Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts – Observation durch einen Detektiv mit heimlichen Videoaufnahmen
Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 19.02.2015 – 8 AZR 1007/13: Detektivüberwachung von Arbeitnehmern
Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 19. Februar 2015 ist ein wichtiges Grundsatzurteil zum Schutz des Persönlichkeitsrechts von Arbeitnehmern vor unzulässiger Überwachung durch den Arbeitgeber, insbesondere bei Krankheiten.
Eine als Sekretärin beschäftigte Klägerin war krankgeschrieben, unter anderem wegen eines Bandscheibenvorfalls. Ihr Arbeitgeber, der Geschäftsführer der beklagten Firma, hegte Zweifel an ihrer Arbeitsunfähigkeit. Er beauftragte daraufhin eine Detektei mit der mehrtägigen Observation der Klägerin im Februar 2012.
Die Detektive beobachteten die Klägerin vor ihrem Wohnhaus, filmten sie und ihren Mann mit dem Hund und beim Besuch eines Waschsalons. Es wurden Videoaufnahmen und Fotos erstellt.
Die Klägerin forderte eine Geldentschädigung (Schmerzensgeld) vom Arbeitgeber, weil sie ihr Persönlichkeitsrecht verletzt sah. Der Arbeitgeber hielt die Überwachung für zulässig, da er den Verdacht hatte, die Klägerin täusche die Krankheit vor.
Das BAG bestätigte das Urteil der Vorinstanz (Landesarbeitsgericht Hamm), das der Klägerin eine Geldentschädigung zugesprochen hatte, allerdings nur in Höhe von 1.000 Euro. Sowohl die Klage der Arbeitnehmerin auf eine höhere Entschädigung als auch die Gegenklage des Arbeitgebers auf vollständige Klageabweisung wurden abgewiesen.
Die Observation der Klägerin inklusive der heimlichen Videoaufnahmen war rechtswidrig, weil der Arbeitgeber keinen berechtigten Anlass zur Überwachung hatte. Damit lag eine schwere Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Arbeitnehmerin vor, die eine Geldentschädigung rechtfertigt.
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht – abgeleitet aus dem Grundgesetz – schützt jeden Menschen, auch im Arbeitsverhältnis. Dazu gehört das Recht am eigenen Bild und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, also die Befugnis, selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu entscheiden.
Eine Observation oder Videoüberwachung von Arbeitnehmern ist ein schwerwiegender Eingriff. Nach dem Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) ist die Erhebung von Daten zum Zweck der Aufdeckung von Straftaten (wie vorgetäuschter Krankheit) nur zulässig, wenn:
Tatsächliche Anhaltspunkte den konkreten Verdacht einer Straftat begründen.
Die Datenerhebung zur Aufdeckung erforderlich ist und
Das Interesse des Arbeitnehmers nicht überwiegt (Grundsatz der Verhältnismäßigkeit).
Eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hat einen hohen Beweiswert. Um diesen zu erschüttern und eine Überwachung zu rechtfertigen, braucht der Arbeitgeber begründete, konkrete Zweifel an der Richtigkeit der Bescheinigung (z.B. eine Ankündigung der Krankheit im Streitfall oder auffällige Widersprüche).
Im vorliegenden Fall reichten die Zweifel des Arbeitgebers nicht aus. Die Tatsache, dass die AU-Bescheinigungen von unterschiedlichen Ärzten stammten oder das Krankheitsbild wechselte, begründete keinen ausreichenden Verdacht für eine Straftat (wie Betrug).
Da der konkrete Verdacht fehlte, war die Datenerhebung (Observation und Filmaufnahmen) von vornherein rechtswidrig.
Das BAG betonte, dass die heimlichen Videoaufnahmen die Intensität des Eingriffs erheblich verstärkten und die Grenze zur entschädigungspflichtigen Persönlichkeitsverletzung überschritten.
Die Verletzung war so schwerwiegend, dass sie nicht auf andere Weise (z.B. durch bloße Feststellung der Rechtswidrigkeit) befriedigend ausgeglichen werden konnte. Eine Geldentschädigung dient in solchen Fällen der Genugtuung des Opfers und der Prävention (Abschreckung).
Die Höhe der Entschädigung wird vom Gericht nach den Umständen des Einzelfalls festgelegt. Das BAG hielt die vom Landesarbeitsgericht zugesprochenen 1.000 Euro für angemessen. Dabei wurden mildernde Umstände berücksichtigt, wie die Tatsache, dass die Aufnahmen nicht die Intim- oder Privatsphäre betrafen (sondern den öffentlichen Raum) und nicht an beliebige Dritte weitergegeben wurden. Gleichzeitig wurde die Heimlichkeit und die Nutzung der Auszüge vor Gericht als erschwerend gewertet.
Arbeitgeber dürfen einen krankgeschriebenen Mitarbeiter nicht ohne konkreten und begründeten Verdacht einer Straftat (wie vorgetäuschter Krankheit) durch Detektive überwachen oder filmen lassen. Ein allgemeiner Zweifel reicht nicht aus. Liegt eine solche unzulässige Überwachung vor, stellt dies eine schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung dar, die einen Anspruch auf Geldentschädigung des Arbeitnehmers begründen kann.
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