Vertrauen des Verkehrs auf Luftraumfreiheit bis zur höchstzulässigen Fahrzeughöhe

Oktober 19, 2025

Vertrauen des Verkehrs auf Luftraumfreiheit bis zur höchstzulässigen Fahrzeughöhe

Gerichtsurteil des OLG Rostock: Verkehrssicherungspflicht auf Kreisstraßen

Dieses Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Rostock vom 10. Juni 2004 (Aktenzeichen: 1 U 168/02) befasst sich mit der Frage, inwieweit ein Landkreis (als zuständige Behörde) für Schäden haftet, die einem LKW durch herabhängende Äste auf einer Straße entstehen. Es geht dabei um die sogenannte Verkehrssicherungspflicht und die berechtigten Sicherheitserwartungen des Verkehrs.

Worum ging es im Fall?

Eine Klägerin (Inhaberin eines LKW) forderte Schadensersatz vom beklagten Landkreis, weil ihr 3,90 Meter hohes Fahrzeug auf einer Kreisstraße (K 21) mit einem herabhängenden Baumast kollidiert und beschädigt worden war. Sie war der Ansicht, der Landkreis habe seine Pflicht verletzt, den Luftraum über der Fahrbahn bis zur gesetzlich zulässigen Maximalhöhe von 4 Metern frei von Hindernissen zu halten oder davor zu warnen.

Die Entscheidung des Gerichts (Tenor)

Das OLG Rostock hat die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts zurückgewiesen. Das bedeutet, die Klage auf Schadensersatz hatte keinen Erfolg.

Die zentralen Argumente des Gerichts

Die Höhe der Verkehrssicherungspflicht hängt von der Straßenart ab

Das Gericht stellte fest, dass die Verkehrssicherungspflicht eines Straßenbaulastträgers (hier: der Landkreis) nicht auf jeder Straße gleich hoch ist.

Bundes- und Ausfallstraßen (Hauptverkehrsstraßen):

Auf diesen Straßen mit erheblicher Verkehrsbedeutung (dichtem, schnellem Verkehr) ist das Vertrauen der Fahrer gerechtfertigt, dass der Luftraum über der gesamten Fahrbahn bis zur maximalen Fahrzeughöhe von 4 Metern frei ist. Die Fahrer müssen sich voll auf das Verkehrsgeschehen konzentrieren.

Kreisstraßen (Straßen von minderer Verkehrsbedeutung):

Auf diesen Straßen mit geringerer Verkehrsdichte und -geschwindigkeit gilt das nicht. Von den Fahrern besonders hoher Fahrzeuge (nahe der 4-Meter-Grenze) kann erwartet werden, dass sie neben dem Verkehr auch den Luftraum über der Straße im Auge behalten. Es ist ihnen zumutbar, langsamer zu fahren, zur Not zur Straßenmitte auszuweichen oder anzuhalten, wenn Äste zu niedrig hängen.

Vertrauen des Verkehrs auf Luftraumfreiheit bis zur höchstzulässigen Fahrzeughöhe

Vorübergehende Umleitung erhöht nicht den Sicherheitsstandard

Die K 21 war im Unfallzeitpunkt vorübergehend als Umleitung für eine Bundesstraße (B 191) ausgewiesen. Die Klägerin argumentierte, dadurch müsse für die Kreisstraße der Sicherheitsstandard einer Bundesstraße gelten.

Das Gericht verneinte dies. Maßgeblich für die Sicherheitserwartungen ist der äußere Zuschnitt der Straße und ob sie auf ein größeres Verkehrsaufkommen eingerichtet ist – nicht ein nur vorübergehend erhöhtes Verkehrsaufkommen. Die schmale Allee K 21 (nur 5,50 Meter breit) war offenkundig nicht wie eine Bundesstraße ausgebaut. Die Verkehrsteilnehmer durften kein berechtigtes Vertrauen auf einen Bundesstraßen-Sicherheitsstandard fassen, nur weil sie temporär als Umleitung diente.

Kein Anspruch auf Warnschilder

Das Gericht sah auch keine Pflicht des Landkreises, vor den niedrig hängenden Ästen zu warnen. Bei einem erkennbar engen Lichtraumprofil der Allee ist ein allgemeines Warnschild „Einengung des Straßenprofils durch überhängende Bäume“ nicht erforderlich und auch kein geeignetes Mittel, um vor vereinzelten Hindernissen zu warnen.

Mitverschulden des LKW-Fahrers

Ein weiterer wichtiger Punkt war das Eigenverschulden des LKW-Fahrers.

Der Fahrer hätte den Luftraum beobachten und unter den niedrigen Ästen auf die Straßenmitte ausweichen müssen, was angesichts der Straßenbreite und des fehlenden Gegenverkehrs möglich gewesen wäre.

Er fuhr jedoch laut eigener Aussage „völlig arglos“ und „auf der Fahrbahnkante“.

Zudem ergab die Beweisaufnahme, dass der LKW möglicherweise von der Fahrbahn abgekommen war und mit seinen rechten Reifen das unbefestigte Bankett befuhr, als die Kollision stattfand. Dies wurde durch die Aussage einer Zeugin gestützt und der Senat sah die Möglichkeit, dass der Unfall dadurch verursacht wurde, dass der LKW nicht auf der eigentlichen Fahrbahn fuhr.

Da die Klägerin nicht beweisen konnte, dass die Kollision auf der reinen Fahrbahn mit einem Ast stattfand, der niedriger als 3,90 Meter hing, und der Fahrer offensichtlich die notwendige Vorsicht außer Acht ließ, wurde die Klage abgewiesen.

Zusammenfassung

Das OLG Rostock stellte klar, dass die Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht von der Bedeutung der Straße abhängen. Auf einer Kreisstraße mit Allee-Charakter (minderer Verkehrsbedeutung) müssen Fahrer besonders hoher Fahrzeuge selbst erhöhte Aufmerksamkeit walten lassen und dürfen nicht blind darauf vertrauen, dass der Raum bis 4 Meter Höhe überall frei ist, insbesondere wenn die Straße nur vorübergehend als Umleitung dient. Das Gericht sah in der Fahrweise des LKW-Fahrers ein anspruchsausschließendes Eigenverschulden.

RA und Notar Krau

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