BFH II R 58/01 – Erbschaftsteuer

Januar 29, 2018

 

BFH II R 58/01

1              I. Der Ehemann (E) der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) verstarb aufgrund eines Unfalls am 22. September 1995. Die Klägerin, die die Erbschaft nach ihrem Ehemann ausgeschlagen hat, war Bezugsberechtigte aus mehreren von E abgeschlossenen Lebensversicherungen. Im Jahre 1995 wurden an die Klägerin Versicherungssummen in Höhe von insgesamt 122 247 DM ausgezahlt.

 

Im Februar 1996 zahlte die Versicherung (V) weitere Versicherungsleistungen in Höhe von 620 606 DM an die Klägerin aus, nachdem V wegen der ungeklärten Umstände des Todes des E zunächst die Ermittlungsakten bei der zuständigen Staatsanwaltschaft angefordert und die Prüfung der Leistungspflicht abgeschlossen hatte. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –​FA-​-) ging davon aus, dass die Erbschaftsteuer für die gesamten, der Klägerin zugeflossenen Versicherungsleistungen in Höhe von 742 853 DM bereits im Jahre 1995 entstanden sei und setzte gegen die Klägerin nach Maßgabe des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) in der vor dem 1. Januar 1996 geltenden Fassung mit Bescheid vom 17. April 1998 Erbschaftsteuer in Höhe von 14 568 DM fest. Der dagegen erhobene Einspruch hatte keinen Erfolg.

2              Das Finanzgericht (FG) änderte den angefochtenen Bescheid und setzte die Erbschaftsteuer auf 0 DM herab. Zur Begründung führte es aus: Die Erbschaftsteuer für die im Februar 1996 gezahlten Versicherungsleistungen sei gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a ErbStG erst im Jahre 1996 entstanden und daher nach Maßgabe des ErbStG in der ab 1. Januar geltenden Fassung durch das Jahressteuergesetz (JStG) vom 20. Dezember 1996 (BGBl I, 2049) zu besteuern, da die Fälligkeit der Versicherungsleistungen gemäß § 11 Abs. 1 des Gesetzes über den Versicherungsvertrag (VVG) erst nach Beendigung der zur Feststellung des Versicherungsfalles nötigen Erhebungen im Jahre 1996 eingetreten sei. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 1509 veröffentlicht.

3              Mit der Revision rügt das FA fehlerhafte Anwendung des § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a ErbStG.

4              Das FA beantragt, das Urteil des FG des Landes Sachsen-​Anhalt vom 2. Mai 2001 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

5              Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

6              II. 1. Die Revision ist unbegründet; sie wird gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückgewiesen. Das FG hat zutreffend erkannt, dass die Steuer für die an die Klägerin im Februar 1996 gezahlten Versicherungsleistungen erst zu diesem Zeitpunkt und damit unter der Geltung des ErbStG i.d.F. des JStG 1997 entstanden ist.

7              a) Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG gilt als Erwerb von Todes wegen jeder Vermögensvorteil, der aufgrund eines vom Erblasser geschlossenen Vertrages bei dessen Tode von einem Dritten unmittelbar erworben wird. Diese Voraussetzungen erfüllen die an die Klägerin gezahlten Versicherungssummen, weil die Klägerin als Bezugsberechtigte der von E abgeschlossenen Versicherungsverträge bei dessen Tod unmittelbar einen eigenen Rechtsanspruch gegen den Versicherer auf Zahlung der Versicherungssumme erworben hat (§§ 328 Abs. 1, 330 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs –​BGB-​-, § 166 Abs. 2 VVG). Die Steuer für diesen Erwerb von Todes wegen ist erst 1996 mit Eintritt der Fälligkeit der Ansprüche entstanden.

8              Aufgrund der Zuordnung der Erwerbe i.S. des § 3 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG zu den Erwerben von Todes wegen bestimmt sich die Entstehung der Steuer nach § 9 Abs. 1 ErbStG. Nach Nr. 1 dieser Vorschrift entsteht die Steuer bei Erwerben von Todes wegen im Regelfall mit dem Tode des Erblassers. Hiervon abweichend entsteht jedoch die Steuer für zu einem Erwerb gehörende aufschiebend bedingte, betagte oder befristete Ansprüche nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a (2. Alternative) ErbStG erst mit dem Zeitpunkt des Eintritts der Bedingung oder des Ereignisses. Diese Voraussetzungen liegen hier vor, da der Leistungsanspruch gegen V im Sinne dieser Vorschrift betagt war.

9              b) Zivilrechtlich liegt eine Betagung vor, wenn eine Forderung bereits entstanden und lediglich ihre Fälligkeit hinausgeschoben ist (Westermann in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch –​MünchKomm-​-, 4. Aufl., § 163 Rdnr. 3). Ein solcher betagter Anspruch ist auch der mit dem Versicherungsfall entstehende Zahlungsanspruch des Bezugsberechtigten gegen den Versicherer, weil die Fälligkeit der Versicherungsleistung gemäß § 11 Abs. 1 VVG erst mit Beendigung der zur Feststellung des Versicherungsfalls und des Umfangs der Leistung des Versicherers nötigen Erhebungen eintritt.

10            c) Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs –​BFH-​- (vgl. Urteil vom 18. März 1987 II R 133/84, BFH/NV 1988, 489, 490), die insoweit Bezug nimmt auf das Urteil des Reichsfinanzhofs (RFH) vom 8. September 1931 I eA 173/31 (RStBl 1931, 895), betrifft die Regelung in § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a ErbStG jedoch nicht alle Ansprüche, die zivilrechtlich als betagt anzusehen sind. Vielmehr folgt aus der bewertungsrechtlichen (§ 12 Abs. 1 ErbStG i.V.m. § 12 Abs. 3 des Bewertungsgesetzes –​BewG-​-) Behandlung noch nicht fälliger Forderungen, dass die Erbschaftsteuer für solche Ansprüche, die zu einem bestimmten (feststehenden) Zeitpunkt fällig werden, dem Regelfall des § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG entsprechend bereits im Zeitpunkt des Todes des Erblassers entsteht und dass diese Ansprüche ggf. mit ihrem abgezinsten Wert anzusetzen sind. Anders sind jedoch diejenigen betagten Ansprüche zu behandeln, bei denen der Zeitpunkt des Eintritts des zur Fälligkeit führenden Ereignisses unbestimmt ist. Hier versagt § 12 Abs. 3 BewG, weil es an einem bestimmten Zeitpunkt für den Eintritt der Fälligkeit fehlt und weil damit die Berechnungs- oder Schätzungsgrundlagen für eine Abzinsung oder den Ansatz eines niedrigeren Werts als des Nennwerts (§ 12 Abs. 1 BewG) fehlen. In diesen Fällen entsteht die Steuer gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a ErbStG –​wie bei einer aufschiebend bedingten oder befristeten Forderung-​- erst mit dem Eintritt des Ereignisses, welches zur Fälligkeit des Anspruchs führt.

11            Diese Differenzierung und die Gleichstellung solcher Ansprüche, bei denen der Zeitpunkt des Eintritts der Fälligkeit unbestimmt ist, mit aufschiebend bedingten und befristeten Ansprüchen entspricht dem Normzweck des § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a ErbStG.

12            Dem Hinausschieben des Zeitpunkts der Steuerentstehung durch § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a (1. Alternative) ErbStG liegt die Erwägung zugrunde, dass in diesen Fällen eine wirtschaftliche Bereicherung um das von Todes wegen Erworbene noch nicht im Zeitpunkt des Todes des Erblassers eintritt (vgl. RTDrucks, III. Wahlperiode Nr. 798, S. 15, zur Vorgängervorschrift des § 14 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a ErbStG vom 10. August 1925, RGBl I 1925, 320). Dieser Normzweck gilt auch für die aufgrund des Gesetzes zur Reform des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuerrechts vom 17. April 1974 (BGBl I, 933) eingefügte 2. Alternative des § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a ErbStG; diese Vorschrift sollte eine den § 4 BewG ergänzende Regelung für die Fälle treffen, in denen zu einem absoluten Erwerb u.a. ein unter einer Betagung stehender Vermögensgegenstand gehört (BTDrucks VI/3418, S. 65 f.).

13            Betagte Ansprüche, bei denen der Zeitpunkt des Eintritts der Fälligkeit unbestimmt ist, führen –​anders als zu einem bestimmten Zeitpunkt fällige Ansprüche-​- noch nicht zu der von § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a ErbStG vorausgesetzten wirtschaftlichen Bereicherung. Denn die Ungewissheit des Zeitpunkts der Fälligkeit eines solchen Anspruchs hindert den Erwerber an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung der ihm zugefallenen Vermögensposition. Durch den Erwerb eines derart betagten Anspruchs tritt kein Bereicherungszustand ein, dessen Wert auf den Stichtag (Todestag) ggf. unter Abzinsung festzustellen ist (vgl. RFH-​Urteil in RStBl 1931, 895), vielmehr tritt die wirtschaftliche Bereicherung –​wie bei einer aufschiebend bedingten oder befristeten Forderung-​- erst mit dem Eintritt des Ereignisses ein, welches zur Fälligkeit des Anspruches führt.

14            d) Für den der Klägerin im Februar 1996 zugeflossenen Betrag ist die Erbschaftsteuer erst 1996, nämlich mit dem Abschluss der zur Feststellung der Leistungspflicht erforderlichen Erhebungen der V entstanden. Denn bis zu diesem Zeitpunkt war der Anspruch der Klägerin auf die Versicherungssumme gemäß § 11 Abs. 1 VVG betagt und der Eintritt des zur Fälligkeit führenden Ereignisses ungewiss.

 

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Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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