Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 10. Februar 1999 – 6 U 1566/97

Juni 27, 2020

Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 10. Februar 1999 – 6 U 1566/97
Beweislast des GmbH-Geschäftsführers für Nichtabführung der Arbeitnehmerbeiträge infolge von Zahlungsunfähigkeit und Bindungswirkung einer Weisung des Alleingesellschafters
Tenor
Die Berufung des Beklagten zu 1. gegen das am 22. August 1997 verkündete Teil-Versäumnis-und Endurteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Dessau (4 O 267/97) wird zurückgewiesen.
Der Beklagte zu 1. trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beschwer des Beklagten zu 1. übersteigt 60.000 DM nicht.
Tatbestand
Der Beklagte zu 1. (im folgenden: der Beklagte) war seit dem 5.5.1993 Geschäftsführer der W. GmbH in W. (Schuldnerin). Die Schuldnerin führte Arbeitnehmerbeiträge in Höhe von 37.389,93 DM für den Zeitraum 1.1.1994 bis 30.4.1994 nicht an die Klägerin ab. Durch Beschluß der Gesellschafterversammlung vom 25.5.1994 wurde der Beklagte als Geschäftsführer abberufen. Auf Antrag der Klägerin vom 31.8.1994 wurde am 30.9.1994 das Gesamtvollstreckungsverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet. Ein gegen den Beklagten gerichtetes Strafverfahren wegen Vorenthalten von Arbeitsentgeltes (§ 266a StGB) wurde gemäß § 153a StPO eingestellt, nachdem der Beklagte eine Geldbuße von 2.000 DM gezahlt hatte (Amtsgericht Wittenberg 2 Cs 152 Js 3154/95). Im vorliegenden Prozeß wird der Beklagte auf Zahlung von 37.389,93 DM nebst Zinsen in Anspruch genommen. Das Landgericht hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt. Dagegen richtet sich die Berufung des Beklagten. Der Beklagte vertritt die Ansicht, die Beitragsschuld der Schuldnerin habe sich dadurch reduziert, daß auch die Löhne nicht in voller Höhe ausbezahlt worden sein. Er meint weiter, im Jahre 1994 an die Klägerin erbrachte Zahlungen der Schuldnerin in Höhe von 30.000 DM seien nicht anteilig auf Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteile zu verrechnen gewesen, sondern ausschließlich auf die Arbeitnehmeranteile. Der Beklagte behauptet, die Schuldnerin sei seit Januar 1994 zahlungsunfähig gewesen. Am 10.5.1995 sei er, der Beklagte, aller Geschäftsführungsbefugnisse entbunden worden, so daß er nicht mehr in der Lage gewesen sei, die Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge für April 1995 zu veranlassen. Er beantragt,
die angefochtene Entscheidung abzuändern und die Klage insoweit abzuweisen, als der Beklagte zu 1. als Gesamtschuldner neben den Beklagten zu 2. und zu 3. zur Zahlung eines Betrages an die Klägerin verurteilt worden ist, der 7.389,93 DM übersteigt.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat den vom Beklagten benannten Zeugen W. H. im Wege der Rechtshilfe durch das Amtsgericht Fulda vernehmen lassen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll vom 30. Dezember 1998 Bezug genommen (GA II 14 ff). Die Strafakten 152 Js 3154/95 der StA Dessau lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Von der weiteren Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung bleibt ohne Erfolg. Auf die zutreffenden Gründe des landgerichtlichen Urteils, die sich der Senat zu eigen macht, wird Bezug genommen (§ 543 Abs. 1 ZPO). Ergänzend sei bemerkt:
1. Auf die Höhe der geschuldeten Arbeitnehmerbeiträge hat es keinen Einfluß, wenn Lohn nicht vollständig gezahlt wird. Die Arbeitnehmer haben Anspruch auf den vollen Lohn erworben. Damit entstehen auch die Beitragsansprüche in voller Höhe.
2. Die Schuldnerin war nicht seit Januar 1994 zahlungsunfähig. Darlegungs- und beweispflichtig dafür, daß die GmbH bei Fälligkeit aufgrund Zahlungsunfähigkeit gehindert war, die geschuldeten Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung abzuführen, ist der Geschäftsführer (OLG Düsseldorf GmbHR 1997, 900). Der Beklagte hat bereits nicht ausreichend vorgetragen. Daß die Schuldnerin im gesamten Zeitraum 1.1.1994 bis 31.8.1994 (Antrag auf Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens) keinerlei Umsätze mehr getätigt und keinerlei Zahlungen mehr geleistet hat, kann ausgeschlossen werden. Dann aber reicht die schlichte Behauptung einer “Zahlungsunfähigkeit” nicht aus. Jegliche Einzelheiten dazu, welche Kreditrahmen der Schuldnerin im fraglichen Zeitraum zur Verfügung standen, welche Verfügungen von den Banken noch geduldet wurden, welche Zahlungen erfolgten und welche Verbindlichkeiten nicht mehr beglichen wurden, fehlen.
3. Die Zahlungen von insgesamt 30.000 DM waren nicht insgesamt auf rückständige Arbeitnehmerbeiträge zu verrechnen. Die Schuldnerin hatte keine Tilgungsbestimmung im Sinne von § 366 BGB getroffen. Das behauptet auch der Beklagte nicht. Die Tilgungsreihenfolge richtete sich deshalb nach § 2 der Beitragszahlungsverordnung vom 22. Mai 1989 (BGBl I 990) in der bis zum Inkrafttreten des Art. 2 Nr. 2 der Zweiten Verordnung zur Änderung der Beitragsüberwachungsverordnung und der Beitragszahlungsverordnung vom 20. Mai 1997 (BGBl I 1137) geltenden Fassung. Eine Differenzierung nach Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträgen war in dieser Vorschrift nicht vorgesehen. Zahlungen, die auf die Beiträge zur Sozialversicherung geleistet werden, waren bei gleicher Fälligkeit anteilmäßig, somit je zur Hälfte auf die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteile zu verrechnen (vgl. im einzelnen BGH ZIP 1998, 398, 400).
4. Der Beklagte haftet auch für die im April 1994 nicht abgeführten Arbeitnehmerbeiträge.
a) Säumnis des Beitragsschuldners tritt mit Ablauf des Tages ein, an dem die Beiträge fällig werden (BGH NJW 1998, 1306, 1307). Nach § 23 Abs. 1 S. 2 SGB IV werden Beiträge, die nach dem Arbeitsentgelt oder dem Arbeitseinkommen zu bemessen sind, spätestens am Fünfzehnten des Monats fällig, der dem Monat folgt, in dem die Beschäftigung oder Tätigkeit, mit der das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen erzielt wird, ausgeübt worden ist oder als ausgeübt gilt. Strafbar und schadensersatzpflichtig hat sich der Beklagte – das Vorliegen der übrigen Tatbestandsvoraussetzungen unterstellt – also ab dem 16. Mai 1994 gemacht.
b) Am 16. Mai 1994 war der Beklagte noch Geschäftsführer der Schuldnerin. Er hat nicht nachweisen können, daß er bereits am 10. Mai 1994 von seinen Verpflichtungen als Geschäftsführer der Schuldnerin suspendiert worden ist. Der Aussage des von ihm benannten Zeugen H. zufolge ist er erst am 24. Mai 1994 suspendiert worden (GA II 15). Weiteren Beweis hat er nicht angeboten.
5. Die vom Beklagten behauptete ausdrückliche Weisung des Herrn St. Ht. – des alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführers der Ht. GmbH mit Sitz in F., die wiederum alleinige Gesellschafterin der Schuldnerin war – keine Sozialversicherungsbeiträge mehr abzuführen, wäre – wenn es sie denn gegeben hätte – unbeachtlich gewesen.
a) Der Geschäftsführer ist an Gesellschafterbeschlüsse und damit auch an Weisungen eines Alleingesellschafters der Gesellschaft gegenüber gebunden (§ 37 Abs. 1 GmbHG). Das gilt jedoch nur für solche Beschlüsse und Weisungen, die sich im Rahmen von Gesetz, Satzung und guten Sitten halten (z.B. BGHZ 31, 258, 278; BGH NJW 1983, 1856 = LM § 43 GmbHG Nr. 11). Die Weisung, keine Sozialversicherungsbeiträge mehr abzuführen, hätten gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen (§ 266a StGB).
b) Der Beklagte könnte sich gegebenenfalls auch nicht darauf berufen, daß ihm eine Mißachtung der Weisung nicht zumutbar gewesen wäre. Ein Geschäftsführer kann aus einem von der GmbH zu vertretenden wichtigen Grund sein Amt niederlegen, ohne zugleich das Anstellungsverhältnis fristlos kündigen zu müssen (BGH NJW 1978, 1435 = LM § 38 GmbHG Nr. 6). Das hat der Bundesgerichtshof gerade für einen Fall entschieden, in dem der Geschäftsführer in die Gefahr persönlicher Haftung gegenüber dem Steuerfiskus und den Sozialversicherungsträgern geraten war. Ein Geschäftsführer oder Vorstandsmitglied ist nicht gezwungen, die Verantwortung und das erhebliche Haftungsrisiko seines Amts unter für ihn unzumutbaren Bedingungen weiterzutragen. Die Niederlegung des Amtes als Geschäftsführer wäre, wie gesagt, nicht notwendig mit einer Kündigung des Dienstvertrages verbunden gewesen.
c) Daß er versucht hätte, die Zahlung der Arbeitnehmerbeiträge zu veranlassen, daß aber seine Anweisungen nicht mehr befolgt worden wären oder aus anderen Gründen, die er nicht zu vertreten hatte, unterblieb, hat der Beklagte nicht behauptet.
6. Die prozessualen Nebenentscheidungen ergehen nach §§ 97 Abs. 1, 708 Ziff. 10, 711, 713, 546 Abs. 2 ZPO.

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