).
Zur Feststellung der Erbfolge sind aber noch weitere Ermittlungen erforderlich. Im Lichte der Anforderungen an den Nachweis des vorzeitigen Versterbens des Ehemanns M. vor seiner Frau gemäß §§ 11 VerschG, 1923 BGB muß weiter geprüft werden, ob ausgeschlossen werden kann, daß sich die die Zeiträume, in denen der Tod beider eingetreten ist, überlappt haben können, denn für diesen Fall ist eine wechselseitige Beerbung zu verneinen
.
Gemäß § 1923 BGB kann Erbe nur werden, wer zur Zeit des Erbfalls lebt. Im Erbrecht ist in Übereinstimmung mit der medizinischen Wissenschaft und der Beurteilung in anderen Rechtsgebieten als Todeszeitpunkt der Eintritt des Hirntodes zu verstehen, d.h. der Zeitpunkt des irreversiblen Funktionsverlustes des Gehirns, so daß dauerhaft keine Gehirnkurven mehr mitgeschrieben werden können und eine Reanimation ausgeschlossen ist (Palandt-Edenhofer, a.a.O., § 1922, Rdnr.3; Palandt-Heinrichs, a.a.O., § 1 Rdnr.3; MK-Gitter, 2.Aufl., § 1 Rdnr.16; Nagel, Das Versterben unter erbberechtigten Personen aufgrund derselben Ursache, Diss. Göttingen 1982, S. 80 ff.). Der Gegenauffassung, daß es für das Erbrecht auf den endgültigen Herz- und Kreislaufstillstand ankomme und nur in Fällen künstlicher Aufrechterhaltung der Herz- und Kreislauffunktionen auf den Hirntod abzustellen sei(so z. B. MK-Leipold, 2.Aufl., § 1922 Rdnr. 12; Lange/Kuchinke, Erbrecht, 3. Aufl., S. 61), folgt der Senat nicht. Es spricht nichts dafür, daß die Rechtsordnung den Todesbegriff je nach Art des Lebensendes verschieden verstehen will.
Dabei ist der Todeseintritt nach dem Sinn der gesetzlichen Regelung auf einen bestimmten Zeitpunkt festzulegen, nicht dagegen mit einem Zeitraum (“Sterbezeit”) zu bezeichnen, auch wenn der Eintritt des Todes der Abschluß eines Sterbeprozesses ist. Der Senat verkennt dabei nicht, daß nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft die Bestimmung dieses Zeitpunktes zweifelhaft sein kann (vgl. Nagel, a.a.O. S. 70 ff.). Dieser Ungewißheit kann im Rechtssinne aber nur dadurch Rechnung getragen werden, daß der Sterbezeitpunkt so festgelegt wird, daß auch unter Berücksichtigung der medizinischen Ungewißheit vom sicheren Eintritt des Gesamthirntodes ausgegangen werden kann.
Für die Anwendung der §§ 11 VerschG, 1923 BGB in den Fällen eines Versterbens aufgrund derselben Ursache (gemeinsamer Gefahr) hat dies zur Folge, daß ein Versterben zweiter Personen in der Zeitspanne zwischen dem Zeitpunkt, zu dem der Tod nach den tatsächlichen Feststellungen frühesten eingetreten sein kann, und dem Zeitpunkt, zu dem der Tod mit Sicherheit eingetreten ist, als gleichzeitiges Versterben anzusehen ist (vgl. Soergel/Stein, 11.Aufl., § 1922 Rdnr.3, der für den Fall des Nacheinanders von Herzstillständen bei Überlappung des Zeitraums bis zum Eintritt des Hirntodes von Gleichzeitigkeit des Todes entsprechend § 11 VerschG ausgehen will).
Die Frage, ob darüberhinaus für eine weitergehende telelogische Reduktion des § 1923 BGB dahin Raum ist, daß von Gleichzeitigkeit auch dann gesprochen werden kann, wenn bei gemeinsamer Todesursache der Späterversterbende vor dem Tod des Erstversterbenden das Bewußtsein nicht wiedererlangt hat, so daß er nicht mehr verfügen konnte (so Nagel, a.a.O., S.252), verneint der Senat. Das Gesetz stellt für das Überleben nicht darauf ab, ob der Überlebende bei Bewußtsein war oder nicht. In zahlreichen Fällen besteht für den Späterversterbenden auch dann keine reale Testiermöglichkeit, wenn er vor Eintritt seines Todes noch kurzfristig bei Bewußtsein war. Auch im Übrigen ist eine scharfe Abgrenzung nach dem Sinn des Eintritts der Erbfolge nicht möglich, wenn auch einzuräumen ist, daß bei kurz aufeinanderfolgendem Versterben Zufallsergebnisse bei der Erbfolge möglich sind. Diese ergeben sich aber aus dem starren System der Erbfolge selbst.
Das Landgericht hat daher noch aufzuklären, ob sich die Zeiträume, in denen der Tod der Eheleute eingetreten sein kann, überlappt haben können. Die bisherigen Feststellungen reichen nicht dazu aus, dies mit Sicherheit auszuschließen. Daß an diesen Ausschuß strenge Anforderungen zu stellen sind, ergibt sich aus § 11 VerschG. An sich folgt schon aus § 1923 BGB, daß das Überleben von demjenigen, der das Erbrecht in Anspruch nimmt, bewiesen werden muß. Der gesetzlichen Regelung einer Vermutung gleichzeitigen Versterbens kommt daher die Bedeutung zu, die strengen Anforderungen an den Beweis des Überlebens hervorzuheben, wenn auch § 11 VerschG anders als der frühere § 20 BGB nicht mehr voraussetzt, daß sich die Todesfälle in gemeinsamer Gefahr ereigneten (vgl. Staudinger/Coing/Habermann, 11.Aufl., § 11 VerschG Rdnr. 5: “Das Gesetz will damit erreichen, daß die Erbfolge … nur da eintritt, wo ein sicherer Beweis der Reihenfolge der Sterbefälle möglich ist).
Hier haben sich bisher weder die Sachverständigen hinreichend mit der Möglichkeit einer Überlappung der feststellbaren Sterbezeiten auseinandergesetzt noch hat das Landgericht bisher die getroffenen Feststellungen im Lichte dieser rechtlichen Anforderungen gewürdigt.
Auf diese Feststellung kommt es an, denn aus dem Testament des Erblassers folgt nicht, daß er für den Fall eines Versterbens aufgrund derselben Ursache die ihn überlebende Ehefrau von der Erbfolge ausschließen wollte. Insoweit hat das Landgericht revisionsrechtlich unangreifbar festgestellt, daß Erblasser für diese Situation keine Regelungen treffen wollte. Es galt damit die gesetzliche Erbfolge, wobei unerheblich ist, ob bei Testamentserrichtung in Belgien … eine gesetzliche Erbfolge unter Ausschluß der Ehefrau bestand. Selbst wenn Erblasser nicht damit gerechnet hat, daß seine Ehefrau gesetzliche Erbin werden könnte, so ist jedenfalls im Testament nicht zum Ausdruck gekommen, daß er die ihn nur kurz überlebende Ehefrau von der Erbfolge ausschließen wollte.
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, daß der erteilte Erbschein nach der Rechtslage als unrichtig einzuziehen sein wird und daß der Antrag auf einen Teilerbschein noch zu stellen ist, denn das Nachlaßgericht ist nicht berechtigt, einen anderen Erbschein als des beantragten Inhalts zu erteilen (vgl. BayObLGZ 1967, 1 (8/9).

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Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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