Anforderungen an die Erbenermittlungspflicht des Nachlassgerichts vor Feststellung des Fiskuserbrechts – OLG Celle 6 W 60/21

September 15, 2021

Anforderungen an die Erbenermittlungspflicht des Nachlassgerichts vor Feststellung des Fiskuserbrechts – OLG Celle 6 W 60/21

Zusammenfassung RA und Notar Krau:

Das Oberlandesgericht Celle hob den Beschluss des Amtsgerichts aufgrund der Beschwerde auf, die sich gegen die Feststellung richtete, dass außer dem Land Niedersachsen kein anderer Erbe der Verstorbenen vorhanden sei.

Das Amtsgericht hatte die Tochter der Erblasserin nicht ermittelt, obwohl das Zentrale Testamentsregister auf sie hinwies und weitere Ermittlungsmöglichkeiten nicht ausgeschöpft wurden.

Gemäß § 1964 BGB obliegt es dem Nachlassgericht, sicherzustellen, dass kein anderer Erbe als der Fiskus vorhanden ist.

Die Entscheidung des Amtsgerichts war daher fehlerhaft, da es die erforderlichen Ermittlungen nicht vornahm.

Selbst wenn der Nachlass geringwertig oder überschuldet gewesen wäre, hätte dies nicht automatisch die Erbenermittlungspflicht aufgehoben.

Die Kenntnis von der Existenz eines nahen Angehörigen erfordert zusätzliche Ermittlungen.

Das Amtsgericht hätte mindestens Anfragen an Sterberegister, Eheregister und Geburtenregister der bekannten Lebensmittelpunkte der Erblasserin richten müssen.

Eine Entscheidung über die Kosten war nicht erforderlich.

Die Feststellung des Fiskuserbrechts war daher unbegründet, da die Anforderungen an die Erbenermittlungspflicht des Nachlassgerichts nicht erfüllt wurden.

Inhaltsverzeichnis:

I. Einleitung

  • Aufhebung des Beschlusses des Amtsgerichts
  • Mangelhafte Erbenermittlungspflicht

II. Anforderungen an die Erbenermittlungspflicht

  • Gesetzliche Grundlage nach § 1964 BGB
  • Ermessen des Nachlassgerichts
  • Mangelhafte Ermittlungsmethoden des Amtsgerichts

III. Notwendigkeit weiterer Ermittlungen

  • Unzureichende Berücksichtigung der Lebensumstände der Erblasserin
  • Erforderliche Anfragen an Registerämter
  • Verweise auf einschlägige Rechtsliteratur

IV. Zusammenfassung und Schlussfolgerung

  • Fehlende Feststellung des Fiskuserbrechts
  • Nichterfüllung der Anforderungen an die Erbenermittlungspflicht

V. Entscheidung über die Kosten

Zum Entscheidungstext:

Zu den – nicht zu niedrig anzusetzenden – Anforderungen an die Erbenermittlungspflicht des Nachlassgerichts vor Feststellung des Fiskuserbrechts.

Tenor

Der Beschluss wird aufgehoben.

Anforderungen an die Erbenermittlungspflicht des Nachlassgerichts vor Feststellung des Fiskuserbrechts – OLG Celle 6 W 60/21 – Gründe

Die zulässige (vgl. BGH, IV ZB 15/11, Beschluss vom 23. November 2011, zit. nach juris) Beschwerde ist begründet; das Amtsgericht durfte nicht feststellen, dass ein anderer Erbe als das Land Niedersachsen nicht vorhanden ist.

I.

Die Erblasserin wurde am 24. Februar 2021 in der von ihr gemieteten Wohnung in B. tot aufgefunden.

Unter dem 12. März 2021 wies das Zentrale Testamentsregister auf eine Tochter der Erblasserin hin, T. D., geb. am 22. November 1983 in B..

Anforderungen an die Erbenermittlungspflicht des Nachlassgerichts vor Feststellung des Fiskuserbrechts – OLG Celle 6 W 60/21

Auf Nachfrage des Amtsgerichts teilten, wie sich aus einem kurzen Aktenvermerk vom 17. März 2021 ergibt, Standesamt und Einwohnermeldeamt B. mit, dass die Tochter dort nicht gemeldet sei.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht festgestellt, dass ein anderer Erbe als das Land Niedersachsen nicht vorhanden sei.

Eine Tochter sei nicht auffindbar gewesen.

Das für die Bestattung zuständige Ordnungsamt in B. habe nach telefonischer Auskunft keine Erkenntnisse zu Angehörigen.

Weitere Ermittlungen erschienen nicht angezeigt, da nach den vorliegenden Informationen eine Überschuldung des Nachlasses anzunehmen sei.

Wegen der Kosten sei eine öffentliche Aufforderung gemäß § 1965 Abs. 1 S. 1 BGB unterblieben.

II.

Mit der gegebenen Begründung durfte das Amtsgericht die Feststellung nach § 1964, § 1936 Satz 1 BGB nicht treffen.

Nach § 1964 Abs. 1 BGB hat das Nachlassgericht festzustellen, dass ein anderer Erbe als der Fiskus nicht vorhanden ist, wenn der Erbe nicht innerhalb einer den Umständen entsprechenden Frist ermittelt wird.

Durch die Vorschrift wird dem Nachlassgericht eine Erbenermittlungspflicht auferlegt, wenn – wie hier – der Fiskus als gesetzlicher Erbe in Betracht kommt.

Zutreffend ist die dem angefochtenen Beschluss zugrunde gelegte Annahme, dass Reichweite und Umfang der Ermittlungen im pflichtgemäßen Ermessen des Nachlassgerichts stehen.

Damit ist für den konkreten Einzelfall zu bestimmen, welche Ermittlungen geboten sind. Den vorliegend zu stellenden Anforderungen genügt der Beschluss nicht (§ 26, § 342 Abs. 1 Nr. 4 FamFG).

Es bedarf vorliegend keiner Entscheidung, ob der Senat als Beschwerdegericht das Ermessen des Rechtspflegers durch das eigene Ermessen ersetzen darf.

Jedenfalls darf er feststellen und ist er vorliegend verpflichtet festzustellen, dass die Ermessensausübung nicht fehlerfrei erfolgt ist.

Anforderungen an die Erbenermittlungspflicht des Nachlassgerichts vor Feststellung des Fiskuserbrechts – OLG Celle 6 W 60/21

Einmal ganz abgesehen davon, dass es überraschen muss, dass das Amtsgericht die Feststellung des Fiskuserbrechts bereits wenige Wochen nach dem Tod der Erblasserin getroffen hat, hat es die angezeigten Ermittlungsmöglichkeiten nicht ausgeschöpft.

Dabei war die Notwendigkeit der Ermittlungen nicht deswegen von vornherein in der vom Amtsgericht angenommen Weise reduziert, weil – möglicherweise – der Nachlass geringwertig oder überschuldet war

(vgl. MünchKomm-Leipold, BGB, 8. Aufl., § 1964 Rn. 4 und 5 m. w. N.).

Aus § 1965 Abs. 1 S. 2 BGB ergibt sich, dass eine Erbenermittlungspflicht nicht schon dann nicht besteht, wenn der Nachlass geringwertig oder überschuldet ist. Feststellungen dazu hat das Amtsgericht nicht getroffen.

Allein der Umstand, dass die Erblasserin in einer verschmutzten Wohnung aufgefunden worden war, reicht nicht aus; Verwahrlosung bedeutet nicht ohne Weiteres, dass der Nachlass geringwertig oder überschuldet sein muss.

Und weiter bedeutet Überschuldung nicht ohne Weiteres, dass Erben sicher die Erbschaft ausschlagen werden.

Der vorliegende Fall weist die Besonderheit auf, dass bekannt ist, dass die Erblasserin eine Tochter haben soll, von der der Name, das Geburtsdatum und der Geburtsort bekannt sind.

Nicht nur, dass ohnehin sehr selten sein dürfte, dass jemand ohne gesetzliche Erben verstirbt (vgl. §§ 1928, 1929 BGB), bedeutet die Kenntnis von der Existenz eines nahen Angehörigen, dass das Amtsgericht weitere Ermittlungen anstellen musste.

Jedenfalls als Faustformel wird gesagt werden können, dass mindestens Anfragen an Sterberegister, Eheregister und Geburtenregister der feststellbaren Lebensmittelpunkte eines Erblassers gerichtet werden müssen.

Für die konkreten Nachlassmöglichkeiten beschränkt sich der Senat auf Verweise auf Zimmermann, Die Nachlasspflegschaft, 4. Aufl., Rn. 665 ff., sowie auf Jochum/Pohl, Nachlasspflegschaft, 5. Aufl., Rn. 705 ff.

III.

Einer Entscheidung über die Kosten bedurfte es nicht.

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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