OLG Hamm, Beschl. v. 12.12.2014 – 10 W 102/14 Zum Umfang der Bekanntgabe des Inhalts von letztwilligen Verfügungen an Vermächtnisnehmer

September 19, 2018

OLG Hamm, Beschl. v. 12.12.2014 – 10 W 102/14

Zum Umfang der Bekanntgabe des Inhalts von letztwilligen Verfügungen an Vermächtnisnehmer

(AG Herne, Beschl. v. 24.04.2014 – 7 VI 15/14)

Gründe:

Am 09.03.1991 errichtete der Erblasser vor dem Notar I in K (UR-Nr. 138/1991) ein notarielles Testament, in welchem er eine Alleinerbin und den Beteiligten zu 3) als alleinigen Ersatzerben einsetzte sowie nähere Regelungen zu Vermächtnissen traf, hinsichtlich derer er auf eine Anlage zu dem Testament Bezug nahm; ferner ordnete er Testamentsvollstreckung mit der Aufgabe an, unter anderem die Vermächtnisse zu erfüllen. In der mit „Vermächtnisse” überschriebenen Anlage wandte der Erblasser dem Beteiligten zu 1) zur Hälfte ein näher bezeichnetes Aktiendepot zu. Zudem setzte er unter acht weiteren Ziffern weitere Einzelvermächtnisse aus.

Mit gesonderter handschriftlicher Verfügung v. 09.03.1991 traf der Erblasser Regelungen zur Vergütung des Testamentsvollstreckers. Diese ersetzte er mit einer weiteren handschriftlichen Anordnung v. 23.03.2001.

In einer separaten handschriftlichen Verfügung v. 23.03.2001, überschrieben mit „Einzelvermächtnisse” wandte der Erblasser dem Beteiligten zu 1) einen Betrag v. 50.000,00 DM zu. Weitere Einzelvermächtnisse brachte er unter acht weiteren Ziffern aus. Abschließend verfügte er: „Diese Erklärung ersetzt diejenige vom 9.3.91 und die vom 8.3.97, versehen mit handschriftlichen Änderungen. Letztere befindet sich in meinen Unterlagen.”

Mit – noch nicht eröffneter – Verfügung v. 28.01.2004, wiederum überschrieben mit „Einzelvermächtnisse” traf der Erblasser weitere Bestimmungen, und ordnete an, diese Erklärung ersetze diejenigen v. 09.03.1991, 08.03.1997 und 23.03.2001.

Das AG hat die vorgenannten letztwilligen Verfügungen, mit Ausnahme der noch nicht im Original vorliegenden v. 28.01.2004, eröffnet und den Vermächtnisnehmern auszugsweise Fotokopien der sie betreffenden Verfügungen übersandt. Der Beteiligte zu 1) erhielt eine Ablichtung des notariellen Testaments vom 09.03.1991, jedoch ohne die Schlussbemerkungen und die Unterschriften. Weiterhin erhielt er aus der mit „Vermächtnisse” überschriebenen Verfügung vom 09.03.1991 eine Ablichtung der das ihm zugedachte Aktiendepot betreffenden Passage. Ob eine Verfügung, ihm auch die ihn betreffende Passage aus der letztwilligen Verfügung v. 23.03.2001 zu übersenden, ausgeführt wurde, ist nicht ersichtlich.

Den Antrag des Beteiligten zu 1) auf vollständige Akteneinsicht hat das AG durch Beschluss mit der Begründung zurückgewiesen, mit dem berechtigten Geheimhaltungsinteresse der anderen Beteiligten und auch der schutzwürdigen Vermögenssphäre des Erblassers sei eine weitergehende Übersendung von Ablichtungen oder eine vollständige Akteneinsicht nicht vereinbar. Das rechtliche Interesse des Beteiligten zu 1) als Vermächtnisnehmer gehe nur so weit, die ihn betreffenden Verfügungen von Todes wegen zu erfahren.

Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Beteiligten zu 1). Dieser begründet sein rechtliches Interesse damit, dass er darauf angewiesen sei, zu erkennen, wie die unterschiedlichen Verfügungen von Todes wegen zueinander in Beziehung stünden, um den Umfang seiner Rechte überprüfen zu können.

Die gem. § 58 Abs. 1 FamFG statthafte Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere wurde sie form- und fristgerecht i.S.v. §§ 63 Abs. 1; 64 FamFG eingelegt.

In der Sache erweist sich die Beschwerde nur teilweise als begründet. Der rechtliche Ausgangspunkt der angefochtenen Entscheidung ist zutreffend. Gem. § 357 Abs. 1 FamFG ist nur derjenige berechtigt, eine eröffnete Verfügung von Todes wegen einzusehen, der ein dahingehendes rechtliches Interesse glaubhaft macht. Daraus folgt, dass die Befugnis zur Einsichtnahme nur in dem Umfang und an den Teilen der eröffneten Verfügung besteht, an denen der Antragsteller auch ein rechtliches Interesse hat. Dies ergibt sich aus einer restriktiven Interpretation der in § 357 Abs. 1 FamFG getroffenen Regelung, welche nach dem Normzweck geboten ist. Dieser soll sowohl den berechtigten Belangen des jeweils Berechtigten, als auch dem berechtigten Geheimhaltungsinteresse der anderen Beteiligten und auch dem des Erblassers unter Berücksichtigung der Erfordernisse des Datenschutzes Rechnung tragen (vgl. in MünchKomm-FamFG/Mayer, 2. Aufl., § 357 Rn. 9 m.w.N.).

Soweit vereinzelt vertreten wird, den Beteiligten eines Verfahrens sei in alle eröffneten Teile der Verfügungen von Todes wegen uneingeschränkt Einsicht zu gestatten, da dem Nachlassgericht keine materielle Prüfung des Betroffenseins auferlegt werden solle (vgl. Schlögel, in: Hahne/Munzig, BeckOK FamFG, § 357 Rn. 8), vermag sich der Senat dem nicht in vollem Umfang anzuschließen. Der dem Nachlassgericht gesetzlich auferlegten Aufgabe, gem. § 357 Abs. 1 FamFG das Bestehen eines rechtlichen Interesses zu prüfen, ist immanent, dass – jedenfalls in gewissem Umfang – auch materiell-rechtliche Fragen zu bedenken sind. Zudem bestimmt § 348 Abs. 3 Satz 1 FamFG, dass den beim Eröffnungstermin nicht anwesenden Beteiligten nur der sie betreffenden Inhalt der Verfügungen von Todes wegen bekanntzugeben ist. Dies kann unter Berücksichtigung des Rechts, die Vorlage gem. § 348 Abs. 2 Satz 2 FamFG zu verlangen, zwar auch eine vollständige Übersendung erfordern, was regelmäßig der Fall ist, wenn anderweitige Verfügungen die erbrechtliche Stellung des jeweils Betroffenen beeinträchtigen, oder wenn dies nötig ist, um Rückschlüsse auf die Testierfähigkeit oder das Bestehen von Anfechtungsgründen ziehen zu können. Ein Vermächtnisnehmer muss demgegenüber regelmäßig nur erfahren, wer Erbe bzw. Testamentsvollstrecker ist, um sein Vermächtnis durchsetzen zu können (vgl. MünchKomm-FamFG/Muscheler, 2. Aufl., § 348 Rn. 33). Ein darüber hinausgehendes Einsichtsrecht kann sich für einen Vermächtnisnehmer etwa ergeben, wenn der Erbe behauptet, das Vermächtnis sei durch eine spätere Verfügung von Todes wegen widerrufen worden (vgl. KG Berlin, Beschl. v. 17.03.2001 – 1 W 457/10, […]).

Allerdings ist auch zu bedenken, dass sich die Frage, ob eine testamentarisch bedachte Person als Erbe oder Vermächtnisnehmer eingesetzt ist, oft nur durch Auslegung der letztwilligen Verfügung ermitteln lässt. Gem. § 2087 BGB muss der vom Erblasser verwandte Begriff hierfür nicht zwingend ausschlaggebend sein. Dies spricht dafür, einem Vermächtnisnehmer auch einen Einblick in den Gesamtzusammenhang zu geben, in den die ihn betreffende Anordnung eingebettet ist. Die Frage, wie weitgehend sich das Einsichtsrecht gestaltet, kann demnach nur im Einzelfall beantwortet werden. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, ob unterschiedliche Auslegungen des Testaments möglicherweise in Betracht kommen, ob die Verständlichkeit einzelner Regelungen die Kenntnis des Gesamtzusammenhangs voraussetzt und in welchem Umfang schützenswerte Belange Anderer konkret bestehen.

Unter Berücksichtigung dieser Kriterien hält es der Senat für erforderlich, aber auch ausreichend, dem Beteiligten zu 1) in dem sich aus den Anlagen zu diesem Beschluss ergebenden Umfang Kenntnis der letztwilligen Verfügungen zu geben. Zwar besteht vorliegend kein Zweifel daran, dass die Vermächtnisanordnungen tatsächlich solche sind und nicht etwa als Erbeinsetzungen auszulegen sind. Jedoch muss diese Wertung auch für den Beteiligten zu 1) nachvollziehbar sein. Zudem muss er in die Lage versetzt werden, beurteilen zu können, inwieweit die späteren, auf frühere Verfügungen bezugnehmenden Testamente diese ersetzt oder lediglich ergänzt haben. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Wertangaben und Einzelvermächtnisse nur begrenzt Rückschlüsse auf die Zusammensetzung des Vermögens des Erblassers erlauben und ein besonderes Geheimhaltungsinteresse des Erblassers oder des Erben gegenüber dem Beteiligten zu 1) insoweit nicht erkennbar ist. Den berechtigten Belangen der übrigen Vermächtnisnehmer und des Testamentsvollstreckers ist insoweit Rechnung zu tragen, als dass die Namen der weiteren Vermächtnisnehmer und die zu Gunsten des Testamentsvollstreckers getroffene Vergütungsregelung zu schwärzen war.

 

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