Verletzung rechtlichen Gehörs durch verfrühte Entscheidung über Wiedereinsetzung
BGH, Beschluss vom 24.4.2018 – VI ZB 48/17
In dem vorliegenden Fall vor dem Bundesgerichtshof (BGH) ging es um die Frage, ob eine Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Hamburg über einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
vor Ablauf der dafür vorgesehenen Frist den Anspruch des Antragstellers auf rechtliches Gehör verletzt und somit eine Rechtsbeschwerde zulässig macht.
Der Sachverhalt war folgendermaßen:
Die Klägerin hatte vor dem Landgericht (LG) Hamburg eine Klage auf Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall gegen die Beklagte erhoben, die abgewiesen wurde.
Gegen dieses Urteil legte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin fristgerecht Berufung ein.
Nachdem der Vorsitzende des Berufungsgerichts (BerGer.) darauf hinwies, dass keine Berufungsbegründung eingegangen sei und die Berufung daher als unzulässig verworfen werden müsse,
beantragte der Prozessbevollmächtigte zunächst eine Fristverlängerung und sodann die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist.
Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags führte der Prozessbevollmächtigte aus, er sei seit dem 17. Oktober 2017 aufgrund einer akuten Lumboischialgie arbeitsunfähig gewesen und habe seiner Tätigkeit
als Rechtsanwalt nur noch unter starken Schmerzen und Einnahme von Schmerzmitteln für maximal zwei bis drei Stunden täglich nachgehen können.
Dies habe ihm die Einarbeitung in den Sach- und Rechtsstand der Berufungsangelegenheit und die Anfertigung einer zweckmäßigen Berufungsbegründung unmöglich gemacht.
Erst ab dem 2. November 2017 sei er wieder in der Lage gewesen, sich der Angelegenheit zu widmen.
Das BerGer. (OLG Hamburg) wies den Antrag auf Wiedereinsetzung mit Beschluss vom 8. November 2017 ab und verwarf die Berufung als unzulässig,
da die Berufungsbegründung nicht rechtzeitig eingegangen sei.
Zur Begründung führte das OLG aus, die Darlegung des Prozessbevollmächtigten reiche für eine Wiedereinsetzung nicht aus.
Es wäre erforderlich und ausreichend gewesen, rechtzeitig einen Fristverlängerungsantrag zu stellen, um die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu verhindern.
Die verfügbare Arbeitszeit hätte der Prozessbevollmächtigte vornehmlich für die Fristenkontrolle und zur Abwendung nicht reparabler Fristversäumnisse aufwenden müssen.
Gegen diesen Beschluss legte die Klägerin Rechtsbeschwerde beim BGH ein.
Der BGH gab der Rechtsbeschwerde statt.
Er begründete seine Entscheidung damit, dass das BerGer., indem es den Antrag auf Wiedereinsetzung vor Ablauf der dafür maßgeblichen Frist zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen habe,
den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör gemäß Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes (GG) verletzt habe.
Zudem sei zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erforderlich.
Der BGH verwies auf seine ständige Rechtsprechung in Übereinstimmung mit dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG), wonach Artikel 103 Absatz 1 GG das Gericht verpflichtet,
die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen.
Dies diene dazu, sicherzustellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die auf einer unterlassenen Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien beruhen.
In diesem Sinne gebiete Artikel 103 Absatz 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung (ZPO)
die Berücksichtigung jedes Schriftsatzes, der innerhalb einer gesetzlichen oder richterlich bestimmten Frist bei Gericht eingeht.
Daraus folge, dass ein Gericht über einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht vor Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist entscheiden dürfe.
Es sei unerheblich, ob das Gericht die Sache für entscheidungsreif halte, da der Antragsteller innerhalb der Frist ergänzend zu den Wiedereinsetzungsgründen vortragen könne und dürfe.
Der BGH stellte fest, dass das BerGer. gegen diese Grundsätze verstoßen habe, indem es vor Ablauf der Frist über den Wiedereinsetzungsantrag entschieden
und sich dadurch der Möglichkeit begeben habe, weiteren Vortrag zur Kenntnis zu nehmen und zu würdigen.
Die Frist zur Beantragung der Wiedereinsetzung beträgt gemäß § 234 Absatz 1 Satz 2 ZPO einen Monat, wenn die Partei gehindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten.
Diese Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist (§ 234 Absatz 2 ZPO).
Im vorliegenden Fall wurde dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin die Verfügung des BerGer. am 2. November 2017 zugestellt.
Nach seinen Angaben war er erst ab diesem Tag wieder in der Lage, sich der Angelegenheit zu widmen. Folglich war die Monatsfrist des § 234 Absatz 1 Satz 2 ZPO am 8. November 2017 noch nicht abgelaufen,
und die Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag war somit verfrüht.
Dieser Verstoß sei auch entscheidungserheblich gewesen, da nicht ausgeschlossen werden könne, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin den Vortrag zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags bis
zum Fristablauf hinreichend ergänzt und gemäß § 236 Absatz 2 Satz 2 ZPO die versäumte Prozesshandlung durch Einreichen der Berufungsbegründung nachgeholt hätte.
Dass er tatsächlich erst in der Rechtsbeschwerdebegründung weiteren Vortrag zum Wiedereinsetzungsgrund vorgetragen und die Berufungsbegründung erst im Februar 2018 eingereicht habe, sei unerheblich.
Dies sei darauf zurückzuführen, dass das BerGer. die Wiedereinsetzung bereits abgelehnt und die Berufung als unzulässig verworfen und damit zu erkennen gegeben habe, dass es etwaiges weiteres
Vorbringen zum Wiedereinsetzungsgrund und eine nachgeholte Berufungsbegründung nicht mehr berücksichtigen werde.
Aus diesen Gründen hob der BGH den angefochtenen Beschluss auf und verwies die Sache gemäß § 577 Absatz 4 Satz 1 ZPO zur erneuten Entscheidung
unter Berücksichtigung des weiteren Vorbringens der Klägerin im Rechtsbeschwerdeverfahren an das BerGer. zurück.
Für das weitere Verfahren wies der BGH darauf hin, dass ein Einzelanwalt ohne eigenes Personal zumutbare Vorkehrungen
für einen Verhinderungsfall treffen müsse, beispielsweise durch Absprache mit einem vertretungsbereiten Kollegen.
Zu den möglichen und zumutbaren Maßnahmen eines unvorhergesehen erkrankten Rechtsanwalts könne auch gehören, den Vertreter zu benachrichtigen
und diesen zu bitten, einen Fristverlängerungsantrag zu stellen.
Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.
Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.
Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.
Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.
Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.
Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.
Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.
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