Versäumnisurteil im schriftlichen Vorverfahren
Gerne fasse ich das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 11.06.2025 (IV ZR 83/24) zum Versäumnisurteil im schriftlichen Vorverfahren zusammen.
Der Kern dieses Urteils betrifft die Frage, wann eine Partei, gegen die ein Versäumnisurteil im sogenannten schriftlichen Vorverfahren erlassen wurde, wirksam Einspruch einlegen kann.
Ein Urteil, das gegen eine Partei ergeht, weil sie bestimmte Fristen im Prozess versäumt hat – hier die Frist zur Anzeige der Verteidigungsbereitschaft (§ 331 Abs. 3 ZPO).
Ein Verfahren, das die mündliche Verhandlung ersetzt. Das Urteil wird nicht mündlich verkündet, sondern den Parteien zugestellt (§ 310 Abs. 3 ZPO).
Im vorliegenden Fall hatte die beklagte Partei (Bekl.) die Frist versäumt. Das Gericht erließ ein Versäumnisurteil. Normalerweise beginnt die Einspruchsfrist erst, wenn das Urteil wirksam geworden ist. Bei der Zustellung anstelle der Verkündung wird ein Urteil aber erst wirksam, wenn es allen beteiligten Parteien zugestellt wurde.
Die zeitliche Abfolge war wie folgt:
12.02.2021: Das Versäumnisurteil (VU) wird erlassen.
17.02.2021: Zustellung des VU an den Kläger.
18.02.2021: Die Beklagte legt vorsorglich Einspruch ein (sie wusste, dass es wahrscheinlich ein VU gibt, hatte es aber noch nicht erhalten).
19.02.2021: Zustellung des VU an die Beklagte.
Die Frage war nun: War der am 18.02.2021 eingelegte Einspruch zulässig/statthaft?
Das Versäumnisurteil wurde erst am 19.02.2021 wirksam (mit der Zustellung an die letzte Partei, die Beklagte).
Die Beklagte legte den Einspruch aber bereits am 18.02.2021 ein, also nachdem es dem Kläger zugestellt (17.02.) und bevor es ihr selbst zugestellt (19.02.) wurde.
Das Berufungsgericht hielt den Einspruch für unzulässig, weil das Versäumnisurteil am 18.02.2021 noch nicht vollständig wirksam geworden war (es fehlte noch die Zustellung an die Beklagte selbst). Die Beklagte legte Revision beim BGH ein.
Der BGH hat entschieden, dass der Einspruch der Beklagten zulässig war und das Berufungsgericht das falsch beurteilt hat.
Ist im schriftlichen Vorverfahren ein Versäumnisurteil ergangen, ist der Einspruch für die betroffene säumige Partei spätestens dann statthaft, sobald die erste der notwendigen Zustellungen (hier an den Kläger) wirksam geworden ist.
Sobald das Urteil auch nur einer Partei zugestellt wurde (hier am 17.02. dem Kläger), ist das Gericht an seine Entscheidung gebunden (§ 318 ZPO). Ab diesem Zeitpunkt steht der Inhalt des Urteils fest, und es muss nur noch an die übrigen Parteien zugestellt werden, damit es wirksam wird.
Der Einspruch muss sich gegen eine bestimmbare Entscheidung richten. Da das Urteil nach der ersten Zustellung feststeht und nur seine Wirksamkeit noch aufgeschoben ist, liegt ein ausreichender Anfechtungsgegenstand vor.
Den Parteien darf der Zugang zu den Rechtsbehelfen, die das Verfahrensrecht vorsieht, nicht unzumutbar erschwert werden.
Würde man den Einspruch erst nach vollständiger Wirksamkeit (letzte Zustellung) zulassen, müsste die beklagte Partei die Zustellung an die (nicht beschwerte) Gegenpartei abwarten und kontrollieren.
Dieser Zwang zum Abwarten ist nicht durch die Interessen der Gegenseite oder die Zwecke des Verfahrensrechts gerechtfertigt. Eine vorgezogene Einspruchsmöglichkeit fördert sogar die Verfahrensbeschleunigung, da früher Klarheit über die Notwendigkeit eines Einspruchstermins besteht.
Der BGH stellte klar, dass der Einspruch, obwohl er gegen ein „möglicherweise“ ergangenes Urteil eingelegt wurde, unbedingt und damit wirksam war. In unsicheren Verfahrenssituationen entspricht eine solche vorsorgliche, aber unbedingte Einlegung dem wohlverstandenen Interesse des Mandanten und der anwaltlichen Sorgfaltspflicht.
Das Urteil stärkt die Rechtssicherheit und den effektiven Rechtsschutz der säumigen Partei. Sie muss nicht die vollständige Zustellung des Versäumnisurteils an alle Prozessbeteiligten abwarten, um wirksam Einspruch einzulegen. Sobald das Urteil in der Welt ist und damit zumindest einer Partei zugestellt wurde, ist der Weg für den Einspruch frei.
Im konkreten Fall bedeutet dies: Der Einspruch der Beklagten war am 18.02.2021 zulässig, weil das Urteil bereits am 17.02.2021 dem Kläger zugestellt worden war. Das Verfahren musste daher in der Vorinstanz neu aufgerollt werden, um die sachlichen Einwendungen der Beklagten gegen die Klage zu prüfen.
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