Wirecard und die aufgebrauchte Manager-Versicherung

Juni 15, 2025

Wirecard und die aufgebrauchte Manager-Versicherung: Was Sie wissen müssen

RA und Notar Krau

Stellen Sie sich vor, Sie arbeiten in einer Führungsposition bei einer großen Firma. Eines Tages gerät die Firma in Schwierigkeiten, zum Beispiel wegen eines Skandals. Plötzlich stehen Sie im Mittelpunkt von Ermittlungen, müssen sich verteidigen und brauchen teure Anwälte oder sogar Hilfe, um Ihren Ruf in der Öffentlichkeit zu schützen. Dafür gibt es eine spezielle Versicherung: die D&O-Versicherung.

Was ist eine D&O-Versicherung?

D&O steht für „Directors and Officers“, also Geschäftsführer und Vorstände. Eine D&O-Versicherung ist eine Haftpflichtversicherung für Manager und Führungskräfte eines Unternehmens. Sie schützt diese Personen, wenn ihnen vorgeworfen wird, bei ihrer Arbeit Fehler gemacht zu haben, die zu einem finanziellen Schaden für das Unternehmen oder Dritte geführt haben. Die Versicherung übernimmt dann zum Beispiel die Kosten für die Verteidigung oder für mögliche Schadenersatzzahlungen.

Der Fall Wirecard und der Chefbuchhalter

Im Fall Wirecard gab es einen riesigen Bilanzskandal. Das bedeutet, dass die Zahlen in der Firmenbilanz (einer Art Übersicht über Einnahmen und Ausgaben) nicht stimmten und das Unternehmen viel weniger Geld hatte, als es vorgab. Dies führte dazu, dass Wirecard pleiteging und viele Menschen ihren Job verloren oder Geld verloren, das sie in Wirecard investiert hatten.

Einer der Beteiligten war der ehemalige Chefbuchhalter der Wirecard AG. Er war für die Finanzen zuständig und auch Geschäftsführer einer Tochterfirma von Wirecard. Als der Skandal aufflog, brauchte er natürlich juristische Hilfe und Unterstützung für seine Kommunikation mit der Öffentlichkeit (sogenannte PR-Kosten). Er wollte, dass seine D&O-Versicherung diese Kosten übernimmt.

Das Problem mit der Versicherungssumme

Die D&O-Versicherung hatte aber eine schlechte Nachricht für den Chefbuchhalter: Sie sagte, die Versicherungssumme sei bereits aufgebraucht. Die Versicherungssumme ist der maximale Betrag, den die Versicherung in einem bestimmten Zeitraum (oft pro Jahr) für alle Schäden oder Kosten ausbezahlt. Wenn diese Summe erreicht ist, zahlt die Versicherung nichts mehr.

Der Chefbuchhalter war damit nicht einverstanden. Er argumentierte:

  1. Versicherungsfall war schon 2019: Er meinte, der Versicherungsfall sei bereits im Jahr 2019 eingetreten. Damals gab es erste kritische Berichte über Wirecard, Ermittlungen in Singapur und eine Sammelklage in den USA. Für 2019 stand eine höhere Versicherungssumme zur Verfügung (25 Millionen Euro), die noch nicht verbraucht war.
  2. Falsche Anrechnung von Kosten: Die Versicherung habe PR-Kosten und Verteidigungskosten von anderen Personen (Vorstandsmitgliedern) zu Unrecht auf die Versicherungssumme des Jahres 2020 angerechnet.
  3. Benachteiligung durch voreilige Zahlungen: Die Versicherung habe ihn benachteiligt, indem sie zuerst andere Vorstandsmitglieder bezahlt und damit die Versicherungssumme vorzeitig aufgebraucht habe. Er war der Meinung, die Versicherung dürfe sich deshalb nicht auf den Verbrauch der Versicherungssumme berufen.

Die Entscheidung des Gerichts (Oberlandesgericht Frankfurt am Main)

Wirecard und die aufgebrauchte Manager-Versicherung

Das Gericht gab der D&O-Versicherung Recht. Der Chefbuchhalter bekommt keine weiteren Leistungen mehr, weil die Versicherungssumme aufgebraucht ist.

Die Gründe für die Entscheidung des Gerichts:

  1. Versicherungsfall ist 2020 eingetreten, nicht 2019: Das Gericht stellte fest, dass der Versicherungsfall (also der Zeitpunkt, ab dem die Versicherung zahlen muss) erst im Jahr 2020 eingetreten ist. Die kritischen Umstände aus dem Jahr 2019 waren der Versicherung nicht korrekt gemeldet worden. Für das Jahr 2020 betrug die Versicherungssumme aber nur 15 Millionen Euro, nicht 25 Millionen Euro.
  2. Versicherungssumme 2020 ist aufgebraucht: Die Versicherung hat die 15 Millionen Euro vollständig für versicherte Kosten im Zusammenhang mit dem Wirecard-Skandal ausgezahlt. Das Gericht fand, dass die Abzüge von der Versicherungssumme rechtens waren, da die entsprechenden Regeln im Versicherungsvertrag zulässig sind.
  3. „Prioritätsprinzip“ ist in Ordnung: Das Gericht sah es als unproblematisch an, dass die Versicherung die Kosten der verschiedenen versicherten Personen (also der Manager und Vorstände) in der Reihenfolge ihrer Inanspruchnahme bezahlt hat. Dies wird als Prioritätsprinzip bezeichnet. Das Gericht sah darin keine willkürliche Benachteiligung des Chefbuchhalters. Es entspricht vielmehr gängigen Prinzipien der Buchführung, wenn man Zahlungen nach dem Zeitpunkt ihres Eingangs oder ihrer Fälligkeit bearbeitet.

Zusammenfassend bedeutet das Urteil:

  • Eine D&O-Versicherung zahlt nur bis zur vereinbarten Versicherungssumme.
  • Wann der Versicherungsfall eintritt, ist entscheidend, da davon abhängt, welche Versicherungssumme gilt. Eine ordnungsgemäße Meldung an die Versicherung ist wichtig.
  • Die Versicherung darf die Versicherungssumme in der Regel nach dem Prioritätsprinzip aufbrauchen, also die Kosten in der Reihenfolge ihrer Geltendmachung begleichen, ohne einzelne Versicherte dadurch zu benachteiligen.

Dieses Urteil zeigt, wie wichtig es ist, die Bedingungen einer D&O-Versicherung genau zu kennen und wie schnell in großen Skandalen die Versicherungssummen aufgebraucht sein können.


Haben Sie weitere Fragen zu Versicherungen oder Managerhaftung?

Schlagworte

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

Benötigen Sie eine Beratung oder haben Sie Fragen?

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, damit wir die grundsätzlichen Fragen klären können.

Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

Benötigen Sie eine Beratung oder haben Sie Fragen?

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, damit wir die grundsätzlichen Fragen klären können.

Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.

Letzte Beiträge

Persönliche Haftung des handelnden Geschäftsführers einer ausländischen GmbH bei Handeln ohne Rechtsformzusatz

Persönliche Haftung des handelnden Geschäftsführers einer ausländischen GmbH bei Handeln ohne Rechtsformzusatz

Juli 6, 2025
Persönliche Haftung des handelnden Geschäftsführers einer ausländischen GmbH bei Handeln ohne RechtsformzusatzBGH, Urteil vom 05.02.2007 – II ZR…
Zur Haftung des Geschäftsführers einer UG bei Handeln ohne Zusatz "haftungsbeschränkt"

Zur Haftung des Geschäftsführers einer UG bei Handeln ohne Zusatz „haftungsbeschränkt“

Juli 6, 2025
Zur Haftung des Geschäftsführers einer UG bei Handeln ohne Zusatz „haftungsbeschränkt“RA und Notar KrauHier ist eine Zusammenfassung des Urt…
Persönliche Haftung des GmbH-Geschäftsführers: Handeln für eine nicht existente juristische Person

Persönliche Haftung des GmbH-Geschäftsführers: Handeln für eine nicht existente juristische Person

Juli 6, 2025
Persönliche Haftung des GmbH-Geschäftsführers: Handeln für eine nicht existente juristische PersonRA und Notar KrauDieses Urteil des Oberlan…