ArbG Bielefeld 3 Ca 2703/08

September 25, 2022

ArbG Bielefeld 3 Ca 2703/08 – internationale Zuständigkeit der deutschen Arbeitsgerichtsbarkeit für Arbeitsverträge polnischer Staatsangehöriger mit polnischen juristischen Personen

1. Zur internationalen Zuständigkeit der deutschen Arbeitsgerichtsbarkeit für Arbeitsverträge polnischer Staatsangehöriger mit polnischen juristischen Personen, für die die ausschließliche Zuständigkeit der polnischen Gerichtsbarkeit vereinbart ist, die jedoch ihre Arbeitsleistung im Rahmen von Werkunternehmerverträgen auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erbringen nach der Verordnung (EG) Nr. 44 aus 2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 wird über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen.

2. Zur Anwendbarkeit der § 138 BGB i. V. m. § 612 BGB sowie der §§ 305 ff. BGB in derartigen Fällen gemäß Artikel 27 Abs. 3 EG BGB bzw. Artikel 6 und Artikel 30 EG BGB, wenn die Arbeitsvertragsparteien in einem derartigen Fall polnisches Recht vereinbart haben.

Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 300,00 & euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 01.04.2008, abzüglich am 10.04.2008 gezahlter 220,00 & Euro zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.500,00 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 01.05.2008, abzüglich am 10.05.2008 gezahlter 1.100,00 Euro zu zahlen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.175,00 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 01.06.2008, abzüglich am 10.06.2008 gezahlter 1.000,20 EuRo zu zahlen.

4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.575,00 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 01.07.2008, abzüglich am 10.07.2008 gezahlter 784,00 Euro zu zahlen.

5. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.725,00 euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 01.08.2008, abzüglich am 10.08.2008 gezahlter 1.040,00 Euro zu zahlen.

6. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.125,00 euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 01.09.2008, abzüglich am 10.09.2008 gezahlter 885,00 Euro zu zahlen.

7. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

8. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 4.015,80 Euro festgesetzt.

Tatbestand ArbG Bielefeld 3 Ca 2703/08

Die Parteien streiten über Entgeltdifferenzen aus einem beendeten Arbeitsverhältnis.

Bei der Beklagten handele es sich um eine juristische Person polnischen Rechts. Die Sp.z o.o. ist eine einer deutschen GmbH vergleichbare juristische Person, die von einem Geschäftsführer vertreten wird.

Nach eigenen Angaben beschäftigt die Beklagte ca. 300 Arbeitnehmer in Polen und ca. 400 Arbeitnehmer in R3-W1.

Sie unterhält in der N4. 23 in einem Gebäude, das die Ehefrau des Niederlassungsleiters der Beklagten, E1 S5, 2002 errichtet hat, eine unselbständige Niederlassung.

Unter dieser Anschrift residierten zuvor vom 01.02.2003 bis zum 30.08.2006 die seit 2000 in R3-W1 ansässige unselbständige Zweigniederlassung der Fleischwerk K3 S9 S.A. (4 Ca 2429/06), deren Agent der Niederlassungsleiter der Beklagten, M3 S5, war und ab dem 01.04.2004 die M6 B5 Sp. z.o.o., deren (Mit-)eigentümer und Bevollmächtigter ebenfalls Herr M3 S5 war (6 Ca 2557/07).

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Bei ihnen handelt es sich wie die Beklagte um Subunternehmer des Fleischwerks B4 & C2 T1.

Die Beklagte verweist darauf, dass es sich bei ihr um eine rechtlich unselbständige Niederlassung der M5. M2 Sp. z.o.o., P2 23; 98-420 S10 in Polen handelt, die lediglich die Aufgabe hat, die in R3-W1 beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu betreuen.

Zu diesem Zweck beschäftigt sie (bzw. die Vorgängerfirmen) kaufmännische Angestellte mit Arbeitsverträgen nach deutschem Recht (6 Ca 2557/08).

Die am 02.04.1980 geborene, geschiedene und drei Kindern zum Unterhalt verpflichtete Klägerin, die die polnische Staatsbürgerschaft besitzt, hatte sich im Frühjahr 2008 im Internet in Polen Arbeitsangebote in polnischer Sprache unter der Rubrik “Arbeit im Ausland” angeschaut und stieß auf ein Angebot einer Firma M4. Sie sandte dann per E-Mail an die Firma M4 einen Lebenslauf und Gesundheitsangaben.

Sie wurde dann unter einer deutschen Telefonnummer kontaktiert.

Ihr wurde mitgeteilt, dass sie für die Arbeit in Deutschland ärztliche Zeugnisse, Lebensutensilien und weiße und warme Kleidung mitnehmen solle.

Nach Absolvierung der ärztlichen Untersuchungen fuhr sie am zweiten Ostertag, also am 24.03.2008, mit einem Pkw bestimmungsgemäß zur Firma T1, In der M6 1, in R3-W1.

Dort wurde sie abgeholt und zunächst in eine Halle/Büro geführt, wo sie verschiedene Dokumente unterschrieb.

Dann wurde sie mit anderen Arbeitnehmern zur Niederlassung der Beklagten gebracht.

Dort unterzeichnete die Klägerin einen vom 21.03.2008 datierenden Arbeitsvertrag mit der Beklagten in polnischer Sprache (Ablichtung Blatt 16 f. der Akte) sowie einen vom 25.03.2008 datierenden Annex zu diesem Arbeitsvertrag ebenfalls in polnischer Sprache (in der Sichthülle Blatt 69 der Akte).

Für die Beklagte unterzeichnete die Angestellte Frau C1.

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Nach dem Vertragstext einer Übersetzung aus dem Polnischen durch einen vereidigten Dolmetscher schlossen die Parteien danach einen befristeten Arbeitsvertrag für die Zeitperiode vom 21.03.2008 bis zum 26.06.2008.

Die Klägerin sollte mit Arbeiten im Bereich Sortieren-Verpackung beschäftigt werden in P2, dem Sitz der Beklagten in Polen.

Unter der gleichen Anschrift residiert dort auch die M7 B5 Sp. z.o.o.

Es war ein Stundenlohn von 6,80 PLN vereinbart.

Als allgemeiner Gerichtsstand wurde der Sitz des Arbeitgebers vereinbart (wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Ablichtung der vereidigten Übersetzung aus dem polnischen Blatt 27 ff. der Akte verwiesen).

Nach dem Annex wurde die Klägerin im Rahmen des mit ihr abgeschlossenen Arbeitsvertrages mit ihrer Zustimmung zur Ausübung der Arbeit auf das Gebiet von Deutschland in der Zeitperiode vom 25.03.2008 bis zum 24.06.2008 entsandt zum Zwecke von Sortierungs- und Verpackungsarbeiten. Ort der Arbeitsleistung sollte R3-W1 sein. In § 4 “Entlohnung” haben die Parteien einen Grundlohn von 600,00 euro vereinbart.

Danach heißt es in der Übersetzung weiter:

“2. Dem Arbeitnehmer steht Lohnzulage zum Grundlohn auf den in der Entlohnungsordnung von M1.S3. M2 Sp. z.o.o. bestimmten Grundsätzen zu, mit deren Inhalt sich der Arbeitnehmer bei Unterzeichnung des Arbeitsvertrages mit dem Arbeitgeber in Kenntnis gesetzt hat…

4. Der dem Arbeitnehmer ausgezahlte Lohn wird sowohl die Menge als auch Qualität der vom Arbeitnehmer geleisteten Arbeit berücksichtigen…” § 7 Ziffer 2 lautet: “Nach der Rückkehr des Arbeitsnehmers nach Polen vereinbaren die Vertragsparteien insbesondere den Termin der Arbeitsaufnahme durch den Arbeitnehmern im Betrieb des Arbeitgebers auf dem Gebiet von Polen In § 8 wird auf eine Arbeitsordnung verwiesen.

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§ 9 Ziffer 5 lautet: “Die Vertragsparteien vereinbaren einstimmig, dass für die Entscheidung der Streitigkeiten, dies sich aus der Anwendung von obigem Annex zum Arbeitsvertrag ergeben, das polnische Recht als zuständiges Recht angewendet wird.

Eventuelle Streitigkeiten, die sich bei der Durchführung des die Vertragsparteien bindenden Vertrages ergeben könnten, werden durch die Vertragsparteien vor dem Gericht zuständig für den Sitz des Arbeitgebers gerichtet” (wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die vereidigte Übersetzung dieses Aneks Ablichtung Blatt 31 ff. der Akte verwiesen).

Die Parteien konnten weder die Entlohnungsordnung noch die Arbeitsordnung im Güte- bzw. im Kammertermin auf Befragen des Gerichts vorlegen. Die Befristungsabrede im Annex zum Arbeitsvertag ist vor Fristablauf auf insgesamt ein Jahr verlängert worden.

Die Klägerin war im Fleischwerk B4 & C2 T1, mit der die Beklagte einen Werkrahmenvertrag geschlossen hatte, nach dem die Beklagte als selbständiges Spezialunternehmen Sortier- und Verpackungsarbeiten erbringt, beschäftigt.

In diesem Betrieb arbeiten neben 250 bei T1 beschäftigten Arbeitnehmern ca. 2000 bei Subunternehmern beschäftigte Arbeitnehmer aus Osteuropa (insoweit wird auf den Artikel “T1 Fleischwerk” in Wikipedia nebst den dortigen Weblinks auf den Artikel “Kapitalismus pur” in “Die Zeit” 20/2007 vom 10. Mai 2007 betreffend polnische Arbeitnehmer bei Subunternehmern der Firma T1 und den Artikel “Dumpingpraktiken, Regierung droht Fleischbranche mit Mindestlohn” Spiegel-Online vom 03.05.2007 sowie das Buch Die Fleischmafia von Adrian Peter, Econ Verlag, 2006, verwiesen).

Die Arbeitsbedingungen rumänischer Kontingentarbeitnehmer waren 2003 Gegenstand eines Verfahrens vor der Kammer (Urteil vom 13.08.2003 – 3 Ca 2328/03 in: juris).

Die Klägerin hat begonnen, nach ca. einem Monat eigene Arbeitszeitaufzeichnungen anzufertigen.

Nach diesen Aufzeichnungen hat die Klägerin im März 2008 40 Stunden, im April 2008 200 Stunden, im Mai 2008 290 Stunden, in Juni 2008 210 Stunden, im Juli 2008 230 Stunden und im August 2008 150 Stunden gearbeitet.

Die Klägerin trägt vor, sie habe für März 2008 am 10. des Folgemonats 220,00 € netto erhalten, für April 2008 am 10. des Folgemonats 1.100,00 € netto, für Mai 2008 am 10. des Folgemonats 1.020,00 € netto, für Juni 2008 am 10. des Folgemonats 784,00 € netto, für Juli 2008 am 10. des Folgemonats 1.040,00 € netto und für August 2008 240,00 € am 10. des Folgemonats.

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Die Klägerin erlitt am 26.08.2008 nach der Arbeit einen Ohnmachtsanfall und wurde für 14 Tage krankgeschrieben.

Diese Krankschreibung hat die Beklagte nicht akzeptiert und der Klägerin angeboten, sie könne zwei Tage unbezahlten Urlaub nehmen.

Nach dem die Klägerin weiterhin arbeitsunfähig krank war, wurde sie zu einem Gespräch mit Frau C1 zitiert, die die Klägerin dazu bewegte, eine Eigenkündigung zu unterschreiben unter Hinweis auf die bereits bei den Akten befindliche Eigenkündigung der Klägerin aus dem Zeitpunkt der Arbeitsaufnahme.

Die Klägerin hat während ihrer Tätigkeit bei der Beklagten unentgeltlich in einer Sammelunterkunft mit 17 Frauen in einer Wohnung und insgesamt 4 Frauen in einem Zimmer gelebt.

Die Fahrten zwischen T1 und ihrer Unterkunft hat die Klägerin selbst organisiert.

Die Klägerin hält die Entgeltvereinbarung zwischen den Parteien für intransparent.

Die vereinbarte Vergütung sei auch unter Berücksichtigung des ausgezahlten Arbeitsentgelts sittenwidrig.

Die Vergütungsabrede sei mithin unwirksam.

Die Beklagte sei daher verpflichtet, den für die Tätigkeit als Produktionshelferin üblichen Lohn von 7,50 Euro pro Stunde zu zahlen, den das Fleischwarenwerk T1 auch an die eigenen Mitarbeiter zahle, § 612 BGB.

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Die Klägerin beantragt,

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 300,00 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 01.04.2008, abzüglich am 10.04.2008 gezahlter 220,00 Euro zu zahlen.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.500,00 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 01.05.2008, abzüglich am 10.05.2008 gezahlter 1.100,00 Euro zu zahlen.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.175,00 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 01.06.2008, abzüglich am 10.06.2008 gezahlter 1.000,20 Euro zu zahlen.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.575,00 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 01.07.2008, abzüglich am 10.07.2008 gezahlter 784,00 Euro zu zahlen.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.725,00 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 01.08.2008, abzüglich am 10.08.2008 gezahlter 1.040,00 Euro zu zahlen.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.125,00 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 01.09.2008, abzüglich am 10.09.2008 gezahlter 885,00 Euro zu zahlen.

Die Beklagte bittet darum,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte meint, das angerufene Arbeitsgericht Bielefeld sei weder international noch örtlich zuständig, da die Parteien sich auf den für den Sitz der Beklagten in Polen zuständige Gericht geeinigt hätten und die Beklagte in der N4 nur eine unselbständige Niederlassung betreibt.

Darüber hinaus hätten sich die Parteien für das polnische Recht entschieden. Der vereinbarte Stundenlohn von 6,80 PLN sei für die auszuübende Tätigkeit in Polen ortsüblich und nicht sittenwidrig.

In Deutschland habe die Klägerin schon nach eigenem Vortrag wesentlich mehr als den vereinbarten Grundlohn von 600,00 Euro pro Monat ausgezahlt bekommen.

Der Beklagten ist im Gütetermin der Beschluss aufgegeben worden, binnen einer Ausschlussfrist bis zum 31.10.2008 im Einzelnen und unter Beweisantritt dazu vorzutragen, ob Grund und/oder Höhe der klägerischen Forderung bestritten werden.

Außerdem sollte dazu vortragen werden, wer von der Beklagten an welchem Ort mit der Klägerin welche Vereinbarung getroffen hat.

Dieser Auflage ist die Beklagte bis zum Kammertermin nicht nachgekommen.

Im Kammertermin hat die Beklagte dem Gericht eine summarische Stundenaufstelllung (Blatt 53 der Akte) und ein Konvolut bestehend aus Abrechnungen in den streitbefangenen Monaten, von Umsatzstatistiken und Kopien von Schecks und Quittungen (Blatt 54ff. der Akte) unsortiert vorgelegt.

Wegen der weiteren hier gem. § 313 Abs. 2 S. 1 ZPO knapp zusammen gefassten Sach- und Streitstandes wird gem. § 313 Abs. 2 S. 2 ZPO auf den Inhalt der im Verfahren gewechselten Schriftsätze nebst in Bezug genommener Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften verwiesen.

Gründe ArbG Bielefeld 3 Ca 2703/08

Die zulässige Klage ist im vollen Umfang begründet.

A.

Die Klage ist zulässig, weil der Rechtsstreit der deutschen Gerichtsbarkeit unterfällt.

1.

Die Zuständigkeit deutscher Gerichte ist nicht aufgrund rügeloser Einlassung der Beklagten nach § 239 ZPO begründet worden.

Zwar wird § 239 ZPO insoweit für anwendbar gehalten (vgl. zuletzt BAG vom 13.11.2007 – 9 AZR 134/07 – mit weiteren Nachweisen in Rdnr. 17).

Die Beklagte hatte jedoch von Anfang an deutlich gemacht, dass sich das angerufene Gericht als international unzuständig ansieht.

2.

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Die Gerichtsstandsvereinbarung der Parteien schließt die internationale Zuständigkeit des erkennenden Gerichts nicht aus.

Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte wäre nur dann nicht gegeben, wenn die Parteien eine wirksame anderweitige Gerichtsstandsvereinbarung geschlossen hätten.

Ohne eine solche Vereinbarung wäre die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte nach der Verordnung (EG) Nr. 44 aus 2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (im folgenden: EG V 44/2001) gegeben.

Abschnitt 5 dieser Verordnung regelt die Zuständigkeit für individuelle Arbeitsverträge.

Nach Artikel 19 dieser Verordnung kann ein Arbeitgeber, der seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates hat, verklagt werden: “

Vor den Gerichten des Mitgliedstaates, in dem er seinen Wohnsitz hat, oder In einem anderen Mitgliedstaat.

vor dem Gericht des Ortes, an dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet oder zuletzt gewöhnlich verrichtet hat, oder wenn der Arbeitnehmer seine Arbeit gewöhnlich nicht in ein und demselben Staat verrichtet oder verrichtet hat, vor dem Gericht des Ortes, an dem sich die Niederlassung, die den Arbeitnehmer eingestellt hat, befindet, bzw. befand”.

Nach Artikel 23 dieser Verordnung können Parteien, von denen mindestens eine ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates hat, Vereinbarungen über die Zuständigkeit eines Gerichtes im Hinblick auf bereits entstandene und künftige Rechtsstreitigkeiten aus einem bestimmten Rechtsverhältnis treffen. In diesem Fall ist dieses Gericht dann ausschließlich zuständig, sofern die Parteien nichts anders vereinbart haben und eine solche Gerichtsstandsvereinbarung schriftlich geschlossen worden ist.

Nach Artikel 21 dieser Verordnung kann jedoch von den Vorschriften des 5. Abschnittes, zu dem Artikel 19 der Verordnung gehört, im Wege der Vereinbarung nur abgewichen werden, wenn die Vereinbarung entweder nach Entstehung der Streitigkeit getroffen wird oder wenn sie dem Arbeitnehmer die Befugnis einräumt, andere als die in diesem Abschnitt angeführten Gerichte anzurufen.

Der vorliegende Rechtsstreit unterliegt dem Artikel 19 der EG V 44/2001. Nach Artikel 18 Absatz 1 die EG V 44/2001 müssen “ein individueller Arbeitsvertrag” oder “Ansprüche aus einem individuellen Arbeitsvertrag” Streitgegenstand seien.

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Dies bedeutet, dass nicht nur eine Klage auf Feststellung der Arbeitnehmereigenschaft, sondern auch Ansprüche aller Art aus dem Arbeitsverhältnis erfasst werden.

Dabei ist kein enger Maßstab anzulegen (vgl. dazu nur Däubler: “Die internationale Zuständigkeit der deutschen Arbeitsgerichte – neue Regeln durch die Verordnung (EG) Nr. 44/2001” in: NZA 2003,1297 ff.(1299)).

Die Parteien haben in § 8 Ziffer 5 des Annex zum Arbeitsvertrag nur das für den Sitz der Beklagten in Polen zuständige Gericht vereinbart. Diese Vereinbarung verstößt gegen Artikel 21 der vorgenannten EG-Verordnung.

Im vorliegenden Fall ist der Klägerin durch die Gerichtsstandsvereinbarung weder eine zusätzliche Option eingeräumt worden, also dass Recht, auch eine nach Artikel 19 nicht zuständiges Gericht anrufen zu können, noch ist die Gerichtsstandsvereinbarung nach Entstehen der hier zu entscheidenden Streitigkeit geschlossen worden.

Die EG-Verordnung 44/2001 stellt der Klägerin daher wahlweise drei Gerichtsstände zur Verfügung.

Das angerufene Arbeitsgericht Bielefeld ist einer hiervon, nämlich der Gerichtsstand des “gewöhnlichen Arbeitsortes” (Ziff. 2 a)).

Der “gewöhnliche Arbeitsort” liegt im Regelfall dort, wo die geschuldete Arbeitsleistung erbracht wird. Bei stationärer Tätigkeit ist dies meist der Betrieb (vgl. nur LAG Köln vom 25.06.1996 – 10 Sa 1251/95 in: LAGE Art. 30 EGBGB Nr. 1).

Wird der Betroffene vorübergehend an einen anderen Ort oder in ein anderes Land entsandt, ist dies ohne rechtliche Relevanz. Im vorliegenden Fall besteht die Besonderheit, dass die Klägerin für die Beklagte zu keinem Zeitpunkt in Polen gearbeitet hat, sondern aufgrund des Arbeitsvertrages und des Annex zum Arbeitsvertrag ihre Arbeitsleistung während der gesamten Dauer des Arbeitsverhältnisses in R3-W1 erbracht hat.

Soweit die Beklagte darauf verweist, dass die Vertragsparteien nach § 7 Ziffer 2 des Annex zum Arbeitsvertrag “nach der Rückkehr des Arbeitnehmers nach Polen” den Termin der Arbeitsaufnahme durch den Arbeitnehmer im Betrieb des Arbeitgebers auf dem Gebiet von Polen vereinbaren werden, ändert dies nichts daran, dass für die Dauer des Vertrages der Parteien der gewöhnliche Arbeitsort der Klägerin R3-W1 war.

Zudem war R3-W1 der Ort, an dem die Klägerin ihre Arbeit “zuletzt gewöhnlich verrichtet hat”.

Auch wenn man mit dem Europäischen Gerichtshof darauf abstellt, wo der “tatsächliche Mittelpunkt der Berufstätigkeit”, der “Schwerpunkt der Arbeitsleistung” liegt, ist dies eindeutig R3-W1.

Hierhin ist die Klägerin gereist, um ihre Arbeit aufzunehmen. Hier wurde das Vertragsverhältnis der Parteien beendet. Dazwischen hat die Klägerin an keinem anderen Ort gearbeitet (vgl. dazu nur EuGH vom 09.01.1997 – C 383//95 in: AP Nr. 2 zu Artikel 5 Brüsseler Abkommen).

Zudem greift hilfsweise nach Artikel 19 Absatz 2 b) der EG V 44/2001 der Gerichtsstand der einstellenden Niederlassung ein. Besteht kein gewöhnlicher Arbeitsort, stellt Artikel 19 in Ziffer 2 b) der Verordnung hilfsweise auf die einstellende Niederlassung ab.

Gemeint ist damit der Ort des Vertragsschlusses (ebenso LAG Niedersachen vom 20.11.19989 – 3 Sa 909/98 in: LAGE Art. 30 EGBGB Nr. 3; Gragert/Drenckhahn in: NZA 2003, 307 unter Hinweis darauf, dass dort meist auch die Personalverwaltung erfolgt). Die Beklagte hat zwar noch im Gütetermin mündlich bestritten, die Einstellung sei in Deutschland in R3-W1 in der N3 23, dem Sitz der Niederlassung der Beklagten, erfolgt.

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Insoweit ist ein Bestreiten mit Nichtwissen jedoch unzulässig.

Die Beklagte hätte substantiiert vortragen müssen, wo (im “Stammhaus”?) und wann in Polen der Arbeitsvertrag unterzeichnet worden ist und wer für die Beklagte den Arbeitsvertrag in Polen gegengezeichnet hat.

Die unstreitige Tatsache, dass der Arbeitsvertrag der Klägerin von Frau B3 C1 gegengezeichnet ist, die wiederum in der Niederlassung der Beklagten in R3-W1 für die Beklagte tätig ist, führt dazu, dass die Beklagte sich nicht auf bloßes Bestreiten mit Nichtwissen beschränken durfte.

B.

Die Klage ist auch begründet.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung der “üblichen Vergütung” im Sinne von § 612 BGB i.V.m. § 138 BGB.

1.

Die Klägerin kann sich mit Erfolg auf diese Vorschriften berufen, obwohl die Parteien im Annex zum Arbeitsvertrag vereinbart haben, dass “die Entscheidung der Streitigkeiten, die sich aus der Anwendung vom Annex zum Arbeitsvertrag ergeben, das polnische Recht als zuständiges Recht angewendet wird”.

Die Kammer versteht diese Vereinbarung so, dass die Parteien die Entscheidung ihres Rechtsstreits nicht (nur) polnischem Verfahrensrecht unterstellen wollten, sondern dass die Entscheidung der Streitigkeiten, die sich aus der Anwendung des Arbeitsvertrages der Parteien und seines Annex ergeben, materiell polnischem Recht unterliegen soll.

Diese Vereinbarung der Parteien hat das erkennende Gericht grundsätzlich zu akzeptieren.

Nach Artikel 27 EGBGB unterliegt der Vertrag dem von den Parteien gewählten Recht.

Damit die unterliegen die arbeitsvertraglichen Beziehungen der Parteien grundsätzlich auch materiell polnischem Arbeitsrecht.

2.

Die freie Rechtswahl der Parteien tangiert jedoch nicht die Anwendung der Bestimmungen des deutschen Rechts, die ohne Rücksicht auf das auf den Vertrag anzuwendende Recht den Sachverhalt zwingend regeln, Artikel 27 Abs. 3 EG BGB.

Danach berührt die Wahl des Rechts eines anderen Staates, wenn der sonstige Sachverhalt im Zeitpunkt der Rechtswahl nur mit einem Staat verbunden ist, – auch wenn sie durch die Vereinbarung der Zuständigkeit eines Gerichts eines anderen Staates ergänzt ist – die Bestimmungen nicht, von denen nach dem Recht jenes Staates durch Vertrag nicht abgewichen werden kann (zwingende Bestimmungen).

a.)

Artikel 27 Abs. 3 EGBGB enthält also eine Beschränkung der Rechtswahl, soweit – von der Rechtswahlklausel abgesehen – keine Auslandsbeziehungen bestehen. Ist der Sachverhalt zum Zeitpunkt der Rechtswahl nur mit einem Staat verbunden, d.h. eindeutig lokalisiert, so ist zwar eine Rechtswahl nicht ausgeschlossen.

In solchen “Binnensachverhalten” kann jedoch die Vereinbarung der Rechtsordnung eines anderen Staates die zwingenden Bestimmungen dieses Staates nicht berühren. Das Recht des Staates, zu dem der Vertrag allein Beziehungen aufweist, bildet sozusagen das “Einbettungsstatut”.

aa.)

Mangels einer Rechtswahl würde auf das Arbeitsverhältnis der Parteien deutsches Arbeitsrecht zur Anwendung kommen.

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Denn nach Artikel 20 Abs. 2 EG BGB unterliegen Arbeitsverträge und Arbeitsverhältnisse dem Recht des Staates, in dem der Arbeitnehmer und Erfüllung des Vertrages “gewöhnlich” seine Arbeit verrichtet (Ziffer 1) bzw. in dem sich die Niederlassung befindet, die den Arbeitnehmer eingestellt hat, sofern dieser seine Arbeit gewöhnlich nicht in einem und demselben Staat verrichtet (Ziffer 2), wenn die Parteien keine Rechtswahl getroffen hätten, es sei denn, dass sich aus der Gesamtheit der Umstände ergibt, dass der Arbeitsvertrag oder das Arbeitsverhältnis engere Verbindungen zu einem anderen Staat aufweist. In jenem Fall wäre das Recht eines dieses anderen Staates anzuwenden.

Der Arbeitsvertrag oder das Arbeitsverhältnis der Parteien weist nach Ansicht der Kammer keine engeren Verbindungen zu einem anderen Staat auf, da – wie bereits ausgeführt – die wechselseitigen arbeitsvertraglichen Verpflichtungen während der gesamten Dauer des Arbeitsverhältnisses ausschließlich in Deutschland erfüllt worden sind.

Der Sachverhalt war zum Zeitpunkt der Rechtswahl nur mit einem Staat verbunden, nämlich mit der Bundesrepublik Deutschland.

Nach dem Vortrag der Klägerin, den die Beklagte nicht substantiiert widersprochen hat, bezieht sich das Arbeitsverhältnis der Parteien eindeutig auf Deutschland.

Nach der ersten Kontaktanknüpfung im Internet wurde die Klägerin aus Deutschland angerufen und über die näheren Modalitäten ihres Arbeitsverhältnisses informiert.

Nachdem die Klägerin die Voraussetzungen für eine Arbeitsaufnahme geschaffen hatte, wurden der Arbeitsvertrag und der Annex zum Arbeitsvertrag in R3-W1, d.h. in Deutschland unterzeichnet.

Der Arbeitsvertrag der Parteien, der vom 21.03.2008 datiert, ist damit tatsächlich am 25. oder 26.03.2008 zeitgleich mit dem Annex zum Arbeitsvertrag unterzeichnet worden.

Die Absicht der Beklagten, den Annex zum Arbeitsvertrag als “Entsendevertrag” in einen originären Arbeitsvertrag der Parteien in Polen “einzubetten”, ist damit fehlgeschlagen.

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Beklagte in Polen tatsächlich – wie sie behauptet, Arbeitnehmer beschäftigt. Eine auf das Arbeitsverhältnis bezogene Organisation hat die Klägerin in Polen nicht erlebt.

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Überdies wurde Arbeitsverhältnis über die gesamte Dauer in Deutschland abgewickelt. Hierzu beschäftigt die Beklagte festangestellte kaufmännische Kräfte, deren Arbeitsverhältnisse in deutscher Sprache vereinbart sind und deutschem Recht unterfallen.

Die Klägerin hat während der gesamten Dauer des Arbeitsverhältnisses der Parteien in Deutschland gewohnt und gearbeitet.

Sie hat ihre Vergütung in Deutschland erhalten, ebenso wie ihre Lohnabrechnungen. Ihre Arbeitsanweisungen wurden durch in Deutschland beschäftigte Vorarbeiter erteilt.

Die Personalabrechnungen erfolgten in deutsch/polnischer Sprache und sind ersichtlich mit einem deutschen EDV-Programm erstellt.

Damit weist das Arbeitsverhältnis außer der Tatsache, dass die Klägerin die polnische Staatsangehörigkeit besitzt und es sich bei der Beklagten um eine juristische Person polnischem Rechts handelt, und die Beklagte eine polnische Pfändung bedient und die Sozialversicherungsbeiträge (aufgrund einer E 101 Bescheinigung) nach Polen abgeführt hat, keinen Bezug zu Polen auf.

bb.)

Nach der Legaldefinition des Artikel 27 Abs. 3 EG BGB handelt es sich um Vorschriften, von denen nach dem Recht des maßgeblichen Staates nicht durch Vertrag abgewichen werden kann.

Gemeint sind also nichtdispositive Bestimmungen des normsetztenden Staates, an welche die Parteien gebunden sind. Artikel 27 Abs. 3 EG BGB gilt somit für zwingende Vorschriften jeglicher Art (vgl. Martini in: Münchener Kommentar zum BGB 4. Auflage 2006, Artikel 27 EG BGB Rdnr. 90 mit weiteren Nachweisen in Rdnr. 347, vgl. dazu auch Schlachter in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 9. Auflage 2008, Rdnr. 15). Hierzu zählen auch die §§ 305ff. BGB.

cc.) Die im Arbeitsvertrag der Parteien vereinbarte Entlohnung ist schon nach den §§ 305 ff. BGB unwirksam. Die Entlohnungsvereinbarung unterliegt der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 3 Satz 2 BGB i.V.m. § 307 Abs. 1 Satz 2 und § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB.

Nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB unterliegen Bestimmungen in allgemeinen Geschäftsbedingungen der uneingeschränkten Inhaltskontrolle, wenn sie von Rechtsvorschriften abweichen oder als diese ergänzende Regelungen vereinbart werden.

Andere Bestimmungen in allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die nicht von Rechtsvorschriften abgewichen wird, sind gemäß § 307 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB bei einem Verstoß gegen das Transparenzgebot unwirksam.

Dieser eingeschränkten Kontrolle unterliegen auch Klauseln, die den Umfang der von den Parteien geschuldeten Arbeitsleistung festlegen.

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Im Arbeitsverhältnis sind das vor allem die Arbeitsleistung und das Arbeitsentgelt.

Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, über die § 305 ff. BGB den “gerechten Preis” zu ermitteln. § 307 Abs. 3 Satz 2 BGB beruht auf der Erwägung, dass ein Mindestmaß an Transparenz der Preisgestaltung einen funktionierenden Wettbewerb erst ermöglicht.

Nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB kann sich eine zur Unwirksamkeit der Klausel führende unangemessene Benachteiligung (§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB) auch daraus ergeben, dass die Klausel nicht klar und verständlich ist.

Das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB schließt das Bestimmtheitsgebot ein. Danach müssen die tatbestandlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen so genau beschrieben werden, dass für den Verwender keine ungerechtfertigten Beurteilungsspielräume entstehen.

Eine Klausel genügt dem Bestimmtheitsgebot, wenn sie im Rahmen des rechtlich und tatsächlich zumutbaren die Rechte und Pflichten des Vertragspartners des Klauselverwenders so klar und präzise wie möglich umschreibt. Gemessen an diesen Grundsätzen hält § 4 des Annex zum Arbeitsvertrag der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht stand.

Der Klägerin wird zwar ein Grundlohn in Höhe von 600,00 euro brutto pro Monat zugesagt.

Ihr wird jedoch weiterhin eine Lohnzulage nach einer Entlohnungsordnung der Beklagten zugesagt, die sowohl die Menge als auch die Qualität der von der Klägerin geleisteten Arbeit berücksichtigen soll.

Auf Befragen des Gerichts konnte keine der Parteien im Kammertermin diese Entlohnungsordnung der Beklagten vorlegen.

Der Klägerin hat diese Entlohnungsordnung bei der Unterzeichnung entgegen dem Wortlaut des Arbeitsvertrages nicht vorgelegen.

Auch die Beklagte vermochte die Entlohnungsordnung nicht vorzulegen und hat insoweit auf das “Stammhaus” in Polen verwiesen sowie darauf, dass die entsprechenden Eckdaten in die EDV “eingepflegt” seien.

Ohne die – angebliche – Entlohnungsordnung der Beklagten ist jedoch niemand in der Lage, die Lohnzulage zum Grundlohn der Klägerin zu berechnen. Dies führt zur Unwirksamkeit der Entgeltvereinbarung.

dd.)

Für den Fall, dass man diese Auffassung der Kammer zur Auslegung der §§ 305ff. BGB nicht teilt, ist die zwischen den Parteien getroffene arbeitsvertragliche Entgeltvereinbarung wegen Verstoßes gegen die guten Sitten (§ 138 Abs. 1 BGB) unwirksam, so dass die Klägerin gemäß § 612 Abs. 2 BGB die übliche Vergütung beanspruchen kann.

Nach seinem Wortlaut greift § 612 Abs. 1 BGB nur ein, wenn keine Vergütung – auch nicht stillschweigend vereinbart ist.

Die Bestimmung ist aber auch dann anwendbar, wenn der Vertrag nach § 138 Abs. 2 BGB – wegen Lohnwuchers nichtig ist (BAG vom 10.03.1960 in: AP Nr.: 2 zu § 138 BGB; Landesarbeitsgericht Bremen vom 03.12.1992 in: AiB 1993, 834) (dazu gleich).

b.)

Folgt man der Auffassung der Kammer zur Anwendbarkeit des Art. 27 Abs. 3 EG BGB nicht, ergibt sich die Anwendung dieser Vorschriften aus Artikel 30 Abs. 1 EG BGB sowie Artikel 34 EG BGB (Schlachter a.a.O.).

Danach kann durch die Wahl eines fremden Rechts jedenfalls von international zwingenden Vorschriften des deutschen Rechts nicht abgewichen werden.

Solche als “Eingriffsnormen” bezeichnete Vorschriften widerstehen jeder Abwahl, sondern verlangen ihre Anwendbarkeit.

Der Gesetzeszweck liegt in der Durchsetzung inländischer ordnungspolitscher Vorstellungen, die nicht zur Disposition der Parteiautonomie stehen.

ArbG Bielefeld 3 Ca 2703/08

Zu diesen Vorschriften gehören nicht alle zwingenden Normen des Arbeitsrechts. Mit Martini (a.a.O. Artikel 34 Rdnr. 9 mit weiteren Nachweisen) ist von international zwingenden Normen dann auszugehen, wenn ihre Geltung für grenzüberschreitende Fälle unabhängig vom Vertragsstatut ausdrücklich angeordnet ist oder sich durch Auslegung ermitteln lässt, wobei der jeweilige Gesetzeszweck ermittelt werden muss.

aa.)

Zu den auf jeden Fall zu beachtenden international zwingenden Bestimmungen gehört – neben den § 305ff. BGB – § 138 BGB im allgemeinen, sowie die richterrechtlichen Konkretisierungen des Wuchertatbestandes im besonderen. Zumindest für den Wucher nach § 138 Abs. 2 BGB gilt, dass dieser Schutz nicht durch Rechtswahl abbedungen werden kann (so Gammillscheg in: ZfA 1983, 361). In Rechtssprechung und Literatur ist offen, ob das Wucherverbot hier über Artikel 30 Abs. 1, Artikel 6 oder Artikel 34 EG BGB durchgesetzt wird (vergleiche dazu nur LG Detmold, Urteil vom 29.09.1994 – 9 O 57/94 in: NJW 1994, 3301 bis 3303).

Diese Frage bedarf letztlich nicht der Entscheidung, da in jedem Fall ein evidenter Verstoß gegen das Wucherverbot nicht hingekommen werden kann (so Arbeitsgericht Wesel vom 03.05.1995 – 3 Ca 361/94 in: AuR 1995, 475 (476) = AiB 1996, 126 f.).

bb.)

Es liegt ein auffälliges Missverhältnis zwischen der mit der Klägerin vereinbarten und tatsächlich gezahlten Stundenvergütung und dem einschlägigen marktüblichen Entgelt vor.

aaa.)

Wann in einem Einzelfall von einem sittenwidrigen Lohnwucher ausgegangen werden kann, ist im Arbeitsrecht noch nicht abschließend geklärt.

Da gesetzliche Regelungen hinsichtlich der Lohnhöhe für das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht existieren (insbesondere das Arbeitnehmerentsendegesetz auf das Arbeitsverhältnis nicht zur Anwendung kommt) und auch ein Tarifvertrag nicht einschlägig ist, ist es im Rahmen der verfassungsrechtlich garantierten Privatautonomie und der Vertragsfreiheit gemäß

§ 105 Gewerbeordnung grundsätzlich Sache der Vertragsparteien, die Höhe der Vergütung festzulegen.

Dieser Freiheit sind allerdings dann Grenzen gesetzt, wenn eine sittenwidrige Vergütung vereinbart wird (§ 138 BGB). Bei der Auslegung dieser einfachgesetzlichen Vorschriften sind allerdings wiederrum verfassungsrechtliche Wertungen zu berücksichtigen.

ArbG Bielefeld 3 Ca 2703/08

Soweit die Privatautonomie ihre regulierende Kraft nicht zu entfalten vermag, weil ein Vertragspartner kraft seines Übergewichts Vertragsbestimmungen einseitig setzen kann, müssen staatliche Regelungen ausgleichend eingreifen, um den Grundrechtschutz zu sichern.

Der einzelne Arbeitnehmer befindet sich beim Abschluss von Arbeitsverträgen typischerweise in einer Situation struktureller Unterlegenheit.

Im Bereich des Arbeitslebens steht nicht nur der Arbeitgeber sondern auch der Arbeitnehmer unter dem Schutz des Artikel 12 Abs. 1 GG. Vor diesem Hintergrund schützt Artikel 12 Abs. 1 GG auch das Interesse des Arbeitnehmers an zumutbaren Arbeitsbedingungen (vgl. nur Bundesverfassungsgericht, 2. Kammer des ersten Senats, Beschluss vom 23.11.2006, 1 BVR 1909/06 in: NZA 2007, 85 ff.).

Dies gilt nach Ansicht der Kammer auch für ausländische Arbeitnehmer.

Eine arbeitsvertragliche Entgeltvereinbarung kann wegen Lohnwuchers oder wegen eines wucherähnlichen Rechtsgeschäfts nichtig sein.

Sowohl der spezielle Straftatbestand als auch der zivilrechtliche Lohnwucher nach § 138 Abs. 2 BGB und das wucherähnliche Rechtsgeschäft nach § 138 Abs. 1 BGB setzen ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung voraus (vgl. nur Bundesarbeitsgericht Urteil vom 23.05.2001 – 5 AZR 527/99 sowie BAG Urteil vom 24.03.2004 5 AZR 303/03 und BAG Urteil vom 26.04.2006 – 5 AZR 549/05).

Ein Missverhältnis liegt vor, wenn der Wert der Leistung mit dem der Gegenleistung nicht übereinstimmt. Auffällig ist dieses Missverhältnis dann, wenn dem Kundigen dies sei es erst nach Aufklärung des Sachverhalts – ohne weiteres ins Auge springt (vgl. BGH Urteil vom 22.04.1997 – 1 StR 701/96).

Das “auffällige Missverhältnis” ist allerdings nicht allein nach der vereinbarten Entgelthöhe zu beurteilen. Ein Rechtsgeschäft verstößt gegen § 138 Abs. 1 BGB, wenn es nach seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zwecks zu entnehmendem Gesamtcharakter mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren ist.

Zu berücksichtigen sind auch Wertungen des Grundgesetzes und einfachgesetzliche Regelungen. Hierbei ist weder das Bewusstsein der Sittenwidrigkeit noch eine Schädigungsabsicht erforderlich, sondern es genügt vielmehr, dass der Handelende die Tatsachen kennt, aus denen die Sittenwidrigkeit folgt (vgl. BGH Urteil vom 19.01.2001 – V ZR 437/99; BAG Urteil vom 26.04.2006 – 5 AZR 549/05).

ArbG Bielefeld 3 Ca 2703/08

Das Bundesarbeitsgericht hat bisher keine allgemeinen Richtwerte zur Feststellung eines auffälligen Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung entwickelt.

Es hat lediglich ausgeführt, dass zur Feststellung des auffälligen Missverhältnisses zwischen den Leistungen und Gegenleistungen nicht auf einen bestimmten Abstand zwischen dem Arbeitsentgelt und dem Sozialhilfesatz abgestellt werden könne und auch die Pfändungsfreigrenzen des § 850 c ZPO keinen geeigneten Anknüpfungspunkt darstellen (BAG Urteil vom 24.03.2004 a.a.O.).

Im übrigen hat es abgesehen von besonderen Konstellationen offen gelassen, ob und ggfls. von welchem Richtwert auszugehen ist und ob ggfls. auch die absolute Entgelthöhe zu berücksichtigen ist.

Entscheidender Orientierungsmaßstab für die Prüfung, ob ein auffälliges Missverhältnis vorliegt, ist der Tariflohn, und zwar ohne tarifliche Zusatzleistungen (vgl. dazu nur Reinecke, Vertragskontrolle im Arbeitsverhältnis in: NZA Beilage zu Heft 3, 2000, 23 (32)).

Allerdings soll nach der Rechtsprechung nicht nur auf die Tariflöhne des jeweiligen Wirtschaftzweiges, sondern auch auf das allgemeine Lohnniveau im Wirtschaftsgebiet abgestellt werden. In Bereichen, in denen keine einschlägigen Tarifverträge existieren, sind verwandte Tarifverträge als Vergleichsmaßstab heranzuziehen.

Das Bundesarbeitsgericht hat jüngst entschieden, dass der Erhalt von 70 % der üblichen Vergütung nicht geeignet sei, ein auffälliges Missverhältnis zu begründen (BAG vom 23.05.2001 a.a.O.).

Offen gelassen hat es in derselben Entscheidung, ob entsprechend der Auffassung des Bundesgerichtshofs (BGH vom 22.04.1997 – 1 StR 701/96 in: AP Nr. 52 zu § 138 BGB) zu § 302 a StGB a. F., jetzt § 291 StGB n. F., bei 63 v.H. – das BAG spricht von 2/3 – des Tariflohnes von einem auffälligen Missverhältnis auszugehen ist.

Dem Richtwert von 2/3 des üblichen Lohnes sind einzelne Arbeitsgerichte bereits gefolgt (LAG Berlin vom 20.02.1998 in: LAGE Nr. 1 zu § 302 StGB, ebenso Reinecke NZA Beilage a.a.O.; Peter in: AuR 1999, 289 (293)).

Die erkennende Kammer folgt dieser Rechtssprechung, weil eine Abweichung um 1/3 regelmäßig bereits so erheblich ist, dass davon zu sprechen ist, dass sie dem Kundigen ins Auge fällt. Übereinstimmung besteht jedenfalls darin, dass bei der Hälfte des Tariflohnes oder üblichen Lohnes in der Regel ein auffälliges Missverhältnis und damit eine Sittenwidrigkeit zu bejahen ist (vgl. zum vorstehenden und mit weiteren Nachweisen der Instanzrechtsprechung Preis in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht a.a.O. § 612 BGB Rdnr. 3).

bbb.)

ArbG Bielefeld 3 Ca 2703/08

Für die Tätigkeit der Klägerin als Produktionshelferin ist im Bereich der Fleischwarenindustrie als Vergeichsmassstab ein “üblicher Lohn” in Höhe von mindestens 7,50 &euro je Stunde zugrunde zulegen.

Die Kammer beruft sich insoweit auf einen Vortrag “Tarifentwicklung der deutschen Fleischwarenindustrie”, den Bernhard Hemsing am 07.02.2007 im Rahmen einer Veranstaltung der Gewerkschaft NGG in deren Bildungszentrum in Oberjosbach gehalten hat (Foliensatz im Internet abrufbar).

Darin wird nach der Darstellung der “Strategie der Arbeitgeber”, die entsprechenden Manteltarifverträge zu kündigen, das Lohnniveau dargestellt.

Die Durchschnittslöhne in der Fleischwarenindustrie belaufen sich danach bei Facharbeitern auf 12,41 € und bei angelernten Tätigkeiten auf 9,24 euro wobei sich die Eintrittslöhne in einem Bereich von 7,14 euro bis 8,55 euro bewegen.

Vor diesem Hintergrund ist die erkennende Kammer der Auffassung, dass ein Lohn von 7,50 euro pro Stunde als Eintrittslohn für un- und angelernte Tätigkeiten in der Fleischwarenindustrie eher das “untererste Minimum” als eine übliche Vergütung ist.

Die Gewerkschaft NGG propagiert vor dem Hintergrund des Umstandes, dass weite Bereiche der Fleischwarenindustrie aktuell nicht mehr tarifvertraglichen Vorschriften unterliegen, einen gesetzlichen Mindestlohn von 7,50 euro.

Vor dem Hintergrund, dass der Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium, Gerd Andres, am 03.05.2007 auf einer Pressekonferenz die Zustände in der Fleischindustrie auch am Beispiel des Unternehmens T1 angeprangert hat, kommuniziert jenes, dass in ihrem Betrieb 7,50 euro mindestens pro Stunde gezahlt werden, (so wie dies auch der Klägervertreter anlässlich einer Besichtigung des Betriebes durch den Industrie- und Handelsclub vernommen hat).

Der Hinweis der Beklagten, die der Klägerin gezahlte Vergütung sei in Polen nicht sittenwidrig, vermag daran nichts zu ändern, denn die Klägerin hat in Deutschland gearbeitet und gelebt.

ccc.)

Nachdem Vortrag der Klägerin hat sie im streitbefangenen Zeitraum für die Beklagte insgesamt 1120 Stunden gearbeitet und hier für insgesamt eine Vergütung in Höhe von 4.384,20 euro ausgezahlt erhalten.

Dies bedeutet einen Stundenlohn von 3,91 € netto.

Die Kammer muss davon ausgehen, dass die Beklagte mit ihren bisherigen Vergütungszahlungen die geleisteten Stunden der Klägerin als abgegolten ansieht, weil die Beklagte der Volksbank unautorisiert zum Zwecke der Kontoschließung mitgeteilt hat, dass die Klägerin nach Polen verreist sei und seitdem auch keine Zahlungen an die Klägerin mehr geleistet hat.

ddd.)

ArbG Bielefeld 3 Ca 2703/08

Soweit die Beklagte am Ende des Kammertermins ein Konvolut bestehend aus einer Tabelle über die ihrer Ansicht nach von der Klägerin geleisteten Arbeitsstunden, den der Klägerin erteilten Abrechnungen und den von der Klägerin – angeblich – unterzeichneten Schecks und Quittungen vorgelegt hat, musste die Beklagte mit diesem Vorbringen als verspätet ausgeschlossen werden, wenn man dies als substantiierten Vortrag werten wollte.

Die Beklagte ist im Gütetermin gem. § 11a ArbGG belehrt worden.

Der Beklagten war im Auflagenbeschluss, der im Gütetermin vom 13.10.2008 verkündet und mit der Beklagten auch mündlich erörtert worden ist, aufgegeben worden, binnen einer Ausschlussfrist bis zum 31.10.2008 im Einzelnen und unter Beweisantritt dazu vortragen, ob Grund und/oder Höhe der klägerischen Forderung bestritten werden.

Zum Grund der klägerischen Forderung gehört die Frage, ob die Klägerin die von ihr behaupteten Arbeitsstunden tatsächlich in vollem Umfang abgeleistet hat.

Zur Höhe der klägerischen Forderung gehört der Umstand, vorzutragen, welche Vergütungsvereinbarungen die Parteien ausweislich ihrer vertraglichen Vereinbarungen über den Grundlohn von 600,00 EUR hinaus überhaupt geschlossen haben, welche Abrechnungen die Beklagte der Klägerin erteilt hat und welche Nettobeträge – ausgehend von welchen Bruttobeträgen – der Klägerin tatsächlich ausgezahlt worden sind.

Nach § 56 Arbeitsgerichtsgesetz hat der Vorsitzende die streitige Verhandlung so vorzubereiten, dass sie möglichst in einem Termin zu Ende geführt werden kann.

Angriffs- und Verteidigungsmittel, die erst nach Ablauf einer nach Absatz 1 Satz 1 Ziffer 1 gesetzten Frist vorgebracht werden, sind nur zuzulassen, wenn nach der freien Überzeugung des Gerichts ihre Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögern würde oder wenn die Partei die Verspätung genügend entschuldigt.

Zum letzteren hat die Beklagte nichts vorgetragen.

ArbG Bielefeld 3 Ca 2703/08

Sie hat offensichtlich im Termin erst dann vorgetragen, nachdem die Kammer erläutert hatte, dass sie international zuständig ist.

Die Klägerin hat bestritten, die Lohnabrechnungen und die sich daraus ergebenden Nettozahlungen (mit Ausnahme der auf die Pfändung nach Polen abgeführten Beträge) erhalten zu haben.

Sie hat darauf beharrt, dass die von ihr selbst geführten Arbeitszeitaufzeichnungen zutreffend sind, die – jedenfalls was die ersten beiden Monate angeht – sogar unter denen der Beklagten liegen.

Insoweit hätte über die Frage, wie viel Arbeitsstunden die Klägerin in dem Arbeitsverhältnis der Parteien bis zu dessen Beendigung für wieviel Geld tatsächlich geleistet hat, ggf. in einem weiteren Termin Beweis erhoben werden müssen.

Dies hätte die Erledigung des Rechtsstreits verzögert.

Nach ständiger Rechtssprechung reicht ein bloßer Verweis auf die rechtlichen Bestimmungen des § 56 Abs. 2 ArbGG nicht aus, um ein Vorbringen als verspätet zurückzuweisen.

Dies folgt aus einer verfassungskonformen Auslegung dieser Vorschrift.

Eine ausreichende Belehrung liegt aber dann vor, wenn eine Partei auf die Folgen verspäteten Vorbringens, nämlich dass die zu treffende Entscheidung möglicherweise mit der materiellen Rechtslage nicht im Einklang steht, deutlich hingewiesen worden ist.

ArbG Bielefeld 3 Ca 2703/08

Unter Ziffer 6 des Auflagenbeschlusses ist der Beklagten mitgeteilt worden, dass es sich um eine Ausschlussfrist handelt und sie damit rechnen muss, mit dem weiteren Vorbringen ausgeschlossen zu werden und deshalb ggfls. im Prozess zu verlieren, wenn die gesetzten Fristen nicht eingehalten werden.

Diesen Hinweis erachtet die Kammer als auch unter Beachtung einer verfassungskonformen Auslegung des § 56 Abs. 2 Satz 2 ArbGG i.V.m. mit Artikel 103 Abs. 1 GG als ausreichende und deutliche Warnung der beauflagten Partei.

eee.)

Somit ist vom Vortrag der Klägerin auszugehen.

Die der Klägerin gezahlten durchschnittlichen 3,91 euro pro Stunde liegen deutlich unterhalb der 70 % Grenze des Bundesarbeitsgerichts.

Hieran ändert nichts, dass es sich bei den Entgelten, die die Klägerin vorgetragen hat, um Nettoentgelte handelt.

Ausweislich der Abrechnungen hat die im gesamten Zeitraum lediglich 278,63 euro; an Steuern- und Sozialversicherungsbeiträgen abgeführt.

Addiert man diesen Betrag zum erhaltenden Nettolohn der Klägerin, ergäbe sich ein durchschnittliches Bruttoentgelt der Klägerin in Höhe von 4,16 euro pro Stunde, so dass das Verdikt der Sittenwidrigkeit auch für eine derartige Vergütung gilt.

ArbG Bielefeld 3 Ca 2703/08

Die Beklagte könnte auch nicht damit gehört werden, dass der Klägerin im streitgegenständlichen Fall der Bruttolohn fast in voller Höhe netto zugeflossen ist.

Denn hierauf kann es nicht ankommen.

Die Frage ob und ggfls. in welchem Ausmaß sich eine vereinbarte Bruttovergütung um Abzüge auf steuer- und sozialversicherungsrechtlicher und sonstiger Grundlage vermindert und in welcher Höhe die Vergütung dem Arbeitnehmer netto zufließt, hängt von diversen Faktoren ab, die zum Teil außerhalb des konkreten Arbeitsverhältnisses liegen wie z.B. Familienstand, Unterhaltspflichten, Steuerklasse, steuerliche Freibeträge oder das Bestehen eines oder mehrerer Arbeitsverhältnisse.

Daher bietet die tatsächlich zugeflossene Nettovergütung keinen geeigneten Anknüpfungspunkt für die Bestimmungen des Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung (vgl. dazu nur LAG Bremen vom 28.08.2008 3 Sa 69/08 mit weiteren Nachweisen in Rdnr. 187 ff).

Die der Klägerin gezahlte Vergütung von 3,91 euro netto bzw. 4,16 euro brutto pro Stunde steht in einem auffälligen Missverhältnis zur marktüblichen Vergütung von 7,50 euro brutto pro Stunde.

Die der Klägerin gezahlte Stundenvergütung betrug somit lediglich 55 % des marktüblichen Entgelts. Ihre Vergütung lag damit erheblich tiefer als 1/3, nämlich bei etwas mehr als der Hälfte der üblichen Vergütung.

Auch die subjektiven Voraussetzungen für die Annahme eines sittenwidrigen Rechtsgeschäfts sind hinsichtlich der Vergütungsvereinbarung gegeben.

Dabei ist wie bereits ausgeführt weder das Bewusstsein der Sittenwidrigkeit noch eine Schädigungsabsicht erforderlich. Vielmehr genügt es, wenn es der Handelnde die Tatsachen kennt, aus denen sich die Sittenwidrigkeit ergibt.

Es ist davon auszugehen, dass der Beklagten als einem der größeren Subunternehmen in der Fleischbranche bekannt war, welche marktüblichen Vergütungen im Fleischhandwerk allgemein und der bei der Firma T1 beschäftigten Stammbelegschaft gezahlt wird und dass die von ihr gezahlten Vergütungen dahinter weit zurück bleiben.

ArbG Bielefeld 3 Ca 2703/08

Im Übrigen ist die Problematik der Rechtmäßigkeit bestimmter niedrigerer Vergütungen durch die in der Tagespresse geführte Debatte um Niedrig- bzw. Mindestlöhne im Allgemeinen sowie die Löhne in der Fleischbranche gerade auch bezogen auf die Subunternehmer der Beklagten seit dem Vorstoß des Bundesarbeitsministeriums vom 03.05.2007 allgemein bekannt.

c.)

Die Vergütungsabrede zwischen den Parteien ist deshalb wegen Verstoßes gegen § 138 Abs. 1 BGB nichtig.

Dies führt zur Anwendung des § 612 Abs. 2 BGB (vgl. BAG Urteil vom 26.04.2006 a.a.O. sowie LAG Baden-Württemberg Urteil vom 08.02.2008 – 5 Sa 45/07).

Als übliche Vergütung ist der Stundenlohn von 7,50 euro brutto zu zahlen.

Der Klägerin bereits zugeflossene Nettovergütungszahlungen waren hiervon abzusetzen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 46 Abs. 2 i.V.m. § 495 und § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Nach der letztgenannten Vorschrift trägt derjenige die Kosten des Rechtsstreits, der unterlegen ist.

Dies ist im vorliegenden Fall die Beklagte.

Der Wert des Streitgegenstandes ist gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzen.

Die Höhe des Streitwerts ergibt sich im vorliegenden Fall aus der Klageforderung abzüglich der abgesetzten Beträge.

ArbG Bielefeld 3 Ca 2703/08

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Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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