Auslegung bei aufeinanderfolgenden Testamente ohne ausdrücklichen Widerruf des früheren – Saarländisches OLG 5 W 30/20

Mai 10, 2021

Auslegung bei aufeinanderfolgenden Testamente ohne ausdrücklichen Widerruf des früheren – Saarländisches OLG 5 W 30/20

Neu formatiert von RA und Notar Krau

Zur Auslegung letztwilliger Verfügungen in dem Fall, dass zwei aufeinanderfolgende Testamente vorliegen und das spätere keinen ausdrücklichen Widerruf des früheren enthält.

Tenor

1. Die Beschwerde des Beteiligten zu 1 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Neunkirchen vom 04.05.2020 – Az. 16 VI 633/19 – wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

3. Der Beschwerdewert wird auf 25.000 € festgesetzt.

Auslegung bei aufeinanderfolgenden Testamente ohne ausdrücklichen Widerruf des früheren – Saarländisches OLG 5 W 30/20 – Gründe

I.

Der Beteiligte zu 1 und Beschwerdeführer war ein Freund der am 03.11.2019 verstorbenen Erblasserin. Der Beteiligte zu 2 war ihr langjähriger Lebensgefährte, mit dem sie seit April 2006 bis einige Wochen vor ihrem Tod zusammenlebte.

Am 29.08.2011 errichtete die Erblasserin vor dem Notar Dr. J. L. in N. ein Testament, in dem sie den Beteiligten zu 2 zu ihrem Alleinerben einsetzte (Bl. 23 der Beiakte 16 IV 355/11; im Folgenden: Beiakte). Es enthielt unter anderem folgende Vorbemerkungen und Anordnungen:

“Ich bin durch frühere Verfügung von Todes wegen an der Errichtung eines Testaments nicht gehindert.

Über das gesetzliche Erb- und Pflichtteilsrecht bin ich belehrt.[…]

Ich wünsche die amtliche Verwahrung dieses Testaments durch das Amtsgericht N..[…].

I. Widerruf früherer Verfügungen

Ich widerrufe hiermit alle etwa bisher von mir getroffenen Verfügungen von Todes wegen.

II. Neue Verfügungen

§ 1 Erbeinsetzung

Auslegung bei aufeinanderfolgenden Testamente ohne ausdrücklichen Widerruf des früheren – Saarländisches OLG 5 W 30/20

Zu meinem alleinigen Erben wird mein Lebensgefährte berufen, und zwar:

S. B., geboren am … 1962 […]

§ 2 Vermächtnisse

Vermächtnisse sollen nicht angeordnet werden.

III. Weitere Verfügungen von Todes wegen

Weitere Verfügungen von Todes wegen sollen heute nicht getroffen werden.”

Der Notar gab das Testament im September 2011 beim Amtsgericht N. in amtliche Verwahrung und bezifferte den Nachlasswert auf 25.000 € (Bl. 1 der Beiakte).

Rund acht Monate später, am … 2012, verfasste die Erblasserin handschriftlich ein mit “Mein Testament” überschriebenes Schriftstück folgenden Inhalts (Bl. 12 der Beiakte):

“Ich, U. M. […] verfüge heute, dass meine Kröten (von meinem Mann P. M. gespart) der oder diejenige Person bekommt die nach mir ‚sieht‘ bez. sich um mich ‚kümmert‘. (Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht hinterlegt).

Meine persönlichen Sachen (insbesondere meinen tollen Schmuck) im Schließfach Nr. XX Bank 1 Saar derjenige auch.Meine kostbaren Puppen der dieses ‚Hobby‘ liebtbitte nicht verschenken (verkaufen) ebenso D.’s Uhren (auch die Wanduhr) Brillen und MundharmonikasC. J., bekommt alle Ritzenhof Sachen (Lampe, Gläser, Tassen) und alle KochbücherA. T., bekommt meinen Ohrring Bergsteiger (im Schließfach) ist schon versprochen.

Mein Schatz F., bei K. K.,, Kaffee und Essservicen.G. H. und C. L. meinen Modeschmuckmein Mann D. M. hat sein ganzes Leben (ich mit) gespart und ich möchte nicht das was in ’verkehrte‘ Hände gelangtPatientenverfügung und Vorsorgevollmacht in dem Blauen Ordnerbitte anonym beerdigen (wie M.) in L.”

Auf der Rückseite des Schriftstücks unterzeichnete die Erblasserin achtmal, jeweils hinter der Ortsbezeichnung N. und mit jährlich aktualisierten Daten, zuletzt am 27.01.2019. Bevollmächtigter der im handschriftlichen Testament in Bezug genommenen Vorsorgevollmacht war zu jenem Zeitpunkt noch der Beteiligte zu 2.

Unter dem 01.10.2019 unterzeichnete die Erblasserin eine neue Vorsorgevollmacht, in welcher der Beteiligte zu 1 als Vollmachtnehmer eingetragen war, ebenso eine Patientenverfügung, in der er als diejenige Person bezeichnet wird, deren “Beistand und Begleitung” die Erblasserin in ihrer “letzten Lebensphase” vornehmlich wünsche (Bl. 15 und 20 der Beiakte).

Das Girokonto der Erblasserin wies nach der Mitteilung des Beteiligten zu 1 zum Todestag ein Guthaben in Höhe von rund 7.500 € auf.

Der Beteiligte zu 1 ließ mit notariellem Schreiben vom 20.11.2019 die Erteilung eines Erbscheins aufgrund des handschriftlichen Testaments vom 15.05.2012 beantragen. Aus seiner Sicht hat die Erblasserin ihm Bargeld und Schmuck zugewendet und ihn dadurch zum Alleinerben bestimmt.

Der Beteiligte zu 1 hat behauptet, er sei nämlich diejenige Person gewesen, die sich um die Erblasserin bis zu ihrem Tod im Sinne der Formulierung im ersten Satz dieses Testaments gekümmert habe.

Auslegung bei aufeinanderfolgenden Testamente ohne ausdrücklichen Widerruf des früheren – Saarländisches OLG 5 W 30/20

Der Nachlass, zu dessen genauer wertmäßiger Zusammensetzung der Beteiligte zu 1 keine Angaben machen konnte, bestehe im Wesentlichen aus dem Geldvermögen und dem Schmuck im Bankschließfach.

Dass die Erblasserin die im notariellen Testament verfügte Erbeinsetzung des Beteiligten zu 2 nicht habe aufrechterhalten wollen, hat der Beteiligte zu 1 damit begründet, dass deren Zusammenleben problematisch gewesen sei und der Beteiligte zu 2 die Erblasserin sogar körperlich angegriffen habe (Bl. 36 der Akte i.V.m. schriftlichen Äußerungen der J. S., der L. K. und der C. L.-M., Bl. 40-48 d.A.).

Der Beteiligte zu 2 hat sich dem Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 1 entgegengestellt und seinerseits beantragt, ihn auf der Grundlage des notariellen Testaments vom 29.08.2011 als Alleinerben auszuweisen. Nach seiner Einschätzung sind im privatschriftlichen Testament vom 15.05.2012 lediglich Vermächtnisse ausgesetzt worden, die seine Erbenstellung unberührt ließen.

Der Beteiligte zu 2 hat darauf aufmerksam gemacht, dass die Erblasserin noch zum Zeitpunkt der letzten Unterschrift auf dem handschriftlichen Testament mit ihm zusammengelebt habe und dass seinerzeit nicht der Beteiligte zu 1, sondern er vorsorgebevollmächtigt gewesen sei.

Das Amtsgericht – Nachlassgericht – Neunkirchen hat mit Beschluss vom 04.05.2020 die aufgrund des Antrags des Beteiligten zu 2 zur Erteilung eines Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet.

Der Beteiligte zu 1 hat gegen den am 11.05.2020 zugestellten Beschluss am 12.05.2020 Beschwerde erhoben. Er hält für maßgeblich, ob die – nach seiner Ansicht ihn begünstigende – Zuwendung der Geldsumme den überwiegenden Teil des Nachlasses ausmache. Er erklärt, hierüber nichts Genaues zu wissen, geht aber davon aus, dass die sonstigen Nachlassgegenstände keinen wesentlichen Wert hätten.

Der Beteiligte zu 1 beantragt,

1. den Beschluss des Amtsgerichts Neunkirchen vom 04.05.2020, Az. 16 VI 633/19, aufzuheben;

2. das Amtsgericht Neunkirchen anzuweisen, ihm folgenden Erbschein zu erteilen:

Die Erblasserin U. M. wird alleine beerbt von:

E. J., geb. H., wohnhaft … pp.

Der Beteiligte zu 2 hält der Beschwerde entgegen, dass die Erblasserin bei der Unterzeichnung der Vorsorgevollmacht und der Patientenverfügung vom Oktober 2019 wegen einer Alkoholkrankheit keinen klaren Willen mehr habe bilden können. Er bestreitet, dass sie die Daten des Beteiligten zu 1 in die genannten Urkunden eingetragen habe.

Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache mit Beschluss vom 26.06.2020 dem Saarländischen Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die Beschwerde ist gemäß § 58 Abs. 1 FamFG statthaft. Der Beteiligte zu 1 ist beschwerdeberechtigt, Form und Frist der §§ 63 Abs. 1 und Abs. 3, 64 Abs. 1 und 2 FamFG sind gewahrt.

Das Rechtsmittel ist in der Sache unbegründet.

1.

Der angefochtene Beschluss entspricht der Erbrechtslage.

Zu Recht hat das Amtsgericht die am 15.05.2012 getroffenen und in den Folgejahren bestätigten Anordnungen der Erblasserin nicht als Widerruf der letztwilligen Verfügung vom 29.08.2011 betrachtet.

Dagegen wendet sich die Beschwerde des Beteiligten zu 1 ohne Erfolg.

a.

Auslegung bei aufeinanderfolgenden Testamente ohne ausdrücklichen Widerruf des früheren – Saarländisches OLG 5 W 30/20

Der Beteiligte zu 2 wurde von der Erblasserin im notariellen Testament vom 29.08.2011 zum Alleinerben bestimmt (§§ 1937, 2232 BGB). Daran hat sich durch das später gemäß § 2247 BGB errichtete handschriftliche Testament vom 15.05.2012 nichts geändert.

(1)

Testamentarische Anordnungen können ihre Wirksamkeit durch Widerruf verlieren (§ 2253 BGB). Liegen zwei zeitlich aufeinanderfolgende Testamente vor und enthält das spätere – wie hier – keinen ausdrücklichen Widerruf des früheren (§ 2254 BGB), kann § 2258 BGB zum Tragen kommen.

Danach gelten frühere Anordnungen als widerrufen, soweit sie mit zeitlich danach getroffenen Anordnungen in Widerspruch stehen (vgl. Lauck in: Burandt/Rojan, Erbrecht, 3. Auflage 2019, § 2258 Rdn. 1; Kroiß in: Kroiß/Anm/Meyer, BGB, Erbrecht, § 2258 Rdn. 1).

Das gilt auch dann, wenn das erste Testament notariell und das zweite “nur” handschriftlich verfasst wurde (Grziwotz in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, BGB, Stand: 01.07.2020, § 2258 Rdn. 2).

Ein Widerspruch im Sinne des § 2258 BGB liegt nicht nur dann vor, wenn die getroffenen Anordnungen sich gegenseitig ausschließen.

Auch bei inhaltlicher Vereinbarkeit mehrerer letztwilliger Verfügungen kann ein Widerspruch dann bestehen, wenn nach dem Willen des Erblassers die spätere Verfügung allein und ausschließlich gelten soll, weil der Erblasser mit ihr die Erbfolge abschließend regeln wollte

(BGH, Urteil vom 07.11.1984 – IVa ZR 77/83 – NJW 1985, 969; Senat, Beschluss vom 18.07.1991 – 5 W 16/91 – FamRZ 1992, 109; BayOBLG, FamRZ 2005, 310; OLG München, FamRZ 2017, 1967 und FamRZ 2011, 403).

Bei der Klärung des maßgeblichen Erblasserwillens darf weder dem älteren noch dem jüngeren Testament von vornherein mehr Gewicht beigemessen werden

(Lauck in: Burandt/Rojahn, Erbrecht, 3. Auflage 2019, § 2258 Rdn. 5: a.A. – im Zweifel Geltungsvorrang des späteren Testaments – Grziwotz in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, BGB, Stand: 01.07.2020, § 2258 Rdn. 12).

Auslegung bei aufeinanderfolgenden Testamente ohne ausdrücklichen Widerruf des früheren – Saarländisches OLG 5 W 30/20

Die Testamente sind je für sich auszulegen und die so ermittelten jeweiligen Absichten des Erblassers zueinander in Beziehung zu setzen (BayObLG, FamRZ 2004, 224).

Für die Auslegung gelten die allgemeinen Grundsätze. Auszugehen ist vom Wortlaut, der jedoch nicht die Grenze der Interpretation darstellt. Im Vordergrund steht der wirkliche Wille des Erblassers (§ 133 BGB), und es ist zu fragen, was er nach seinem Verständnishorizont mit seinen Worten zum Ausdruck bringen wollte.

Dabei ist der gesamte Inhalt der Testamentsurkunde einschließlich aller Nebenumstände heranzuziehen (vgl. BGH, Beschluss vom 19.06.2019 – IV ZB 30/18 – FamRZ 2019, 1462; BayObLG, FamRZ 2003, 1179).

(2)

Gemessen an diesen Grundsätzen, sind die Voraussetzungen des § 2258 BGB in der vorliegenden Konstellation nicht erfüllt.

Die Anordnungen im handschriftlichen Testament vom 15.05.2012 widersprechen denjenigen im notariellen Testament vom 29.08.2011 nicht. Letzteres bestimmt die Erbfolge, Ersteres enthält Vermächtnisse und Auflagen (§§ 1939, 1940 BGB).

Die damit verbundene zusätzliche Beschwerung lässt die Erbeinsetzung des Beteiligten zu 2 im früheren Testament unberührt (vgl. Litzenburger in: Hau/Poseck, BGB, Stand: 01.08.2020, § 2258 Rdn. 5). Es besteht kein Anhalt für einen davon abweichenden Willen der Erblasserin.

(a)

Allerdings scheint die Überschrift “Mein Testament” auf den Wunsch nach einer umfassenden Regelung des Nachlasses hinzudeuten. In der Sache wurden indes nur die Zuordnung und der gewünschte Umgang mit Einzelgegenständen geregelt, nicht aber die Erbfolge.

Eine Erbenbestimmung war aus Sicht der Erblasserin auch nicht erforderlich, denn sie hatte eine solche im notariellen Testament bereits vorgenommen.

Zwar ist die fehlende Erwähnung dieser Verfügung im späteren Testament nicht schon für sich genommen als automatisches Aufrechterhalten zu deuten

(Grziwotz in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, BGB, Stand: 01.07.2020, § 2258 Rdn. 12).

Jedoch liegt in den Fällen, in denen zwischen der Errichtung zweier sachlich vereinbarer Testamente nur ein kurzer Zeitraum verstrichen ist, der Schluss nahe, dass der Erblasser die Verfügungen nebeneinander gelten lassen wollte (BayObLG, FamRZ 1997, 247).

Das gilt auch hier. Es besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass die Erblasserin sich im Mai 2012 nicht mehr an die im August 2011 errichtete notarielle Urkunde erinnert hätte. Dort hatte sie (noch) keine Vermächtnisse ausgesetzt, behielt sich diese Option aber ersichtlich vor.

Auslegung bei aufeinanderfolgenden Testamente ohne ausdrücklichen Widerruf des früheren – Saarländisches OLG 5 W 30/20

Das notarielle Testament enthielt auf nur einer Seite klare Regelungen zu drei Komplexen: Unter Ziffer I wurden etwaige frühere Verfügungen von Todes wegen widerrufen; in zwei kurzen Paragrafen unter Ziffer II bestimmte die Erblasserin den Beteiligten zu 2 zum alleinigen Erben und sah von Vermächtnisanordnungen (noch) ab; in Ziffer III erklärte sie, weitere Verfügungen sollten “heute” nicht getroffen werden.

Es kann vermutet werden, dass der Notar seinen Beratungspflichten nachkam (§ 17 BeurkG) und der Erblasserin die Bedeutung der verwendeten Rechtsbegriffe des Widerrufs, der Erbeinsetzung und des Vermächtnisses erläuterte.

Hätte sie weniger als neun Monate später von der Erbeinsetzung des Beteiligten zu 2 wieder Abstand nehmen wollen, wäre zu erwarten gewesen, dass sie irgendeine Erklärung zu einer neuerlichen Erbfolgeregelung abgegeben hätte (vgl. – ebenfalls für eine Konstellation, in der der Erblasser von der ihm bekannten Möglichkeit eines klarstellenden Widerrufs absah – OLG Bamberg, FamRZ 2019, 1369).

Dass das handschriftliche Testament sich hierzu nicht verhielt, sondern Details regelte, um sicherzustellen, dass nichts “in verkehrte Hände” gelange, spricht dafür, dass die Erblasserin nunmehr lediglich die im notariellen Testament noch unterbliebene Anordnung von Vermächtnissen/Auflagen nachholen wollte.

Unter der Prämisse, dass das im handschriftlichen Testament vom 15.05.2012 ausgesetzte Geld- und Schmuckvermächtnis sich möglicherweise auf den zuvor als Alleinerben eingesetzten Beteiligten zu 2 bezogen haben könnte, weil dieser im Jahr 2012 noch Vollmachtnehmer der von der Erblasserin in diesem Zusammenhang erwähnten Vorsorgevollmacht gewesen ist, würde auch dies keine Unvereinbarkeit der Verfügungen begründen.

Wie sich schon aus § 2150 BGB ergibt, behält die Einsetzung eines Erben auch dann ihren Sinn, wenn dieselbe Person mit einem Vermächtnis bedacht wird (vgl. OLG München, FamRZ 2011, 403).

(b)

Die Annahme, dass die Erblasserin die Erbeinsetzung des Beteiligten zu 2 aufrechterhalten wollte, wird auch dadurch gestützt, dass es ihr – wie die mit Kosten verbundene Errichtung eines notariellen, beim Amtsgericht hinterlegten Testaments zeigt – ersichtlich auf eine professionell und rechtssicher formulierte und bei Eintritt des Erbfalls verlässlich verfügbare Regelung jedenfalls der Erbfolge ankam.

Eine (konkludente) Aufhebung der Alleinerbeneinsetzung im Kontext der letztwilligen Verfügung vom 15.05.2012 wäre mit dieser Intention schwerlich vereinbar, weil dort, gäbe es nur dieses Testament, gerade keine unmissverständliche Erbenbestimmung erfolgte.

Denkbar wäre – unter der Prämisse, dass die hinterlassenen “Kröten” nebst Schließfachinhalt den weit überwiegenden Teil des Nachlasses darstellten – eine Erbeinsetzung derjenigen Person, die sich um die Erblasserin “kümmern” würde und (bzw. oder?) in ihrer (hinterlegten?) Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht bezeichnet war, oder aber eine Erbeinsetzung der im Testament genannten Personen im Verhältnis des Werts der jeweiligen Zuwendungen; in Betracht käme sogar eine Auslegung dahin, dass nur Vermächtnisse/Auflagen angeordnet wurden und ansonsten die gesetzliche Erbfolge eintreten sollte.

Kam es aber der Erblasserin darauf an, zum einen den Nachlass einer von ihr eindeutig bestimmten Person zufallen zu lassen, und zum anderen sicherzustellen, dass bestimmte Gegenstände nicht in “verkehrte” Hände gerieten, so war dieser Wille am leichtesten umzusetzen, wenn der Nachlass zunächst dem explizit eingesetzten Alleinerben zufallen würde.

Auslegung bei aufeinanderfolgenden Testamente ohne ausdrücklichen Widerruf des früheren – Saarländisches OLG 5 W 30/20

Dass dem handschriftlichen Testament kein neuer Regelungsplan für die Erbfolge zugrunde lag, sondern dass es der Erblasserin hier vor allem darum ging, konkrete Instruktionen für die Verteilung und den sonstigen Umgang mit dem Nachlass zu erteilen, zeigt sich auch an der in das Testament aufgenommenen, ihr offenbar besonders am Herzen liegenden Auflage (§ 1940 BGB), weder ihre “kostbaren Puppen” noch die Uhren, Brillen und die Mundharmonikas ihres verstorbenen Ehemanns zu verschenken oder zu verkaufen.

Es ist nicht ersichtlich, an wenn sich diese Aufforderung hätte richten sollen, wenn nicht an den zum Erben bestimmten Beteiligten zu 2.

(c)

Abgesehen davon enthält das handschriftliche Testament keinen Hinweis darauf, dass irgendeine der dort mehr oder weniger bestimmbar bezeichneten Personen – oder alle in Erbengemeinschaft? – in jeder Hinsicht in die Stellung der Erblasserin einrücken und insbesondere den Nachlass abwickeln und die Nachlassschulden, darunter die Bestattungskosten, tilgen solle

(zu diesem Aspekt BGH, Beschluss vom 12.07.2017 – IV ZB 15/16 – FamRZ 2017, 1716).

Die bloße Äußerung des Willens, verschiedene Personen sollten einzelne Gegenstände “bekommen”, kann schwerlich als eine die frühere Erbfolgeregelung aufhebende, umfassende Übertragung von Rechten und Pflichten, wie sie für die umfassende Abwicklung des Nachlasses erforderlich wäre, verstanden werden (vgl. OLG Bamberg, FamRZ 2019, 1369).

(d)

Der durch schriftliche Stellungnahmen von Freundinnen der Erblasserin untermauerte Hinweis des Beteiligten zu 1 auf die konfliktträchtige Beziehung zwischen dem Beteiligten zu 2 und der Erblasserin indiziert nichts Gegenteiliges.

Immerhin hat diese ihren Lebensgefährten trotz dieses Konfliktpotenzials zum Alleinerben eingesetzt und es ist nicht ersichtlich, was just in den Monaten zwischen der Errichtung des ersten Testaments und dem Verfassen des zweiten vorgefallen sein sollte, um sie zu einer anderweitigen Erbeinsetzung zu veranlassen.

Die vom Beteiligten zu 1 vorgelegten schriftlichen Äußerungen von Freundinnen der Erblasserin indizieren sogar eher Gegenteiliges.

So heißt es in der Stellungnahme der J. S. (Anlage zum Schriftsatz des Beteiligten zu 1 vom 03.03.2020), die Erblasserin habe ihr in Telefonaten immer wieder gesagt, ihr Lebensgefährte könne “nix dafür” und sei krank; auch nachdem der Beteiligte zu 2 ihr gegenüber gewalttätig geworden sei, sei die Erblasserin bei ihm geblieben mit der Erklärung, man verlasse keine kranken Menschen, und er brauche Hilfe, weil er nicht allein zurecht komme, wenn er (epileptische) Anfälle habe (Bl. 40 d.A.).

Auch in der vom Beteiligten zu 1 vorgelegten E-Mail der L. K. ist davon die Rede, dass die Erblasserin immer um das Wohlergehen ihres Lebensgefährten bemüht gewesen sei (Bl. 44 d.A.).

Die darin zum Ausdruck kommende Einstellung der Erblasserin lässt sich mit dem Aufrechterhalten der Erbeinsetzung ohne weiteres in Einklang bringen, aber auch mit dem Umstand, dass sie die im handschriftlichen Testament erwähnten Einzelgegenstände gerade nicht dem Beteiligten zu 2, sondern anderen ihr verbundenen Personen zukommen lassen wollten.

b.

Auslegung bei aufeinanderfolgenden Testamente ohne ausdrücklichen Widerruf des früheren – Saarländisches OLG 5 W 30/20

Nach dem vom Nachlassgericht und dem Senat für richtig gehaltenen Verständnis des Verhältnisses der beiden Testamente kommt es auf die vom Beschwerdeführer in den Vordergrund gestellte Frage, ob das Barvermögen (die “Kröten”) und der Schmuck im Bankschließfach den wesentlichen Teil des Nachlasses ausmachen, nicht an.

Zwar greift die Regelung des § 2087 Abs. 2 BGB, wonach die testamentarische Zuwendung eines bestimmten Gegenstandes im Zweifel als Vermächtnisanordnung anzusehen ist, nicht ein, wenn ein anderer Wille des Erblassers festgestellt werden kann

(BayObLG, FamRZ 2005, 1933).

So kann eine Erbeinsetzung anzunehmen sein, wenn der Erblasser sein Vermögen vollständig den einzelnen Vermögensgegenständen nach verteilt hat, wenn er dem Bedachten die Gegenstände zugewendet hat, die nach seiner Vorstellung das Hauptvermögen bilden, oder wenn nur Vermächtnisnehmer vorhanden wären und nicht anzunehmen ist, dass der Erblasser überhaupt keine Erben berufen und seine Verwandten oder seinen Ehegatten als gesetzliche Erben ausschließen wollte

(BGH, Beschluss vom 12.07.2017 – IV ZB 15/16 – FamRZ 2017, 1716).

Eine solche Auslegung scheitert im hiesigen Fall aus den oben dargelegten Gründen unabhängig vom Wert der im späteren Testament zugeteilten Gegenstände und der Zusammensetzung des Nachlasses daran, dass die Erblasserin eine anderweitige Erbfolgeregelung wollte.

Ob die Vermächtnisanordnung in Bezug auf das Barvermögen und den Schmuck im Schließfach im handschriftlichen Testament vom 15.05.2012 insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Bestimmbarkeit des nicht namentlich bezeichneten, sich “kümmernden” Zuwendungsempfängers wirksam ist und ob bejahendenfalls der Beteiligte zu 1 als Vermächtnisnehmer betrachtet werden kann, ist im hiesigen Verfahren, bei dem es allein auf die Erbfolge ankommt, nicht zu entscheiden.

2.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.

Die Tragung der Gerichtskosten ergibt sich aus dem Gesetz (§ 22 Abs. 1 GNotKG). Die Anordnung einer Kostenerstattung gemäß § 81 FamFG ist nicht angezeigt.

Den Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren schätzt der Senat unter Zugrundelegung der Wertangaben des Notars bei der Hinterlegung des Testaments auf 25.000 € (§§ 61 Abs. 1, 40 Abs. 1 GNotKG).

Die im handschriftlichen Testament ausgesetzten Vermächtnisse sind als Erbfallschulden keine von der Erblasserin herrührenden Verbindlichkeiten im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 2 GNotKG und daher bei der Wertbemessung nicht abzuziehen.

Auslegung bei aufeinanderfolgenden Testamente ohne ausdrücklichen Widerruf des früheren – Saarländisches OLG 5 W 30/20

Schlagworte

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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