RA Krau: Indem die Mutter alleinige Erbin wird, sind Sie durch Verfügung von Todes wegen vom Vater enterbt. Die Enterbung muss nicht ausdrücklich ausgesprochen werden. Wenn ein anderer 100 % erhält, so bedeutet das automatisch die Enterbung der anderen gesetzlichen Erben.
Sie hätten als Sohn ein gesetzliches Erbrecht gehabt, § 1924 BGB. Daher sind Sie nach § 2303 I 1 BGB pflichtteilsberechtigt.
RA Krau: Nein, das geht nicht. Der Pflichtteil gewährt keine Teilhabe am Nachlass. Er gewährt lediglich einen Geldanspruch, eine wertmäßige Beteiligung am Nachlasswert.
RA Krau: Der Erbe ist nach § 2303 BGB der Schuldner des Pflichtteilsanspruches. Ansprüche sind gegen den oder die Erben zu richten.
RA Krau: Sie haben einen Auskunftsanspruch nach § 2314 BGB gegen den Erben. Der Erbe muss Ihnen ein Nachlassverzeichnis liefern und den Nachlass bewerten. Die Bank wird Ihnen als Pflichtteilsberechtigtem keine Auskunft erteilen. Wären Sie Erbe mit nur einem Prozent, so würden Sie Auskunft erhalten. Beim Pflichtteilsberechtigten läuft alles über den oder die Erben.
RA Krau: Der Auskunftsanspruch aus § 2314 BGB ist einklagbar.
RA Krau: Sie erklären die Hauptsache für erledigt und der Erbe wird in die Kosten verurteilt.
RA Krau: Bei der Stufenklage klagen Sie in der ersten Stufe auf Auskunft, in der zweiten Stufe gegebenenfalls auf Versicherung der Richtigkeit der Auskunft an Eides statt, in der dritten Stufe auf Zahlung eines Betrages, der im Verlaufe des Verfahrens von Ihnen noch beziffert werden wird, wenn Ihnen die Auskunft aus der ersten Stufe vorliegt.
Sie sichern durch den unbezifferten Zahlungsantrag der Stufe drei Ihren Pflichtteilsanspruch vor der Verjährung. Stellen Sie sich vor, das Verfahren über die Auskunft dauert mehrere Jahre, in dieser Zeit würde Ihr Pflichtteilsanspruch verjähren. Durch den unbezifferten Zahlungsantrag in der Stufe drei vermeiden Sie das Risiko, dass Ihre Klage zum Teil abgewiesen wird.
Es ist eine flexible Verfahrensweise und daher in Pflichtteilssachen in der Regel der sicherste Weg: Sie können nach jeder Stufe neu entscheiden, ob Sie die nächste Stufe „zünden“ wollen oder ob Sie nach Einigung mit den Erben die Hauptsache für erledigt erklären wollen.
Weiterhin: Nach Erteilung der Auskunft ergibt sich, dass der Nachlass nichts wert ist. Jetzt können Sie für erledigt erklären, ohne die Stufen 2 und 3 „zünden“ zu müssen und ohne Kostennachteile zu haben. Hätten Sie hier schon einen bezifferten Zahlungsantrag gestellt, so wäre die Klage insoweit kostenpflichtig abzuweisen.
In meiner Praxis kommt es durchaus häufig vor, dass Stufenklagen vorzeitig, etwa nach Stufe 1, verglichen und erledigt werden und dass der Pflichtteilsberechtigte somit sein Ziel vorzeitig erreicht.
RA Krau: Ja, das ist korrekt. Grundlage des Pflichtteilsanspruches ist der Nettonachlass, das heißt, der Nachlass nach Abzug von Verbindlichkeiten, § 2311 BGB. Abzusetzen sind die Erblasserschulden sowie die Verbindlichkeiten, die erst nach dem Erbfall entstanden sind, deren Rechtsgrund bereits beim Erbfall bestand, etwa die Beerdigungskosten.
RA Krau: Nach § 2303 I 2 BGB besteht der Pflichtteil in der Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils.
Da das Gesetz in § 2303 BGB festschreibt, dass der Pflichtteil die Hälfte des gesetzlichen Erbes ausmacht, müssen Sie trotz des Vorliegens einer letztwilligen Verfügung immer eine hypothetische Betrachtung anstellen: Was wäre bei gesetzlicher Erbfolge gewesen, wenn es das Testament nicht gäbe? Wie sind da die Erbquoten? Die Hälfte der Erbquote ist dann der Pflichtteil.
RA Krau: Der Pflichtteil sichert Mindestbeteiligungsrechte bestimmter Personen, die dem Erblasser nah stehen. Die Testierfreiheit ist in Artikel 14 des Grundgesetzes ebenso wie das Privateigentum verfassungsrechtlich garantiert. Dennoch schützen die §§ 2303 ff BGB die Mindestbeteiligungsrechte bestimmter Personen. Diesen wird durch den Pflichtteil die Hälfte des gesetzlichen Erbrechts garantiert. Im Ergebnis bedeutet das, dass Sie über die Hälfte Ihres Vermögens gar nicht erbrechtlich verfügen können, sondern dass Ihnen das BGB, also der Gesetzgeber, hier Vorgaben macht.
RA Krau: Das Pflichtteilsrecht war bereits Gegenstand von Verfassungsbeschwerden. Hier hat das Bundesverfassungsgericht zuletzt 2005 entschieden, dass zumindest das Pflichtteilsrecht der Kinder verfassungsrechtlich garantiert sei durch die Erbrechtsgarantie in Artikel 14 I Grundgesetz sowie den Schutz von Ehe und Familie in Artikel 6 I Grundgesetz. Man spricht von einer Familiensolidarität über den Tod hinaus.
RA Krau: Bei Schaffung des BGB Ende des 19. Jahrhunderts war es absolut unüblich, dass ein Paar Kinder aus mehreren Ehe hatte. Heute ist die sog. Patchworkfamilie nicht ungebräuchlich. Der Ehegatte oder Lebenspartner hat zu den Kindern aus erster Ehe oftmals keinen Kontakt mehr, man hat sich voneinander entfernt und entfremdet. Das Herz hängt an den Kindern aus der neuen Ehe oder Lebensgemeinschaft bzw. am neuen Ehegatten oder Lebenspartner. Nun erfährt man beim anwaltlichen Berater, dass die Kinder aus erster Ehe über den Pflichtteil zwingend am Vermögen partizipieren und dass dagegen kaum ein Kraut gewachsen ist. Das schafft Verdruss und wird als nicht mehr zeitgemäß empfunden. Prognosen besagen jedoch, dass eine ersatzlose Abschaffung des Pflichtteilsrechts der Kinder durch den Gesetzgeber beim Bundesverfassungsgericht auch in Zukunft keine Gnade finden wird.
RA Krau: Voraussetzung ist nach § 2303 BGB, dass ein Abkömmling des Erblassers, der Ehegatte oder die Eltern des Erblassers durch eine Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen worden sind.
RA Krau: Ist der Vater verstorben?
Nein, der lebt noch.
RA Krau: Sie können den Pflichtteil erst verlangen, wenn der Vater verstorben ist. Die §§ 2303 ff. BGB setzen immer den eingetretenen Erbfall voraus.
RA Krau: Nach § 2348 in Verbindung mit § 2346 II BGB bedarf der Pflichtteilsverzicht der notariellen Beurkundung. Ihr „Zettelverzicht“ ist unwirksam. Sie können nach wie vor den Pflichtteil verlangen.
RA Krau: Das steht in § 2325 BGB. Nach Absatz 1 dieser Vorschrift kann der Pflichtteilsberechtigte als Ergänzung seines Pflichtteils bei Schenkungen des Erblassers zu dessen Lebzeiten jenen Betrag verlangen, um den sich der Pflichtteil erhöht, wenn man den verschenkten Gegenstand dem Nachlass hinzurechnet.
Hört sich kompliziert an. Können Sie das auch einfacher sagen?
RA Krau: „Normaler“ Pflichtteil = das was am Todestag da ist.
Ergänzungspflichtteil = das was am Todestag da ist plus Wert der Schenkungen in der Vergangenheit.
Wie weit geht man da zurück?
RA Krau: Schenkungen, die länger als 10 Jahre zurückliegen, werden nicht mehr berücksichtigt. Das ist anders bei Ehegatten. Da beginnt die 10-Jahres-Frist erst mit Auflösung der Ehe.
Also gerade der Fall, dass ich meiner geliebten zweiten Ehefrau alles schenke, um den Pflichtteil meiner ungeliebten Kinder aus erster ins Leere laufen zu lassen, funktioniert nicht?
RA Krau: Nein, wenn die Kinder aus erster Ehe aufpassen und gut anwaltlich vertreten sind, dann wird es ein sehr unschöner Streit um die Pflichtteilsergänzung.
RA Krau: § 2325 III 1 BGB sagt, dass die Schenkung mit jedem Jahr, was zwischen Schenkung und Erbfall verstrichen ist, mit 10 % weniger berücksichtigt wird.
RA Krau: Das wird oft verwechselt: Hier ist zu unterscheiden zwischen der Anrechnung auf den Pflichtteil und der Anrechnung auf den Pflichtteilsergänzungsanspruch. Beim Pflichtteil gilt § 2315 – Anrechnung nur, wenn bei der Zuwendung vom Erblasser bestimmt wurde, dass die Anrechnung auf den Pflichtteil stattfinden soll. Häufigstes Beispiel: Der Vater übergibt dem Sohn das Elternhaus mit der Maßgabe im notariellen Übergabevertrag, dass sich der Sohn die Schenkung auf den Pflichtteil anrechnen lassen muss.
Anders dagegen bei der Pflichtteilsergänzung: Hier ist ein Geschenk an den Pflichtteilsberechtigten immer auf den Pflichtteilsergänzungsanspruch anzurechnen, § 2327 I 1 BGB, auch wenn bei Schenkung nichts bestimmt war.
RA Krau: Ich finde solche Formulierungen oft in letztwilligen Verfügungen. Sie sind nicht wirksam. Ihr Bruder muss sich nur dann etwas auf den Pflichtteil anrechnen lassen, wenn es bei Übergabe des Geschenkes vom Schenker so bestimmt worden ist.
Wenn ich das meinem Vater sage, dann ärgert er sich sehr. Warum ist das so?
RA Krau: Bei der Erbrechtsreform 2009 war die Rede davon, die Anrechnungsbestimmung auch noch im Testament zuzulassen. Diese Meinung hat sich nicht durchgesetzt. Es gilt nach wie vor die klassische Ansicht, wonach der Beschenkte schutzbedürftig sein soll. Er soll bei Annahme des Geschenkes wissen, woran er ist und das Geschenk im Hinblick auf die Anrechnungsbestimmung möglicherweise zurückweisen können. Der Beschenkte soll nicht Jahre nach Annahme des Geschenkes plötzlich mit einer Anrechnungsbestimmung „überfallen“ werden.
Mal angenommen, mein Vater hinterlässt praktisch nichts und macht mich und meinen Bruder zu Erben. Dann erben wir sozusagen „die Hälfte von praktisch nichts“. Nun hat aber der Vater der Schwester vor drei Jahren ein Haus im Wert von 500.000 Euro übergeben. Kann ich dann auch als Erbe diesen Pflichtteilsergänzungsanspruch geltend machen, obwohl es gar kein Pflichtteilsfall ist, weil ich nicht enterbt wurde?
RA Krau: Ja, das können Sie. Das wissen auch manche Anwälte nicht. Das ergibt sich aus § 2326 Satz 2 BGB. Ein Viertel aus dem hypothetischen, um die Schenkungen erhöhten Nachlass ist dann eben mehr als ein Halb „aus praktisch nichts“. Sie können also quasi als „Notbremse“ auf die Pflichtteilsergänzung zurückgreifen. Deshalb gilt: Immer in den Nachlassunterlagen nach namhaften Schenkungen forschen! Geben Sie sich nicht vorschnell damit zufrieden, dass der Nachlass angeblich wenig wert sein soll.
RA Krau: Manche neunmalklugen Erblasser glauben, sie könnten den Pflichtteil damit aushöhlen, dass sie den Pflichtteilsberechtigten zwar zum Erben machen oder ihm ein Vermächtnis zuwenden, ihm aber weniger zuwenden, als die Hälfte des gesetzlichen Erbteils, also weniger als der Pflichtteil. Da sagt der § 2305 BGB, dass der Pflichtteilsberechtigte dasjenige, was zur Hälfte des gesetzlichen Erbes (=Pflichtteil) fehlt, vom Erben noch verlangen kann.
RA Krau: Die Ausschlagung eines unbelasteten Erbteils hat den Verlust des Pflichtteils zur Folge, weil nach § 2303 BGB kein Ausschluss von der Erbfolge durch Verfügung von Todes wegen erfolgte.
Das ist nach § 2306 BGB anders, wenn das Erbe durch die Einsetzung eines Nacherben, die Ernennung eines Testamentsvollstreckers oder eine Teilungsanordnung beschränkt wurde oder wenn es mit einem Vermächtnis oder einer Auflage beschwert ist. In diesem Falle kann der beschränkte oder beschwerte Erbe gemäß § 2306 BGB ausschlagen, behält aber den Pflichtteilsanspruch.
Eine weitere wichtige Ausnahme besteht nach § 1371 III BGB für den überlebenden Ehegatten in der Zugewinngemeinschaft: Er kann die Erbschaft ausschlagen, kann dann aber sowohl den Zugewinnausgleich als auch den Pflichtteil verlangen.
Schließlich kann nach § 2307 BGB, wer mit einem Vermächtnis bedacht wurde, dieses Vermächtnis ausschlagen und stattdessen den Pflichtteil fordern.
RA Krau: Das war in der Vergangenheit eine Stammtischparole, die durch die Entscheidung des BGH zur Dresdener Frauenkirche Stiftung eindeutig widerlegt ist. Errichtet der Erblasser zu seinen Lebzeiten eine Stiftung und stattet diese mit wesentlichen Teilen seines Vermögens aus, so sind auf das Stiftungsgeschäft die §§ 2325 BGB entsprechend anzuwenden. Schenkung im Sinne der Pflichtteilsergänzung gemäß § 2325 BGB ist ebenfalls die unentgeltliche Zuwendung an eine gemeinnützige Stiftung, sei es als kapitalerhöhende Zustiftung, sei es als Spende.
Fazit: Die Pflichtteilsergänzung nach § 2325 BGB können Sie mit Zuwendungen an eine Stiftung nicht umgehen.