LG Kiel 5 O 235/20

August 11, 2022

LG Kiel 5 O 235/20

Betriebsschließungsversicherung: Einbeziehung allgemeiner Versicherungsbedingungen bei Vertrag mit Unternehmer; Intransparenz der Klausel über die vom Versicherungsschutz umfassten Krankheiten und Krankheitserreger

Die Entscheidung ist durch Beschluss des Landgerichts Kiel vom 14.06.2021, Az. 5 O 235/20 berichtigt worden.

Tenor

LG Kiel 5 O 235/20

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Der Streitwert wird auf 155.454,00 € festgesetzt.

Tatbestand LG Kiel 5 O 235/20

Die Klägerin begehrt von der Beklagten Versicherungsleistung wegen einer im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie angeordneten Betriebsschließung für die Betriebsstätte „F. xxx“.

Der Geschäftsführer der Klägerin betreibt mehrere Gastronomiebetriebe in und um Kiel, darunter das streitgegenständliche Lokal „F. xxx.“

Die Parteien sind durch eine mit Beginn 01.01.2013 unter Vermittlung der Versicherungsagentur xxx S. xxx abgeschlossene Profi-Schutz-Sach-Versicherung verbunden. Nach dem Versicherungsschein (Anlagen: K 5, Nachtrag B 1a) umfasst diese eine Sach-Inhaltsversicherung und eine flexible Ertragsausfallversicherung. Versichert sind danach „Schäden durch Betriebsschließung (ZBSV 08) beim Auftreten meldepflichtiger Infektionskrankheiten oder Krankheitserreger nach dem Infektionsschutzgesetz“, insbesondere „der Ertragsausfallschaden bei Schließung des Betriebes durch die zuständige Behörde bis zu einer Haftzeit von 30 Kalendertagen“.

Nach dem Versicherungsschein ist eine flexible Ertragsausfallversicherung mit einer Versicherungssumme von 1.200.000 € versichert. In den mit dem Versicherungsschein übersandten Zusatzbedingungen für die Betriebsschließungsversicherung (ZBSV 08) ist folgendes geregelt:

㤠2 Versicherte Gefahren

1. Versicherungsumfang

Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten bei Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) beim Auftreten meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 2)

a) den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserreger beim Menschen schließt; Tätigkeitsverbote gegen sämtliche Betriebsangehörige eines Betriebes oder einer Betriebsstätte werden einer Betriebsschließung gleichgestellt

(…)

2. Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger

Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Zusatzbedingungen sind die folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger:

a. Krankheiten:

Botulismus, Cholera

(…)

b) Krankheitserreger:

Adenovieren (Meldepflicht nur für den direkten Nachweis im Konjunktivalabstrich), Bacillus anthracis,

(…)“

Insgesamt sind 18 Krankheiten (§ 2 Nr. 2 lit.a) und 50 einzelne Krankheitserreger (§ 2 Nr. 2 lit. b) aufgeführt, wobei der Coronavirus SARS-CoV-2 nicht genannt ist.

Die Versicherung wurde am 28.12.2012 durch den Geschäftsführer der Klägerin xxx S. xxx nach vorheriger Beratung durch den Versicherungsagenten S. beantragt (Anlage K 1). Zugleich unterzeichnete der Geschäftsführer der Klägerin eine Beratungsdokumentation mit Datum 28.1.2012 und eine undatierte „Übersicht über Bestimmungen und Informationen zu ihrem Vertrag“.

Mit Begleitschreiben vom 15.01.2013 (Anlage K 4) übersandte die Beklagte den Versicherungsschein und die Versicherungsunterlagen, darunter die Versicherungsbedingungen.

LG Kiel 5 O 235/20

Wegen der im Frühjahr 2020 auch in Schleswig-Holstein fortschreitenden Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 erließ die Schleswig-Holsteinische Landesregierung am 17.03.2020 eine Landesverordnung über Maßnahmen zur Bekämpfung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 in Schleswig-Holstein (SARS-CoV-2-Bekämpfungsverordnung – SARS-CoV-2-BekämpfV), nach der sämtliche Gaststätten zu schließen waren. Gemäß § 3 Abs. 2 der Landesverordnung waren gastronomische Lieferdienste/ Außerhausverkauf weiterhin zulässig.

Per Rechtsverordnung vom 30.01.2020 wurde die Meldepflicht auf das Corona-Virus und die dadurch ausgelöste Krankheit ausgedehnt. Seit dem 23.05.2020 sind Covid-19 sowie SARS-CoV-1 und SARS-CoV-2 in §§ 6 und 7 Infektionsschutzgesetz (IfSG) aufgeführt.

Die Klägerin etablierte wenige Tage nach dem 20.03.2020 einen Straßenverkauf.

Die Klägerin meldete den Versicherungsfall am 21.03.2020 bei der Beklagten, die mit Schreiben vom 29.04.2020 die Regulierung ablehnte, da der angemeldete Schaden nicht versichert sei (Anlage K 7) und bot 15 % der vereinbarten Tagesentschädigung (= 23.318,00 €) an (K 9).

Die Klägerin behauptet, dass sie aufgrund § 3 der Landesverordnung die „F. xxx“ ab dem 20.03.2020 hinsichtlich des zuvor dort erfolgten Verzehrs vor Ort im Restaurant habe schließen müssen und auch geschlossen habe.

Der mit dem Straßenverkauf erzielte Umsatz mache weniger als 15 % des Normalumsatzes aus und bleibe angesichts der fortlaufenden Kosten ertragsneutral.

Der Versicherungsagent der Beklagten habe den Geschäftsführer der Klägerin dahingehend beraten, dass jede Betriebsschließung nach dem IfSG vom Versicherungsschutz umfasst sei.

Die Versicherungsbedingungen gemäß ZBSV hätten bei der Antragstellung nicht vorgelegen, was daraus „indiziert“ sei, dass die Unterschrift zu den erhaltenen Unterlagen kein Datum enthalte und im Begleitschreiben zum Versicherungsschein ausdrücklich zur Prüfung der übersandten Unterlagen aufgefordert worden sei.

Mangels Kenntnis des Geschäftsführers der Klägerin von den allgemeinen Versicherungsbedingungen gemäß ZSBSV seien diese nicht vom Versicherungsantrag der Klägerin umfasst gewesen. Soweit es hinsichtlich der Einbeziehung der ZBSV der Beklagten eine Abweichung zwischen dem Versicherungsantrag der Klägerin und dem Versicherungsschein gebe, hätte die Beklagte hierauf gemäß § 5 Abs. 2 VVG hinweisen müssen.

Die ZBSV seien daher nicht Vertragsgegenstand geworden und damit keine Einschränkung des Versicherungsschutzes auf bestimmte Krankheiten vereinbart worden. Aufgrund der Leistungsbeschreibung im Versicherungsschein sei für die Klägerin nicht zu entnehmen, dass die Beklagte einzelne Krankheiten vom Infektionsschutz habe ausnehmen wollen. Er habe annehmen dürfen, dass der Versicherungsschutz bei Betriebsschließungen mit dem Regelungskanon des IfSG kongruent sei. Dies sei auch so von dem Versicherungsagenten vermittelt worden.

LG Kiel 5 O 235/20

Unabhängig hiervon spreche der Wortlaut der ZBSV 08 für eine dynamische das Coronavirus einschließende Lesart durch die gleichzeitige Bezugnahme auf die §§ 6 und 7 IfSG. Der anschließenden Auflistung sei nur eine informative Funktion beizumessen. Wäre bereits hierdurch der Umfang der Haftung klar umschrieben, so wäre der Ausschluss der Prionenhaftung in § 4 Abs. 3 nicht notwendig.

Jedenfalls sei eine entgegenstehende Klausel auch im Hinblick auf die vorherige Beratung des Vermittlers überraschend im Sinne § 305 c Abs. 1 BGB, jedenfalls aber inhaltlich unklar und mehrdeutig im Sinne des § 305 c Abs. 2 BGB, so dass nach der kundenfreundlichsten Auslegung der Versicherungsschutz auch neu aufgetretene, vom IfSG erfasste Krankheiten umfasse. Anderenfalls läge eine unangemessene Benachteiligung gemäß § 307 BGB vor.

Jedenfalls greife zugunsten der Klägerin eine Vertrauenshaftung nach §§ 311 Abs. 2, 280 BGB und § 6 Abs. 5 VVG wegen fehlender Aufklärung über die gegebene Deckungslücke.

Die Höhe des zu beanspruchenden Betriebsschließungsschadens errechne sich aus der Hochrechnung des Vergleichsangebots der Beklagten auf 100 % = 155.454,00 €. Basierend auf der Differenz zwischen dem Betriebsergebnis aus dem Haftungszeitraum sowie aus dem Vergleichszeitraum des Vorjahres errechne sich ein entgangener Betriebsgewinn in Höhe von 99.000 €.

Zuzüglich der entstandenen fortlaufenden Kosten der Klägerin ergebe sich ein Schaden von 190.500 €, von dem empfangene staatliche Hilfen, nämlich die Corona-Soforthilfe und Kurzarbeitergeld in Höhe von gerundet 36.500 € abzuziehen seien, so dass sich ein Schaden der Klägerin in Höhe von mindestens 154.000 € errechne.

LG Kiel 5 O 235/20

Aufgrund einer bestehenden Honorarvereinbarung habe der Prozessbevollmächtigte der Klägerin diesem für die vorgerichtliche Tätigkeit 6.362,26 € in Rechnung gestellt (Anlagen K 16 und K 17).

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 155.454,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 4 % per anno seit dem 21.03.2020 sowie außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 2.401,90 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 25.06.2020 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass die Versicherungsbedingungen nach der dort enthaltenen Beschreibung des Leistungsumfangs keinen Versicherungsschutz für eine etwaige Betriebsschließung im Zusammenhang mit dem neuartigen SARS-Cov-2 gewähren würden.

Nach dem eindeutigen Wortlaut der Bedingungen sei das Coronavirus in der abschließenden Aufzählung nicht als versicherte Krankheit genannt. Auch aus der Auslegung, bei der der Maßstab des unternehmerisch tätigen Versicherungsnehmers gelten müsse, ergebe sich nichts anderes: Für den Versicherungsnehmer sei das berechtigte Interesse der Versicherung einen zum Zeitpunkt des Vertragsschluss feststehenden Vertragsinhalt zu vereinbaren und die versicherten Gefahren abschließend zu definieren, erkennbar.

Bei einer Klauselkontrolle müsse hier der betroffene Verkehrskreis, nämlich der kaufmännische Rechtsverkehr in den Blick genommen werden. Kaufleute würden objektive Risikobegrenzungen nicht als ungewöhnlich ansehen. Zudem sei in dem bei der Beklagten versicherten Betrieb der neuartige Coronavirus oder eine durch ihn ausgelöste Krankheit gar nicht aufgetreten, was aber nach den Versicherungsbedingungen erforderlich sei.

Eine Schließung aus generalpräventiven Gründen sei nicht vom Versicherungsschutz umfasst. Auch sei keine vollständige Schließung des versicherten Betriebs durch eine behördliche Maßnahme gegeben, da der Außer-Haus-Verkauf möglich gewesen sei. Etwaige staatliche Leistungen und ersparte Aufwendungen müsse sich die Klägerin jedenfalls mindernd entgegenhalten lassen.

Ein Einschluss neu auftretender Krankheiten / Krankheitserreger sei auch nicht durch eine Individualvereinbarung erfolgt. Der diesbezügliche Vortrag der Klägerin sei vage und ins Blaue hinein abgegeben. Ein Schadensersatzanspruch, der sich nur aus §§ 6, 61 VVG als lex specialis ergeben könne, sei nicht gegeben, da schon eine Beratungspflicht nicht gegeben und erst recht nicht verletzt worden sei. Diesbezüglich verweist die Beklagte darauf, dass die Klägerin mit Unterschrift des Geschäftsführers bestätigt habe, die Versicherungsbedingungen erhalten zu haben. Dies sei bei der Antragstellung erfolgt.

Die Kammer hat den Geschäftsführer der Klägerin zur Antragstellung hinsichtlich der streitgegenständlichen Versicherung angehört. Insoweit wird auf das Sitzungsprotokoll vom 17.03.2021 Bezug genommen (Bl. 182 ff d. A.).

Entscheidungsgründe LG Kiel 5 O 235/20

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Klägerin stehen weder aufgrund einer individualvertraglichen Abrede (I.), noch aus § 1 VVG i.V.m. § 2 Nr. 1 lit.a) und Nr. 2 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten (im Folgenden ZBSV 08) (II.) noch wegen eines Beratungsverschuldens (III.) gegen die Beklagte ein Anspruch auf Versicherungsleistung bzw. Schadensersatz im Zusammenhang mit der im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie erfolgten behördlich angeordneten Schließung von Gaststätten zu.

I.

Die Klägerin hat bereits die Vereinbarung eines umfassenden Versicherungsschutzes gegen Betriebsschließungen aufgrund des IfSG nicht substantiiert dargelegt, wenn sie vorträgt, dass nach dem Verständnis des Geschäftsführers der Klägerin der Betriebsschließungsschutz „umfassend“ sein sollte und dies so von dem Versicherungsvertreter zugesichert worden sei.

Die persönliche Anhörung des Geschäftsführers der Klägerin hat dies so nicht bestätigt. Dort wurde diesem zwar von dem Versicherungsvertreter der Beklagten S. xxx das Versicherungspaket als „Sorglos-Paket“ angeboten.

Tatsächlich umfasste diese neben einer flexiblen Ertragsausfallversicherung auch eine Firmen-Sachversicherung. Hinsichtlich der Betriebsschließungsversicherung sei dem Geschäftsführer der Klägerin auf seine Nachfrage lediglich erklärt worden, dass diese beispielsweise bei einer Schließung der Gaststätte durch das Gesundheitsamt bei einem Salmonellenbefall eintreten würde.

Ein umfassender Versicherungsschutz auch für zukünftige, noch unbekannte Seuchen lässt sich daraus nicht herleiten. Das Zitat der Klägerin bezüglich einer Aussage des Versicherungsvertreters S. xxx aus heutiger Sicht, dass „ er sich selbst nie erträumt hätte, dass es mal zu so was kommen könnte“, lässt eine entsprechende Abrede auch als fernliegend erscheinen.

II.

Ein Anspruch der Klägerin folgt auch nicht aus § 1 VVG in Verbindung mit § 2 Nr. 1 lit a) und Nr. 2) der ZBSV 08. Entgegen der Ansicht der Klägerin sind die Versicherungsbedingungen der Beklagten wirksam einbezogen worden, selbst wenn hier der Vortrag der Klägerin zugrunde gelegt wird, dass ihr diese Versicherungsbedingungen bei der Antragstellung nicht überreicht worden sind. Bei der Klägerin handelt es sich um ein Unternehmen, für das die Vorschrift des § 305 Abs. 2 BGB keine Anwendung findet (§ 310 BGB).

Das bedeutet, dass die Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Verwenders unabhängig von der Kenntniserlangung des anderen Teils Vertragsgegenstand werden, wenn dieser erkennbar auf seine Allgemeinen Geschäftsbedingungen verweist und der andere Teil nicht widerspricht (BGHZ 117, 194; Palandt-Grüneberg BGB § 305 R. 51).

Dies war hier der Fall, da in dem von dem Geschäftsführer der Klägerin unterzeichneten Versicherungsantrag ausdrücklich auf die „Zusatzbedingungen für die Versicherung von Betrieben gegen Schäden aufgrund behördlicher Anordnung nach dem Infektionsschutzgesetz (Betriebsschließung)- 2008 (ZBSV 08) “ als „Vertragsgrundlage“ Bezug genommen wird (Anlage K 1 S. 10). § 5 Abs. 2 VVG steht einer wirksamen Einbeziehung dieser Versicherungsbedingungen der Beklagten nicht entgegen.

Diesbezüglich handelt es sich entgegen der Ansicht der Klägerin nicht um ein lex specialis zu §§ 305, 310 BGB. Beide Vorschriften regeln vielmehr unterschiedliche Bereiche: Während §§ 305, 310 BGB bestimmen, wann bzw. unter welchen Voraussetzungen die von dem Verwender gestellten Allgemeinen Versicherungsbedingungen Inhalt des Vertrages werden, regelt § 5 Abs. 2 VVG, wie im Falle einer Abweichung zwischen Versicherungsantrag und Versicherungsschein, also im Falle eines Dissenses im Sinne der §§ 154, 155 BGB zu verfahren ist. § 5 Abs. 2 VVG setzt demnach das Vorliegen eines Widerspruchs zwischen dem Versicherungsantrag und Versicherungsschein voraus.

Der liegt hier jedoch nicht vor, da bereits der Antrag der Klägerin die ZBSV 08 als Vertragsgrundlage bezeichnet und diese angesichts der Unternehmereigenschaft der Klägerin wirksam zum Vertragsinhalt geworden ist. Damit liegt keine Abweichung zwischen dem der an die Klägerin übersandten Versicherungsschein mit den anliegenden Versicherungsbedingungen gemäß ZBSV 08 und dem Antrag der Klägerin gemäß Anlage K 1 vor.

Nach der danach vereinbarten Regelung in § 2 Nr. 1 lit a) und Nr. 2) der ZBSV 08 fallen mangels ausdrücklicher Nennung weder der Krankheitserreger Coronavirus noch die hierdurch hervorgerufene Krankheit Covid-19 unter den Versicherungsschutz der zwischen den Parteien vereinbarten Betriebsschließungsversicherung.

Unter Zugrundelegung des maßgeblichen objektiven Auslegungsmaßstabes für Versicherungsbedingungen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht (vgl. BGH vom 20.11.2018 – IV ZR 159/18 R. 8 zitiert nach juris), ergibt sich, dass die dortige Aufzählung von Krankheiten und Krankheitserregern abschließend ist und dabei weder eine unklare Regelung im Sinne des § 305 c Abs. 2 BGB darstellt noch eine nach § 307 BGB unwirksame, weil intransparente oder den Versicherungsnehmer unangemessen benachteiligende Regelung enthält.

Hierbei ist entscheidend, dass die mit „Versicherte Gefahren 1. Versicherungsumfang“ überschriebene Klausel hinsichtlich der entschädigungspflichtigen Betriebsschließungen wegen meldepflichtiger Krankheiten und Krankheitserreger durch den Klammerzusatz „(siehe Nr. 2)“ ausdrücklich auf die unter diese Ziffer aufgeführten „meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger“ verweist. Hierdurch wird für den Versicherungsnehmer erkennbar, dass erst in Zusammenschau mit den weiteren Bestimmungen unter Nr. 2 der eigentliche Umfang des Versicherungsschutzes festgelegt wird (LG Lübeck vom 08.01.2021 – 4 O 164/20 R. 47, zitiert nach juris; LG Berlin vom 24.03.2021 – 23 O 283/20 R. 16, BeckRS 2021, 6516; LG Potsdam vom 18.03.2021 – 13 O 280/20R. 40, zitiert nach juris) und es sich mithin nicht um eine Einschränkung des zuvor niedergelegten Versicherungsumfangs handelt.

LG Kiel 5 O 235/20

In Anbetracht des klaren Wortlauts der Regelung in § 2 Nr. 2 ZBSV 08 muss der Versicherungsnehmer die dort unter lit a) und lit b) einzeln aufgeführten Krankheiten und Krankheitserreger als abschließende Aufzählung verstehen.

Denn durch die einleitenden Formulierungen in Nr. 2: „im Sinne dieser Zusatzbedingungen“ und „die folgenden“ wird für jeden Leser des Bedingungswerkes klar gestellt, dass allein die im Anschluss im Einzelnen bezeichneten Krankheiten und Krankheitserreger dem Versicherungsschutz unterfallen, auch wenn dies nicht durch den weiteren Zusatz „nur“ oder „ausschließlich“ noch verstärkt wird (s. LG Lübeck, LG Berlin, LG Potsdam aaO; Lüttringhaus, r+s 2020, 250 <253>).

Für eine abschließende Auflistung spricht darüber hinaus, dass in § 1 Ziffer 2 der Zusatzbedingungen keine Öffnungsklausel etwa in Form der Verwendung der Ausdrücke “insbesondere”, “u.a.” oder “beispielsweise” enthalten ist (vgl. Günther, Anmerkung zum Beschluss des OLG Hamm vom 15.07.2020 – I-20 W 21/20 -, FD-VersR2020, 431078).

Eine solche öffnende Wirkung kommt hier dem Wort “namentlich” gerade nicht zu. Aufgrund seiner Position im Satzgefüge kann “namentlich” nicht im Sinne von “insbesondere”, “hauptsächlich” oder “vor allem” verstanden werden, sondern erkennbar nur als Adjektiv im Sinne von “dem Namen nach” (LG Oldenburg (Oldenburg), Urteil vom 21. Oktober 2020 – 13 O 1637/20 zitiert nach juris; vgl. Rixecker, in: Schmidt, CoVID-19, Rechtsfragen zur Coronakrise, 2. Aufl. 2020, § 11 Rn. 61 f.; LG Aurich vom 02.12.2020, 3 O 487/20 R. 30, zitiert nach juris).

Auch und gerade angesichts der Anzahl der genannten Krankheiten und Krankheitserreger wird dem verständigen Versicherungsnehmer deutlich, dass es sich hierbei um eine abschließende, nicht bloß beispielhafte Aufzählung handelt.

Ein um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer wird auch nicht auf den Gedanken kommen, die Aufzählungen unter § 2 Nr. 2 beinhalte nur eine nachrichtliche Mitteilung, welche Krankheiten und Krankheitserreger zum Zeitpunkt des Abschlusses des Versicherungsvertrages in §§ 6, 7 IfSG namentlich aufgelistet sind, zumal zuvor darauf hingewiesen wird, dass im Folgenden die „meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Zusatzbedingungen“ aufgeführt werden. Dies gilt umso mehr als in der Bezugnahme auf die §§ 6 und 7 IfSG keinerlei Hinweis dahingehend enthalten ist, dass deren Inhalt „in der jeweils gültigen Fassung“, also dynamisch vereinbart sein sollen.

Entgegen der Ansicht der Klägerin führt auch eine systematische Zusammenschau mit dem in § 4 Nr. 3 ZBSV 08 enthaltenen Ausschluss für Prionenerkrankungen nicht dazu, dass die Aufzählung in § 2 Nr. 2 ZBSV 08 nicht als abschließend zu verstehen wäre.

So ist nicht verständlich, warum der durchschnittliche Versicherungsnehmer aus dem gesondert aufgeführten Ausschluss des Versicherungsumfangs für Prionenerkrankungen oder dem Verdacht hierauf, schlussfolgern soll, dass der durch die einzelne Aufzählung der dem Versicherungsschutz unterfallenden Krankheiten und Krankheitserreger deutlich abschließend geregelte Versicherungsumfang erweitert werden soll, zumal zu vermuten ist, dass dieser weder über tiefgreifende Kenntnisse von Auslegungsmethoden noch über medizinische Kenntnisse hinsichtlich der Art von Prionenerkrankungen und inwieweit diese bereits von den Aufzählungen unter Nr. 2 nicht erfasst sind, verfügt.

Vielmehr muss der Versicherungsnehmer dies als klarstellende, deklaratorische Regelung verstehen, die angesichts der zugrunde zu legenden fehlenden medizinischen Vorkenntnisse des angesprochenen Verkehrskreises von Betriebsinhabern als Information über den Versicherungsumfang durchaus Sinn ergibt.

LG Kiel 5 O 235/20

Nach alledem ist die Gestaltung der hier maßgeblichen Versicherungsbedingungen weder inhaltlich unklar im Sinne des § 305 c Abs. 2 BGB noch intransparent gemäß § 307 BGB. Dem Transparenzgebot im Rahmen der hier vorliegenden Leistungsbeschreibung ist nämlich Genüge getan, wenn dem Versicherungsnehmer bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses vor Augen geführt wird, in welchem Umfang er Versicherungsschutz erlangt und welche Umstände seinen Versicherungsschutz gefährden (BGH NJW-RR 2020, 92 ff R. 7).

Angesichts des bei Regelung des Versicherungsumfangs bereits erfolgten Klammerverweises auf die Nr. 2 und die dort im Einzelnen abschließend aufgeführten meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger unter dem klaren Bedingungswortlaut „im Sinne dieser Zusatzbedingungen“ kann der Versicherungsnehmer nicht darüber im Unklaren sein, dass der Versicherungsschutz nicht ausnahmslos alle im IfSG – gleich welcher Fassung – genannten Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne einer dynamischen Verweisung umfasst.

Im Hinblick auf den trotz der fehlenden Nennung der humanen spongiformen Enzephalopathie und der fehlenden Bezugnahme auf die in §§ 6 und 7 des IfSG enthaltenen Generalklausel gleichwohl verbliebenen umfangreichen Katalog der dem Versicherungsschutz unterfallenden Krankheiten und Krankheitserreger ist auch eine Unwirksamkeit des § 2 Nr. 2 ZBSV 08 wegen einer unangemessenen Benachteiligung bzw. Gefährdung des Vertragszwecks gemäß § 307 Abs. 2 BGB nicht erkennbar (s. Lüttringhaus r+s 2020 S. 250 ff (253)).

Da in dem danach wirksam vereinbarten abschließenden Katalog der versicherten meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger Covid 19 und der Coronavirus nicht aufgeführt sind, hat die Klägerin wegen der im März 2020 angeordneten Betriebsschließung gemäß § 1 VVG keinen Anspruch gegen die Beklagte.

III.

Schließlich kann die Klägerin die geltend gemachte Klagforderung auch nicht als Schadensersatz gemäß §§ 63, 6 Abs. 5 VVG, 278 BGB wegen eines Beratungsverschuldens des für die Beklagte handelnden Versicherungsvertreter S. xxx verlangen. Denn die Klägerin hat bereits nicht substantiiert dargelegt, dass dem Mitarbeiter der Beklagten eine Beratungspflicht im Hinblick auf den Umfang des Versicherungsschutzes hinsichtlich der Betriebsschließungsversicherung traf.

Grundsätzlich obliegt die Ermittlung des Risiko- und Bedarfsprofils dem Versicherungsnehmer. Beratungspflichten des Versicherungsvertreters sind danach anlassbezogen und bestehen nur, wenn der Versicherungsnehmer angesichts der Schwierigkeit und wirtschaftlichen Bedeutung des Produkts oder aufgrund seiner Person und seines Risikoprofils erkennbar beratungsbedürftig war (Münchner-Komm.-Armbrüster VVG § 6 R. 26 ff).

Dies ist auch nach der persönlichen Anhörung des Geschäftsführers der Klägerin nicht ersichtlich. Danach hatte der Geschäftsführer der Klägerin, der mehrere Gastronomiebetriebe leitet, einen Versicherungsvertrag mit identischem Versicherungsumfang bereits für ein anderes Objekt abgeschlossen. Zudem hatte der Versicherungsvertreter S. xxx nach den eigenen Angaben des Geschäftsführers der Klägerin diesem an einem Beispiel die Eintrittspflicht der Betriebschließungsversicherung erläutert. Dass darüber hinaus ein weitergehender Beratungsbedarf bestand, hat die Klägerin nicht dargelegt.

IV.

Mangels Hauptleistungsanspruch war die Klage insgesamt auch hinsichtlich der geltend gemachten Nebenforderungen abzuweisen. Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 91 Abs. 1, 709 ZPO.

LG Kiel 5 O 235/20

Schlagworte

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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