Wege aus der erbrechtlichen Bindung nach Geschäftsunfähigkeit eines Beteiligten
Aufsatz von Prof. Dr. Bernd Wegmann, ZEV 2025, 213
Wege aus der erbrechtlichen Bindung nach Geschäftsunfähigkeit eines Beteiligten
Die zunehmende Alterung unserer Gesellschaft birgt ein steigendes Risiko der Geschäftsunfähigkeit durch Demenz oder andere Erkrankungen.
Dies hat unweigerlich Auswirkungen auf die Anpassungsmöglichkeiten gemeinsamer erbrechtlicher Verfügungen, wie das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH)
von 2021 zum Widerruf wechselbezüglicher Verfügungen nach Geschäftsunfähigkeit des anderen Ehegatten verdeutlicht.
Dieser Beitrag analysiert umfassend die Optionen des noch Geschäftsfähigen, sich von Bindungen aus gemeinschaftlichen Verfügungen zu lösen,
und erörtert dogmatische Fragen in Bezug auf zentrale Paragraphen des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB).
Verliert ein Vertragspartner eines Erbvertrags mit beiderseitigen Verfügungen oder ein Ehegatte/Lebenspartner in einem gemeinschaftlichen Testament
die Geschäftsfähigkeit, so scheitert eine gemeinsame Neuregelung der letztwilligen Verfügungen.
Da letztwillige Verfügungen höchstpersönlich getroffen, geändert oder aufgehoben werden müssen, führt die Geschäftsunfähigkeit eines Beteiligten zur Unabänderbarkeit seiner letztwilligen Anordnungen.
Der noch Geschäftsfähige sieht sich grundsätzlich durch die Bindungswirkung seiner eigenen vertragsmäßigen oder wechselbezüglichen Verfügungen gehindert, diese zu ändern (§ 2289 Abs. 1 S. 2 bzw. § 2271 Abs. 1 S. 2 BGB).
Im Folgenden werden die Handlungsoptionen des Geschäftsfähigen zur Aufhebung oder Änderung seiner letztwilligen Verfügungen dargestellt,
wobei die Einbeziehung und Vertretung des Geschäftsunfähigen thematisiert werden.
Die Aufhebung durch einen „actus contrarius“ (neues gemeinschaftliches Testament oder neuer Erbvertrag mit denselben Beteiligten) ist grundsätzlich zulässig (§ 2290 BGB für den Erbvertrag).
Solche Maßnahmen scheitern jedoch an der Geschäftsunfähigkeit eines Beteiligten.
Entsprechendes gilt für die Aufhebung eines Erbvertrags durch ein gemeinschaftliches Testament (§ 2292 BGB) und umgekehrt (§ 2289 Abs. 1 BGB).
Auch die Rücknahme eines gemeinschaftlichen Testaments aus der amtlichen Verwahrung (§ 2272 i.V.m. § 2256 BGB) oder eines Erbvertrags aus amtlicher oder notarieller Verwahrung
(§ 2300 Abs. 2 i.V.m. § 2256 BGB) ist keine wirksame Aufhebungsmaßnahme, da die Geschäftsunfähigkeit des einen Beteiligten entgegensteht.
Die Vernichtung eines gemeinschaftlichen Testaments (§ 2255 BGB) ist ebenfalls nicht erfolgversprechend, da sie von einem wirksamen beidseitigen Testierwillen getragen sein muss.
Einseitige Änderungen sind unproblematisch, wenn dem Geschäftsfähigen im gemeinschaftlichen Testament oder Erbvertrag eine entsprechende Befugnis hinsichtlich der betroffenen Verfügungen eingeräumt wurde.
Solche Änderungsbefugnisse sind für wechselbezügliche Verfügungen im gemeinschaftlichen Testament möglich,
wobei die Auswirkungen auf die korrespondierende Verfügung des anderen Ehegatten (§ 2270 Abs. 1 BGB) zu prüfen sind.
Bedingte Änderungsbefugnisse müssen die entsprechenden Bedingungen erfüllen.
Auch im Erbvertrag sind Änderungsbefugnisse grundsätzlich zulässig, wobei deren Umfang umstritten ist.
Eine Abänderungsbefugnis ermöglicht die Aufhebung oder Änderung der eigenen letztwilligen Verfügungen durch ein einseitiges Testament, ohne Einbeziehung oder Information des anderen Beteiligten.
Sie kann zu Lebzeiten und nach dem Tod des anderen ausgeübt werden, wobei eine auf den zweiten Todesfall beschränkte Befugnis in der Regel schon zu Lebzeiten für den Fall des Überlebens gilt.
Überlebt der geschäftsfähige Ehegatte/Lebenspartner oder Erbvertragspartner den Geschäftsunfähigen und schlägt das ihm Zugewendete aus,
kann er seine vertragsmäßige oder wechselbezügliche Verfügung aufheben (§ 2271 Abs. 2 S. 1 BGB für gemeinschaftliches Testament, § 2298 Abs. 2 S. 2 BGB für Erbvertrag – letzteres nur bei Rücktrittsvorbehalt).
Die Aufhebung erfolgt durch Testament (§ 2298 Abs. 2 S. 3 BGB), wobei jede einseitige letztwillige Verfügung zulässig ist, solange sie nicht wechselbezüglich oder vertragsmäßig ist (§ 2270 Abs. 3, § 2278 Abs. 2 BGB).
Voraussetzung ist, dass der Überlebende durch die Verfügung des später Geschäftsunfähigen bedacht wurde.
Umstritten ist, ob auch die Begünstigung Dritter ausgeschlagen werden kann (eher abzulehnen) und ob der Anfall des gesetzlichen Erbrechts als Zuwendung gilt (eher abzulehnen).
Beim Erbvertrag wird diskutiert, ob die auszuschlagende Zuwendung vertragsmäßig vereinbart sein muss (eher abzulehnen, da die Ratio beider Normen auf den Verzicht auf einen Vorteil abzielt).
Fehlen Zuwendungen an den Überlebenden, entfällt die Aufhebungsmöglichkeit.
Beim gemeinschaftlichen Testament besteht ein Widerrufsrecht wechselbezüglicher Verfügungen zu Lebzeiten des anderen Ehegatten/Lebenspartners (§ 2271 Abs. 1 S. 1 BGB).
Beim Erbvertrag ist ein Rücktritt nur bei entsprechendem Vorbehalt möglich (§ 2293 BGB).
Widerruf und Rücktritt erfolgen durch notariell beurkundete Erklärung des Widerrufenden/Zurücktretenden in höchstpersönlicher Form (§ 2296 Abs. 1, Abs. 2 S. 2 BGB) und sind empfangsbedürftig.
Adressat ist der andere Ehegatte/Lebenspartner bzw. der andere Vertragsschließende.
Bei Erbverträgen mit mehreren Beteiligten sind alle Vertragspartner der betroffenen Verfügung Adressaten.
Der Zugang der Erklärung erfolgt durch Ausfertigung der Urkunde.
Bei Geschäftsunfähigkeit des Adressaten genügt der Zugang beim Betreuer mit Vermögenssorge oder einem umfassend Vorsorgebevollmächtigten, sofern dieser nicht der Widerrufende/Zurücktretende ist.
Umstritten ist die Zulässigkeit des Zugangs an einen Postbevollmächtigten.
Ist der Widerrufende/Zurücktretende selbst Bevollmächtigter des Geschäftsunfähigen, soll ein Zugang an ihn nicht genügen (Missbrauchsgefahr), wobei argumentiert wird, dass in vergleichbaren Fällen
vertragsmäßiger Aufhebung (§§ 2290, 2291 BGB) eine Vertretung durch einen von § 181 BGB befreiten Bevollmächtigten zulässig ist.
Diese Paragraphen erleichtern die Aufhebung vertragsmäßiger Verfügungen im Erbvertrag im Vergleich zum „actus contrarius“,
ohne explizite Entsprechungen für wechselbezügliche Verfügungen im gemeinschaftlichen Testament.
§ 2289 Abs. 1 S. 1 BGB schließt die direkte Anwendung auf gemeinschaftliche Testamente aus, jedoch wird eine analoge Anwendung für sachgerecht erachtet.
Regelmäßige Folge ist die Aufhebung des Erbvertrags bzw. der betroffenen Verfügung.
Diese Möglichkeit besteht bei vertragsmäßig angeordneten Vermächtnissen, Auflagen oder Rechtswahlbestimmungen, die aufgehoben werden sollen.
Andere vertragsmäßige Verfügungen bleiben unberührt.
Die Aufhebung erfolgt durch ein nicht beurkundungspflichtiges Testament des Aufhebungswilligen (§ 2299 Abs. 2 BGB)
oder eine nicht vertragsmäßige einseitige Verfügung im Erbvertrag und muss höchstpersönlich errichtet werden.
Die Zustimmung des anderen Vertragspartners/Ehegatten kann als Einwilligung oder Genehmigung in notarieller Form erfolgen,
wobei Vertretung möglich ist (außer bei Selbstkontrahierung ohne Befreiung von § 181 BGB).
Nach § 2290 Abs. 1 BGB kann ein Erbvertrag insgesamt oder hinsichtlich einzelner vertragsmäßiger Verfügungen aufgehoben werden.
Der Erblasser muss den Aufhebungsvertrag persönlich schließen.
Bei Aufhebung des gesamten Erbvertrags mit Verfügungen beider Beteiligter müssen alle persönlich mitwirken.
Bei Verfügungen nur eines Beteiligten muss nur dieser persönlich handeln, der andere kann vertreten werden.
Umstritten ist die Mitwirkungspflicht, wenn nur die Verfügungen eines von zwei Beteiligten aufgehoben werden sollen.
Die herrschende Meinung fordert die persönliche Mitwirkung beider, gestützt auf § 2298 BGB.
Dies wird jedoch kritisiert, da § 2298 BGB nicht jede Teilunwirksamkeit zur Gesamtunwirksamkeit führt und die Voraussetzungen eines Gestaltungsrechts nicht anhand seiner Rechtsfolgen bestimmt werden sollten.
Es wird argumentiert, dass der Erblasserbegriff einheitlich auf die Person abzustellen ist, deren Verfügung aufgehoben werden soll, analog zu § 2291 BGB und dem Zuwendungsverzicht.
Der scheinbare Widerspruch zu § 2292 BGB (Teilaufhebung durch gemeinschaftliches Testament) wird dadurch aufgelöst, dass § 2292 BGB lediglich formale Erleichterungen bietet, nicht die §§ 2290 und 2291 BGB einschränkt.
Unter bestimmten Voraussetzungen kann sich ein Beteiligter nach dem Tod des anderen einseitig von seinen vertragsmäßigen Verfügungen lösen: wirksamer Rücktrittsvorbehalt, nur der Überlebende hat
vertragsmäßige Verfügungen getroffen, keine einzige vertragsmäßige Verfügung des Erstverstorbenen (auch zugunsten Dritter), Erstversterben desjenigen ohne eigene vertragsmäßige Verfügungen.
Die Ausübung erfolgt nicht als empfangsbedürftige Erklärung, sondern als „Testament“ (§ 2064 BGB oder nicht wechselbezügliche/einseitige Verfügung).
Die Wirksamkeit tritt erst nach dem Tod des anderen Beteiligten ein.
Die Möglichkeit der Vertretung des Geschäftsunfähigen bei Lösungsmaßnahmen kann für den anderen Beteiligten problematisch sein.
Ein gestaltungswilliger Erblasser kann Vorsorge treffen, indem er seine Verfügungen unter eine auflösende Bedingung stellt,
falls der andere Lösungsmaßnahmen ergreift, und für diesen Fall andere Verfügungen aufschiebend bedingt.
Weniger Gestaltungsfreudige suchen nach Möglichkeiten, die Lösungsbefugnisse auszuschließen, z.B. einseitige Änderungsvorbehalte oder vorbehaltene Rücktritte.
Das Widerrufsrecht wechselbezüglicher Verfügungen kann durch einen Erbvertrag mit bindungsfesteren vertragsmäßigen Verfügungen vermieden werden.
Die Aufhebungsmaßnahmen nach §§ 2290 und 2291 BGB können nur erschwert, aber nicht verhindert werden (keine von § 181 BGB befreite Vollmacht erteilen).
Bezüglich der Aufhebung durch Ausschlagung (§ 2271 Abs. 2 S. 1, § 2298 Abs. 2 S. 3 BGB) wird die Abdingbarkeit von § 2298 Abs. 2 S. 3 BGB diskutiert (eher abzulehnen, da keine entsprechende
Möglichkeit für § 2271 Abs. 2 S. 1 BGB besteht und die Norm die Reduzierung der Bindungswirkung bezweckt).
Auch im Erbrecht gilt es, die Reichweite der eigenen Bindung und der Bindung an den anderen sorgfältig zu prüfen.
Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.
Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.
Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.
Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.
Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.
Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.
Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.
Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.
Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.
Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.
Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.
Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.
Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.
Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.
Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.