Verwirkung des Beschwerderechts im Erbscheinserteilungsverfahren – KG Berlin Beschluss vom 14. Januar 1997 – 1 W 8000/95

Juni 10, 2020

Verwirkung des Beschwerderechts im Erbscheinserteilungsverfahren – KG Berlin Beschluss vom 14. Januar 1997 – 1 W 8000/95

Zusammenfassung RA und Notar Krau

Der Beschluss betrifft ein Erbscheinserteilungsverfahren, bei dem die Auslegung eines gemeinschaftlichen Testaments und die Verwirkung des Beschwerderechts im Mittelpunkt stehen.

Das Amtsgericht Schöneberg hatte am 15. Oktober 1970 entschieden, und diese Entscheidung wurde nun, fast 25 Jahre später, angefochten.

Tenor:

Der Beschluss des Amtsgerichts Schöneberg wurde aufgehoben. Das Amtsgericht Schöneberg wird angewiesen, einen Erbschein zu erteilen, der die Beteiligte zu 1 und Frau … als Erbinnen der Erblasserin je zur Hälfte des Nachlasses ausweist.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wurde auf jeweils 8.000 DM festgesetzt.

Gründe:

Zulässigkeit der Beschwerde:

Die Beschwerde ist gemäß §§ 27, 29 FGG zulässig.

Trotz der langen Zeitspanne von fast 25 Jahren seit der ursprünglichen Entscheidung hat die Beteiligte zu 1 ihr Beschwerderecht nicht verwirkt.

Verwirkung des Beschwerderechts im Erbscheinserteilungsverfahren – KG Berlin Beschluss vom 14. Januar 1997 – 1 W 8000/95

Allein der Zeitablauf führt nicht zur Verwirkung; es müssen besondere Umstände hinzukommen, um die späte Rechtsmitteleinlegung als rechtsmissbräuchlich erscheinen zu lassen.

Solche Umstände sind hier nicht ersichtlich.

Vorherige Entscheidungen und Rechtsgrundlagen:

Der Beschluss des Amtsgerichts Schöneberg vom 6. Mai 1971, der das Erbrecht des Landes Berlin feststellte, steht der Beschwerde nicht entgegen, da dieser nur eine Vermutung gemäß § 1964 Abs. 2 BGB begründet.

Rechtsfehler in der angefochtenen Entscheidung:

Die Entscheidung des Landgerichts enthält Rechtsfehler, was zur Aufhebung der Entscheidung führt.

Das Landgericht nahm an, das gemeinschaftliche Testament der Ehegatten sei eindeutig und setzte die Beteiligte zu 1 und ihre Schwester nur im Falle eines gleichzeitigen Todes der Ehegatten als Erben ein. Diese Auslegung war jedoch nicht zwingend.

Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments:

Der zweite Satz des Testaments lautete: „Sollte uns aber beiden, also mir und meiner Frau gemeinsam etwas zustoßen, so sind unsere beiden Nichten … die alleinigen Erben von unserer Wohnung sowie aller Hinterlassenschaft.“

Verwirkung des Beschwerderechts im Erbscheinserteilungsverfahren – KG Berlin Beschluss vom 14. Januar 1997 – 1 W 8000/95

Diese Formulierung ist nicht eindeutig im Sinne eines gleichzeitigen Todes.

Die „Gemeinsamkeit“ ist nicht zwingend zeitlich zu verstehen, sondern kann sich auf das gleiche Ereignis, nämlich den Tod, beziehen, unabhängig davon, ob dieser gleichzeitig oder nacheinander eintritt.

Ermittlung des wirklichen Willens der Erblasser:

Gemäß §§ 133, 2084 BGB ist der wirkliche Wille des Erblassers zu erforschen.

Der erste Satz des Testaments regelte die gegenseitige Einsetzung der Ehegatten zum Erben des Erstversterbenden, weshalb weiterer Regelungsbedarf für den Tod des Letztlebenden bestand.

Es ist anzunehmen, dass die Ehegatten die Erbeinsetzung der Nichten für den Fall ihres Nacheinanderversterbens anordneten.

Berücksichtigung weiterer Umstände:

Die Ehegatten waren kinderlos, und die Nichten gehörten zu den engsten Verwandten des Ehemannes.

Die Erblasserin hatte keine engen Verwandten, und die Freunde des Ehepaares bestätigten die Erbeinsetzung der Nichten.

Diese Umstände unterstützen die Annahme, dass die Erbeinsetzung auch für den Fall des nicht gleichzeitigen Todes der Ehegatten galt.

Verwirkung des Beschwerderechts im Erbscheinserteilungsverfahren – KG Berlin Beschluss vom 14. Januar 1997 – 1 W 8000/95

Ergebnis:

Der Senat legte das Testament dahin aus, dass die Beteiligte zu 1 und ihre Schwester auch im Falle des Nacheinanderversterbens der Ehegatten als Erben eingesetzt wurden.

Daher wurde die angefochtene Entscheidung aufgehoben und das Amtsgericht angewiesen, den Erbschein entsprechend zu erteilen.

Kosten und Wertfestsetzung:

Eine Kostenerstattungsanordnung war nicht erforderlich.

Der Beschwerdewert wurde auf Basis des Nachlasswertes von rund 16.000 DM festgesetzt.

Dieser Beschluss verdeutlicht die Bedeutung der genauen Auslegung von Testamenten und zeigt, dass lange Zeiträume zwischen der ursprünglichen Entscheidung und der Beschwerde nicht zwangsläufig zur Verwirkung des Beschwerderechts führen.

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

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Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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