Zusammenfassung des Artikels
„Rechtswirkungen des § 2289 Abs. 1 S. 2 BGB bei Wegfall der erbvertraglichen Bindungswirkung“
von Erik Schlereth und Johannes Romanski, ZEV 2023, 637.
Kernaussage:
Der Artikel befasst sich mit der Frage, was mit einem Testament geschieht, das aufgrund eines Erbvertrages zunächst unwirksam ist (§ 2289 Abs. 1 S. 2 BGB),
wenn die Bindungswirkung des Erbvertrages später wegfällt.
Die herrschende Meinung (hM) nimmt an, dass das Testament in diesem Fall in Kraft tritt, analog zu den §§ 2257, 2258 Abs. 2 BGB.
Die Autoren untersuchen diese Annahme kritisch und kommen zu dem Schluss, dass ein Inkrafttreten des Testaments nur dann gerechtfertigt ist,
wenn der Wegfall der Bindungswirkung auf einem willensgesteuerten Akt des Erblassers beruht.
Hintergrund:
Ein Erbvertrag bindet den Erblasser und schränkt seine Testierfreiheit ein.
Er kann keine späteren Verfügungen von Todes wegen treffen, die den im Erbvertrag Bedachten beeinträchtigen.
Fällt die Bindungswirkung des Erbvertrages jedoch weg, stellt sich die Frage, ob ein zuvor unwirksames Testament nun Gültigkeit erlangt.
Gesetzliche Regelung und Entstehungsgeschichte:
§ 2289 Abs. 1 S. 2 BGB regelt lediglich die Unwirksamkeit späterer Verfügungen von Todes wegen, die mit einem Erbvertrag kollidieren.
Er schweigt jedoch zum Schicksal dieser Verfügungen, wenn die Bindungswirkung des Erbvertrages entfällt.
Die Entstehungsgeschichte des Gesetzes liefert keine eindeutigen Hinweise darauf, ob ein nachträgliches Inkrafttreten beabsichtigt war.
Methodische Würdigung:
Die hM argumentiert mit dem Rechtsgedanken der §§ 2257, 2258 Abs. 2 BGB, die ein „Wiederaufleben“ von Testamenten in bestimmten Fällen ermöglichen.
Die Autoren kritisieren diese Argumentation als ungenau, da es sich bei § 2289 BGB nicht um ein Wiederaufleben, sondern um ein erstmaliges Wirksamwerden handelt.
Sie plädieren stattdessen für einen Analogieschluss zu den §§ 2257, 2258 Abs. 2 BGB.
Voraussetzung für einen solchen Schluss ist jedoch das Vorliegen einer planwidrigen Gesetzeslücke.
Die Autoren argumentieren, dass eine solche Lücke besteht, da der Gesetzgeber die Möglichkeit eines nachträglichen Inkrafttretens im Fall des § 2289 BGB nicht ausdrücklich ausgeschlossen hat.
Analogie zu §§ 2257, 2258 Abs. 2 BGB:
Die §§ 2257, 2258 Abs. 2 BGB ermöglichen ein Wiederaufleben von Testamenten, wenn ein Widerruf widerrufen wird.
Dies dient der Verwirklichung der Testierfreiheit.
Die Autoren übertragen diese Wertung auf den Fall des § 2289 BGB und argumentieren, dass auch hier die Testierfreiheit des Erblassers gewahrt werden sollte,
wenn die Bindungswirkung des Erbvertrages entfällt.
Einschränkung des Inkrafttretens:
Die Autoren betonen jedoch, dass ein Inkrafttreten des Testaments nur dann gerechtfertigt ist, wenn der Wegfall der Bindungswirkung auf einem willensgesteuerten Akt des Erblassers beruht.
Dies folgt aus dem Grundsatz der Selbstbestimmung im Erbrecht.
Nur wenn der Erblasser selbst die Bindungswirkung beseitigt, kann davon ausgegangen werden, dass das spätere Testament seinem aktuellen Willen entspricht.
Folgen der analogen Anwendung:
Die analoge Anwendung der §§ 2257, 2258 Abs. 2 BGB führt dazu, dass ein Testament in Kraft tritt, wenn der Erblasser den Erbvertrag z.B. aufhebt, von ihm zurücktritt oder ihn anficht.
Ein Inkrafttreten ist hingegen ausgeschlossen, wenn die Bindungswirkung durch Umstände entfällt, die der Erblasser nicht selbst herbeigeführt hat, wie z.B. den Tod des Bedachten.
Fazit:
Der Artikel liefert eine differenzierte Analyse der Rechtswirkungen des § 2289 Abs. 1 S. 2 BGB.
Er zeigt, dass die hM zwar im Ergebnis zu Recht ein Inkrafttreten des Testaments annimmt, ihre Argumentation jedoch methodisch unpräzise ist.
Die Autoren entwickeln einen eigenen Lösungsansatz, der auf einem Analogieschluss zu den §§ 2257, 2258 Abs. 2 BGB basiert und den Grundsatz der Selbstbestimmung im Erbrecht stärker berücksichtigt.