BGH, Urteil vom 26.04.2004 – II ZR 120/02

August 28, 2021

BGH, Urteil vom 26.04.2004 – II ZR 120/02

Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 27. Februar 2002 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

Tatbestand
Die Beklagte beabsichtigte, zusammen mit W. T. und D. S. die G. GmbH zu gründen. Gegenstand des Unternehmens sollte der Handel mit Naturwerksteinen sein. Als Geschäftsführer waren T. und S. in Aussicht genommen. Diese schlossen -zugleich als vollmachtlose Vertreter der Beklagten -am 6. Mai 1997 einen notariellen Gesellschaftsvertrag. Am 15. Mai 1997 eröffneten sie bei der Klägerin für die “GmbH in Gründung” ein Kontokorrentkonto. In der Folgezeit geriet dieses Konto ins Soll. Am 23. November 2000 betrug der Sollsaldo 303.350,00 DM. Nachdem als Folge eines Zerwürfnisses unter den Gesellschaftern eine Eintragung der GmbH nicht zustande kam, kündigte die Klägerin das Konto und verlangt von der Beklagten Rückzahlung eines Teilbetrages in Höhe von 100.000,00 DM.

Die Parteien haben darüber gestritten, ob die Beklagte durch die Handlungen von T. und S. verpflichtet worden ist. Die Beklagte behauptet, von der Kontoeröffnung und insbesondere von den Kontoüberziehungen nichts gewußt zu haben und dazu auch keine Vollmacht erteilt zu haben. Hilfsweise hat sie die Aufrechnung erklärt mit einem Schadensersatzanspruch wegen Pflichtverletzungen der Klägerin.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, das Berufungsgericht hat sie abgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin.

Gründe
Die Revision ist begründet und führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Klageabweisung ausgeführt: Die Beklagte sei bei dem Abschluß des Kreditvertrages durch die Mitgesellschafter T. und S. nicht wirksam vertreten worden. Zwar habe zwischen den Gesellschaftern eine Vorgründungsgesellschaft bestanden. Die Mitgesellschafter T. und S. hätten im Rahmen dieser Vorgründungsgesellschaft aber keine Vertretungsmacht gehabt. Aus § 125 Abs. 1 HGB habe sich eine (Einzel-) Vertretungsmacht nicht ergeben, weil die Vorgründungsgesellschaft gemäß § 123 HGB nicht die Voraussetzungen einer offenen Handelsgesellschaft erfüllt habe. Weder habe die Beklagte zum Zeitpunkt der Kontoeröffnung dem Geschäftsbeginn zugestimmt gehabt, noch habe zu jenem Zeitpunkt die Gewähr dafür bestanden, daß die Gesellschaft ein vollkaufmännisches Handelsgewerbe betreiben werde. Die Mitgesellschafter T. und S. seien auch nicht von der Beklagten bevollmächtigt worden. Zwar könne als wahr unterstellt werden, daß die Beklagte mit der Kontoeröffnung einverstanden gewesen sei. Daraus ergebe sich aber noch keine Vollmacht auch zur Kreditaufnahme. Die Voraussetzungen des § 177 BGB seien ebenfalls nicht erfüllt. Zwar habe die Beklagte die Kontoeröffnung genehmigt, nicht aber auch die Kontoüberziehung. Angesichts der geplanten Geschäftstätigkeit in dem Vorgründungsstadium habe sie allenfalls mit geringfügigen und kurzfristigen Unterdeckungen des Kontos rechnen müssen.

II. Diese Ausführungen sind nicht frei von Rechtsfehlern. Nach dem festgestellten Sachverhalt hat die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rückzahlung des Darlehens in Höhe des geltend gemachten Teilbetrages von 100.000,00 DM aus § 607 BGB in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung i.V.m. § 128 HGB.

1.

Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, daß zwischen der Beklagten und ihren Mitgesellschaftern T. und S. mangels Genehmigung des auf die Gründung einer GmbH gerichteten Vertragsschlusses lediglich eine Vorgründungsgesellschaft zustande gekommen ist. Zutreffend ist weiter die Annahme, eine bloße Bevollmächtigung von T. und S. durch die Beklagte zur Eröffnung eines Bankkontos begründe noch nicht die Befugnis, auch einen Kredit in Anspruch zu nehmen. Das entspricht ständiger Rechtsprechung. Danach kann aus einer Kontovollmacht nicht ohneweiteres auch das Recht hergeleitet werden, das Konto zu überziehen. Solche Überziehungen sind allenfalls im banküblichen Rahmen wirksam, nicht aber -wie hier -in einer darüber hinausgehenden Höhe (BGH, Urt. v. 10. März 1953 -I ZR 76/52, MDR 1953, 345, 346; Urt. v. 22. Januar 1991 -XI ZR 111/90, ZIP 1991, 224, 225; OLG Hamm NJW 1992, 378; OLG Köln ZIP 2001, 1709, 1710). Damit ist zwar noch nicht ausgeschlossen, im Wege der Auslegung eine umfassendere Vollmacht anzunehmen, wenn von vornherein mit einem erheblichen Kreditbedarf zu rechnen ist. Dafür spricht hier aber nichts.

2.

Zutreffend ist schließlich noch die Annahme des Berufungsgerichts, eine Vorgründungsgesellschaft sei gemäß §§ 105, 123 Abs. 2 HGB in der bis zum 31. Juli 1998 geltenden Fassung als offene Handelsgesellschaft zu qualifizieren, wenn sie mit ihren Geschäften beginnt und dabei der Betrieb auf den Umfang eines vollkaufmännischen Handelsgewerbes im Sinne des § 1 HGB a.F. angelegt ist (BGHZ 10, 91, 96; 32, 307, 311). Das Berufungsgericht hat jedoch nicht ausreichend berücksichtigt, daß nach § 123 Abs. 2 HGB a.F. eine Gesellschaft nicht erst dann nach außen hin als offene Handelsgesellschaft wirksam wird, wenn das den Gesellschaftszweck bildende Unternehmen in vollem Umfang in Betrieb gesetzt wird. Vielmehr macht schon die erste dem Gesellschaftszweck dienende, einem Dritten gegenüber vorgenommene Rechtshandlung, auch wenn es lediglich eine Vorbereitungshandlung ist, die Gesellschaft zur Handelsgesellschaft, wenn nur der Gesellschaftszweck auf den Betrieb eines vollkaufmännischen Handelsgewerbes gerichtet ist und ausreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß das Unternehmen eine entsprechende Ausgestaltung und Einrichtung in Kürze erfahren wird (BGHZ 10, 91, 96; BGH, Urt. v. 19. Februar 1990 -II ZR 42/89, ZIP 1990, 505, 507). Bereits die Eröffnung eines Bankkontos kann dafür ausreichen. Ebenso können Verhandlungen über den Kauf eines Betriebsgrundstücks oder die Vorbereitung des notariellen Abschlusses des Grundstückskaufvertrages genügen (Baumbach/Hopt, HGB 31. Aufl. § 123 Rdn. 10; Ebenroth/Boujong/Joost/Hillmann, HGB § 123 Rdn. 20).

Bei Zugrundelegung des von dem Berufungsgericht festgestellten Sachverhalts sind danach die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 123 Abs. 2 HGB erfüllt. Die spätere GmbH sollte nach dem Willen der Gesellschafter einen überregionalen Handel mit Naturwerksteinen betreiben. Der Gesamtfinanzierungsbedarf war auf 2,64 Mio. DM veranschlagt worden. Im Mai/ Juni 1997 fand ein Messeauftritt statt, bei dem eine Lieferbereitschaft für August 1997 angekündigt wurde. Am 18. Juni 1997 lag der Entwurf eines notariellen Grundstückskaufvertrages mit der Stadt B. R. vor mit einer Preisvorstellung von 550.000,00 DM. Die Anschaffungskosten für das Gebäude und die Ausstattung sollten 1.542.500,00 DM betragen. Für das erste Geschäftsjahr wurde ein Umsatz in Höhe von netto 3 Mio. DM erwartet, der sich bis zum fünften Geschäftsjahr auf 8 Mio. DM steigern sollte.

Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt es nicht darauf an, ob schon zum Zeitpunkt der Kontoeröffnung am 15. Mai 1997 die Voraussetzungen des § 123 Abs. 2 HGB erfüllt waren. Denn diese Kontoeröffnung ist -wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat -von der Beklagten jedenfalls durch ihr nachfolgendes Verhalten in schlüssiger Weise genehmigt worden. Entscheidend ist damit der Zeitpunkt der Kreditinanspruchnahme durch die beiden Mitgesellschafter T. und S.. Die Kontoüberziehungen begannen aber erst Ende Mai, zu einem Zeitpunkt also, zu dem jedenfalls aufgrund der Messeteilnahme der Geschäftsbetrieb begonnen hatte.

Aus demselben Grund ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ohne Bedeutung, ob die Beklagte bereits zum Zeitpunkt der Kontoeröffnung mit dem Geschäftsbeginn einverstanden war. Dabei kann offenbleiben, ob die Rechtsfolge des § 123 Abs. 2 HGB nur dann eintritt, wenn alle Gesellschafter dem Geschäftsbetrieb zustimmen (so ROHG, Urt. v. 13. Februar 1874 -147/74, ROHGE 12, 406, 409 ff.; Baumbach/Hopt aaO Rdn. 12; Ebenroth/Boujong/Joost/Hillmann aaO Rdn. 23; a.A. K. Schmidt in Münch.Komm.z.HGB § 123 Rdn. 10). Denn jedenfalls kommt es dafür hier allein auf den Zeitpunkt der Kreditinanspruchnahme an. Und zu diesem Zeitpunkt war die Beklagte, die von dem gemeinsamen Messeauftritt wußte, mit dem Geschäftsbeginn einverstanden.

III. Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, weil das Berufungsgericht -von seinem Standpunkt aus folgerichtig -keine Feststellungen zu einem etwaigen Gegenanspruch der Beklagten oder der Gesellschaft, auf den sich die Beklagte berufen könnte, getroffen hat, was wegen der von der Beklagten hilfsweise erklärten Aufrechnung erforderlich ist.

1.

Allerdings hat die Beklagte entgegen ihrer Auffassung keinen Schadensersatzanspruch gegen die Klägerin wegen Verletzung des § 154 Abs. 2 AO. Nach dieser Vorschrift hat sich derjenige, der ein Konto führt, zuvor Gewißheit über die Person und die Anschrift des Verfügungsberechtigten zu verschaffen. Das hat die Klägerin getan. Sie hat die richtigen Namen der drei Gesellschafter in ihren Kontounterlagen vermerkt. Ob zum Zeitpunkt der Kontoeröffnung die Voraussetzungen einer Vertretungsmacht von T. und S. erfüllt waren, brauchte sie dagegen nicht zu überprüfen. Denn § 154 AO schützt allein die formelle Kontenwahrheit. Ihr ist bereits Genüge getan, wenn diejenigen, die gegenüber der Bank auftreten, dies unter ihrem richtigen Namen undihrer richtigen Anschrift tun (BGHZ 127, 229, 233 f.). Damit kann offen bleiben, ob sich aus einer Verletzung des § 154 AO überhaupt eine Schadensersatzpflicht der Bank gegenüber dem Kontoinhaber ergeben kann.

2.

In Betracht kommt aber ein Schadensersatzanspruch gegen die Klägerin wegen schuldhafter Verletzung der aus dem Bankvertrag folgenden allgemeinen Schutzpflicht der Bank, die Interessen ihres Kunden zu wahren. Danach ist eine Bank zwar nicht ohne besonderen Anlaß verpflichtet zu prüfen, ob sich einzelne Maßnahmen des Vertreters einer Handelsgesellschaft -wie etwa Überziehungen des Geschäftskontos -noch im Rahmen einer pflichtgemäßen Geschäftsführung halten. Drängt sich aber der Verdacht auf, daß der Vertreter seine Befugnisse in einer Weise mißbraucht, die sich leicht zum Nachteil der Gesellschaft auswirken könnte, ist die Bank verpflichtet, durch geeignete, sich in zumutbarem Rahmen haltende Maßnahmen die Interessen ihres Kunden wahrzunehmen (BGH, Urt. v. 17. November 1975 -II ZR 70/74, WM 1976, 474;

v. 28. April 1992 -XI ZR 164/91, WM 1992, 1362, 1363; BGHZ 127, 239, 241). Ein solcher Verdacht könnte sich der Klägerin aufgedrängt haben, als sie ohne Sicherheiten erhebliche Kontoüberziehungen zuließ, obwohl sie wußte, daß die GmbH noch nicht im Handelsregister eingetragen war und eine Genehmigung der GmbH-Gründung durch die Beklagte nicht mitgeteilt worden war. Die Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht Gelegenheit, die dazu erforderlichen Feststellungen zu treffen und dabei auch ein etwaiges Mitverschulden der Beklagten zu berücksichtigen. Röhricht Goette Kraemer Strohn Caliebe

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