Wirksamkeit eines Vermächtnisses zugunsten eines Arztes
Datum: 28.05.2024
Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper: 10. Zivilsenat
Entscheidungsart: Hinweisbeschluss
Aktenzeichen: 10 U 14/24
Vorinstanz: Landgericht Bielefeld, 19 O 124/22
Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm vom 28. Mai 2024 (Az.: 10 U 14/24) betrifft einen Erbstreit, in dem es um die Wirksamkeit eines Vermächtnisses zugunsten eines Arztes als Gegenleistung für umfassende Betreuungs- und ärztliche Leistungen geht.
Der Senat des OLG Hamm kam in seinem Hinweisbeschluss (später gefolgt von der Zurückweisung der Berufung) zu dem einstimmigen Ergebnis, dass die Berufung des Klägers (des Insolvenzverwalters des Arztes) keine Aussicht auf Erfolg hat.
Der Insolvenzverwalter des Arztes (des Insolvenzschuldners).
Die Alleinerbin des verstorbenen Erblassers.
Der Erblasser (verstorben 2018), der ledig und kinderlos war, schloss im Jahr 2016 einen „Betreuungs-, Versorgungs- und Erbvertrag“ mit seinem Hausarzt (dem Insolvenzschuldner), der Beklagten (als Pflegerin) und deren Tochter ab.
In diesem notariellen Vertrag sicherte der Arzt dem Erblasser umfassende ärztliche und zusätzliche Versorgungsleistungen zu, wie z.B. medizinische Behandlung, Hausbesuche, telefonische Erreichbarkeit, Betreuung bei alterstypischen Veränderungen und Hilfe bei Behördenangelegenheiten.
Als Gegenleistung sollte der Arzt im Todesfall des Erblassers ein Grundstück in beträchtlicher Größe (über 2 Hektar) als Vermächtnis erhalten.
Die Parteien hielten vertraglich fest, dass Leistung und Gegenleistung in einem erheblichen Missverhältnis zueinanderstehen könnten (insbesondere bei einem kurzfristigen Tod des Erblassers). Der Erblasser verstarb etwa zwei Jahre nach Vertragsschluss.
Der Insolvenzverwalter des Arztes forderte von der Alleinerbin (der Beklagten) die Übereignung des Grundstücks.
Das Landgericht Bielefeld wies die Klage des Insolvenzverwalters ab. Es sah das Vermächtnis als unwirksam an, weil es gegen § 32 der Berufsordnung der Ärztekammer Westfalen-Lippe (BO-Ä) verstoße und damit gemäß § 134 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) nichtig sei.
Das OLG Hamm bestätigte die Entscheidung des Landgerichts und erklärte, dass der Anspruch auf das Grundstücksvermächtnis unwirksam ist.
Der entscheidende Punkt ist der Verstoß gegen § 32 BO-Ä.
Das Gericht stufte § 32 BO-Ä (der der Muster-Berufsordnung der Bundesärztekammer entspricht) als Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB ein. Diese Vorschrift dient der Sicherung der Unabhängigkeit der ärztlichen Entscheidung und damit dem Vertrauen in die Integrität der Ärzteschaft.
Verstoß: § 32 BO-Ä verbietet es Ärzten, Geschenke oder andere Vorteile anzunehmen oder sich versprechen zu lassen, wenn dadurch der Eindruck entsteht, dass die Unabhängigkeit der ärztlichen Entscheidung beeinflusst wird.
Das Grundstücksvermächtnis ist ein „anderer Vorteil“.
Der Eindruck einer Beeinflussung liegt nach Ansicht des Gerichts vor:
Der erhebliche Wert der Zuwendung (mindestens 100.000 €) ist ein gewichtiger Anhaltspunkt.
Die Vertragspartner waren sich des groben Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung bewusst.
Obwohl der Arzt auch soziale Betreuungsleistungen zusagte, umfasste der Vertrag eindeutig auch die ärztliche Betreuung des Erblassers. Ein objektiver Beobachter muss Zweifel daran haben, ob die Entscheidungen des Arztes (z.B. in Bezug auf die Behandlung oder lebenserhaltende Maßnahmen) angesichts des enormen Vermögensvorteils noch völlig frei und unbeeinflusst getroffen werden.
Der Vertrag fällt nicht unter die Ausnahmebestimmung des § 32 Abs. 1 Satz 2 BO-Ä. Diese betrifft Verträge, die einer wirtschaftlichen Behandlungsweise auf sozialrechtlicher Grundlage dienen (wie Selektivverträge oder Verträge zur integrierten Versorgung mit Krankenkassen), und nicht notarielle Einzelverträge zwischen Arzt und Patient.
Das Gericht entschied, dass es mit dem Sinn und Zweck des Verbotsgesetzes unvereinbar wäre, wenn der Arzt den Anspruch auf das Grundstück trotz des Verstoßes geltend machen könnte.
Das Vermächtnis war als „Gegenleistung“ im Rahmen eines erbvertraglich bindenden Vertrages ausgestaltet. Das bedeutete, dass der Erblasser sich zu Lebzeiten nicht einfach von dieser Verpflichtung hätte lösen können, ohne die Rechtsfolgen eines Vertragsbruchs zu riskieren.
Die durch das Grundgesetz geschützte Testierfreiheit des Erblassers wird hier nicht ungerechtfertigt eingeschränkt, weil es dem Erblasser freigestanden hätte, dem Arzt das Vermächtnis ohne die vertragsmäßige Bindung (und damit ohne die Verknüpfung mit den ärztlichen Leistungen als Gegenleistung) in einem Testament zuzuwenden. Die vertragsmäßige Bindung macht hier den entscheidenden Unterschied.
Der Anspruch des Arztes auf das Grundstück ist wegen des Verstoßes gegen das Berufsrecht und die damit verbundene Nichtigkeit nach § 134 BGB unwirksam. Das Landgericht hat die Klage daher zu Recht abgewiesen.
Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.
Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.
Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.
Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.
Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.
Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.
Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.