Oberlandesgericht Hamm, 10 U 126/09

Februar 10, 2019

Oberlandesgericht Hamm, 10 U 126/09

Die Berufung der Beklagten gegen das am 18. August 2009 verkündete Teilurteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung wegen der Verurteilung zur Auskunftserteilung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 5.000,00 € und die Vollstreckung wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, falls nicht die Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

1

Gründe
2

I.
3

Die Parteien streiten um die Erbenstellung nach der am 1.7.2007 verstorbenen Erblasserin Irmtraud E2. Die Kläger begehren mit ihrer Klage die Feststellung, dass sie Miterben zu je ¼ geworden sind und verlangen von der Beklagten im Wege einer Stufenklage zunächst Auskunft über den Bestand der Erbschaft und den Verbleib sämtlicher Erbschaftsgegenstände.
4

Die Erblasserin war mit Joachim E2 verheiratet. Die Ehe war kinderlos. Die Kläger sind Neffen des Ehemannes Joachim E2 und waren dessen Patenkinder. Die Beklagte ist eine Großkusine der Ehefrau Irmgard E2 und war deren Patenkind.
5

Am 28.6.1988 errichteten die Eheleute E2 vor dem Notar K in E (Urkundenrolle Nummer ##/1988) einen Erbvertrag, in dem sie sich gegenseitig zu alleinigen und ausschließlichen Erben einsetzten. Weiter heißt es in dem Erbvertrag:
6

I.
7

… Der überlebenden Teil wird in keiner Weise beschränkt oder beschwert. Er kann über das beiderseitige Vermögen in jeder Weise frei verfügen.
8

II.
9

Für den Fall des Todes des Überlebenden oder für den Fall des gleichzeitigen Versterbens bestimmen wir hiermit als Schlusserben:
10

– Gruppe 1 nach Joachim E2 –
11

Thomas und Mathias X aus … zu je ¼ unseres Vermögens, wobei bei Vorversterben von Thomas oder Mathias X dessen Anteil dem überlebenden Bruder zufallen soll.
12

– Gruppe 2 nach Irmtraud E2 –
13

Marion X2, …, zu ¼ unseres Vermögens,
14

Lars X2, …, Michael, Britta und Hajo X2, …, zu je 1/16 unseres Vermögens, …
15


16

V.
17

Die vorstehenden Verfügungen zu I. bis IV. sollen, soweit gesetzlich zulässig, vertragsmäßige sein, die wir wechselseitig annehmen. Über die durch diesen Erbvertrag eintretenden Bindungen wurden wir belehrt.”
18

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Erbvertrag vom 28.6.1988 (Bl. 11 – 14 d.A.) Bezug genommen.
19

Der Ehemann Joachim E2 verstarb am 29.1.1989. Er wurde von seiner Ehefrau, der Erblasserin, allein beerbt. Im Jahr 1992 verstarb der Vater der Erblasserin, G. Zu seinem Nachlass gehörte der im Grundbuch von M Blatt ###,, Amtsgericht Tecklenburg eingetragene Hof i.S.d. Höfeordnung “Gut I”. Die Erblasserin wurde am 16.10.1997 im Grundbuch als Hoferbein eingetragen. Die Parteien streiten in dem Verfahren 9 Lw 19/08 AG Tecklenburg = 10 W 88/09 OLG Hamm darüber, ob es sich bei dem Anwesen noch um einen Hof im Sinne der Höfeordnung handelt oder ob die Hofeigenschaft mittlerweile verlorengegangen ist.
20

Durch Beschluss des Amtsgerichts Dortmund in dem Adoptionsverfahren 48 XVI 1/01 wurde die Beklagte auf Antrag der Erblasserin deren eheliches Kind. Auf den Beschluss vom 1.3.2001 (Bl. 18, 19 d.A.) wird verwiesen.
21

Am 13.12.2001 errichtete die Erblasserin nach Prüfung und anwaltlicher Beratung wegen des Erbvertrages vor dem Notar K in E ein Testament (Urkunderolle Nummer ###/2001), in dem sie die Beklagte zu ihrer Alleinerbin hinsichtlich des Hofvermögens und des hoffreien Vermögens einsetzte. Wegen der Einzelheiten wird auf das notarielle Testament vom 13.12.2001 (Bl. 20 23 d.A.) Bezug genommen.
22

Die Erblasserin verstarb am 1.7.2007 Mit Schreiben vom 12.9.2007 erklärte die Beklagte die Anfechtung des Erbvertrages vom 28.6.1988 gemäß § 2079 BGB, weil sie von den Vertragspartnern als pflichtteilsberechtigtes Kind übergangen worden sei sowie wegen Irrtums der Erblasserin über die Bindungswirkung des Erbvertrages gemäß § 2078 BGB. Auf das Schreiben vom 12.9.2007 an das Nachlassgericht (Bl. 25 – 27 d.A.) wird verwiesen.
23

24

Die Kläger haben mit ihrer Klage die Feststellung begehrt, dass sie zu je ¼ Miterben nach der Erblasserin Irmtraud E2 geworden sind. Außerdem haben sie von der Beklagten Auskunft über den Bestand der Erbschaft und den Verbleib sämtlicher Erbschaftsgegenstände sowie in einer zweiten Stufe die Abgabe der Versicherugn an Eides statt verlangt.
25

Sie haben die Auffassung vertreten, dass sie aufgrund des Erbvertrages vom 28.6.1988 wirksam als Schlusserben zu je ¼ eingesetzt worden seien. Der Erbvertrag sei für die Erblasserin nach dem Tod des Ehemannes bindend gewesen. Sie habe nicht mehr einseitig anderweitig testieren können. Die Erblasserin sei von dem Notar K sowohl bei der Errichtung des Erbvertrages als auch des späteren Testaments über die Bindungswirkung belehrt worden. Eine wirksame Anfechtung des Erbvertrages durch die Beklagte sei nicht mehr möglich, nachdem die Erblasserin selbst nach der Adoption im Jahr 2001 keine Anfechtung erklärt habe.
26

Die Beklagte hat demgegenüber ihre Einsetzung als Alleinerbin durch das notarielle Testament vom 13.12.2001 für wirksam gehalten. Der Erbvertrag habe keine Bindungswirkung entfaltet, weil die Erblasserin darüber nicht belehrt worden sei. Sie sei bis zu ihrem Tod davon ausgegangen, dass sie aufgrund der Klausel in Ziffer I Satz 2 und 3 des Erbvertrages, nach der jeder der Ehegatten über das beiderseitige Vermögen in jeder Weise frei verfügen konnte, selbst ein neues Testament errichten konnte. Im Übrigen sei der Erbvertrag von ihr, der Beklagten, wirksam angefochten worden.
27

Wegen der weiteren Einzelheiten des unstreitigen Sachverhalts, des streitigen Vorbringens der Parteien in erster Instanz und ihrer im ersten Rechtszug gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
28

Das Landgericht hat mit dem am 18.8.2009 verkündeten Teilurteil den Klageanträgen zu 1) und 2) stattgegeben. Es hat festgestellt, dass die Kläger zu je ¼ Erben nach der am 1.7.2007 verstorbenen Erblasserin Irmtraud E2 geworden sind. Außerdem hat das Landgericht die Beklagte verurteilt, den Klägern über den Bestand der Erbschaft und über den Verbleib sämtlicher Erbschaftsgegenstände Auskunft durch Vorlage eines Verzeichnisses zu erteilen.
29

Dabei ist das Landgericht davon ausgegangen, dass sich die Erbfolge aus dem Erbvertrag vom 28.61988 ergebe. Dieser sei nicht nichtig. Aus den Vorwürfen der Beklagten, dass der Notar die Erblasserin fehlerhaft belehrt habe, ergäben sich keine Anhaltspunkte für eine Nichtigkeit. Es sei auch davon auszugehen, das die Erklärungen in dem Erbvertrag von den Beteiligten so abgegeben worden seien wie sie protokolliert worden seien. Die Förmlichkeiten seien gewahrt. Dass tatsächlich andere Erklärungen abgegeben worden seien als der Notar beurkundet habe, werde selbst von der Beklagten nicht substantiiert vorgetragen. Der Inhalt des Erbvertrages sei eindeutig. Danach sei die Erblasserin zunächst Alleinerbin nach ihrem Ehemann geworden. Nach ihrem Tod sei es zur Schlusserbschaft gekommen. Danach seien die Kläger zu je ¼ und die Beklagte zu einem weiteren Viertel-Anteil Erben geworden. Der Erbvertrag sei durch die Eheleute E2 nicht wieder aufgehoben worden. Auch sei kein Rücktritt von diesem Vertrag erklärt worden. Die Erbeinsetzung sei nicht durch ein neues Testament der Erblasserin widerrufen worden. Sie habe zwar in dem Testament vom 13.12.2001 ihre Erbfolge neu geregelt. Der darin enthaltene Widerruf des Erbvertrages sei jedoch unwirksam, weil die Erblasserin durch die vertragsmäßigen Verfügungen gemäß § 2278 Abs. 1 BGB hinsichtlich der Einsetzung der Kläger als Schlusserben zu je ¼ gebunden gewesen sei. Es liege auch kein Änderungsvorbehalt vor. Ein solcher könne der Ziffer I des Erbvertrages nicht entnommen werden. Die Auslegung des gesamten Vertrages zeige, dass eine vertragsmäßige Bindung auch gewollt gewesen sei.
30

Der Erbvertrag sei nicht wirksam angefochten worden. Ein Anfechtungsrecht der Beklagten sei gemäß § 2285 BGB ausgeschlossen, weil dieses abhängig sei von dem Anfechtungsrecht der Erblasserin. Diese habe eine Anfechtung des Erbvertrages zu keinem Zeitpunkt erklärt. Außerdem habe sie sich wegen der Bindungswirkung nicht in einem Irrtum befunden. Die Voraussetzungen für eine Anfechtung wegen der Adoption, die von der Erblasserin auch nicht innerhalb der zulässigen Fristen erklärt worden sei, seien ebenfalls nicht erfüllt.
31

Der Auskunftsanspruch ergebe sich aus § 2027 BGB. Die Beklagte sei Erbschaftsbesitzerin. Soweit sie bestreite, den gesamten Nachlass in Besitz genommen zu haben, sei das unerheblich. Sie sei unstreitig bis zuletzt Generalbevollmächtigte der Erblasserin gewesen und gehe nach ihrem eigenen Vortrag davon aus, dass sie Alleinerbin sei.
32

Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.
33

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie ihr erstinstanzliches Ziel der vollständigen Klageabweisung weiter verfolgt. Sie meint, dass der Erbvertrag vom 28.6.1988 für die Erblasserin keine Bindungswirkungen entfaltet habe. Das ergebe sich aus der Regelung in Ziffer I des Vertrages. Die Formulierung sei umfassender als der Gesetzestext zu § 2286 BGB. Die Eheleute E2 hätten dort – notariell beraten – bewusst eine Klausel aufgenommen, die es nach ihrer Vorstellung dem länger Lebenden habe ermöglichen sollen, auch grundlegend neu über das gesamte beiderseitige Vermögen von Todes wegen zu verfügen. Nichts anderes ergebe sich dann aus der von demselben Notar in dem Testament der Erblasserin vom 13.12.2001 niedergelegten Erklärung. Diese sei vom Landgericht völlig unberücksichtigt geblieben, sei aber von wesentlicher Bedeutung. Die weitere (angebliche) Belehrung des Notars vom 13.12.2001 außerhalb der Testamentsurkunde (Bl. 147 d.A.) spreche nur davon, dass das Testament “möglicherweise” unwirksam sein könnte. Selbst wenn diese Belehrung tatsächlich stattgefunden hätte, dann würde dies nur zum Ausdruck bringen, dass der Notar selbst am 13.12.2001 noch davon ausgegangen sei, dass die Erblasserin zumindest möglicherweise noch habe verfügen dürfen, da er andernfalls nicht hätte beurkunden dürfen.
34

Die Erblasserin sei ihrerseits immer davon ausgegangen, dass sie noch weiter frei verfügen und alles ändern konnte. Sie habe sich deshalb bis zu ihrem Tod in einem relevanten Irrtum befunden, so dass die Beklagte den Erbvertrag fristgerecht und wirksam gemäß § 2078 BGB angefochten habe. Außerdem seien die Voraussetzungen des Anfechtungsgrundes gemäß § 2079 BGB erfüllt. Im Zeitpunkt der Beurkundung des Erbvertrages seien die Zuwendungen an die (später ) pflichtteilsberechtigte Beklagte hinter deren gesetzlichen Erbteil zurückgeblieben, was ein Übergehen als Pflichtteilsberechtigte bedeute.
35

Die Beklagte beantragt,
36

das am 18.08.2009 verkündete Urteil des Landgerichts Dortmund – 1 O 47/08 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
37

Die Kläger beantragen,
38

die Berufung zurückzuweisen.
39

Sie verteidigen das angefochtene Urteil und weisen darauf hin, dass das Landgericht zu Recht von der Bindungswirkung des Erbvertrages vom 28.6.1988 im Hinblick auf die darin enthalten Schlusserbeneinsetzung ausgegangen sei. Die Formulierung sei eindeutig, das Landgericht habe sich ausführlich mit den Besonderheiten der Formulierungen im Erbvertrag auseinandergesetzt. Entgegen der Auslegung der Beklagten enthalte der Erbvertrag keine Regelung, die über die Verfügungsfreiheit des überlebenden Ehegatten zu Lebzeiten gemäß § 2286 BGB hinausgehe. Die Erblasserin sei auch von dem Notar über die Bindungswirkung des Erbvertrages belehrt worden. Das ergebe sich aus ihrem späteren Verhalten und den Erklärungen des Notars K sowie aus der von der Erblasserin unterzeichneten Erklärung vom 13.12.2001. Die Anfechtung des Erbvertrages durch die Beklagte sei nicht wirksam, da sich die Erblasserin nicht in einem Irrtum über die Bindungswirkung befunden habe, jedenfalls nicht mehr in der Zeit ab 2001. Eine Anfechtung gemäß § 2079 BGB wegen der Adoption der Beklagten sei von der Erblasserin selbst innerhalb der Frist nicht erklärt worden.
40

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrages der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
41

Die Akten 10 W 88/09 OLG Hamm, 5 Lw 40/00 AG Tecklenburg, 5 Lw 46/00 Tecklenburg und 9 Lw 45/94 AG Tecklenburg lagen zur Information des Senats vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
42

II.
43

Die zulässige Berufung der Beklagten ist in der Sache nicht begründet und ist zurückzuweisen.
44

1.
45

a)
46

Die von den Klägern erhobene Klage auf Feststellung ihrer Miterbenstellung zu je ¼ ist zulässig. Auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts in dem angefochtenen Urteil, die von der Beklagten mit der Berufung nicht mehr angegriffen werden, wird Bezug genommen.
47

b)
48

Der Feststellungsantrag ist begründet. Die Kläger sind aufgrund des Erbvertrages der Eheleute E2 vom 28.6.1988 Erben zu je ¼ der zuletzt verstorbenen Ehefrau Irmtraud E2 .
49

(1)
50

Anhaltspunkte für eine Nichtigkeit des Erbvertrages sind nicht ersichtlich. Auch insoweit ist den zutreffenden Ausführungen des Landgerichts zu folgen. Die von der Beklagten im ersten Rechtszug geäußerten Bedenken werden in der Berufungsinstanz nicht aufrecht erhalten.
51

(2)
52

Nach dem Inhalt des Erbvertrages vom 28.6.1988 sollten die Kläger als Verwandte des Ehemannes Joachim E2 gemäß Ziffer II des Vertrages Schlusserben zu je ¼ werden. An diese Regelung war die Erblasserin nach dem Tod ihres Ehemannes gebunden. Die Erbeinsetzung der Beklagten in notariellen Testament vom 13.12.2001 beeinträchtigt – zumindest soweit sie ihre Einsetzung zur Alleinerbin des hoffreien Vermögens betrifft – die in dem Erbvertrag vorgesehene Erbeinsetzung der Kläger und ist gemäß § 2289 Abs. 1 S. 2 BGB unwirksam.
53

Die Eheleute E2 haben in Ziffer II des Erbvertrages ausdrücklich ihre jeweiligen Verwandten in Gruppen bezeichnet und als Schlusserben bedacht. Sie haben damit zu erkennen gegeben, dass die Einsetzung der jeweiligen Gruppen voneinander abhängig war und mit Rücksicht auf die Einsetzung als Alleinerbe des jeweils anderen Ehegatten erfolgt ist. Diese Regelung ist eine vertragsmäßige Verfügung im Sinne des § 2278 Abs. 1 BGB. Das entsprach auch dem Willen der Vertragsschließenden, die in Ziffer V des Erbvertrages nochmals ausdrücklich erklärt haben, dass ihre Verfügungen zu I. bis IV. also auch die Einsetzung der Schlusserben in Ziffer II, vertragsmäßig sein sollten, die sie wechselseitig angenommen haben.
54

Der Erbvertrag entfaltete bezüglich seiner vertragsmäßigen Verfügungen Bindungswirkungen, soweit durch spätere Verfügungen von Todes wegen durch eine der Vertragsparteien das Recht eines der in dem Erbvertrag Bedachten beeinträchtigt wurde. Eine solche Beeinträchtigung, die nach rechtlichen und nicht wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu beurteilen ist, liegt vor, wenn im Zeitpunkt des Erbfalls nach dem überlebenden Ehegatten die anderweitige letztwillige Verfügung die vertragsmäßige Zuwendung mindern, beschränken oder gegenstandslos machen würde (s. dazu Palandt-Edenhofer BGB, 69. Aufl., § 2289 Rdnr. 2; Musielak in Münchner Kommentar BGB 4. Aufl. § 2289 Rdnr. 10, 16). Nachträgliche, das heißt zeitlich spätere Verfügungen des vertragsmäßig gebundenen Erblassers sind deshalb als Folge der Bindungswirkung gemäß § 2289 Abs. 1 S. 2 BGB unwirksam, soweit sie das Recht des Bedachten beeinträchtigen würden, es sei denn dass sich die Erblasser die abweichende Verfügung im Erbvertrag ausdrücklich oder stillschweigend vorbehalten hatten. Ein solcher Ausnahmefall liegt hier jedoch nicht vor.
55

Ziffer I des Erbvertrages vom 28.6.1988 enthält keine Befreiung von der Bindungswirkung in der Weise, dass der überlebende Ehegatte jederzeit von Todes wegen noch anderweitig verfügen und die vorgesehene Schlusserbfolge abweichend bestimmen konnte. Das ergibt sich weder aus dem Wortlaut der Regelung noch aus ihrer Auslegung im Gesamtzusammenhang des Erbvertrages. Die Formulierung “Der überlebende Teil wird in keiner Weise beschränkt oder beschwert. Er kann über das beiderseitige Vermögen in jeder weise frei verfügen” deutet auf die gesetzliche Bestimmung des § 2286 BGB hin und bezieht sich nur auf lebzeitige Verfügungen, die jederzeit frei getroffen werden konnten. Wäre dies anders zu verstehen und wären auch Verfügungen von Todes wegen umfasst, dann käme die Regelung einem Totalvorbehalt gleich, dessen Wirksamkeit zweifelhaft ist. Ein Vorbehalt darf nicht so weit gehen, dass der Erbvertrag seines eigentlichen Wesens entkleidet wird, in dem der Erblasser zur uneingeschränkten Abänderung aller vertragsmäßigen Verfügungen berechtigt wird (s. dazu Palandt-Edenhofer a.a.O. § 2289 Rdnr. 9). Die erbvertragliche Bindung wäre hier auf die gegenseitige Erbeinsetzung der Ehegatten beschränkt, während alle anderen Vereinbarungen von dem überlebenden Ehegatten frei abänderbar wären. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass dies von den Eheleuten E2 so gewollt war. Die offensichtlich wohlüberlegte Einsetzung der Verwandten nach den jeweiligen Stämmen als Schlusserben wäre dann nicht verständlich. Außerdem ergibt sich für diesen Fall ein unauflösbarer Widerspruch zu der Regelung in Ziffer V des Erbvertrages. Dort ist nochmals ausdrücklich die oben geschilderte Vertragsmäßigkeit der Verfügungen vereinbart worden. Zugleich wird die Belehrung über die durch diesen Erbvertrag eintretenden Bindungen aufgeführt. Das kann nur so verstanden werden, dass mit der Regelung in Ziffer I allein eine freie Verfügungsmöglichkeit zu Lebzeiten gewollt war. Hinsichtlich der Einsetzung der Schlusserben sollte die erbvertragliche Bindungswirkung eintreten.
56

Das gilt jedenfalls zumindest soweit als sie die Bestimmung der Schlusserben aus der Gruppe der mit dem vorverstorbenen Ehegatten verwandten Personen – hier der Kläger – betraf. Das Landgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Frage, ob es sich aus der Sicht der Erblasserin bei der Einsetzung der Schlusserben aus der Gruppe ihrer eigenen Verwandten ebenfalls um vertragsmäßige Verfügungen handelt, die sie nicht einseitig widerrufen konnte, hier nicht entschieden werden muss.
57

(3)
58

Der Erbvertrag ist von der Beklagten nicht wirksam angefochten worden. Sie ist zwar gemäß §§ 2280, 2279 Abs. 1 BGB anfechtungsberechtigt, da ihr eine Aufhebung des Erbvertrages als gesetzliche Erbin der Erblasserin unmittelbar zugutekommen würde. Die Beklagte hat auch mit Schreiben vom 12..09.2007 (Bl. 25 – 27 d.A.) gegenüber dem Nachlassgericht die Anfechtung erklärt. Diese ist jedoch nicht wirksam. Ein Anfechtungsrecht der Beklagten, das von dem der Erblasserin abhängig ist, bestand nicht mehr, nachdem das Anfechtungsrecht der Erblasserin im Zeitpunkt des Erbfalls bereits erloschen war (§§ 2285, 2283 BGB). Die Erblasserin hätte bei Vorliegen der Voraussetzungen möglicherweise den Erbvertrag gemäß §§ 2281, 2078, 2079 BGB anfechten können. Eine Anfechtungserklärung ist jedoch von ihr selbst zu keinem Zeitpunkt abgegeben worden.
59

(a)
60

Die Anfechtung des Erbvertrages wegen Irrtums über die Bindungswirkung (§ 2078 BGB) durch die Beklagte ist nicht innerhalb der Jahresfrist gemäß § 2283 Abs. 1 BGB erfolgt. Die Anfechtungsfrist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Erblasser Kenntnis von dem Anfechtungsgrund erlangt hat. Kenntnis in diesem Sinne bedeutet, dass er selbst über alle für das Anfechtungsrecht wesentlichen Tatsachen informiert sein muss, damit er die Sachlage richtig zu beurteilen vermag und über die Anfechtung des Erbvertrages entscheiden kann (s. dazu Musielak in Münchner Kommentar BGB a.a.O. § 2283 Rdnr. 3; Palandt-Edenhofer a.a.O. § 2283 Rdnr. 1 jeweils m.w.N.).
61

Es ist in diesem Zusammenhang schon fraglich, ob sich die Erblasserin überhaupt in einem Irrtum darüber befand, dass sie an den Erbvertrag gebunden war und diesen nach dem Tod ihres Ehemannes durch eine spätere eigene letztwillige Verfügung nicht mehr abändern konnte. Nach dem Wortlaut der Vertragsurkunde sind die Eheleute E2 ausdrücklich von dem Notar über die Bindungswirkung des Erbvertrages belehrt worden. Soweit die Beklagte dies bestreitet und aus späteren Äußerungen der Erblasserin herleitet, dass diese davon ausgegangen sei, sie könne den Erbvertrag jederzeit abändern, spricht dagegen die Beweiskraft der öffentlichen Urkunde (§ 415 ZPO). Ziffer V des Vertrages enthält die ausdrückliche Erklärung der Eheleute E2, dass sie von dem Notar über die Bindungswirkung des Erbvertrages belehrt worden sind. Diesem Beweis steht auch nicht die Behauptung der Beklagten entgegen, dass die Erblasserin bei Errichtung ihres Testaments am 13.12.2001 vor demselben Notar K von diesem nicht auf die Bindungswirkung hingewiesen worden sei. Der Notar habe vielmehr das neue Testamen beurkundet mit der ausdrücklichen Erklärung der Erblasserin, dass sie gemäß Ziffer 1 des Erbvertrages über das beiderseitige Vermögen in jeder Weise frei verfügen könne und daher nicht gehindert sei, ein Testament zu errichten. Die Beweiskraft der öffentlichen Urkunde des Erbvertrages wird durch die von der Beklagten zu ihrer Behauptung benannten Beweismittel im Schriftsatz vom 17.7.2008 (s. Bl. 122 d.A.) nicht erschüttert. Insbesondere ergibt sich im Gegenteil aus dem handschriftlichen Vermerk der Erblasserin vom 16.10.2001 (Anlage B 8 – Bl. 140 d.A.) und dem Schreiben des Notars K vom 22.10.2001 (Anlage B 9 – Bl. 141), dass Zweifel an der Möglichkeit einer Neutestierung bestanden und dass der Notar die Erblasserin an die Bindung der Erbeinsetzung durch die vertragliche Gestaltung der Urkunde hingewiesen hat. Weiterer Beweisantritt – insbesondere die Benennung des Notars K als Zeugen – ist nicht erfolgt. Im Übrigen hat der Notar in einem Schreiben an die Notarkammer vom 12.12.2007 (Bl. 148 d.A.) erklärt, dass er vor und bei Abschluss des Erbvertrages vom 28.6.1988 die Eheleute E2 umfassend über die Bindungswirkung des Erbvertrages aufgeklärt habe. Die Belehrung sei so eindeutig gewesen, dass Frau E2 auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht davon habe ausgehen können, dass sie neu verfügen konnte.
62

Selbst wenn man jedoch dem Vortrag der Beklagten folgt und davon ausgeht, dass die Erblasserin nach Abschluss des Erbvertrages der Auffassung war, sie könne diesen nach dem Tod ihres Ehemannes noch einseitig durch eine neue letztwillige Verfügung abändern, dann bestand ein etwaiger Irrtum spätestens seit dem Jahr 2001 nicht mehr. Die Erblasserin hatte nunmehr die erforderliche zuverlässige Kenntnis von der Bindungswirkung und hätte innerhalb der Jahresfrist den Erbvertrag anfechten müssen. Das hat sie jedoch bis zu ihrem Tod am 1.7.2007 nicht getan. Nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten hatte die Erblasserin im Jahr 2001 Zweifel, ob sie durch ein neues Testament die in dem Erbvertrag festgelegte Schlusserbfolge noch abändern konnte. Klärungsbedarf bestand offensichtlich auch wegen des mittlerweile von dem Vater geerbten Hofes “Gut I”. Die Erblasserin hat deshalb mindestens von zwei Rechtsanwälten und auch von dem Notar K Rechtsauskünfte eingeholt. Es ist nicht ersichtlich und wird auch von der Beklagten nicht vorgetragen, dass die bestehenden Zweifel durch diese Auskünfte beseitigt worden sind. Aus dem schon genannten Schreiben des Notars K vom 22.10.2001 (Bl. 141 d.A.) an die Erblasserin ergibt sich im Gegenteil, dass spätestens jetzt zuverlässige Kenntnis über die Bindungswirkung des Erbvertrages bestand. Dazu steht allerdings im Widerspruch die Beurkundung des Testaments vom 13.12.2001 durch den Notar K. Das ist nur nachvollziehbar im Zusammenhang mit den Ausführungen des Notars in seinem Schreiben an die Notarkammer vom 12.12.2007 (Bl. 148 d.A.) zum Zustandekommen dieses Testaments und der Erklärung der Erblasserin vom 13.12.2001 (Bl. 147 d.A.), die sich der Notar von ihr im Anschluss an die Beurkundung des Testaments hat unterschreiben lassen. Soweit die Beklagte bestreitet, dass die Erklärung vom 13.12.2001 so nicht von der Erblasserin abgegeben worden sei und nicht von ihr stamme, kommt es darauf nicht entscheidend an. Aus dem Gesamtzusammenhang der Äußerungen des Notars ergibt sich, dass er den Erbvertrag weiterhin für bindend hielt und dass er dies der Erblasserin gegenüber zum Ausdruck gebracht hat. Allein aus dem Umstand, dass das Testament vom 13.12.2001 von ihm beurkundet worden ist, kann jedenfalls nicht geschlossen werden, dass die Erblasserin weiterhin in dem Glauben war, sie könne noch wirksam anderweitig testieren. Weitere Gründe, aus denen die Auffassung der Erblasserin hergeleitet werden könnte, hat die Beklagte nicht vorgetragen.
63

Die somit erst nach dem Tod der Erblasserin von der Beklagten erklärte Anfechtung des Erbvertrages wegen Irrtums über die Bindungswirkung ist folglich unwirksam.
64

(b)
65

Die Anfechtung wegen Übergehens eines Pflichtteilsberechtigten gemäß § 2079 Abs. 1 BGB ist ebenfalls unwirksam. Das Landgericht hat dazu zutreffend ausgeführt, dass es bereits zweifelhaft ist, ob die Voraussetzungen für einen Anfechtungsgrund hier überhaupt erfüllt wären. Das kann im Ergebnis jedoch dahingestellt bleiben. Die Anfechtungsfrist gemäß § 2283 Abs. 1 BGB ist ebenfalls nicht eingehalten worden. Die Adoption der Beklagten durch die Erblasserin ist im Jahr 2001 erfolgt. Davon und auch von der damit verbundenen Pflichtteilsberechtigung der Beklagten als ihrer Adoptivtochter hatte die Erblasserin Kenntnis Das hat sie aber – aus welchen Gründen auch immer – nicht dazu veranlasst, zu ihren Lebzeiten den Erbvertrag anzufechten. Die nach ihrem Tod erklärte Anfechtung durch die Beklagte ist verspätet.
66

2.
67

Als Miterben zu je ¼ haben die Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch gemäß auf Erteilung einer Auskunft über den Bestand der Erbschaft und den Verbleib der Erbschaftsgegenstände. Die Beklagte ist Erbschaftsbesitzerin i.S.d. § 2018 BGB. Sie hat nach dem Erbfall den Nachlass in ihren Besitz genommen und für sich die Alleinerbschaft beansprucht. Auch zu diesem Punkt wird auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts in dem angefochtenen Urteil, denen die Beklagte im Berufungsverfahren nicht weiter entgegengetreten ist, Bezug genommen.
68

III.
69

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
70

Die Revision wird nicht zugelassen. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung. Auch gebieten weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Schlagworte

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

Benötigen Sie eine Beratung oder haben Sie Fragen?

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, damit wir die grundsätzlichen Fragen klären können.

Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

Benötigen Sie eine Beratung oder haben Sie Fragen?

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, damit wir die grundsätzlichen Fragen klären können.

Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.

Letzte Beiträge

cemetery with bare trees

Belastung Vermächtnisnehmer mit Grabpflege ist höchstpersönlich und geht nicht auf dessen Erben über – AG München 158 C 16069/22

April 18, 2024
Belastung Vermächtnisnehmer mit Grabpflege ist höchstpersönlich und geht nicht auf dessen Erben über – AG München 158 C 16069/22Zusammenfassun…
paragraph, a book, law

Pflichtteilsergänzungsanspruch bei Gewährung eines Zuwendungsnießbrauchs – OLG Saarbrücken 5 U 35/23

April 18, 2024
Pflichtteilsergänzungsanspruch bei Gewährung eines Zuwendungsnießbrauchs – OLG Saarbrücken 5 U 35/23Pflichtteilsergänzungsanspruch (§ 232…
paragraph, gold, law

Zwangsgeld zur Durchsetzung titulierten Anspruches auf Vorlage notariellen Nachlassverzeichnisses – OLG Köln 24 W 49/23

April 18, 2024
Zwangsgeld zur Durchsetzung titulierten Anspruches auf Vorlage notariellen Nachlassverzeichnisses – OLG Köln 24 W 49/23Inhaltsverzeichnis:…