Wohnungseigentum – Umlageschlüsseländerung bei erheblicher Privilegierung von Teileigentümern

Oktober 11, 2025

Wohnungseigentum – Umlageschlüsseländerung bei erheblicher Privilegierung von Teileigentümern

BGH, Urt. v. 16. 9. 2011 − V ZR 3/11

Gerne fasse ich für Sie das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) zur Änderung des Umlageschlüssels in einer Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) zusammen, insbesondere wenn Teileigentümer dadurch erheblich stärker belastet werden.

Umlageschlüsseländerung in der WEG

Das Urteil des BGH (V ZR 3/11) klärt, wann und unter welchen Voraussetzungen eine Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) ihren Umlageschlüssel für bestimmte Betriebs- und Verwaltungskosten durch Mehrheitsbeschluss ändern darf, selbst wenn dies für einzelne Eigentümer – hier die Teileigentümer – eine deutliche Mehrbelastung bedeutet.

Was ist der Umlageschlüssel und warum wurde er geändert?

In einer WEG werden Kosten und Lasten des Gemeinschaftseigentums (z. B. Müllabfuhr, Reinigung, Versicherungen) üblicherweise nach den Miteigentumsanteilen der Eigentümer verteilt, falls in der Teilungserklärung nichts anderes steht (§16 Abs. 2 WEG).

Im vorliegenden Fall gab es eine erhebliche Schieflage:

Das Problem:

In der Teilungserklärung waren die Miteigentumsanteile der Teileigentümer (die Abstellräume nutzten) im Verhältnis zur Fläche viel niedriger angesetzt als bei den Wohnungseigentümern. Ein Teileigentümer trug für eine vergleichbare Fläche nur etwa ein Zehntel der Kosten eines Wohnungseigentümers.

Die Folge:

Die Teileigentümer waren bei den nach Miteigentumsanteilen verteilten Kosten unbillig privilegiert, da sie den vollen Nutzen aus den Leistungen (z. B. Straßenreinigung, Schädlingsbekämpfung) zogen, aber nur einen Bruchteil zahlten.

Die Änderung:

Die Wohnungseigentümer beschlossen mehrheitlich, bestimmte Kosten (wie Müll, Reinigung, Gartenpflege, Versicherungen) zukünftig nicht mehr nach Miteigentumsanteilen, sondern nach der Fläche der Sondereigentumseinheiten abzurechnen.

Die rechtliche Grundlage und der Gestaltungsspielraum

Der BGH stützt sich auf §16 Abs. 3 WEG (alte Fassung), der es der Gemeinschaft erlaubt, den Umlageschlüssel für bestimmte Kosten mit Mehrheitsbeschluss zu ändern, wenn dies ordnungsmäßiger Verwaltung entspricht.

Weiter Gestaltungsspielraum:

Die Wohnungseigentümer haben bei der Änderung des Umlageschlüssels einen weiten Gestaltungsspielraum (Selbstorganisationsrecht). Sie können jeden Maßstab wählen, der den Interessen der Gemeinschaft und der einzelnen Eigentümer angemessen ist.

Wohnungseigentum – Umlageschlüsseländerung bei erheblicher Privilegierung von Teileigentümern

Kein strenger „sachlicher Grund“ nötig:

Es ist kein zwingender „sachlicher Grund“ im strengen Sinne für die Änderung erforderlich. Es genügt, dass die Entscheidung zum „Ob“ und „Wie“ der Änderung nicht willkürlich ist.

Grenze ist die Ungerechtigkeit:

Die Änderung darf nicht zu einer ungerechtfertigten Benachteiligung Einzelner führen. Hier findet eine sogenannte Missbrauchskontrolle statt.

Die Entscheidung des BGH: Gerechtigkeit vor Besitzstand

Der klagende Teileigentümer sah sich durch die Änderung um das Sechs- bis Sechseinhalbfache stärker belastet und klagte gegen den Beschluss. Der BGH wies die Klage jedoch ab und gab der WEG Recht:

Keine ungerechtfertigte Benachteiligung:

Obwohl die Mehrbelastung des Klägers erheblich war (sechsfache Steigerung), sah der BGH darin keine ungerechtfertigte Benachteiligung.

Wiederherstellung der Kostengerechtigkeit:

Der ursprüngliche Schlüssel nach Miteigentumsanteilen führte aufgrund der fehlerhaften (oder unüblichen) Festlegung der Miteigentumsanteile in der Teilungserklärung zu einer unbilligen Privilegierung der Teileigentümer. Die Umstellung auf eine flächenabhängige Verteilung führte demgegenüber zu einer höheren Kostengerechtigkeit, da die Kosten unabhängig von der Nutzungsintensität anfallen (z. B. Müll, Reinigung).

Trennung von Kosten und Nutzen:

Die Tatsache, dass die Kosten nun nach Fläche, die Nutzungen des Gemeinschaftseigentums (z. B. Stimmrecht) aber weiterhin nach Miteigentumsanteilen verteilt werden, wurde nicht als unangemessene Schieflage gewertet. Der Verteilungsmaßstab für Kosten und Nutzungen muss nicht zwingend übereinstimmen.

Fazit

Ein WEG-Beschluss zur Änderung des Umlageschlüssels ist in der Regel gültig, selbst wenn er einen einzelnen Eigentümer (wie hier den Teileigentümer) stärker belastet, sofern die Änderung dazu dient, eine unfaire oder unbillige Verteilung nach dem bisherigen Schlüssel zu beseitigen und zu einer gerechteren Lastenverteilung (hier: nach Fläche statt fehlerhaft berechneten Miteigentumsanteilen) zurückzukehren. Die Gemeinschaft darf eine bisherige, nicht sachgerechte Privilegierung einzelner Eigentümer durch Mehrheitsbeschluss korrigieren.

Anmerkung RA Krau

Das Urteil erging zur alten Gesetzesfassung – was ändert sich nach neuem WEG?

Das von Ihnen genannte Urteil des BGH von 2011 basiert auf der alten Fassung des Wohnungseigentumsgesetzes (WEG a.F.), insbesondere auf §16 Abs. 3 und 4 WEG a.F.

Die WEG-Reform (Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetz – WEMoG), die am 01.12.2020 in Kraft getreten ist, hat die Regelungen zur Kostenverteilung in §16 WEG grundlegend neu gefasst.

Die wesentlichen Änderungen nach der WEG-Reform 2020

Der zentrale Punkt der Änderung liegt in der Erweiterung der Beschlusskompetenz der Wohnungseigentümer zur Änderung des Umlageschlüssels.

Erweiterte Beschlusskompetenz und Wegfall der Beschränkung auf Betriebs- und Verwaltungskosten

Alte Rechtslage (§16 Abs. 3 WEG a.F.):

Eine Abweichung vom gesetzlichen oder vereinbarten Kostenverteilungsschlüssel war nur für die Betriebs- und Verwaltungskosten möglich. Die Kosten der Instandhaltung und Instandsetzung waren hiervon ausgeschlossen (siehe auch Randnummer [13] des Urteils).

Neue Rechtslage (§16 Abs. 2 S. 2 WEG n.F.):

Die Wohnungseigentümer können nun für einzelne Kosten oder bestimmte Arten von Kosten eine abweichende Verteilung beschließen. Dies umfasst sämtliche Kosten der Gemeinschaft, einschließlich der Kosten für Instandhaltung und Instandsetzung sowie der Zuführung zur Erhaltungsrücklage.

Wegfall §16 Abs. 4 WEG a.F.:

Die Begrenzung der Umlage von Instandsetzungskosten auf den Einzelfall (§16 Abs. 4 WEG a.F.) ist ersatzlos entfallen.

Geltendes Kriterium für die Änderung: Einfache Mehrheit und Ordnungsmäßigkeit

Einfache Mehrheit:

Die Änderung des Umlageschlüssels erfordert lediglich einen einfachen Mehrheitsbeschluss (§16 Abs. 2 S. 2 WEG n.F.).

Ordnungsmäßige Verwaltung:

Der Beschluss muss weiterhin den Grundsätzen ordnungsmäßiger Verwaltung entsprechen. Die vom BGH im Urteil entwickelte Rechtsprechung zur Willkürkontrolle und zur Angemessenheit behält im Kern ihre Gültigkeit, da die Willkürlichkeit des Beschlusses in der Regel die fehlende Ordnungsmäßigkeit begründet.

Im Fall des Urteils:

Der BGH hat die Umlageänderung als ordnungsmäßig angesehen, weil der ursprüngliche, nach Miteigentumsanteilen bemessene Schlüssel zu einer unbilligen Privilegierung der Teileigentümer führte. Die Umstellung auf einen flächenabhängigen Maßstab führte zu einer höheren Abrechnungsgerechtigkeit und beseitigte die Schieflage (Randnummer [12]).

Diese Argumentation ist auch unter dem neuen §16 Abs. 2 S. 2 WEG n.F. weiterhin relevant: Eine Korrektur einer offensichtlichen Unbilligkeit durch die Änderung des Umlageschlüssels auf Basis der Wohnfläche/Nutzfläche wird als sachlich gerechtfertigt und nicht willkürlich betrachtet und entspricht damit ordnungsmäßiger Verwaltung.

Ausnahmen von der Beschlusskompetenz

Die erweiterte Beschlusskompetenz gilt nicht uneingeschränkt:

Kosten baulicher Veränderungen: Für die Kosten und Nutzungen bei baulichen Veränderungen gilt eine Sonderregelung in §21 WEG. Im Grundsatz tragen die Kosten jene Eigentümer, die der Maßnahme zugestimmt haben und diese nutzen wollen oder dürfen, nach dem Verhältnis ihrer Anteile (§21 Abs. 3 WEG n.F.).

Grundsatz der Miteigentumsanteile: §16 Abs. 2 S. 1 WEG n.F. bestimmt weiterhin, dass die Kosten und Lasten des gemeinschaftlichen Eigentums grundsätzlich nach dem Verhältnis der Miteigentumsanteile zu tragen sind, sofern keine abweichende Vereinbarung oder ein abweichender Mehrheitsbeschluss getroffen wurde.

Ergebnis für den konkreten Fall

Der vom BGH 2011 gebilligte Beschluss, bestimmte Betriebskosten von der Verteilung nach Miteigentumsanteilen auf die Wohn-/Nutzfläche umzustellen, um eine unbillige Privilegierung zu beseitigen, ist auch nach neuem Recht eindeutig zulässig (nach §16 Abs. 2 S. 2 WEG n.F.) und entspricht weiterhin den Grundsätzen ordnungsmäßiger Verwaltung.

Die Reform hat die Möglichkeiten der Eigentümergemeinschaft zur flexiblen und sachgerechten Kostenverteilung sogar erheblich erweitert, indem nun auch über die Kosten von Instandhaltung und Instandsetzung sowie über die Zuführung zur Rücklage mit einfacher Mehrheit beschlossen werden kann.

Zusammenfassend:

Die Rechtsauffassung des BGH, dass eine Umlageänderung zulässig ist, wenn sie eine unbillige Privilegierung korrigiert und nicht willkürlich ist, wurde durch die WEG-Reform nicht untergraben, sondern die Beschlusskompetenz für solche Änderungen sogar auf alle Kostenarten (mit Ausnahme der Kosten baulicher Veränderungen) ausgedehnt.

RA und Notar Krau

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