LG Aschaffenburg 61 O 178/20

August 11, 2022

LG Aschaffenburg 61 O 178/20,

Endurteil vom 02.03.2021

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand LG Aschaffenburg 61 O 178/20

Der Kläger begehrt von der Beklagten Leistungen aus einer Betriebsschließungsversicherung. Der Kläger ist Inhaber und Betreiber der Gaststätte und Pension “… Zwischen den Parteien besteht eine Betriebsschließungsversicherung.

Versicherte Schäden sind Schließungsschäden und Schäden an Vorräten und Waren. Vereinbart ist im Versicherungsfall eine Tagesentschädigung in Höhe von 577,00 €. Auf den Versicherungsschein Anlage K1 (Blatt 9 der Akte) wird hinsichtlich der Details verwiesen.

Dem Versicherungsvertrag liegen die Bedingungen für die Versicherung von Betrieben gegen Schäden infolge Infektionsgefahr beim Menschen (Betriebsschließungsversicherung) zugrunde (Anlage K2, Blatt 12 der Akten). Diese enthalten auszugsweise folgende Bestimmungen:

“§ 23 bis § 31 Betriebsschließungsversicherung

§ 23 Gegenstand der Versicherung

Ist der versicherte Betrieb von behördlichen Anordnungen (siehe § 25) aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten bei Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) betroffen, ersetzt der Versicherer den dadurch entstehenden Schaden.

Die Versicherung umfasst, soweit dies vereinbart ist, Schäden und Kosten in Folge behördlicher Anordnungen zu Schließung, Desinfektion und Tätigkeitsverboten (siehe § 25 Nr. 1), Schäden und Kosten in Folge behördlicher Anordnungen zu Vorräten und Waren (siehe § 25 Nr. 2), sowie behördlich angeordnete Ermittlungs- und Beobachtungsmaßnahmen (siehe § 25 Nr. 3).

§ 24 versicherte Kosten

§ 25 versicherte Gefahren und Schäden

1. behördliche Anordnungen zu Schließung, Desinfektion und Tätigkeitsverboten Der Versicherer leistet bis zu den in § 30 genannten Entschädigungsgrenzen Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Infektionsschutzgesetzes beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 4)

a) den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern bei Menschen nach Nr. 4 schließt; Tätigkeitsverbote gegen sämtliche Betriebsangehörige eines Betriebs oder einer Betriebsstätte werden einer Betriebsschließung gleichgestellt (Schließung); …

4. meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger

Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die Folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger:”

LG Aschaffenburg 61 O 178/20

Es folgt eine Aufzählung von Krankheiten und Krankheitserregern, in der weder das sogenannte Coronavirus (SARS-CoV-1 und SARS-CoV-2) noch die hierdurch ausgelöste Krankheit Coronavirus 2019 (COVID-19) enthalten sind.

Aufgrund Ziffer 3 der Allgemeinverfügung der bayerischen Staatsministerien für Gesundheit und Pflege sowie für Familie, Arbeit und Soziales vom 16.03.2020 (Az. 51-G8000-2020/122-67) wurden Gastronomiebetriebe aller Art untersagt. Ausgenommen von dieser Untersagung waren Betriebskantinen sowie Speiselokale und Betriebe, in denen überwiegend Speisen zum Verzehr an Ort und Stelle abgegeben werden. Ausgenommen war außerdem die Abgabe von Speisen zum Mitnehmen bzw. deren Auslieferung. Mit Allgemeinverfügung vom 17.03.2020 (Az. 51- G8000-2020/122-83) wurde die Allgemeinverfügung vom 16.03.2020 dahingehend geändert, dass auch die bewirteten Freiflächen (Außengastronomie) von der Untersagung erfasst wurden.

Die Regelung trat am 18.03.2020 in Kraft und galt bis einschließlich 30.03.2020. Grund der Untersagung war das Infektionsgeschehen im Zusammenhang mit dem neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2, welches von der WHO am 11.03.2020 als Pandemie bewertet worden war.

Auf die Schadensmeldung des Klägers vom 23.03.2020 wies die Beklagte mit Schreiben vom 09.04.2020 (Anlage K3, Blatt 27 der Akten) einen vertraglichen Leistungsanspruch zurück und unterbreitete zugleich ein Vergleichsangebot in Höhe von 3.320,00 €.

Dieses Angebot lehnte der Kläger mit Anwaltsschriftsatz vom 29.04.2020 (Anlage K4) ab und forderte die Beklagte nochmals unter Fristsetzung bis spätestens 06.05.2020 zur Leistung auf. Mit Schreiben vom 30.04.2020 (Anlage K5, Blatt 33 der Akten) wies die Beklagte die klägerische Forderung zurück.

Der Kläger ist der Ansicht, dass ihm ein Zahlungsanspruch aus dem Versicherungsvertrag in Höhe von 11.570,69 € zustehe, da sein Betrieb aufgrund der vorstehend dargestellten Allgemeinverfügung vom 16.03.2020 bis in den Monat Mai hinein komplett eingestellt und geschlossen gewesen sei.

Es handele sich insofern um eine bedingungsgemäße Betriebsschließung durch die zuständige Behörde aufgrund des IfSG. Zu berücksichtigen sei, dass die allgemeinen Versicherungsbedingungen, die für den streitgegenständlichen Vertrag gelten, §§ 6 und 7 des Infektionsschutzgesetzes ausdrücklich benennen. Dies bedeute, dass auch die dort befindliche Öffnungsklausel benannt werde. Der Vertrag müsse sich daher auch auf zum Vertragsschluss noch unbekannte Krankheiten oder Krankheitserreger beziehen.

Es sei eine komplette Betriebsschließung angeordnet worden. Der Betrieb des Klägers sei überwiegend auf die Bewirtung von Gästen vor Ort ausgelegt gewesen. Einen Außer-HausVerkauf habe der Kläger mit Ausnahme eines Partyservices vor der Schließungsanordnung nicht angeboten.

Er sei auch nicht darauf ausgerichtet gewesen. Der Außer-Haus-Verkauf während des Lockdowns habe lediglich ein vollkommen untergeordnetes Mitnahmegeschäft dargestellt, das unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten den Betrieb nicht erhalte und auch nicht auf Dauer fortgeführt werden könne.

LG Aschaffenburg 61 O 178/20

Der Kläger beantragt außerdem die Zahlung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 958,19 € zzgl. Zinsen.

Der Kläger beantragt zuletzt,

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 11.570,69 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 21.05.2020 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 958,19 € außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 17.10.2020.

Die Beklagte beantragt

Klageabweisung.

Sie vertritt die Ansicht, der Kläger habe keinen Anspruch auf Leistung aus dem streitgegenständlichen Betriebsschließungsversicherungsvertrag. Bei dem Katalog der versicherten Krankheiten und Krankheitserreger in § 25 Ziffer 4. der allgemeinen Versicherungsbedingungen BS 2008 handele es sich um eine abschließende Aufzählung. Insbesondere werde dort ausschließlich auf die “folgenden”, “namentlich genannten” Krankheiten und Krankheitserreger verwiesen. Die entsprechende Formulierung sei eindeutig und für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer, der die allgemeinen Versicherungsbedingungen aufmerksam lese und verständig würdige, nicht misszuverstehen.

Ein Versicherungsfall liege auch deshalb nicht vor, da es an einer rechtlich wirksamen Betriebsschließung durch die zuständige Behörde fehle. Insbesondere sei keine Betriebsschließung durch konkrete Verfügung, d. h. einen “individuellen Verwaltungsakt”, angeordnet worden. Dem klägerischen Betrieb seien auch keine meldepflichtigen versicherten Krankheiten oder Krankheitserreger aufgetreten, sodass es sich bei der Allgemeinverfügung vom 16.03.2020 lediglich um eine abstrakt generelle präventive Gesundheitsmaßnahme handele. Insofern liege auch jedenfalls keine vollständige Schließung des klägerischen Betriebs vor.

Außerdem bestreitet die Beklagte die Wirksamkeit der Allgemeinverfügung vom 16.03.2020. Es sei durch den Kläger eine öffentlichrechtliche Inzidentprüfung vorzunehmen, denn ohne eine wirksame “behördliche Anordnung” fehle es an einer Tatbestandsvoraussetzung. Die erlassenen Allgemeinverfügungen litten nach Ansicht der Beklagten an solchen gravierenden Mängeln, die zu deren Unwirksamkeit führten.

Fraglich sei auch, ob eine zuständige Behörde gehandelt habe. Auch dies sei vom Kläger in einer öffentlichrechtlichen Inzidentprüfung zu überprüfen.

LG Aschaffenburg 61 O 178/20

Nur bei einer vollständigen Schließung liege eine Betriebsschließung im Sinne der Allg. Versicherungsbedingungen vor. Der Kläger trage nicht vor, ob er einen Außer-Haus-Verkauf vorgenommen habe.

Schließlich seien die Grundsätze des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zu bedenken. Die plötzlich aufgetretene Pandemie sei bei keiner der Vertragsparteien bei Vertragsschluss im Bereich der Vorstellung gewesen. Ein Vertrag wäre, hätte man die Möglichkeit einer derartigen Pandemie bedacht, in dieser Form nicht zustande gekommen oder aber mit Vereinbarung einer ungleich höheren, unbezahlbaren Prämie, wenn nicht mit ausdrücklichem Risikoausschluss.

Hinsichtlich der Schadenshöhe bestreitet die Beklagte, dass der klägerische Betrieb erst mit Schließungsanordnung tatsächlich geschlossen worden sei. Außerdem trägt sie vor, der tatsächliche Schaden des Klägers liege unterhalb des eingeklagten Tagessatzes. Im Übrigen seien die beantragten staatlichen Hilfen wie Kurzarbeitergeld auf die klägerische Forderung anzurechnen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf sämtliche Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen, Protokolle und sonstige Aktenteile.

Gründe LG Aschaffenburg 61 O 178/20

A.

Die zulässige Klage ist unbegründet.

I. Der Kläger hat keinen Zahlungsanspruch aus dem Versicherungsvertrag. Die streitgegenständliche Einschränkung oder Schließung des klägerischen Gastronomiebetriebes im Rahmen der Corona-Pandemie und der diese auslösende Erkrankung Covid-19 bzw. des SARSCoV-2-Erregers ist nicht vom Versicherungsschutz gedeckt. Diese Erkrankung bzw. deren Erreger kann nicht unter “meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger” im Sinne des Versicherungsvertrages subsumiert werden.

Vertragsgrundlage zwischen den Parteien ist der Versicherungsvertrag, der schon seit mindestens 2012 besteht.

Außerdem maßgeblich für den Versicherungsschutz sind die “Bedingungen für die Versicherung von Betrieben gegen Schäden infolge Infektionsgefahr beim Menschen (Betriebsschließungsversicherung) (BS 2008), Anlage K 2 (Bl. 12 ff. d. A.). Die meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger, die vom Vertrag umfasst sind, sind unter § 25 Ziffer 4. aufgeführt. Covid-19 oder der SARSCoV-2-Erreger sind dort nicht genannt.

1. Die allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten zur Betriebsschließungsversicherung sind allgemeine Geschäftsbedingungen gem. den §§ 305 ff. BGB.

a) Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach ständiger Rechtsprechung so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist von Bedingungswortlaut auszugehen.

Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind. Abzustellen ist insoweit auf den typischen Adressaten- und Versichertenkreis der konkreten Bedingungen. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind dabei “aus sich heraus”, also ohne Heranziehung anderer Texte, auszulegen. Maßgeblich ist der Zeitpunkt des Vertragsschlusses (ständige Rechtsprechung, vgl. BGH r+s 2020, 222; r+s 2020, 85; BGH, Urteil vom 18.11.2020, Aktenzeichen IV ZR 217/19, zitiert nach Juris; beispielhaft Landgericht Nürnberg-Fürth, Urteil vom 29.12.2020, Aktenzeichen 2 O 4499/20; zuletzt auch OLG Stuttgart, Urteile vom 18.02.2021, Aktenzeichen 7 U 351/20 und 7 U 335/20).

b) Betriebsschließungsversicherungen werden von gewerblich tätigen Versicherungsnehmern abgeschlossen, insbesondere von Betrieben, die mit der Lebensmittelherstellung oder -verarbeitung zu tun haben (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 2 IfSG). Bei solchen Unternehmen besteht die Gefahr, dass eine Behörde den Betrieb aufgrund von Vorschriften des Infektionsschutzgesetzes schließt. Dabei handelt es sich regelmäßig um Betriebe, die einen kaufmännisch eingerichteten Gewerbebetriebe erfordern, weshalb man von den Inhabern oder Geschäftsführern jeweils entsprechende kaufmännische Kenntnisse und Sorgfalt bei dem Durchlesen eines Vertragsformulars erwarten kann.

Im Regelfall besitzen die Inhaber oder Geschäftsführer dieser Betriebe jedoch keine vertieften Kenntnisse medizinischer oder rechtlicher Art im Zusammenhang mit dem Inhalt des Infektionsschutzgesetzes (Landgericht München I, Urteil vom 01.12.2020, Aktenzeichen 12 O 5895/20, BeckRS 2020, 618; Landgericht Nürnberg-Fürth, Endurteil vom 19.12.2020, Aktenzeichen 2 O 4499/20, zitiert nach Juris).

2. Danach gemessen ist für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer, der einen Gastronomiebetrieb führt, die Aufzählung der namentlich benannten Krankheiten und Krankheitserreger in § 25 Ziffer 4. der streitgegenständlichen Versicherungsbedingungen abschließend. Ihm wird hinreichend deutlich, dass der Versicherer nur für diese dort ausdrücklich genannten Risiken einstehen will.

Maßgeblich für die Auslegung ist dabei in erster Linie der Klauselwortlaut (vgl. zum Auslegungsmaßstab Prölss/Martin, VVG, 30. Auflage, Einleitung Rn. 216).

LG Aschaffenburg 61 O 178/20

§ 25 Ziffer 1. regelt, dass der Versicherer Entschädigung leistet, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Infektionsschutzgesetzes “beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 4.)” den versicherten Betrieb schließt. Die einzelnen Krankheiten oder Krankheitserreger sind dann in Ziffer 4. aufgelistet. Aus dieser Systematik wird für den Versicherungsnehmer deutlich, dass Ziffer 4. den Passus “meldepflichtige Krankheiten oder Krankheitserreger” in Ziffer 1. näher definiert und damit den Versicherungsumfang konkretisiert.

Die namentliche Aufzählung von Krankheiten und Krankheitserregern versetzt den Versicherungsnehmer in die Lage, für den Fall einer behördlichen Anordnung durch einen Abgleich mit den in den Versicherungsbedingungen aufgeführten Krankheiten und Krankheitserregern festzustellen, ob ein Versicherungsfall vorliegen könnte.

Ersichtlich handelt es sich damit um eine eigene Definition und nicht um einen Verweis auf das Infektionsschutzgesetz. Die kumulative Verwendung von “sind”, “im folgendenden” und “namentlich genannten” macht deutlich, dass das Wort “namentlich” im Sinne von “mit Namen genannten” gebraucht wird. Hier muss der Versicherungsnehmer unter Berücksichtigung des Begriffs “folgenden” daher davon ausgehen, dass die nachfolgende Liste abschließend ist. Dafür spricht auch, dass eben die Generalklauseln des Infektionsschutzgesetzes nicht “namentlich genannt” werden und auf diese auch nicht konkret verwiesen wird.

Durch die Tatsache der Aufzählung von bestimmten “namentlich genannten” Krankheiten und Krankheitserregern drängt es sich dem verständigen Versicherungsnehmer auf, dass die Aufzählung nicht deckungsgleich mit allen nach dem IfSG meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserregern sein wird, da sie ansonsten überflüssig wäre. Hierfür spricht auch der erkennbare Sinn und Zweck der Aufzählung, der darin liegt, dass der Versicherung keinen Schutz für insbesondere künftige, bisher unbekannte meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger bieten will, deren Gefahrenpotential er zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses im Hinblick auf die Prämienkalkulation nicht einschätzen kann, sondern eben nur für die bekannten, aufgezählten.

3. Eine dynamische Verweisung auf das Infektionsschutzgesetz ist für den verständigen Versicherungsnehmer entgegen der Ansicht des Klägers dem Wortlaut der allgemeinen Versicherungsbedingungen nicht zu entnehmen. Wenn eine dynamische Verweisung gewollt gewesen wäre, hätte es schließlich nahe gelegen, gänzlich auf eine Aufzählung zu verzichten. Offenbar sollten jedoch die Versicherungsbedingungen ohne solche Verweise auskommen und daher die Begriffen “meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger” selbst definieren.

Auch die Nennung der “folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger” in § 25 Ziffer 4 der allgemeinen Versicherungsbedingungen, stellt lediglich klar, dass andere, nicht im Infektionsschutzgesetz niedergelegten Krankheiten und Krankheitserreger, nicht genannt sind. Eine dynamische Verweisung auf das IfSG kann daher daraus nicht abgeleitet werden. Der Hinweis auf das IfSG hat lediglich informatorischen Charakter. Eine Aufzählung, wie sie § 25 Ziffer 4 enthält, wäre ansonsten überflüssig.

4. Bei Abschluss der Versicherung, die allerspätestens 2012, wahrscheinlich jedoch durch die Eltern des Klägers schon vorher geschlossen wurde, konnte der Kläger nach Lektüre der BS 2008 nicht erwarten, die Beklagte wolle auch Versicherungsschutz für alle künftig auftretenden neuartigen Krankheitserreger während des gesamten Laufs des Vertragsverhältnisses bieten.

Vor diesem Hintergrund war die Klausel für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer auch nicht überraschend im Sinne der §§ 305 c Abs. 1, 307 BGB.

LG Aschaffenburg 61 O 178/20

5. Eine Auslegung der Klausel im Wege der Analogie dahingehend, dass das Coronavirus und die Krankheit Covid-19 ebenfalls vom Versicherungsschutz umfasst sind, ist nicht möglich. Versicherungsbedingungen sind einer Analogie grundsätzlich nicht zugänglich (BGH NJW 2006, 1876; Landgericht Regensburg, Endurteil vom 11.12.2020, Aktenzeichen 34 O 1277/20, BeckRS 2020, 34790). Auch unvorhergesehene pandemische Ausbrüche zuvor unbekannter Krankheitserreger und damit die CoronaPandemie als Großschadensereignis ändern daran nichts.

Ließe man eine Analogie zu, würde das Risiko des Versicherers trotz Verwendung eines abschließenden Katalogs für diesen im Ergebnis unkalkulierbar (aaO). Dagegen sprechen auch die Grundsätze eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Hätten die Vertragsparteien zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrages eine derartige Pandemie für möglich gehalten, so wäre der Vertrag unter diesen Bedingungen nie abgeschlossen worden.

6. Den Endurteilen des Landgerichts München I vom 01.10.2020 (Aktenzeichen 12 O 5895/20) und vom 22.10.2020 (Aktenzeichen 12 O 5868/20) lagen andere allgemeine Versicherungsbedingungen zugrunde. Die den Verfahren zugrunde liegenden Sachverhalte sind mit den hiesigen nicht vergleichbar. Bei der Entscheidung des Landgerichts München vom 01.10.2020 ist auch – anders als im vorliegenden Fall – zu berücksichtigen, dass der Vertrag zu einem Zeitpunkt geschlossen wurde, als das neuartige Coronavirus bereits bekannt war (NJW-RR 2020, 3461).

II. Nachdem kein Versicherungsfall vorliegt, war auf weitere Bedenken der Beklagten gegen ihre Haftung nicht mehr einzugehen.

Die Klage war daher abzuweisen.

B. Die Kostenentscheidung folgt § 91 ZPO, der Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit § 709 Satz 1 u. 2 ZPO.

LG Aschaffenburg 61 O 178/20

Schlagworte

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Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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