Verwertungsverbot für von der Staatsanwaltschaft sichergestellte Festplatte im Besteuerungsverfahren
BFH Beschluss vom 23. April 2025, I B 51/22
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat entschieden, dass Erkenntnisse aus der Auswertung einer von der Staatsanwaltschaft sichergestellten Festplatte
im Besteuerungsverfahren einem qualifizierten Verwertungsverbot unterliegen können.
Dies gilt insbesondere dann, wenn die Festplatte im Rahmen eines gegen eine andere Person wegen einer Nichtsteuerstraftat geführten Ermittlungsverfahrens sichergestellt und dem Außenprüfer von der
Staatsanwaltschaft ohne vorherige Durchsicht nach § 110 der Strafprozessordnung (StPO) zur vollständigen Auswertung überlassen wurde.
Im vorliegenden Fall ging es um die Frage, ob eine zypriotische Kapitalgesellschaft (Klägerin) in den Jahren 2009 bis 2012 in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig war.
Streitig war insbesondere der Ort der Geschäftsleitung.
Das Finanzamt (FA) stützte sich bei seiner Beurteilung unter anderem auf E-Mail-Verkehr, der auf einer Festplatte gefunden wurde, welche die Staatsanwaltschaft im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens wegen
Wertpapierhandelsdelikten gegen die Gesellschafter der Muttergesellschaft der Klägerin sichergestellt hatte.
Der BFH gab der Beschwerde der Klägerin statt und hob das Urteil des Finanzgerichts (FG) auf.
Er begründete dies im Wesentlichen damit, dass das FG im Rahmen seiner Beweiswürdigung Daten der Festplatte berücksichtigt habe, die einem Verwertungsverbot unterliegen.
Der BFH führte aus, dass zwar gemäß § 393 Abs. 3 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) Erkenntnisse, die die Finanzbehörde
oder die Staatsanwaltschaft rechtmäßig im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen gewonnen hat, im Besteuerungsverfahren verwendet werden dürfen.
Jedoch gelte dies nicht uneingeschränkt.
Im vorliegenden Fall habe die Staatsanwaltschaft die Festplatte vor der Übergabe an den Prüfer nicht nach § 110 StPO durchgesehen
und die für die strafrechtliche Ermittlung nicht relevanten Daten nicht von der Übermittlung ausgenommen.
Dies sei jedoch erforderlich gewesen.
Gemäß § 110 Abs. 1 und 3 StPO ist die Staatsanwaltschaft verpflichtet, Papiere und elektronische Speichermedien
des von der Durchsuchung Betroffenen durchzusehen und zu prüfen, ob sie als Beweismittel in Betracht kommen.
Nur die verfahrensrelevanten und verwertbaren Informationen dürfen für dauerhafte und vertiefte Analysen greifbar bleiben.
Die Durchsicht bezweckt, übermäßige und auf Dauer angelegte Datenerhebungen zu vermeiden und vermindert dadurch die Intensität des
Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG).
Der BFH stellte fest, dass die Übersendung der ungefilterten Festplatte an den Außenprüfer einen unverhältnismäßigen
Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung der A-OHG (bzw. deren Gesellschafter AR und WR) darstelle, der nicht mehr von § 393 Abs. 3 Satz 1 AO gedeckt sei.
Bei der Abwägung zwischen dem Grundrechtsschutz und dem Interesse an einer umfassenden Sachaufklärung überwiege im vorliegenden Fall der Grundrechtsschutz.
Insbesondere sei zu berücksichtigen, dass die Wertpapierhandelsdelikte, derentwegen gegen AR und WR ermittelt wurde, keinen erkennbaren Bezug zu den Besteuerungsverfahren der Klägerin gehabt hätten.
Zudem habe der Außenprüfer keine Befugnis zur Durchsuchung oder Beschlagnahme von Unterlagen.
Die Überlassung der ungefilterten Festplatte habe ihm somit faktisch nicht vorgesehene Zugriffsmöglichkeiten in die grundrechtlich geschützte Sphäre des Steuerpflichtigen verschafft.
Schließlich sei zu berücksichtigen, dass die Festplatte zum Zeitpunkt der Übersendung an den Prüfer bereits seit circa 2 ¾ Jahren im Besitz der Staatsanwaltschaft gewesen sei,
womit der angemessene Zeitraum für die Durchsicht deutlich überschritten gewesen sei.
Der BFH betonte, dass zwar im Besteuerungsverfahren kein allgemeines Verwertungsverbot für verfahrensfehlerhaft erlangte Erkenntnisse bestehe.
Jedoch könne ein qualifiziertes materiell-rechtliches Verwertungsverbot anzunehmen sein, wenn die Ermittlung der Tatsachen einen verfassungsrechtlich geschützten Bereich des Steuerpflichtigen verletzt habe.
Dies sei im vorliegenden Fall gegeben.
Der BFH verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück.
Das FG müsse den Sachverhalt nun ohne die aus der Auswertung der Festplatte gewonnenen Erkenntnisse würdigen.
Zudem sei das Verwertungsverbot ausnahmsweise auf Tatsachen oder Beweismittel zu erstrecken, die ohne die rechtswidrig ermittelte Tatsache mutmaßlich nicht aufgeklärt worden wären (sog. Fernwirkung).
Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.
Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.
Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.
Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.
Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.
Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.
Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.
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