Vollständige Fertigstellung = Abnahmereife

Juni 9, 2025

Vollständige Fertigstellung = Abnahmereife

RA und Notar Krau

Dieses Urteil des Kammergerichts Berlin vom 27. Mai 2025 (Aktenzeichen: 21 U 44/22) behandelt einen Rechtsstreit zwischen einem Bauträger (Klägerin) und einem Käufer (Beklagte) über die Restzahlung aus einem Bauträgervertrag und behauptete Mängel.

Hauptpunkte des Urteils (Leitsätze):

  1. Vollständige Fertigstellung: Der Begriff „vollständige Fertigstellung“ im Sinne der Makler- und Bauträgerverordnung (MaBV) ist gleichbedeutend mit „Abnahmereife“. Ein Bauprojekt ist fertiggestellt, wenn es abgenommen wurde oder abnahmereif ist, sowohl im Sonder- als auch im Gemeinschaftseigentum.
  2. Mängel im Abnahmeprotokoll („Protokollmängel“): Im Abnahmeprotokoll festgehaltene Mängel verhindern nicht die Fälligkeit der Schlussrate. Sie geben dem Käufer lediglich das Recht, die Zahlung unter Vorbehalt der Mangelbeseitigung zu leisten (Zug-um-Zug-Verurteilung).
  3. Beschränkung der Bauverpflichtung: Eine Klausel in einem Bauträgervertrag, die die Bauverpflichtung des Bauträgers auf einen wirtschaftlich abgrenzbaren Teil einer Wohnungseigentumsanlage beschränkt, ist auch als Allgemeine Geschäftsbedingung (AGB) wirksam.
  4. Flächenabweichung: Eine Klausel zur Regelung von Flächenabweichungen des Kaufobjekts, die besagt, dass sich der Kaufpreis nur bei Abweichungen von mehr als 3 % ändert und die Berechnung auf Rohbaumaßen basiert, ist auch als AGB wirksam.

Verfahrensgang und Entscheidung:

Das Landgericht Berlin hatte die Klage des Bauträgers abgewiesen, da Teile des Gemeinschaftseigentums noch nicht fertiggestellt waren und eine Klausel zur Beschränkung der Bauverpflichtung für unwirksam gehalten wurde. Das Kammergericht Berlin änderte dieses Urteil ab und verurteilte die Beklagte zur Zahlung von 6.969,00 Euro nebst Zinsen. Für weitere 5.831,00 Euro wurde die Beklagte Zug um Zug gegen Mangelbeseitigung verurteilt. Die Revision wurde zugelassen, da die Fragen der „vollständigen Fertigstellung“ und der Wirksamkeit von Bauabschnittsbeschränkungen von grundsätzlicher Bedeutung sind.

Begründung des Gerichts:

  1. Fälligkeit der Schlussrate:
    • Das Gericht ist der Ansicht, dass die Schlussrate von 12.800,00 Euro fällig ist, da das Objekt als „vollständig fertiggestellt“ gilt.
    • „Vollständige Fertigstellung“ wird mit „Abnahmereife“ gleichgesetzt. Das bedeutet, dass das Objekt abgenommen oder abnahmereif ist, auch wenn im Abnahmeprotokoll Mängel (sogenannte Protokollmängel) aufgeführt sind.
    • Diese Protokollmängel hindern die Fälligkeit der Schlussrate nicht, sondern begründen lediglich ein Zurückbehaltungsrecht des Käufers, was zu einer „Zug-um-Zug“-Verurteilung führt (Zahlung gegen Mangelbeseitigung).
    • Das Gericht begründet seine Auffassung damit, dass dies zu einer effizienteren Klärung der Streitigkeiten führt, da der gesamte Mängelkatalog in einem Prozess behandelt wird. Dies steht auch im Einklang mit dem Werkvertragsrecht, das bei Abnahme oder Abnahmereife die Vergütung fällig stellt und dem Erwerber bei Mängeln ein Zurückbehaltungsrecht ermöglicht.
  2. Keine Aufrechnung wegen Abweichung von der Wohnflächenverordnung:
    • Die Beklagte konnte keine Minderung des Kaufpreises wegen angeblich zu geringer Wohnfläche durchsetzen.
    • Die Klausel im Bauträgervertrag (Ziffer II.2.1 Satz 4), die die Berechnung der Wohnfläche regelt und Abweichungen von der Wohnflächenverordnung zulässt (z.B. durch Berücksichtigung von Rohbaumaßen, ohne Putzabzug und Übermessung nichttragender Wände), wurde vom Gericht als wirksam angesehen.
    • Die Klausel ist weder mehrdeutig noch benachteiligt sie den Käufer unangemessen. Sie ist klar formuliert und macht deutlich, welche Messgrundlagen verwendet werden. Es ist zulässig, von der Wohnflächenverordnung abzuweichen, da diese außerhalb des sozialen Wohnungsbaus nicht zwingend ist. Die Regelung dient dazu, frühe Klarheit über die Grundfläche zu schaffen und unterschiedliche Ausbauwünsche des Käufers nicht einseitig zu Lasten des Bauträgers gehen zu lassen.

Vollständige Fertigstellung = Abnahmereife

  1. Mängel im Bereich des Sondereigentums:
    • Von den zwölf von der Beklagten gerügten Mängeln im Sondereigentum erkannte das Gericht sechs als tatsächlich bestehend an, basierend auf einem Sachverständigengutachten:
      • Tür zum Schlafzimmer (verzogenes Türband): Mangelhaft, da das Türband verzogen ist und höhere Spaltmaße verursacht. Kosten: 350,00 Euro netto.
      • Sockelleisten im Flur (Farbabplatzungen): Mangelhaft, Farbabplatzungen an den Ecken. Kosten: 400,00 Euro netto.
      • Eckschienen der Wandfliesen im Badezimmer (nicht ausreichende Entgratung): Mangelhaft, Verletzungsgefahr durch scharfe Kanten. Kosten: 350,00 Euro netto.
      • Tür zum Badezimmer (Schwergängigkeit beim Schließen): Mangelhaft, da schwergängig beim Zuziehen. Kosten: 150,00 Euro netto.
      • Fensterscheibe hofseitiges Wohnzimmer (mehrere Kratzer): Mangelhaft, gehäufte Haarkratzer über Toleranzgrenzen hinaus. Kosten: 850,00 Euro netto.
      • Fensterscheibe Kinderzimmer (mehrere Kratzer): Mangelhaft, gehäufte Haarkratzer über Toleranzgrenzen hinaus. Kosten: 350,00 Euro netto.
    • Die übrigen sechs gerügten Mängel (Kokosmatte, verschmutztes Wohnzimmerfenster, Schließmechanismus Wohnungstür, Glastür Balkon, Höhe Waschtisch, Abplatzungen/Korrosion an Armaturen) wurden nicht anerkannt, da sie entweder nicht festgestellt werden konnten oder auf Nutzungs- bzw. Wartungsmängel zurückzuführen waren.
    • Die geschätzten Mangelbeseitigungskosten für die anerkannten Mängel belaufen sich auf insgesamt 2.450,00 Euro netto (2.915,50 Euro brutto). Die Beklagte darf gemäß § 641 Abs. 3 BGB das Doppelte dieser Kosten, also 5.831,00 Euro, zurückhalten. Die Zahlung dieses Betrags erfolgt Zug um Zug gegen Mangelbeseitigung.
  2. Kein Zurückbehaltungsrecht wegen Mängeln am Gemeinschaftseigentum:
    • Die Beklagte konnte keine Mängel am Gemeinschaftseigentum geltend machen, da die Klägerin ihre Bauverpflichtung wirksam auf den ersten Bauabschnitt beschränkt hatte und die gerügten Mängel im zweiten Bauabschnitt lagen.
    • Zulässige Beschränkung der Bauverpflichtung: Die Klausel (Ziffer II.1.2 Absatz 4 des Vertrags), die die Verpflichtung des Bauträgers auf den ersten Bauabschnitt beschränkt, ist wirksam. Sie ist weder überraschend noch intransparent. Solche Beschränkungen sind bei großen Bauprojekten üblich und sinnvoll, da sie den Bauträger vor zu hohen Risiken schützen und dem Käufer eine schnellere Inbesitznahme ermöglichen.
    • Rechtliche und bauliche Trennung: Die Bauabschnitte sind rechtlich und baulich getrennt, was durch die Teilungserklärung und Miteigentumsordnung (Anlage BK1) sichergestellt ist. Käufer des ersten Abschnitts sind nicht finanziell für andere Abschnitte verantwortlich. Die einzelnen Bauabschnitte sind selbstständig funktionsfähig. Gemeinsam genutzte Bereiche wie die Tiefgarage sind durch separate Kostenverteilung geregelt.
    • Keine Mängel im ersten Bauabschnitt: Die von der Beklagten angeführten Mängel am Gemeinschaftseigentum (z.B. Beleuchtung Abstellraum, Steckdose Kellerabteil, Brandschutztür, Tiefgarage) befanden sich laut Gutachten alle im zweiten Bauabschnitt. Da die Klägerin nur für den ersten Bauabschnitt verantwortlich war, konnte die Beklagte hieraus keine Rechte ableiten.
  3. Zinsanspruch:
    • Die Klägerin hat Anspruch auf Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19. Oktober 2020, jedoch nur für den Teilbetrag von 6.969,00 Euro, der ohne Vorbehalt zu zahlen war.

Kostenentscheidung und Revision:

Die Kosten des Rechtsstreits wurden zwischen Klägerin und Beklagter im Verhältnis von 23 % zu 77 % aufgeteilt. Die Revision wurde zugelassen, da die Fragen der „vollständigen Fertigstellung“ und der Wirksamkeit von Bauabschnittsbeschränkungen von hoher praktischer Bedeutung sind und eine einheitliche Rechtsprechung durch das Revisionsgericht erforderlich ist.

Schlagworte

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

Benötigen Sie eine Beratung oder haben Sie Fragen?

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, damit wir die grundsätzlichen Fragen klären können.

Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

Benötigen Sie eine Beratung oder haben Sie Fragen?

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, damit wir die grundsätzlichen Fragen klären können.

Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.

Letzte Beiträge

Hochschwangere Frau darf vorläufig in ihrer Wohnung bleiben

Hochschwangere Frau darf vorläufig in ihrer Wohnung bleiben

Juni 18, 2025
Hochschwangere Frau darf vorläufig in ihrer Wohnung bleibenBVerfG Beschl. v. 18.05.2025, Az. 2 BvQ 32/25RA und Notar KrauDas Bundesverfa…
Das in der Krise stehengelassene Darlehen und die Bewertung bei der Einkommensteuer

Das in der Krise stehengelassene Darlehen und die Bewertung bei der Einkommensteuer

Juni 15, 2025
Das in der Krise stehengelassene Darlehen und die Bewertung bei der EinkommensteuerRA und Notar KrauDie Entscheidung des Bundesfinanzhofs vo…
Grundsteuer - Bewertung eines Grundstücks als bebautes Grundstück

Grundsteuer – Bewertung eines Grundstücks als bebautes Grundstück

Juni 15, 2025
Grundsteuer – Bewertung eines Grundstücks als bebautes GrundstückRA und Notar KrauEin aktueller Fall vor dem Finanzgericht Düsseldorf (Akten…