Verjährung von titulierten Ansprüchen
BGH Beschluss vom 19. Februar 2025, XII ZB 377/24)
Der Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 19. Februar 2025 (XII ZB 377/24) befasst sich mit der komplexen Frage der Verjährung von titulierten Ansprüchen im Kontext von Vollstreckungshandlungen
und der nachträglichen Feststellung der Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung aufgrund mangelnder Bestimmtheit des Titels.
Im konkreten Fall ging es um Kindesunterhaltsansprüche, die auf das Jobcenter übergegangen waren und gegen deren Vollstreckung der Vater die Einrede der Verjährung erhob.
Der Sachverhalt:
Das Jobcenter hatte für die zwei Kinder des Vaters im Zeitraum von Januar 2008 bis August 2016 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) erbracht.
Durch ein rechtskräftiges Versäumnisurteil vom 1. September 2008 wurde der Vater verpflichtet, Kindesunterhalt aus übergegangenem Recht an das Jobcenter zu zahlen.
In der Folge leitete das Jobcenter verschiedene Vollstreckungsmaßnahmen ein.
Im Februar 2020 stellte der Vater einen ersten Vollstreckungsabwehrantrag gegen die Zwangsvollstreckung aus dem Versäumnisurteil.
Das Oberlandesgericht Köln (OLG Köln) erklärte die Zwangsvollstreckung aus diesem Urteil mit rechtskräftigem Beschluss vom 22. Juni 2021 für unzulässig,
da die Tenorierung des Urteils nicht hinreichend bestimmt war.
Daraufhin beantragte das Jobcenter am 15. Juli 2021 in einem weiteren Verfahren die gerichtliche Feststellung des vollstreckungsfähigen Inhalts des Versäumnisurteils.
Das OLG Köln stellte mit Beschluss vom 2. September 2022 fest, dass der Vater ab dem 1. August 2008 zur Zahlung des Mindestunterhalts
für beide Kinder abzüglich des hälftigen Kindergeldes an das Jobcenter verpflichtet war.
Nachdem das Jobcenter am 13. Oktober 2022 den Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses beantragt hatte,
stellte der Vater den vorliegenden Vollstreckungsabwehrantrag und berief sich auf die Einrede der Verjährung der Unterhaltsansprüche.
Das Amtsgericht Aachen wies den Antrag ab, und das OLG Köln wies die Beschwerde des Vaters zurück.
Gegen diese Entscheidung legte der Vater Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof ein.
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Der BGH wies die Rechtsbeschwerde des Vaters zurück und bestätigte damit die Entscheidungen der Vorinstanzen. Er führte aus, dass die Verjährung der titulierten Unterhaltsansprüche nicht eingetreten sei.
Der BGH bestätigte zunächst, dass die fortlaufenden Vollstreckungsanträge des Jobcenters und die daraufhin vorgenommenen Vollstreckungshandlungen, insbesondere der
Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 5. Dezember 2019, gemäß § 212 Abs. 1 Nr. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) jeweils eine verjährungsunterbrechende Wirkung hatten.
Dies wurde von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffen.
Kern der Entscheidung war die Frage, ob die durch die Vollstreckungshandlungen eingetretene Unterbrechung der Verjährung rückwirkend entfallen ist,
weil die Zwangsvollstreckung aus dem Versäumnisurteil später rechtskräftig wegen Unbestimmtheit der Tenorierung für unzulässig erklärt wurde.
Der BGH stellte klar, dass gemäß § 212 Abs. 2 Alternative 2 BGB der erneute Beginn der Verjährung infolge einer Vollstreckungshandlung als nicht eingetreten gilt,
wenn die Vollstreckungshandlung wegen Mangels der gesetzlichen Voraussetzungen aufgehoben wird.
Nach der Rechtsprechung des BGH zum früheren Recht sei eine bindende Feststellung der fehlenden Vollstreckungsfähigkeit des Titels der Aufhebung einer Vollstreckungshandlung gleichzustellen
und führe „an sich“ rückwirkend zum Nichteintritt der Verjährungsunterbrechung, da es an den notwendigen Vollstreckungsvoraussetzungen fehle.
Dies gelte auch für den Fall, dass die Zwangsvollstreckung mangels Bestimmtheit der Tenorierung rechtskräftig für unzulässig erklärt wurde,
da in diesem Fall eine Vollstreckung aus dem Titel schlechterdings ausscheide.
Analoge Anwendung des § 204 Abs. 2 Satz 1 BGB:
Der BGH kam jedoch zu dem Ergebnis, dass die Unterbrechungswirkung der Vollstreckungsanträge und -handlungen im vorliegenden Fall aufgrund einer entsprechenden Anwendung des § 204 Abs. 2 Satz 1 BGB erhalten geblieben ist.
Diese Vorschrift sieht vor, dass die Hemmung der Verjährung erst sechs Monate nach Beendigung des die Hemmung auslösenden Umstandes endet.
Für eine analoge Anwendung sei erforderlich, dass eine planwidrige Regelungslücke besteht und die zu beurteilenden Sachverhalte in rechtlicher Hinsicht vergleichbar sind.
Der BGH bejahte beides.
Bereits zum früheren Recht hatte der BGH entschieden, dass ein Gläubiger, der im Vertrauen auf einen (vermeintlich) vollstreckungsfähigen Titel rechtzeitig verjährungsunterbrechende Maßnahmen ergriffen
hat, schutzwürdig ist, wenn sich nachträglich herausstellt, dass der Titel mangels Bestimmtheit nicht vollstreckungsfähig ist.
In solchen Fällen wurde dem Gläubiger eine Frist von sechs Monaten nach Feststellung der mangelnden Bestimmtheit des Titels zugestanden,
um durch erneute Rechtsverfolgungsmaßnahmen die ursprüngliche Unterbrechungswirkung aufrechtzuerhalten.
Obwohl der Gesetzgeber im Zuge der Schuldrechtsmodernisierung die Klageerhebung von einem Unterbrechungsgrund in einen Hemmungsgrund umgestaltet hat und die Regelung des § 212 Abs. 2 BGB
aF keine direkte Entsprechung mehr findet, sah der BGH die Grundlage für die Analogie weiterhin als gegeben an.
Die Neuregelung der Verjährungsvorschriften habe nicht dazu geführt, dass die bis dahin bestehende planwidrige Regelungslücke entfallen wäre.
Der Gesetzgeber habe mit § 204 Abs. 2 Satz 1 BGB gerade bezweckt, dem Gläubiger nach Beendigung eines die Verjährung
hemmenden Verfahrens eine sechsmonatige Nachfrist für weitere Rechtsverfolgungsmaßnahmen einzuräumen, um den Eintritt der Verjährung zu verhindern.
Dieser Rechtsgedanke des § 212 Abs. 2 BGB aF sollte in das neue Verjährungsrecht übernommen werden.
Der BGH argumentierte, dass die Situation für den Gläubiger eines titulierten Anspruchs durch die Verjährungsrechtsreform letztlich unverändert geblieben sei.
Hat er rechtzeitig eine Vollstreckungshandlung bewirkt und dadurch die Verjährung unterbrochen, sei er schutzwürdig,
wenn die Zwangsvollstreckung später wegen mangelnder Bestimmtheit des Titels für unzulässig erklärt wird.
Ihm müsse daher analog § 204 Abs. 2 Satz 1 BGB die Möglichkeit bleiben, innerhalb von sechs Monaten nach Rechtskraft dieser Entscheidung durch weitere Maßnahmen die Verjährung zu verhindern.
Andernfalls wäre der Gläubiger gezwungen, vorsorglich weitere kostenauslösende Maßnahmen zu ergreifen, bevor über die Vollstreckungsfähigkeit des Titels rechtskräftig entschieden wurde.
Im konkreten Fall hatte das Jobcenter am 15. Juli 2021 und damit innerhalb von sechs Monaten nach Rechtskraft des Beschlusses vom 22. Juni 2021, mit dem die Zwangsvollstreckung für unzulässig erklärt
worden war, die gerichtliche Feststellung des vollstreckungsfähigen Inhalts des Versäumnisurteils beantragt und somit eine Maßnahme zur Rechtsverfolgung ergriffen.
Dadurch blieb die ursprüngliche Unterbrechungswirkung der Vollstreckungshandlungen erhalten, und die Verjährung der Unterhaltsansprüche war nicht eingetreten,
als das Jobcenter am 13. Oktober 2022 den erneuten Pfändungs- und Überweisungsbeschluss beantragte.
Dieser erneute Vollstreckungsantrag führte wiederum zu einer Unterbrechung der Verjährung.
Fazit:
Der BGH hat entschieden, dass der erneute Beginn der Verjährung infolge einer Vollstreckungshandlung gemäß § 212 Abs. 2 BGB zwar grundsätzlich als nicht eingetreten gilt,
wenn die Zwangsvollstreckung aus einem mangels Bestimmtheit nicht vollstreckbaren Titel rechtskräftig für unzulässig erklärt wurde.
Jedoch bleibt die verjährungsunterbrechende Wirkung der ursprünglichen Vollstreckungshandlungen in analoger Anwendung des § 204 Abs. 2 Satz 1 BGB erhalten,
wenn der Gläubiger innerhalb von sechs Monaten nach Eintritt der Rechtskraft der Unzulässigkeitserklärung weitere Maßnahmen zur Rechtsverfolgung ergreift.
Diese Entscheidung dient dem Schutz des Gläubigers, der im Vertrauen auf einen bestehenden Titel gehandelt hat, und vermeidet unnötige, vorsorgliche Rechtsverfolgungsmaßnahmen.
Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.
Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.
Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.
Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.
Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.
Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.
Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.
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Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.