BFH Urteil vom 20/3/1974 – II 122/64

August 13, 2020

Vergünstigung § 16 I Nr. 4 ErbStG 1959 bezieht sich auf den gesamten Erwerb des Ehegatten – BFH Urteil vom 20/3/1974 – II 122/64

Zusammenfassung RA und Notar Krau

Tatbestand

Die Klägerin ist die Witwe eines im Jahr 1962 verstorbenen Steuerberaters.

Sie wurde zur befreiten Vorerbin ernannt.

Die Tochter des Erblassers aus erster Ehe wurde als Nacherbin eingesetzt, wobei sie zur Hälfte des Nachlasses auch im Falle einer Wiederverheiratung der Vorerbin Nacherbin wurde.

Der Wert des Nachlasses überschritt 30.000 DM, erreichte jedoch nicht 184.000 DM.

Aus einem Sozietätsvertrag des Erblassers resultierte für die Klägerin ein Anspruch auf eine Rente in Höhe von 10 % des Reingewinns der weiterzuführenden Praxis, mindestens jedoch 500 DM monatlich und höchstens 700 DM monatlich.

Diese Beträge waren auf den Lebenshaltungsindex 1960 bezogen und entsprechend anzupassen.

Das Finanzamt (FA) ließ den Anfall der Vorerbschaft gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG 1959 unbesteuert und setzte für den Rentenanspruch mit einem Kapitalwert von 66.000 DM eine Erbschaftsteuer von 2.970 DM fest.

Vergünstigung § 16 I Nr. 4 ErbStG 1959 bezieht sich auf den gesamten Erwerb des Ehegatten – BFH Urteil vom 20/3/1974 – II 122/64

Das Finanzgericht (FG) hob diesen Steuerbescheid auf.

Der Bundesminister der Finanzen trat dem Verfahren bei.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten war unbegründet.

Gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG 1959 bleibt der Erwerb des Ehegatten insoweit steuerfrei, als dieser Erwerb 250.000 DM nicht übersteigt, sofern im Zeitpunkt der Entstehung der Steuerschuld Kinder des Erblassers oder deren Abkömmlinge leben, die zu Nacherben des auf den Ehegatten übergegangenen Vermögens eingesetzt wurden.

Diese Voraussetzungen waren im vorliegenden Fall erfüllt.

1. Wortlaut der Vorschrift:

Die Klägerin war Ehegattin des Erblassers, und die Tochter des Erblassers war zur Nacherbin des auf die Klägerin übergegangenen Vermögens eingesetzt.

Der Zeitpunkt der Entstehung der Steuerschuld war der Todesfall des Erblassers.

Der Wert des Nachlasses überschritt nicht 250.000 DM.

Bei buchstäblichem Verständnis des § 16 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG 1959 war die Klägerin somit von der Steuer befreit.

Vergünstigung § 16 I Nr. 4 ErbStG 1959 bezieht sich auf den gesamten Erwerb des Ehegatten – BFH Urteil vom 20/3/1974 – II 122/64

2. Engere Auslegung durch FA und Bundesminister:

Der Beklagte und der Bundesminister der Finanzen vertraten eine engere Auslegung und meinten, der Erwerb werde nur insoweit durch § 16 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG 1959 begünstigt, als er durch Nacherbschaft belastet sei.

Diese Ansicht hätte man nur vertreten können, wenn die Vorschrift ausschließlich den Fall nicht befreiter Vorerbschaft beträfe.

3. Bedeutung der befreiten Vorerbschaft:

Da die Vorschrift eindeutig auch den Fall maximal befreiter Vorerbschaft (nach § 2137 BGB) einschließt, ergibt sich, dass der Gesetzgeber hier auch die Situation befreiter Vorerben im Blick hatte.

Die Vergünstigung sollte also nicht nur auf den durch Nacherbschaft belasteten Teil des Erwerbs beschränkt sein.

4. Verwaltungsbefugnisse und Härtefallregelung:

Der nicht befreite Vorerbe hat umfangreiche Verwaltungsbefugnisse, darf jedoch die Substanz der Erbschaft nicht für den Lebensunterhalt verwenden.

Die Erbschaftsteuer wird beim nicht befreiten Vorerben nur im Fall des § 7 Abs. 3 ErbStG reduziert.

Vergünstigung § 16 I Nr. 4 ErbStG 1959 bezieht sich auf den gesamten Erwerb des Ehegatten – BFH Urteil vom 20/3/1974 – II 122/64

Die Härte dieser Regelung war bereits bei der Verabschiedung des Erbschaftsteuergesetzes 1919 bekannt und sollte durch Anwendung des Härteparagraphen (heute § 131 AO) gemildert werden.

5. Zweck des § 16 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG 1959:

§ 16 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG 1959 verfolgt nicht den Zweck, die Härte des § 7 Abs. 2 ErbStG 1959 zu mildern, sondern stellt eine eigenständige Vergünstigung für den Ehegatten dar, die unabhängig von der Belastung durch Nacherbschaft gewährt wird.

Die Vorschrift gilt gleichermaßen für befreite und nicht befreite Vorerben und soll den Ehegatten steuerlich begünstigen, unabhängig davon, ob dieser die Erbschaft möglicherweise für seinen Lebensunterhalt verbrauchen muss.

6. Vergünstigung für den gesamten Erwerb:

Die Vergünstigung des § 16 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG 1959 bezieht sich auf den gesamten Erwerb des Ehegatten, nicht nur auf den der Nacherbschaft unterliegenden Vermögensanfall.

Die Vorschrift differenziert nicht danach, ob der Ehegatte die Erbschaft für seinen Lebensunterhalt verwendet oder nicht. Der Erwerb bleibt bis zu einem Wert von 250.000 DM steuerfrei.

7. Renten und andere Bezüge:

Die Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts des Ehegatten stammen in beiden Fällen – ob aus der Vorerbschaft oder einem vom Erblasser abgeschlossenen Vertrag – aus dem Vermögen des Erblassers.

Daher sind solche Anfälle an den Ehegatten ebenfalls von der Vergünstigung des § 16 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG 1959 umfasst.

Ergebnis

Das angefochtene Urteil des FG war somit zutreffend.

Die Klägerin konnte den Freibetrag in Anspruch nehmen, und die Vergünstigung des § 16 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG 1959 bezieht sich auf den gesamten Erwerb des Ehegatten, unabhängig von der Belastung durch Nacherbschaft.

Die Revision des Beklagten wurde abgewiesen.

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Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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