Verwirkung von Auskunfts- und Rechnungslegungsansprüchen unter Miterben wegen erheblichen Zeitablaufs und Untätigkeit
OLG Koblenz, Urteil vom 19.12.2013 – 2 U 1191/11
Dieses Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Koblenz befasst sich mit der Frage, wann ein Auskunftsanspruch eines Miterben gegenüber einem anderen Miterben bezüglich des Nachlasses verwirkt sein kann. Verwirkung bedeutet hier, dass ein Recht nicht mehr geltend gemacht werden kann, weil der Berechtigte es über lange Zeit nicht ausgeübt hat und der andere Teil berechtigterweise darauf vertrauen durfte, dass dieses Recht nicht mehr eingefordert wird.
Der Kläger forderte von der Beklagten, seiner Mutter und Miterbin, Auskunft und Rechenschaft über den Nachlass seines 1999 verstorbenen Adoptivvaters (Erblasser B.). Die Beklagte hatte mit dem Erblasser zusammengelebt und den Nachlass in Besitz genommen und verwaltet. Der Kläger leitete seine Forderung nach fast 10 Jahren nach dem Erbfall ein (Erbfall: 1999, Aufforderung: 2008). Er wollte die Auskünfte, um eine Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft (die Aufteilung des Erbes) zu erreichen.
Die Beklagte argumentierte, sie habe ihre Pflichten bereits erfüllt oder der Anspruch sei aufgrund der langen Zeit und der früheren Tätigkeiten des Klägers als Vermögensverwalter verwirkt.
Das OLG Koblenz stellte fest, dass die Beklagte grundsätzlich zur Auskunft und Rechenschaft verpflichtet war.
Als Person, die mit dem Erblasser zusammenlebte und den Nachlass verwaltete, schuldet sie Auskunft über die geführten erbschaftlichen Geschäfte und den Verbleib der Gegenstände (§2028 BGB).
Diese Pflicht gilt ausnahmsweise auch zwischen Miterben, um das bestehende Informationsgefälle auszugleichen.
Unabhängig davon bestand die Auskunftspflicht auch, weil die Beklagte den Nachlass in Besitz genommen hatte (§§2027,681,666 BGB).
Der Kernpunkt des Urteils ist die Verwirkung. Das Gericht gab der Beklagten in weiten Teilen recht.
Die Verwirkung setzt zwei Komponenten voraus:
Ein erheblicher Zeitablauf, in dem das Recht nicht geltend gemacht wurde (hier fast 10 Jahre).
Der Pflichtige (hier die Beklagte) durfte aufgrund des Verhaltens des Berechtigten (hier des Klägers) darauf vertrauen, dass das Recht nicht mehr geltend gemacht wird, und hat sich darauf eingestellt.
Die Beklagte durfte nach fast 10 Jahren Untätigkeit des Klägers berechtigterweise davon ausgehen, dass sie die Auskunftspflicht nicht mehr erfüllen müsse. Es sei unzumutbar, gerade unter engen Verwandten, eine saubere Trennung von Eigen- und Nachlassvermögen über so lange Zeit aufrechtzuerhalten, um jederzeit Auskunft erteilen zu können. Die Erfüllung der Auskunftspflicht erfordert vor allem ein noch vorhandenes Erinnerungsvermögen, das mit der Zeit schwindet.
Das Gericht unterschied klar zwischen:
Das Recht, die Erbengemeinschaft aufzulösen und seinen Erbteil zu erhalten. Dieser Anspruch bleibt grundsätzlich unverjährt und ist nicht verwirkt.
Das Hilfsmittel, um den Nachlassbestand zu erfahren und die Auseinandersetzung vorzubereiten. Dieser Anspruch kann verwirken.
Der Kläger muss es hinnehmen, wenn seine Möglichkeit, den Auseinandersetzungsanspruch durchzusetzen, erschwert wird (bis hin zur faktischen Unmöglichkeit), da dies durch sein eigenes, bewusstes Zuwarten veranlasst wurde.
Die Verwirkung erfasste nicht den gesamten Nachlass. Sie beschränkte sich auf Gegenstände, bei denen eine Vermischung mit dem Eigenvermögen der Beklagten eingetreten war und deren rechtliches Schicksal nicht mehr nachvollziehbar ist, insbesondere:
Haushaltsgegenstände.
Laufende Kontosalden und daraus finanzierte Vermögensumschichtungen (Surrogate) nach Umschreibung der Oder-Konten auf die Beklagte.
Einnahmen aus der Verpachtung des Campingplatzes, die einvernehmlich und laufend ausschließlich der Beklagten zugewiesen wurden und sich mit ihrem Vermögen vermischten.
Die Auskunftspflicht blieb bestehen für „echte“ Vermögensgegenstände, deren rechtliches Schicksal auch nach Jahren noch ohne besondere Schwierigkeiten rekonstruierbar ist:
Zum Nachlass gehörende Grundstücke.
Bankkonten (Beschränkung auf den Todestagessaldo, da dieser einfach zu rekonstruieren ist).
Die Beklagte wurde lediglich verurteilt, dem Kläger ein Bestandsverzeichnis über die Grundstücke und die Todestagessalden der Bankkonten zu erteilen. Die weitergehende Klage auf umfassende Auskunft und Rechenschaftslegung wurde abgewiesen.
Ein Miterbe, der fast 10 Jahre nach dem Erbfall untätig bleibt, riskiert die Verwirkung seines Auskunftsanspruchs gegenüber dem Nachlassverwalter (hier: Miterbe, der den Nachlass in Besitz genommen hat).
Ein Auskunftsanspruch muss zeitnah geltend gemacht werden. Zwar bleibt der Anspruch auf die Auseinandersetzung des Erbes bestehen, aber die Verweigerung der Auskunft kann diesen Anspruch faktisch schwer durchsetzbar machen, wenn die notwendigen Informationen nicht mehr rekonstruierbar sind. Das Gericht schützt hier das schutzwürdige Vertrauen des Handelnden (Beklagte) auf den Bestand der geschaffenen Verhältnisse und die Zumutbarkeit der Rechenschaftslegung nach so langer Zeit.
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