BGH VI ZR 82/09

Juni 13, 2016

BGH VI ZR 82/09 Erhebung der Einrede der beschränkten Erbenhaftung erst im Berufungsverfahren

Die Revision gegen das Grund- und Teilurteil des 19. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 30. Januar 2009 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Von Rechts wegen.

Tatbestand

Der Kläger, der am 16. März 2003 bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt wurde, nimmt die Beklagten als Erben ihres am 25. März 2004 verstorbenen Sohnes M. auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.

Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt.

Erstmals im Berufungsrechtszug haben die Beklagten die Einrede der beschränkten Erbenhaftung erhoben und beantragt, ihnen gemäß § 780 ZPO die Beschränkung ihrer Haftung auf den Nachlass ihres Sohnes vorzubehalten.

Das Oberlandesgericht hat durch Grund- und Teilurteil den auf Ersatz immateriellen Schadens gerichteten Klageantrag dem Grunde nach zu 2/3 für gerechtfertigt erklärt und den Beklagten insoweit vorbehalten, ihre gesamtschuldnerische Haftung auf den Nachlass ihres verstorbenen Sohnes zu beschränken.

Dem Feststellungsbegehren hat das Oberlandesgericht unter Berücksichtigung eines Mitverursachungs- und Mitverschuldensanteils des Klägers von 1/3 stattgegeben.

Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision wendet sich der Kläger gegen den Ausspruch des Vorbehalts der beschränkten Erbenhaftung.

Gründe

BGH VI ZR 82/09

I.

Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die Beklagten seien mit dem von ihnen erstmals im Berufungsrechtszug gestellten Antrag, ihnen die Beschränkung ihrer Haftung auf den Nachlass ihres Sohnes vorzubehalten, nicht gemäß § 531 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen.

Zwar handele es sich insoweit um ein neues Verteidigungsmittel im Sinne dieser Vorschrift, doch habe das Berufungsgericht unstreitiges Vorbringen gemäß § 529 Abs. 1 ZPO seiner Entscheidung ohne Weiteres zugrunde zu legen.

Für unstreitige Einreden gelte nichts anderes.

So sei eine erstmals im Berufungsrechtszug erhobene Verjährungseinrede nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unabhängig von den Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 ZPO zuzulassen, wenn die Erhebung der Verjährungseinrede und die den Verjährungseintritt begründenden tatsächlichen Umstände zwischen den Parteien unstreitig seien

(BGHZ [GZ] 177, 212).

Dasselbe müsse auch für den im Wege der Einrede geltend zu machenden Vorbehalt der beschränkten Erbenhaftung gelten. Hinsichtlich der Aufnahme dieses Vorbehalts hat das Berufungsgericht die Revision zugelassen.

II.

Die Revision hat keinen Erfolg.

BGH VI ZR 82/09

1. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Revision mangels Beschwer des Klägers unzulässig ist

(vgl. BGH, Urteil vom 13. Juli 1989 – IX ZR 227/87 – NJW-RR 1989, 1226, 1230).

Denn die Zulässigkeit eines Rechtsmittels kann offen bleiben, wenn zwischen seiner Verwerfung als unzulässig und seiner Zurückweisung als unbegründet weder hinsichtlich der Rechtskraftwirkung noch hinsichtlich der Anfechtbarkeit der Rechtsmittelentscheidung Unterschiede bestehen

(Musielak/Ball, ZPO, 7. Aufl., Vor § 511, Rn. 12;

zur sofortigen Beschwerde vgl. BGH, Beschluss vom 30. März 2006 – IX ZB 171/04 – NJW-RR 2006, 1346, 1347 m.w.N.).

Diese Voraussetzung ist hier gegeben.

2. Die Beschränkung der Revisionszulassung auf die Aufnahme des Vorbehalts der beschränkten Erbenhaftung ist zulässig.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann die Revisionszulassung auf einen Teil des Streitgegenstands beschränkt werden, der Gegenstand eines Teilurteils sein könnte oder auf den der Revisionskläger selbst seine Revision beschränken könnte.

Eine Beschränkung der Zulassung auf einzelne Angriffs- oder Verteidigungsmittel ist möglich, soweit es sich um rechtlich oder tatsächlich selbständige und abtrennbare Teile eines Gesamtstreitstoffs handelt

(BGHZ 101, 276, 278 m.w.N.).

Dies ist hier der Fall. Bei dem Antrag, die Beschränkung der Erbenhaftung im Urteil vorzubehalten, handelt es sich um eine nach § 780 ZPO vorgesehene Erklärung, die die Geltendmachung einer materiellrechtlichen Haftungsbeschränkung im Vollstreckungsverfahren ermöglichen soll

(vgl. BGH, Urteil vom 9. März 1983 – IVa ZR 211/81 – NJW 1983, 2378, 2379).

BGH VI ZR 82/09

Die Aufnahme dieses Vorbehalts kann das alleinige Ziel eines Rechtsmittels sein

(OLG Celle, OLG-Report 1995, 204;

MünchKomm-ZPO/Karsten Schmidt, 3. Aufl., § 780, Rn. 19;

Zöller/Stöber, ZPO, 28. Aufl., § 780, Rn. 10).

3. Das Berufungsgericht hat die Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO wegen grundsätzlicher Bedeutung und zur Fortbildung des Rechts zugelassen und gemeint, eine Entscheidung des Revisionsgerichts sei auch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich, weil nach Auffassung anderer Oberlandesgerichte der erstmals im Berufungsrechtszug erhobene Vorbehalt der beschränkten Erbenhaftung nur unter den – im Streitfall nicht gegebenen – Voraussetzungen von § 531 Abs. 2 ZPO zuzulassen sei

(vgl. OLG Düsseldorf FamRZ 2004, 1222;

OLG Hamm, MDR 2006, 695).

a) Die Auffassung des Berufungsgerichts, der erstmals im Berufungsrechtszug erhobene Vorbehalt der beschränkten Erbenhaftung sei unabhängig von § 531 Abs. 2 ZPO zuzulassen, wenn die Voraussetzungen für seine Aufnahme unstreitig gegeben seien, ist mit Blick auf die Erwägungen des Bundesgerichtshofs zur Zulässigkeit der erstmals im zweiten Rechtszug erhobenen Verjährungseinrede folgerichtig.

BGH VI ZR 82/09

Beide Fallgestaltungen betreffen die Zulässigkeit der Berücksichtigung unstreitigen und damit nicht beweisbedürftigen Vorbringens.

Nicht beweisbedürftiges Vorbringen hat das Berufungsgericht gemäß § 529 Abs. 1 ZPO seiner Entscheidung indessen ohne Weiteres zugrunde zu legen, denn unter den Begriff “neue Angriffs- und Verteidigungsmittel” im Sinne des § 531 ZPO fällt lediglich streitiges und damit beweisbedürftiges Vorbringen

(BGHZ [GS] 177, 212, 214 ff. m.w.N.).

Für die Aufnahme des Vorbehalts der beschränkten Erbenhaftung bedarf es keines Sachvortrags.

Es genügt, dass sich der Erbe im Erkenntnisverfahren darauf beruft (vgl. BGHZ 122, 297, 305).

Der Vorbehalt bedarf keiner Begründung

(BGH, Urteile vom 29. Mai 1964 – V ZR 47/62 – NJW 1964, 2298, 2300

und vom 9. März 1983 – IVa ZR 211/81 – aaO).

Voraussetzung für seine Aufnahme in den Entscheidungstenor ist allein die Verurteilung des Beklagten als Erbe des Schuldners.

Der Erbfall selbst und die Erbenstellung des Beklagten sind regelmäßig unstreitig, weil der Kläger die von ihm begehrte Verurteilung darauf stützt.

Deshalb spricht viel dafür, die Zulässigkeit des Antrags, die Beschränkung der Erbenhaftung vorzubehalten, im Rechtsstreit nicht anders zu behandeln als die Zulässigkeit der Verjährungseinrede, die, wenn sie erstmals im Berufungsrechtszug erhoben wird, nach der dargelegten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs

(BGHZ [GS] aaO)

unabhängig von den Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 ZPO zuzulassen ist, sofern die Erhebung der Einrede selbst und die den Verjährungseintritt begründenden tatsächlichen Umstände zwischen den Prozessparteien unstreitig sind

(Prütting/Gehrlein/Scheuch, ZPO, § 780, Rn. 9).

Die vom Berufungsgericht für die Gegenansicht angeführten Urteile der Oberlandesgerichte Düsseldorf und Hamm (aaO) sind vor dieser Entscheidung des Großen Senats für Zivilsachen des Bundesgerichtshofs ergangen.

BGH VI ZR 82/09

b) Die Revision stellt nicht in Abrede, dass die Beklagten von dem Kläger als Erben ihres Sohnes in Anspruch genommen und als solche verurteilt worden sind.

Sie meint jedoch, der Antrag auf Aufnahme des Vorbehalts hätte deswegen zurückgewiesen werden müssen, weil zwischen den Parteien streitig sei, ob die materiellrechtlichen Voraussetzungen für eine Haftungsbeschränkung gemäß §§ 1973 ff. BGB oder §§ 1989 ff. BGB gegeben seien, weswegen es dazu noch weiterer tatsächlicher Feststellungen bedurft hätte.

Damit kann die Revision keinen Erfolg haben, denn die Frage, ob die Haftung der Beklagten auf den Nachlass beschränkt ist, ist im Streitfall nicht entscheidungserheblich.

Wie die Revision selbst sieht, kann das Prozessgericht, wenn eine Einrede gemäß §§ 1973 ff. BGB oder §§ 1989 ff. BGB erhoben worden ist, nach seinem Ermessen bereits im Erkenntnisverfahren endgültig über die geltend gemachte Haftungsbeschränkung entscheiden oder sich auf die Aufnahme des Vorbehalts beschränken und die sachliche Klärung des Haftungsumfangs dem besonderen Verfahren gemäß § 785 ZPO überlassen

(BGH, Urteile vom 17. Dezember 1953 – IV ZR 101/53 – NJW 1954, 635

und vom 29. Mai 1964 – V ZR 47/62 – NJW 1964, 2298, 2300;

vgl. auch BGHZ 122, 297, 305).

Begnügt sich das Gericht – wie vorliegend geschehen – in zulässiger Weise mit dem Ausspruch des Vorbehalts, kommt es im Erkenntnisverfahren nicht darauf an, ob die materiellrechtlichen Voraussetzungen der Haftungsbeschränkung erfüllt sind, so dass es dazu keiner tatrichterlichen Feststellungen bedarf.

Die prozessuale Lage entspricht daher derjenigen, die der Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Zulässigkeit der erstmals in zweiter Instanz erhobenen Verjährungseinrede zugrunde lag.

c) Bei der hier gegebenen Fallgestaltung kann die vom Berufungsgericht formulierte Rechtsfrage, ob der Vorbehalt der beschränkten Erbenhaftung – ungeachtet der Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO – auch dann zu berücksichtigen ist, wenn er erstmals im Berufungsrechtszug geltend gemacht wird, im Revisionsverfahren allerdings nicht verbindlich geklärt werden.

BGH VI ZR 82/09

Selbst wenn dem Berufungsgericht mit der Aufnahme des Vorbehalts der beschränkten Erbenhaftung nämlich ein Verfahrensfehler unterlaufen wäre, könnte dieser der Revision nicht zum Erfolg verhelfen, denn die Revision kann, wie sie selbst sieht, nicht darauf gestützt werden, dass das Berufungsgericht bei der Zulassung neuen Tatsachenvortrags die Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO nicht beachtet habe.

Eine fehlerhafte Berücksichtigung von neuem Tatsachenvortrag, der bei verfahrensfehlerfreiem Vorgehen vom Berufungsgericht hätte zurückgewiesen werden müssen, kann mit der Revision grundsätzlich nicht gerügt werden

(BGHZ 166, 29, 31;

BGH, Beschluss vom 22. Januar 2004 – V ZR 187/03 – NJW 2004, 1458, 1459 f.;

Urteile vom 2. März 2005 – VIII ZR 174/04 – NJW-RR 2005, 866, 867;

vom 13. Februar 2006 – II ZR 62/04 – NJW-RR 2006, 760, 761;

vom 27. Februar 2007 – XI ZR 56/06 – NJW 2007, 3127, 3128

und vom 6. Dezember 2007 – III ZR 146/07 – NJW-RR 2008, 459;

MünchKomm-ZPO/Rimmelspacher, 3. Aufl., § 530, Rn. 44 und § 531, Rn. 32;

Zöller/Heßler, ZPO, 28. Aufl., § 531 Rn. 38;

a.A.: Musielak/Ball, ZPO, 7. Aufl., § 531, Rn. 25).

Deshalb ist die Revision zurückzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Galke

Zoll

Diederichsen

Pauge

von Pentz

Vorinstanzen:
LG Aachen, Entscheidung vom 27.11.2007 – 10 O 266/07 –
OLG Köln, Entscheidung vom 30.01.2009 – 19 U 154/07 –

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