Wahl englisches Recht zur Vermeidung Pflichtteil

Januar 14, 2025

Wahl englisches Recht zur Vermeidung Pflichtteil

BGH Urteil vom 29.06.2022 – IV ZR 110/21

RA und Notar Krau

Das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 29. Juni 2022 befasst sich mit der Frage, ob die Wahl englischen Erbrechts durch einen Erblasser mit letztem Wohnsitz in Deutschland zulässig ist,

wenn dies zum Ausschluss des Pflichtteilsanspruchs eines Kindes führt.

Der BGH entschied, dass die Anwendung englischen Erbrechts in diesem Fall gegen den deutschen ordre public verstößt und daher nicht zulässig ist.

Der Fall:

Ein britischer Staatsbürger, der seit seinem 29. Lebensjahr in Deutschland lebte und dort auch verstarb, hatte in seinem Testament das englische Recht für seine Erbfolge bestimmt.

Er hatte einen Sohn adoptiert, der die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt und seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat.

Nach englischem Recht besteht kein Pflichtteilsanspruch für Kinder.

Der Sohn klagte daher auf Auskunft über den Nachlass und Wertermittlung.

Wahl englisches Recht zur Vermeidung Pflichtteil

Die Entscheidung des BGH:

Der BGH stellte fest, dass dem Erblasser zwar grundsätzlich die Wahl des englischen Erbrechts zustand.

Die Anwendung des englischen Rechts scheide jedoch aus, weil sie im konkreten Fall mit dem deutschen ordre public offensichtlich unvereinbar sei.

Begründung:

  • Pflichtteilsrecht als Institutionsgarantie: Das Pflichtteilsrecht ist in Deutschland verfassungsrechtlich geschützt und garantiert Kindern eine Mindestbeteiligung am Nachlass ihrer Eltern. Es dient der Familiensolidarität und ermöglicht die Fortsetzung des ideellen und wirtschaftlichen Zusammenhangs von Vermögen und Familie.
  • Englisches Recht ohne Pflichtteilsanspruch: Das englische Recht kennt keinen bedarfsunabhängigen Pflichtteilsanspruch. Kinder haben lediglich die Möglichkeit, bei Gericht eine „angemessene finanzielle Regelung“ zu beantragen, die von ihrer Bedürftigkeit abhängig ist.
  • Verstoß gegen den deutschen ordre public: Der BGH entschied, dass das Fehlen eines Pflichtteilsanspruchs im englischen Recht im vorliegenden Fall gegen den deutschen ordre public verstößt. Die Anwendung des englischen Rechts würde zu einem Ergebnis führen, das mit den Grundgedanken der deutschen Rechtsordnung und den darin enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen unvereinbar ist.
  • Hinreichender Inlandsbezug: Der BGH betonte, dass ein Verstoß gegen den ordre public nur dann vorliegt, wenn der zu beurteilende Sachverhalt eine hinreichend starke Inlandsbeziehung aufweist. Im vorliegenden Fall war dies gegeben, da sowohl der Erblasser als auch der Kläger ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatten und sich dort auch das Vermögen des Erblassers befand.
  • Lückenfüllung: Da die Anwendung des englischen Rechts im konkreten Fall ausscheidet, muss eine Lücke geschlossen werden. Der BGH entschied, dass in diesem Fall auf das deutsche Pflichtteilsrecht zurückgegriffen werden muss.

Wahl englisches Recht zur Vermeidung Pflichtteil

Folgen des Urteils:

Das Urteil des BGH hat weitreichende Folgen für die Rechtswahl in Erbfällen mit internationalem Bezug.

Es stärkt den Schutz des Pflichtteilsrechts und stellt klar, dass die Wahl einer ausländischen Rechtsordnung nicht dazu führen darf, dass Kinder des Erblassers leer ausgehen.

Besonderheiten:

  • Der BGH hat sich in seiner Entscheidung ausdrücklich von früheren Entscheidungen distanziert, die das Fehlen eines Pflichtteilsanspruchs im ausländischen Recht nicht beanstandet hatten.
  • Das Urteil steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das dem Pflichtteilsrecht eine hohe Bedeutung beimisst.
  • Die Entscheidung des BGH hat in der Fachwelt eine breite Diskussion ausgelöst.

Fazit:

Das Urteil des BGH ist ein wichtiger Beitrag zur Stärkung des Pflichtteilsrechts in Deutschland.

Es zeigt, dass die Wahl einer ausländischen Rechtsordnung nicht dazu führen darf, dass die Grundgedanken der deutschen Rechtsordnung

und die darin enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen verletzt werden.

Schlagworte

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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