Wechselbezüglichkeit eines gemeinschaftlichen Testaments – Anwendung von § 2270 II BGB

Juni 16, 2019

Wechselbezüglichkeit eines gemeinschaftlichen Testaments – Anwendung von § 2270 II BGB

OLG Stuttgart 8 W 423/16

RA und Notar Krau

Der Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) Stuttgart vom 04.10.2018 befasst sich mit der Frage der Wechselbezüglichkeit eines

gemeinschaftlichen Testaments und der Zulässigkeit einer späteren, abweichenden Verfügung des überlebenden Ehegatten.

Sachverhalt:

Ein Ehepaar hatte 1984 ein gemeinschaftliches Testament errichtet, in dem sie sich gegenseitig zu Alleinerben einsetzten und

nach dem Tod des Längstlebenden Neffen des Ehemannes und eine Nichte der Ehefrau als Schlusserben einsetzten.

2006 errichtete die Ehefrau nach dem Tod ihres Mannes ein weiteres Testament, in dem sie ihre Nichte als Alleinerbin einsetzte.

Nach dem Tod der Ehefrau beantragte die Nichte die Einziehung des Erbscheins, der die Neffen des Ehemannes und die Nichte als Erben zu je 1/3 auswies.

Entscheidung des OLG Stuttgart:

Das OLG Stuttgart wies die Beschwerde der Nichte zurück und bestätigte die Wechselbezüglichkeit des gemeinschaftlichen Testaments.

Wechselbezüglichkeit eines gemeinschaftlichen Testaments – Anwendung von § 2270 II BGB

Wesentliche Punkte der Entscheidung:

  1. Wechselbezüglichkeit:

    • Das OLG stellte fest, dass das gemeinschaftliche Testament von 1984 wechselbezüglich war, d.h. die Ehegatten hatten sich gegenseitig gebunden und konnten die Erbeinsetzung der Schlusserben nicht mehr einseitig ändern.
    • Die Wechselbezüglichkeit ergab sich aus der Auslegung des Testaments und der Anwendung von § 2270 Abs. 2 BGB.
    • Da die Auslegung des Testaments kein eindeutiges Ergebnis lieferte, griff die Vermutungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB ein.
    • Danach ist in einer Konstellation wie der vorliegenden, in der sich kinderlose Ehegatten gegenseitig zu Erben einsetzen und Schlusserben aus beiden Familien bestimmen, im Zweifel von einer Wechselbezüglichkeit auszugehen.
  2. Unzulässige Änderung:

    • Die Ehefrau war durch die Wechselbezüglichkeit des Testaments von 1984 gebunden und konnte die Erbeinsetzung der Schlusserben nicht mehr einseitig ändern.
    • Das Testament von 2006, in dem sie ihre Nichte als Alleinerbin einsetzte, war daher unwirksam.
  3. Kein Indiz gegen Wechselbezüglichkeit:

    • Das OLG stellte klar, dass die spätere Errichtung eines einseitigen, abweichenden Testaments durch einen Ehegatten nicht als Indiz gegen die Wechselbezüglichkeit des gemeinschaftlichen Testaments gewertet werden kann.
    • Die bloße Behauptung der Ehefrau im Testament von 2006, dass im gemeinschaftlichen Testament keine Regelung zur Änderbarkeit getroffen worden sei, reichte nicht aus, um die Wechselbezüglichkeit zu verneinen.
  4. Einziehung des Erbscheins:

    • Der Antrag auf Einziehung des Erbscheins wurde zurückgewiesen, da der Erbschein die richtige Erbfolge auswies.
    • Die Neffen des Ehemannes und die Nichte waren aufgrund des Testaments von 1984 zu je 1/3 Erben geworden.

Wechselbezüglichkeit eines gemeinschaftlichen Testaments – Anwendung von § 2270 II BGB

Fazit:

Das OLG Stuttgart stärkt mit diesem Beschluss die Bindungswirkung von gemeinschaftlichen Testamenten.

Es stellt klar, dass die Vermutungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB greift, wenn die Auslegung des Testaments kein eindeutiges Ergebnis zur Wechselbezüglichkeit liefert.

Die spätere Errichtung eines abweichenden Testaments durch einen Ehegatten ist unwirksam, wenn das gemeinschaftliche Testament wechselbezüglich ist.

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Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

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Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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