Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter sowie des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch die Ablehnung von Befangenheitsgesuchen
Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 3. März 2025 (1 BvR 750/23, 1 BvR 763/23)
Zusammenfassung des BVerfG-Beschlusses vom 03.03.2025 – Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter und des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch Ablehnung von Befangenheitsgesuchen
Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), 1. Senat, 3. Kammer, vom 3. März 2025 betrifft die erfolgreichen Verfassungsbeschwerden einer Société en Commandite Simple
gegen zwei Beschlüsse des Oberlandesgerichts München (OLG München) vom 10. Februar 2023.
Diese Beschlüsse wiesen die sofortigen Beschwerden der Beschwerdeführerin gegen die Zurückweisung ihrer Befangenheitsanträge
gegen die Vorsitzende Richterin und einen beisitzenden Richter des Landgerichts München I zurück.
Das BVerfG stellte eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) sowie des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) fest
und hob die Entscheidungen des OLG München auf, wodurch die Sachen zur erneuten Entscheidung an das OLG zurückverwiesen wurden.
Die Beschwerdeführerin ist Klägerin in einem seit 2015 anhängigen werkvertraglichen Nacherfüllungs- und Schadensersatzprozess vor dem Landgericht München I.
Im Laufe des Verfahrens kam es zu zwei Klägerwechseln, denen die Beklagte jeweils zustimmte.
Nach Beweisaufnahme durch ein Sachverständigengutachten und gescheiterten außergerichtlichen Vergleichsverhandlungen unternahm das Gericht weitere Vergleichsbemühungen.
In einer mündlichen Verhandlung im März 2022 wies das Gericht auf seine hohe Arbeitsbelastung hin und unterbreitete einen Vergleichsvorschlag.
Mit einem Hinweisbeschluss im Mai 2022 fasste das Gericht die bisherige Beweisaufnahme zusammen und wies erneut auf den Vergleichsvorschlag hin.
Die Beschwerdeführerin lehnte den Vergleich ab und erweiterte ihre Klage.
In einer weiteren mündlichen Verhandlung im Juli 2022 thematisierte das Gericht erneut eine einvernehmliche Lösung.
Mit Beschluss vom 28. Juli 2022 erließ das Landgericht einen Hinweis- und Beweisbeschluss, in dem es erneut die Sinnhaftigkeit
einer einvernehmlichen Lösung betonte und rechtliche Hinweise zur Aktivlegitimation, Gewährleistungsfrist und Verwirkung gab.
Daraufhin lehnte die Beschwerdeführerin im August 2022 die Vorsitzende Richterin und den beisitzenden Richter wegen Besorgnis der Befangenheit ab.
Sie begründete dies mit dem unangemessenen Vergleichsdruck durch die Hinweisbeschlüsse, dem unsachlichen Verhalten der Vorsitzenden
in der mündlichen Verhandlung und dem Inhalt ihrer dienstlichen Äußerungen.
Nachdem die abgelehnten Richter dienstliche Äußerungen abgegeben hatten, wies das Landgericht das Ablehnungsgesuch als verspätet und unbegründet zurück.
Die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin hiergegen wies das OLG München mit Beschluss vom 10. Februar 2023 (Az. 28 W 1635/22 Bau e) zurück.
Während des laufenden ersten Ablehnungsverfahrens setzte die Vorsitzende Richterin Fristen zur Stellungnahme und zur Zahlung eines Kostenvorschusses für den Sachverständigen.
Daraufhin stellte die Beschwerdeführerin ein zweites Ablehnungsgesuch gegen die Vorsitzende wegen Behinderung des ersten Ablehnungsverfahrens und erneuter Demonstration, ihr Begehren nicht ernst zu nehmen.
Das Landgericht wies auch dieses Ablehnungsgesuch zurück.
Die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde wies das OLG München mit Beschluss vom 10. Februar 2023 (Az. 28 W 1655/22 Bau e) ebenfalls zurück,
obwohl es eine objektive Verletzung der Wartepflicht gemäß § 47 Abs. 1 ZPO durch die Vorsitzende feststellte.
Gegen beide Beschlüsse des OLG München legte die Beschwerdeführerin Verfassungsbeschwerde ein und rügte die Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und Art. 3 Abs. 1 GG.
Das BVerfG gab den Verfassungsbeschwerden statt.
Das BVerfG stellte fest, dass dieser Beschluss das Recht der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzte, da das OLG München das Vorbringen der Beschwerdeführerin, der
Hinweisbeschluss vom 28. Juli 2022 habe unangemessenen Vergleichsdruck erzeugen sollen, nicht in Erwägung gezogen habe.
Dieser Vortrag sei für das Ablehnungsverfahren von zentraler Bedeutung gewesen, da unangemessener Vergleichsdruck einen Ablehnungsgrund darstellen könne.
Das OLG habe sich lediglich mit der möglichen Sachwidrigkeit einzelner Hinweise befasst, nicht aber den Gesamtzusammenhang und den Zeitpunkt der Hinweise berücksichtigt.
Auch Umstände, die die Behauptung der Beschwerdeführerin indiziell stützen könnten (insistierendes Verhalten des Gerichts, sachfremder Hinweis auf die Arbeitsbelastung), seien nicht erwogen worden.
Weiterhin verletze der Beschluss Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, soweit er die Besorgnis der Befangenheit der Vorsitzenden Richterin mit Blick auf ihre dienstliche Äußerung vom 1. September 2022 verneint habe.
Die dienstliche Äußerung enthalte eine sachlich nicht gerechtfertigte Abwertung des Ablehnungsvorbringens
durch Gegenüberstellung einer „subjektiven“ Wahrnehmung der Beschwerdeführerin mit einer „vernünftig-objektiven Betrachtung“ der Vorsitzenden.
Zudem verwende die Vorsitzende ironische Formulierungen und fasse das Ablehnungsgesuch verkürzend und entstellend zusammen.
Angesichts dieser deutlichen Indizien für eine mögliche Voreingenommenheit hätte das OLG sorgfältiger prüfen müssen, ob eine Besorgnis der Befangenheit ausgeschlossen werden könne.
Die pauschale Begründung des OLG genüge dem nicht.
Hinsichtlich der dienstlichen Äußerung des beisitzenden Richters N. sah das BVerfG hingegen keine Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.
Auch dieser Beschluss verletze das Recht der Beschwerdeführerin aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.
Dies gelte zunächst, soweit das OLG die Besorgnis der Befangenheit der Vorsitzenden Richterin mit Blick auf die Missachtung der Wartepflicht nach § 47 Abs. 1 ZPO verneint habe.
Das OLG habe sich darauf gestützt, dass die Verstöße auf einem Rechtsirrtum der Richterin beruhten und sie ausschließlich das Verfahren habe fördern wollen.
Diese Erwägung verfehle den verfassungsrechtlich geschützten Kern des Ablehnungsrechts, wonach auf die Sicht der Verfahrensbeteiligten zum Zeitpunkt der Ablehnung abzustellen sei.
Eine dienstliche Äußerung, die nachträglich die Motive des Richters offenlege, könne früheres Fehlverhalten nicht ungeschehen machen.
Zudem habe das OLG verkannt, dass das Tätigkeitsverbot dem Schutz der ablehnenden Partei diene.
Weiterhin verletze der Beschluss Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, soweit er die Besorgnis der Befangenheit der Vorsitzenden Richterin mit Blick auf ihre dienstliche Äußerung vom 17. November 2022 verneint habe.
Die Äußerung, die prozesstaktische Motivation der Ablehnungsanträge könne „durchaus objektiv beleuchtet werden“, stelle eine unzulässige Kritik an der Wahrnehmung des Ablehnungsrechts dar.
Das OLG habe nicht hinreichend berücksichtigt, dass bereits die frühere dienstliche Äußerung Gegenstand eines Ablehnungsgesuchs gewesen sei
und die Vorsitzende daher Anlass gehabt hätte, jeden Anschein einer Voreingenommenheit zu vermeiden.
Die Annahme des OLG, die Äußerung sei ausschließlich sachlich gehalten und eine verständliche Reaktion, sei nicht nachvollziehbar.
Das BVerfG hob die beiden Beschlüsse des OLG München auf und verwies die Sachen zur erneuten Entscheidung an das OLG zurück.
Der Freistaat Bayern hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.
Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit wurde für jede Verfassungsbeschwerde auf 10.000 Euro festgesetzt.
Mit dieser Entscheidung stärkt das BVerfG die Rechte von Verfahrensbeteiligten im Hinblick auf die Unparteilichkeit der Richter und das Recht auf rechtliches Gehör im Ablehnungsverfahren.
Die Anforderungen an dienstliche Äußerungen abgelehnter Richter werden präzisiert, und die Bedeutung der subjektiven Sicht der ablehnenden Partei
für die Beurteilung der Besorgnis der Befangenheit wird betont.
Die Missachtung der Wartepflicht gemäß § 47 Abs. 1 ZPO wird nicht per se als Befangenheitsgrund angesehen, kann aber in der Gesamtschau relevant sein.
Die Entscheidung unterstreicht die verfassungsrechtlichen Grenzen der fachgerichtlichen Handhabung des Ablehnungsrechts.
Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.
Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.
Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.
Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.
Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.
Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.
Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.
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Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.