BFH Urteil vom 30. Juni 2010, II R 7/09

April 22, 2021

BFH Urteil vom 30. Juni 2010, II R 7/09

Zulässigkeit einer Wertfortschreibung wegen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse – Rechtsfehlerbeseitigende Wertfortschreibung

vorgehend FG Düsseldorf, 14. November 2008, Az: 11 K 4225/07 BG
Leitsätze

1. NV: Eine Wertfortschreibung wegen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse (§ 22 Abs. 1 BewG) ist unzulässig, wenn das maßgebende Ereignis (hier: Wegfall einer Grundsteuerbefreiung) bereits vor dem letzten Feststellungszeitpunkt eingetreten war.

2. NV: Eine rechtsfehlerbeseitigende Wertfortschreibung (§ 22 Abs. 3 BewG) ist bei einer Erhöhung des Einheitswerts erst auf den Beginn des Kalenderjahres möglich, in dem der Feststellungsbescheid erteilt wird (§ 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 BewG).
Tatbestand

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist ein rechtsfähiger Verein. Nach seiner Satzung dient er ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen Zwecken im Sinne der Abgabenordnung (AO).

Der Kläger ist seit 1990 Eigentümer eines in X gelegenen bebauten Grundstücks. Ihm wurde das Grundstück auf den 1. Januar 1991 zugerechnet und der Einheitswert unter Berücksichtigung einer teilweisen Nutzung des Gebäudes für gemeinnützige Zwecke im Wege der Fortschreibung ermäßigt. Nach Umbau und Aufstockung des vorhandenen Gebäudes stellte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) durch bestandskräftigen Wertfortschreibungsbescheid vom 27. Juni 2002 den Einheitswert auf den 1. Januar 1998 auf 38.295 € (74.900 DM) fest. Hierbei berücksichtigte er weiterhin, dass Teile des Gebäudes den gemeinnützigen Zwecken des Klägers dienten.

Aufgrund einer Kontrollmitteilung, nach der der Kläger bereits ab 1997 nicht mehr ausschließlich gemeinnützig tätig war und deshalb die Voraussetzungen für die Grundsteuerbefreiung nicht mehr erfüllte, stellte das FA für das Grundstück mit Bescheid vom 11. September 2007 im Wege der Wert- und Artfortschreibung einen Einheitswert auf den 1. Januar 2001 in Höhe von 86.152 € (168.500 DM) fest und versagte die bisher gewährte Steuerbefreiung wegen (teilweiser) gemeinnütziger Nutzung des Grundstücks.

Einspruch und Klage, mit denen der Kläger geltend machte, das Grundstück sei teilweise nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 des Grundsteuergesetzes (GrStG) von der Grundsteuer befreit, blieben erfolglos.

Mit der Revision rügt der Kläger fehlerhafte Anwendung von § 169 Abs. 2 Satz 2 und § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO sowie § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 GrStG.

Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung sowie den Einheitswertbescheid vom 11. September 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 2. Oktober 2007 aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung sowie des angefochtenen Wert- und Artfortschreibungsbescheides auf den 1. Januar 2001 vom 11. September 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 2. Oktober 2007 (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–).

1. Der Auffassung des Finanzgerichts (FG), das FA habe den Einheitswert auf den 1. Januar 2001 fortschreiben dürfen, vermag der Senat nicht zu folgen. Das FG hat die Voraussetzungen, unter denen ein Einheitswert nach § 22 des Bewertungsgesetzes (BewG) fortgeschrieben werden kann, nicht beachtet.

a) Nach § 22 Abs. 1 BewG findet wegen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse eine Wertfortschreibung statt, wenn der nach § 30 BewG abgerundete Wert, der sich für den Beginn eines Kalenderjahres ergibt, vom Einheitswert des letzten Feststellungszeitpunkts in einem näher beschriebenen Ausmaß nach oben oder unten abweicht. Eine die Fortschreibung rechtfertigende Abweichung vom Einheitswert des letzten Feststellungszeitpunkts setzt voraus, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse zwischen dem letzten Feststellungszeitpunkt und dem Fortschreibungszeitpunkt geändert haben und die Abweichung vom Einheitswert des letzten Feststellungszeitpunkts hierauf beruht. Haben sich die tatsächlichen Verhältnisse zwischen dem letzten Feststellungszeitpunkt und dem Fortschreibungszeitpunkt nicht geändert, gibt es keine Divergenz der Einheitswerte auf die genannten Zeitpunkte. Eine Wertfortschreibung wegen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse kommt deshalb in diesen Fällen nicht in Betracht.

Im Streitfall haben sich die tatsächlichen Verhältnisse zwischen dem letzten Feststellungszeitpunkt und dem Fortschreibungszeitpunkt und damit auch der Einheitswert für das Grundstück des Klägers nicht geändert. Anhaltspunkte für eine Änderung des körperlichen Zustands des Grundstücks, z.B. der Bausubstanz, wie auch des räumlichen Umfelds sind im Streitfall nicht erkennbar.

Auch hinsichtlich der Umstände, die die (teilweise) Grundsteuerbefreiung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Buchst. b GrStG betreffen, haben sich die Verhältnisse im Streitfall nicht geändert. Zwar stellt auch der Wegfall einer Grundsteuervergünstigung eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse dar, die –bei Erreichen der Wertgrenzen des § 22 Abs. 1 BewG– dem Grunde nach zu einer Wertfortschreibung führen kann (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs vom 15. Oktober 1986 II R 230/81, BFHE 148, 174, BStBl II 1987, 201, und vom 13. April 1988 II R 203/85, BFH/NV 1989, 215). Voraussetzung für eine Wertfortschreibung wegen Wegfalls einer Grundsteuervergünstigung ist aber, dass sich die für die Befreiung maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse nach dem letzten Feststellungszeitpunkt geändert haben. Daran fehlt es jedoch im Streitfall. Denn der Kläger war bereits im Zeitpunkt der Wertfortschreibung auf den 1. Januar 1998 nicht mehr ausschließlich gemeinnützig tätig und erfüllte deshalb bereits zu diesem Zeitpunkt nicht mehr die Voraussetzungen für eine Grundsteuerbefreiung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Buchst. b GrStG. An diesem Zustand hat sich bis zum streitigen Fortschreibungszeitpunkt, dem 1. Januar 2001, nichts mehr geändert.

b) Auch die Voraussetzungen für eine rechtsfehlerbeseitigende Wertfortschreibung liegen nicht vor.

Eine Wertfortschreibung kommt nach § 22 Abs. 3 BewG auch zur Beseitigung eines Fehlers der letzten Feststellung in Betracht. Liegt der Grund zur Fortschreibung nicht in einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse, sondern in einem Fehler bei der vorangegangenen Feststellung (§ 22 Abs. 3 Satz 1 BewG), so ist allerdings zu beachten, dass Fortschreibungszeitpunkt bei einer Erhöhung des Einheitswerts frühestens der Beginn des Kalenderjahres ist, in dem der Feststellungsbescheid erteilt wird (§ 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 2. Alternative BewG).

Zwar stellt sich der Wertfortschreibungsbescheid auf den 1. Januar 1998 vom 27. Juni 2002 im Hinblick darauf, dass der Kläger bereits zu diesem Zeitpunkt nicht mehr ausschließlich gemeinnützig tätig war und die Voraussetzungen für die Grundsteuerbefreiung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Buchst. b GrStG nicht mehr erfüllt waren, als rechtsfehlerhaft dar. Diesen Rechtsfehler durfte das FA grundsätzlich auch im Wege der Wertfortschreibung beseitigen, nicht aber mit Rückwirkung auf den 1. Januar 2001. Vielmehr musste das FA die Beschränkungen des Fortschreibungszeitpunkts nach § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 2. Alternative BewG beachten, wonach die Fortschreibung erst auf den Beginn des Kalenderjahres zulässig war, in dem der Feststellungsbescheid erteilt wurde. Die Fortschreibung wegen Fehlerbeseitigung wäre bei Erlass des hier angefochtenen Feststellungsbescheides danach frühestens auf den 1. Januar 2007 möglich gewesen. Die am 11. September 2007 auf den 1. Januar 2001 vorgenommene Fortschreibung des Einheitswerts stellt sich danach als rechtswidrig dar.

2. Die Sache ist spruchreif.

Die Klage ist begründet. Bescheid und Einspruchsentscheidung sind rechtswidrig und waren aufzuheben, weil die Voraussetzungen des § 22 BewG für eine Wertfortschreibung auf den 1. Januar 2001 nicht vorlagen.

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Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

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Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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