Tarifermäßigung nach § 34 EStG II Nr 4 bei Überstundenvergütungen – BFH VI R 23/19

März 28, 2022

Tarifermäßigung nach § 34 EStG II Nr 4 bei Überstundenvergütungen – BFH VI R 23/19 – Urteil vom 02. Dezember 2021

Zusammenfassung von RA und Notar Krau:

Das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH VI R 23/19) vom 2. Dezember 2021 befasste sich mit der Tarifermäßigung gemäß § 34 Einkommensteuergesetz (EStG) II Nr. 4 für Überstundenvergütungen.

Die Entscheidung bestätigte ein vorheriges Urteil des Finanzgerichts Münster vom 23. Mai 2019 (Az: 3 K 1007/18 E).

Der Fall drehte sich um einen Arbeitnehmer, der Überstunden geleistet hatte und dafür eine Vergütung erhielt, die sich über einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten erstreckte und über mehrere Veranlagungszeiträume verteilt war.

Das Finanzamt gewährte zunächst keine Tarifermäßigung gemäß § 34 Abs. 1 EStG, auch nicht im Einspruchsverfahren.

Das FG entschied jedoch zugunsten des Klägers.

Die Revision des Finanzamts wurde als unbegründet zurückgewiesen.

Der BFH bestätigte, dass die Überstundenvergütungen gemäß § 34 EStG ermäßigt zu besteuern sind.

Dabei betonte er, dass Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten, die sich über mindestens zwei Veranlagungszeiträume erstrecken und einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten umfassen, tarifermäßigt besteuert werden können.

Dies gilt auch für veranlagungszeitraumübergreifende Überstundenvergütungen.

Die Tarifbegünstigung gemäß § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG wurde somit gewährt, da die Überstundenvergütungen für eine mehrjährige Tätigkeit zweckbestimmt waren und wirtschaftlich vernünftige Gründe für eine Zusammenballung vorlagen, insbesondere aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Abschließend wurde festgelegt, dass die Kosten des Revisionsverfahrens vom Beklagten zu tragen sind.

Inhaltsverzeichnis:

I. Zusammenfassung

  • Hintergrund des Falls
  • Entscheidung des Finanzgerichts Münster
  • Revision des Finanzamts
  • Entscheidung des Bundesfinanzhofs

II. Tatbestand

  • Streit über Tarifermäßigung für Überstundenvergütungen
  • Kläger und Veranlagung für das Streitjahr 2016
  • Überstunden des Klägers bei der … GmbH
  • Aufhebungsvertrag und Auszahlung der Überstundenvergütungen
  • Angaben in der Einkommensteuererklärung
  • Entscheidung des Finanzgerichts Münster
  • Revision des Finanzamts und Anträge der Parteien

III. Entscheidungsgründe

  1. Ermäßigte Besteuerung von außerordentlichen Einkünften
  2. a) Mehrjährige Tätigkeiten und Zweckbestimmung der Vergütung
  3. b) Wirtschaftlich vernünftige Gründe für Zusammenballung der Vergütung
  4. c) Berücksichtigung von Lohnnachzahlungen für vorangegangene Veranlagungszeiträume
  5. Anwendung der Grundsätze auf Überstundenvergütungen
  6. Gewährung der Tarifermäßigung für veranlagungszeitraumübergreifende Überstundenvergütungen
  7. Wirtschaftlich vernünftige Gründe für Zusammenballung der Vergütungen
  8. Kostenentscheidung

IV. Schlussfolgerung und Urteilsverkündung

Zum Entscheidungstext:

vorgehend FG Münster, 23. Mai 2019, Az: 3 K 1007/18 E

Leitsätze

Werden Überstundenvergütungen für einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten veranlagungszeitraumübergreifend geleistet, ist die Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 2 Nr. 4 2. Halbsatz EStG zu gewähren.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 23.05.2019 – 3 K 1007/18 E wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Tarifermäßigung nach § 34 EStG II Nr 4 bei Überstundenvergütungen – BFH VI R 23/19 – Tatbestand

I.
Die Beteiligten streiten über die Gewährung der Tarifermäßigung nach § 34 des Einkommensteuergesetzes (EStG) für die Vergütung von Überstunden.

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind verheiratet und wurden für das Streitjahr 2016 zur Einkommensteuer zusammen veranlagt.

Der Kläger war bei der … GmbH (GmbH) als Arbeitnehmer nichtselbständig tätig. In den Jahren 2013 bis 2015 hatte er rund 330 Überstunden geleistet. Davon entfielen 115,75 Stunden auf das Jahr 2013, 114,5 Stunden auf das Jahr 2014 und 99,5 Stunden auf das Jahr 2015.

Mit Vertrag von August 2016 vereinbarte der Kläger mit der GmbH die Aufhebung des Arbeitsvertrags zum 30.11.2016. Der Aufhebungsvertrag sah u.a. vor, dass die GmbH mit der Lohnabrechnung für August 2016 rückwirkend für die Vorjahre die 330 geleisteten und bislang nicht ausgezahlten Überstunden mit einem Betrag von insgesamt … € brutto vergütet.

In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr gaben die Kläger die für die Überstunden erhaltene Zahlung in der Anlage N unter “Entschädigungen / Arbeitslohn für mehrere Jahre” an.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) gewährte die Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 1 EStG auch im Einspruchsverfahren nicht.

Das Finanzgericht (FG) gab der hiergegen erhobenen Klage mit in Entscheidungen der Finanzgerichte 2019, 1199 veröffentlichten Gründen statt.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.

Es beantragt,
das Urteil des FG Münster vom 23.05.2019 – 3 K 1007/18 E aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.

Tarifermäßigung nach § 34 EStG II Nr 4 bei Überstundenvergütungen – BFH VI R 23/19 – Entscheidungsgründe

II.
Die Revision des FA ist unbegründet.

Sie ist deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–).

Das FG hat zu Recht entschieden, dass die im Streitjahr ausgezahlten Überstundenvergütungen nach § 34 EStG ermäßigt zu besteuern sind.

1. Als ermäßigt zu besteuernde außerordentliche Einkünfte kommen insbesondere Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten in Betracht (§ 34 Abs. 2 Nr. 4 1. Halbsatz EStG).

a) Nach § 34 Abs. 2 Nr. 4 2. Halbsatz EStG ist eine Tätigkeit mehrjährig, soweit sie sich über mindestens zwei Veranlagungszeiträume erstreckt und einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten umfasst.

Allerdings reicht es nicht aus, dass der Arbeitslohn in einem anderen Veranlagungszeitraum als dem zufließt, zu dem er wirtschaftlich gehört, und dort mit weiteren Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zusammentrifft.

Die Entlohnung muss vielmehr für sich betrachtet zweckbestimmtes Entgelt für eine mehrjährige Tätigkeit sein, die Vergütung folglich für einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten und veranlagungszeitraumübergreifend geleistet werden

(z.B. Senatsurteile vom 03.07.1987 – VI R 43/86, BFHE 150, 431, BStBl II 1987, 820;

vom 07.08.2014 – VI R 57/12,

und vom 07.05.2015 – VI R 44/13, BFHE 249, 523, BStBl II 2015, 890).

Die mehrjährige Zweckbestimmung kann sich entweder aus dem Anlass der Zuwendung oder aus den übrigen Umständen ergeben.

Soweit andere Hinweise auf den Verwendungszweck fehlen, kommt der Berechnung des Entgelts maßgebliche Bedeutung zu

(Senatsurteile vom 16.12.1996 – VI R 51/96, BFHE 182, 161, BStBl II 1997, 222;

in BFHE 249, 523, BStBl II 2015, 890,

und vom 31.08.2016 – VI R 53/14, BFHE 255, 120, BStBl II 2017, 322).

b) Darüber hinaus muss die Entlohnung für eine mehrjährige Tätigkeit aus wirtschaftlich vernünftigen Gründen in zusammengeballter Form erfolgen

(Senatsurteile in BFHE 249, 523, BStBl II 2015, 890, und in BFHE 255, 120, BStBl II 2017, 322).

Tarifermäßigung nach § 34 EStG II Nr 4 bei Überstundenvergütungen – BFH VI R 23/19

c) Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit kann insbesondere auch eine Lohnnachzahlung für vorangegangene Veranlagungszeiträume sein

(Senatsurteile vom 10.06.1983 – VI R 106/79, BFHE 138, 454, BStBl II 1983, 575;

vom 28.09.1984 – VI R 48/82, BFHE 141, 532, BStBl II 1985, 117;

vom 10.06.1983 – VI R 176/80, BFHE 138, 456, BStBl II 1983, 642;

vom 22.07.1993 – VI R 104/92, BFHE 171, 555, BStBl II 1993, 795,

und vom 14.10.2004 – VI R 46/99, BFHE 206, 573, BStBl II 2005, 289).

Dabei steht der Umstand, dass sich die zugeflossene Vergütung aus mehreren Beträgen zusammensetzt, die jeweils einem bestimmten Einzeljahr zugerechnet werden können, der Annahme einer Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit nicht entgegen

(Senatsurteile vom 11.06.1970 – VI R 338/67, BFHE 99, 306, BStBl II 1970, 639, und in BFHE 206, 573, BStBl II 2005, 289).

Voraussetzung ist nur, dass der Zufluss insgesamt mehrere Jahre betrifft

(Senatsurteile vom 17.07.1970 – VI R 66/67, BFHE 99, 381, BStBl II 1970, 683, und in BFHE 206, 573, BStBl II 2005, 289).

2. Die genannten Grundsätze gelten auch für den Fall der nachträglichen Auszahlung von Überstundenvergütungen, soweit die Vergütungen für einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten veranlagungszeitraumübergreifend geleistet werden

(so auch Mellinghoff in Kirchhof/Seer, EStG, 20. Aufl., § 34 Rz 33; Schiffers in Korn, § 34 EStG Rz 59).

Umfasst der Zeitraum, für den Überstunden veranlagungszeitraumübergreifend vergütet werden, mehr als zwölf Monate, ist danach die Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 2 Nr. 4 2. Halbsatz EStG zu gewähren.

3. Im Streitjahr hat die GmbH dem Kläger Überstundenvergütungen für die Jahre 2013 bis 2015 ausbezahlt.

Mithin handelt es sich nach den angeführten Rechtsgrundsätzen um ein zweckbestimmtes Entgelt für eine mehrjährige Tätigkeit.

Für die veranlagungszeitraumübergreifende Vergütung der Überstunden war daher die Tarifbegünstigung des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG zu gewähren.

4. Schließlich liegen im Streitfall auch wirtschaftlich vernünftige Gründe für eine Zusammenballung vor.

Denn die Abgeltung der Überstunden erfolgte aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

Tarifermäßigung nach § 34 EStG II Nr 4 bei Überstundenvergütungen – BFH VI R 23/19

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Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

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Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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