ArbG Frankfurt am Main, Urteil vom 08.10.2014 – 17 Ca 967/14

Oktober 27, 2020

ArbG Frankfurt am Main, Urteil vom 08.10.2014 – 17 Ca 967/14

Bei fehlendem Ablehnungsschreiben ist darauf abzustellen, wann der Bewerber Kenntnis von Hilfstatsachen hatte, die auf eine anspruchsauslösende Motivlage des Arbeitgebers schließen lassen, insbesondere wann dem Kläger Tatsachen positiv bekannt geworden sind, die tatsächlich geeignet sind, die Beweislastumkehr zu bewirken. Eine derartige Hilfstatsache kann der Ablauf des Befristungszeitraumes der Stelle sein, hinsichtlich derer die Bewerbung nicht berücksichtigt wurde.
Tenor

1.

Die Klage wird abgewiesen.

2.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 4.800,00 € festgesetzt.

4.

Die Berufung wird nicht zugelassen. Die Statthaftigkeit der Berufung nach dem Wert des Streitgegenstandes bleibt davon unberührt.
Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten Schadenersatz wegen eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot aus dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz.Der Kläger ist Student. Die Beklagte verlegt das Magazin “A” Sie beschäftigt insgesamt neun Arbeitnehmer. Die Beklagte suchte im Frühjahr 2013 Aushilfen für eine Tätigkeit im Zeitraum vom 18. März 2013 bis 17. Mai 2013. Zu diesem Zweckschaltete sie im Februar 2013 ein externes Jobportal, “B”, ein. Es handelt sich dabei um ein Arbeitsvermittlungsportal, das an seine Mitglieder entsprechende Stellenanzeigen übermittelt. Mit E-Mail vom 11. Februar 2013 übermittelte C.de dem Kläger folgendes Stellenangebot: “J 51809: Bürohilfe Unternehmensbeschreibung: Aufgaben: Unterstützung des Redakteurs beim Verfassen eines Buchs- Recherchearbeiten- Schreibarbeiten- Kundentelefonate annehmen und weiterleiten. Umfang: 40 Stunden /Woche. Zeiten: Es sind zwei Zeiträume (aufgeteilt auf zwei Aushilfen) abzudecken.18.03. bis 19.04. jeweils Montag bis Freitag in den üblichen Bürozeiten(kann auf Wunsch bis 17.05. verlängert werden). 14.04. bis 17.05. jeweils Montag bis Freitag in den üblichen Bürozeiten. Bitte gib an, in welchem Zeitraum Du arbeiten kannst. Abrechnung: Lohnsteuerkarte. Anforderungen:- Deutsch als Muttersprache- gute PC-Kenntnisse- Erste Erfahrungen in der Büroarbeit. Entlohnung € 10,00 /Stunde. Beginn: 18.03.Dauer: Zwei Monate. Ort: xxxx Frankfurt.”

Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf Bl. 7 d. A. verwiesen. Der Kläger bewarb sich auf diese Stellenanzeige mit Schreiben vom 12. Februar 2013, das er an C.de übermittelte. In seiner Bewerbung heißt es u. a.: “Gern würde ich in der vorlesungsfreien Zeit Ihr Unternehmen unterstützen. Insoweit würde mir der Zeitraum vom 18.03. bis 19.04.2013 optimal passen.[…]. Ferner verfüge ich über ein hervorragendes Ausdrucksvermögen und bin in der Lage, Texte jedweder Art zufriedenstellend anzufertigen.”C.de teilte dem Kläger mit E-Mail vom 12. Februar 2013 u.a. folgendes mit: “Anbei erhältst Du eine Kopie Deines Anschreibens an den Auftraggeber: D Frau E. In Deinem persönlichen Bereich (www.B.de/login.html) kannst Duden Stand des Bewerbungsverfahrens jederzeit einsehen.”Bezüglich der Einzelheiten dieses Schreibens und des Bewerbungsschreibens des Klägers wird auf BI. 8 und 9 d. A. verwiesen. Der Bewerbung beigefügt war ein Lebenslauf des Klägers. In diesem Lebenslauf heißt es unter persönliche Daten: “Geburtsort: Odessa / Ukraine. Nationalität: Deutsch.” Unter zusätzliche Qualifikationen ist unter dem Punkt Fremdsprachen vermerkt: “Deutsch und Englisch fließend, Spanisch und Hebräisch Grundkenntnisse, großes Latinum”. Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Lebenslaufes wird auf BI. 10 und 11 d. A. verwiesen. Die Bewerbung des Klägers ging nicht bei der Beklagten ein. Das Jobportal traf eine Vorauswahl und leitete die Bewerbung des Klägers nicht an die Beklagte weiter.

– Der Kläger erhielt bis zum 17. Mai 2013 und auch danach weder durch B noch durch die Beklagte eine Ablehnung auf seine Bewerbung.Mit E-Mail vom 09.September 2013 kontaktierte der Kläger Frau E bei der Beklagten und teilte mit: “Am 11. Februar 2013 schrieben Sie über das Arbeitsportal für Studenten www.C.de eine Stelle für eine studentische Aushilfe aus. […]. Leider habe ich bis zum heutigen Tage keine Rückmeldung von Ihnen erhalten. “Mit E-Mail vom 11. September 2013 antwortete Frau E dem Kläger: “Es tut uns leid, wenn Sie keine Antwort bekommen haben. Wir hatten der Jobvermittlung immer umgehend Feedback gegeben. Dies wurde wahrscheinlich nicht weitergegeben. Die Stelle wurde sehr schnell besetzt und war auch nur für einen kurzen Zeitraum geplant.” Mit E-Mail vom 13. Oktober 2013 teilte der Kläger daraufhin Frau E mit: “Nach nochmaliger Durchsicht der Stellenausschreibung bin ich der Ansicht, dass meine ethnische Herkunft bei Ihrer Auswahlentscheidung eine Rolle gespielt hat. Ich möchte Sie inständig bitten, mich zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen und mir hierdurch die Möglichkeit einzuräumen, Sie von meiner Person und meinen Fähigkeiten zu überzeugen. Möglicherweise käme ich dann für eine adäquate Tätigkeit in Betracht.” Bezüglich der weiteren Einzelheiten der Korrespondenz wird auf BI. 12 d. A. verwiesen. Die Beklagte reagierte nicht auf dieses Schreiben. Mit Schreiben vom 06. November 2013 an die Beklagte teilte der Kläger der Beklagten mit:

“In vorbezeichneter Angelegenheit mache ich hiermit form- und fristgerecht Entschädigung aufgrund einer gesetzlich verbotenen Diskriminierung im Einstellungsverfahren geltend, § 15 Abs.2 AGG.

[…]

Aufgrund der Stellenbeschreibung […] bin ich der Auffassung, völlig unnötig wegen meiner ethnischen Herkunft diskriminiert worden zu sein. Wenngleich Deutsch nicht meine Muttersprache ist, beherrsche ich sie mustergültig und habe auf meine Muttersprache, ein Merkmal der ethnischen Herkunft, keinerlei Einfluss.”

Weiterhin machte der Kläger in diesem Schreiben eine Entschädigung in Höhe von € 9.600,00 geltend. Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Schreibens wird auf BI. 14f. d. A. verwiesen. Mit Klageschrift vom 07. Februar 2014, die am gleichen Tag beim Arbeitsgericht Frankfurt am Main einging, erhob der Kläger Klage gegen die Beklagte auf Zahlung einer angemessenen Entschädigung nach § 15 Abs.2 AGG. Der Kläger ist der Ansicht, dass er aufgrund der Stellenausschreibung wegen seiner ethnischen Herkunft durch die Beklagte diskriminiert worden sei. Er ist der Ansicht, dass die Stellenausschreibung mit dem Inhalt “Deutsch als Muttersprache” einen Verstoß gegen § 11 i. V. m. § 7 AGG darstelle. Er ist daher der Ansicht, dass eine Entschädigung in Höhe von mindestens drei Monatsgehältern, € 4.800,00, angemessen sei. Der Kläger behauptet, dass seiner Bewerbung ausdrücklich zu entnehmen sei, dass er kein Muttersprachler sei. Er behauptet, dass er in der Ukraine geboren und dort seine ersten neun Lebensjahre verbracht habe. Er behauptet weiterhin, dass seine Muttersprache Russisch sei. Der Kläger ist schließlich der Ansicht, dass er die Frist des § 15 Abs. 4 AGG eingehalten habe. Die Ablehnung sei ihm erst am 11. September 2013 zugegangen, sodass seine schriftliche Geltendmachung mit Schreiben vom 07. November 2013 fristgemäß sei.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine angemessene Entschädigung in Geld gemäß § 15 Abs. 2 AGG, deren Höhe in das Ermessen des Gerichtes gestellt werde, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14. Februar 2014 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, dass sie seinerzeit eine Bürohilfe zur Unterstützung eines Redakteurs beim Verfassen eines Buches gesucht habe. Wegen der dabei anfallenden Recherchearbeiten, Schreibarbeiten sowie der Annahme und Weiterleitung von Kundentelefonaten seien exzellente Deutschkenntnisse unerlässlich gewesen. Idealerweise habe die Bürohilfe einzelne Passagen so zuliefern sollen, dass der Redakteur diese unmittelbar für sein Buch verwenden konnte. Weiterhin sollten Korrekturlesearbeiten erfolgen, für die ebenfalls exzellente Deutschkenntnisse erforderlich gewesen seien. In diesem Zusammenhang im Sprachgebrauch hätte die Angabe, die im Übrigen durch C.de erfolgt sei, “Deutsch als Muttersprache” lediglich deutlich machen sollen, dass eben sehr gute bis exzellente Deutschkenntnisse erforderlich seien. Die Agentur habe wegen der großen Anzahl von Bewerbungen eine Vorauswahl getroffen und der Beklagten weitergemeldet. Darunter seien Herr F, Herr G, Frau H, Herr I, Herr J, Frau K gewesen. Daneben hätten sich weitere Interessenten auch auf anderem Wege als über C bei der Beklagten beworben. Die Beklagte ist der Ansicht, dass sich schon aus dieser Vorauswahl ergeben würde, dass die Nationalität oder der ethnische Hintergrund der Bewerber keine Rolle gespielt hätten. Eingestellt worden seien Herr F, Frau H sowie Frau L, geboren in Afghanistan, die sich auf anderem Wege beworben habe. Daneben sei für vergleichbare Tätigkeiten bereits vorher und sei es immer noch Frau M (in Deutschland geborene Marokkanerin) beschäftigt. Zum Zeitpunkt der Weiterleitung der Bewerbungen durch die Agentur sei die Bewerbung des Klägers noch gar nicht eingetroffen gewesen. Die Beklagte behauptet zudem, dass es sich bei den ausgeschriebenen Stellen um zwei Aushilfstätigkeiten gehandelt habe, die von vornherein jeweils auf einen Monat begrenzt gewesen seien. Die Entlohnung habe € 10,00 pro Stunde betragen, es sei insgesamt von einer Arbeitszeit von maximal 40 Stunden pro Woche auszugehen gewesen. Tatsächlich hätten die Aushilfen im Schnitt nur 15 bis 20 Stunden pro Woche gearbeitet. Die Beklagte ist außerdem der Ansicht, dass die ausgeschriebene Stelle für den Kläger auch tatsächlich nicht interessant gewesen sei, da ihm nicht einmal aufgefallen sei, dass er innerhalb des ausgeschriebenen Zeitraums keine ausdrückliche Antwort Seitens der Jobagentur bzw. der Beklagten erhalten habe. Die Beklagte ist außerdem der Ansicht, dass die Frist des § 15 Abs. 4 AGG durch den Kläger nicht eingehalten worden sei. Die Beklagte ist schließlich der Ansicht, dass schon keine diskriminierende Ausschreibung vorliege. Die Formulierung “Deutsch als Muttersprache” sei lediglich als Synonym für gute bis perfekte Kenntnisse der deutschen Sprache zu verstehen. Aufgrund der Angaben im Lebenslauf des Klägers habe die Agentur auch nicht erkennen können, dass der Kläger kein deutscher Muttersprachler gewesen sei. Der Umstand, dass der Kläger als Geburtsort “Odessa / Ukraine” angegeben habe, bedeute nicht zwangsläufig, dass er nicht ethnischer Deutscher sei. Zudem bedeute der Umstand, dass er die Sprachkenntnisse Deutsch unter dem Punkt Fremdsprachen genannt habe, nicht, dass er eine davon eventuell abweichende Muttersprache habe. Der Kläger habe zudem Sprachkenntnisse in Russisch oder Ukrainisch in seinem Lebenslauf gar nicht erwähnt. Die Beklagte ist daher der Ansicht, dass ein objektiver Betrachter beim Lesen sowohl des Bewerbungsschreibens als auch des Lebenslaufs nur davon ausgehen konnte, dass er es mit einem aus welchen Gründen auch immer in Odessa geborenen Deutschen zu tun habe, dessen ethnischer Hintergrund deutsch ist, der die deutsche Sprache beherrscht und daneben noch weitere Fremdsprachen. Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien und der von ihnen geäußerten Rechtsansichten wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Niederschriften der mündlichen Verhandlungen sowie den gesamten weiteren Akteninhalt verwiesen (§ 313 Abs. 2 ZPO).
Gründe

I. Die zulässige Klage ist unbegründet.

1. Der auf Zahlung einer Entschädigung gerichtete Klageantrag ist zulässig, insbesondere hinreichend bestimmt (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Der Kläger durfte die Höhe der von ihm begehrten Entschädigung in das Ermessen des Gerichts stellen. Grundlage hierfür ist § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG, der für einen Schaden, der nicht Vermögensschaden ist, eine angemessene Entschädigung in Geld vorsieht. Dem Gericht wird bei der Bestimmung der Höhe der Entschädigung ein Beurteilungsspielraum eingeräumt (vgl. BT-Drucks. 16/1780 S. 38), weshalb eine Bezifferung des Zahlungsantrags nicht notwendig ist. Erforderlich ist allein, dass der Kläger Tatsachen, die das Gericht bei der Bestimmung des Betrags heranziehen soll, benennt und die Größenordnung der geltend gemachten Forderung angibt (BAG, U. v. 15.03.2012 -8 AZR 37/11 juris, RZ. 19 m. w. N.). Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Der Kläger hat einen Sachverhalt dargelegt, der dem Gericht grundsätzlich die Bestimmung einer Entschädigung ermöglicht, und den Mindestbetrag der angemessenen Entschädigung mit 4.800,00 Euro beziffert.

Die Klage ist jedoch unbegründet. Es kann dahinstehen, ob der Kläger tatsächlich wegen eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot des § 1 i. V. m. § 7 AGG i. V. m. § 11 AGG einen Schaden erlitten hat, der nicht Vermögensschaden ist und deshalb eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG verlangen könnte. Ein etwaiger Entschädigungsanspruch des Klägers nach § 15 Abs. 2 AGG ist aber jedenfalls wegen verspäteter Geltendmachung verfallen. Der Kläger hat den von ihm behaupteten Anspruch nicht innerhalb der in § 15 Abs. 4 AGG bestimmten Frist geltend gemacht. a) Der persönliche Anwendungsbereich des AGG ist eröffnet. Der Kläger ist als Bewerber “Beschäftigter” im Sinne des AGG. Nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 AGG gelten als Beschäftigte auch Bewerberinnen und Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis. Für den Bewerberbegriff kommt es dabei weder auf die objektive Eignung noch auf die subjektive Ernsthaftigkeit der Bewerbung an. Deren Fehlen kann allenfalls einen Rechtsmissbrauchseinwand nach § 242 BGB begründen, für den der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast trägt (BAG, U. v. 15.03.2012 -a.-a.0., RZ. 22 m. w. N.).b) Die Beklagte ist als “Arbeitgeber” passiv legitimiert. Nach § 6 Abs. 2 Satz 1 AGG ist Arbeitgeber im Sinne des Gesetzes, wer “Personen nach Absatz 1” des § 6 AGG “beschäftigt”. Arbeitgeber ist also derjenige, der um Bewerbungen für ein von ihm angestrebtes Beschäftigungsverhältnis bittet (BAG, U. v. 15.03.2012, a.a.O., RZ. 23 m. w. N.).c) Der Kläger hat die nach § 15 Abs. 4 AGG für die Geltendmachung von Ansprüchen nach § 15 Abs. 2 AGG einzuhaltende Frist von zwei Monaten nicht gewahrt. Bei dieser Frist handelt es sich um eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist, deren Einhaltung – wie bei tarifvertraglichen Ausschlussfristen – von Amts wegen zu beachten ist (BAG, U. v. 15.03.2012, a.a.O., RZ. 24 m. w. N.).Die Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen nach § 15 Abs. 2 AGG hat der Kläger mit dem Schreiben vom 07. November 2013 die Frist des § 15 Abs. 4 AGG nicht gewahrt. aa) Für den Fall einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs ist § 15 Abs. 4 AGG dahin auszulegen, dass die Ausschlussfrist mit dem Zeitpunkt beginnt, zu dem dem Beschäftigten die Ablehnung zugegangen ist und er zusätzlich Kenntnis von der Benachteiligung erlangt hat. Der Zeitpunkt des Zugangs der Ablehnung stellt damit den frühestmöglichen Zeitpunkt des Fristbeginns dar (BAG, U. v. 15.03.2012, a.a.O., RZ. 59 m. w. N.). Hinsichtlich der Frage, wann Kenntniserlangung von der Benachteiligung vorliegt, kann auf die Maßstäbe des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB mit der Maßgabe zurückgegriffen werden, dass wegen des Wortlauts von § 15 Abs. 4 Satz 2 AGG eine grob fahrlässige Unkenntnis nicht genügt. Kenntnis von der Benachteiligung hat der Beschäftigte daher dann, wenn er Kenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen hat. Für Schadensersatzansprüche ist anerkannt, dass es für den Beginn der Verjährungsfrist darauf ankommt, ob der Geschädigte aufgrund der ihm bekannten Tatsachen gegen eine bestimmte Person eine Schadensersatzklage – sei es auch nur in der Form einer Feststellungsklage – erheben kann, die bei verständiger Würdigung der ihm bekannten Tatsachen so viel Aussicht auf Erfolg bietet, dass sie für ihn zumutbar ist. Diese Grundsätze können im Wesentlichen auf den Fristbeginn nach § 15 Abs. 4 Satz 2 AGG bzgl. eines Entschädigungsanspruchs nach § 15 Abs. 1 oder Abs. 2 AGG übertragen werden. Der Entschädigungsanspruch ist auf den Ersatz des Nichtvermögensschadens gerichtet und muss nicht beziffert werden. Neben der Kenntnis des Anspruchsgegners, d.h. des Arbeitgebers, ist Voraussetzung eines Entschädigungsanspruchs, dass der Benachteiligte auch Kenntnis von der Benachteiligung hat. Ein Entschädigungsanspruch besteht aber nur dann, wenn die Benachteiligung wegen eines Grundes im Sinne von § 1 AGG erfolgt ist, § 7 Abs. 1 AGG. Ob das Motiv für die Benachteiligung von der Kenntnis umfasst sein muss, hat das Bundesarbeitsgericht bislang offengelassen. Grundsätzlich setzt der Beginn der Ausschlussfrist nicht voraus, dass der Beschäftigte von den Motiven des Benachteiligenden positive Kenntnis haben muss. Der Gesetzgeber hat zugunsten des Arbeitnehmers in § 22 AGG eine Beweislastregelung getroffen, die es genügen lässt, dass der Beschäftigte Tatsachen (Indizien) vorträgt, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass die Benachteiligung wegen eines Merkmals nach § 1 AGG erfolgt ist. Hinsichtlich dieser Vermutungstatsachen sind die Anforderungen an das Beweismaß abgesenkt. Ausreichend ist es, dass Tatsachen dargelegt und ggf. bewiesen werden, die eine Benachteiligung wegen eines Merkmals nach § 1 AGG vermuten lassen. Zwar kann der Beschäftigte auch den Vollbeweis führen und nachweisen, dass die Benachteiligung wegen eines Merkmals nach § 1 AGG erfolgt ist, jedoch wird ihm dies nach § 22 AGG zur Durchsetzung eines Entschädigungsanspruchs nicht abverlangt. Kennt der Beschäftigte solche Indizien, die zur Beweislastumkehr führen, kann er initiativ werden. Er kennt dann die Tatsachen, die die Voraussetzungen der anspruchsbegründenden Norm erfüllen, was den Fristbeginn nach § 15 Abs. 4 AGG auslöst. Auch der Bundesgerichtshof geht bei Ansprüchen, die das Vorliegen bestimmter innerer Tatsachen voraussetzen, davon aus, dass es für den Beginn der Verjährungsfrist auf die Kenntnis der äußeren Umstände ankommt, aus denen auf die innere Tatsache geschlossen werden kann. Dem entspricht es, bei Ansprüchen nach § 15 Abs. 1 oder Abs. 2 AGG für den Fristbeginn auf die Kenntnis des Beschäftigten von Hilfstatsachen abzustellen, die auf eine anspruchsauslösende Motivlage des Arbeitgebers schließen lassen. Dadurch wird dem Beschäftigten auch nicht unzumutbar das Risiko eines Anspruchsverlustes aufgebürdet, wenn er nicht erkannt hat, dass die Tatsachen bereits für eine Benachteiligung wegen eines verpönten Merkmals sprechen, denn entscheidend ist die Tatsachenkenntnis, nicht aber eine juristisch zutreffende Bewertung dahin gehend, dass die Tatsache taugliches Indiz im Sinne von § 22 AGG ist. Dies entspricht der Rechtsprechung zum Verjährungsbeginn bei Schadenersatzansprüchen. Daraus folgt aber auch, dass die Frist des § 15 Abs. 4 AGG nicht beginnen kann, bevor dem Beschäftigten Tatsachen positiv bekannt geworden sind, die tatsächlich geeignet sind, die Beweislastumkehr nach § 22 AGG zu bewirken. Notwendig, aber auch ausreichend ist, dass der Beschäftigte aufgrund seiner Tatsachenkenntnis eine hinreichend aussichtsreiche, wenn auch nicht risikolose (nicht notwendig zu beziffernde) Entschädigungsklage erheben kann. Deshalb beginnt die Frist mit der Kenntniserlangung von solchen Hilfstatsachen, die einen Prozess hinreichend aussichtsreich erscheinen lassen. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn der jeweilige Umstand oder Verfahrensmangel für sich allein die überwiegende Wahrscheinlichkeit einer merkmalsbedingten Benachteiligung begründet. Bei Verstößen gegen Normen, die der besonderen verfahrensmäßigen Absicherung vor Diskriminierungen wegen verpönter Merkmale dienen, wird dies regelmäßig der Fall sein. Liegt demgegenüber eine Situation vor, bei der Einzeltatsachen keinen Rückschluss auf das Bestehen einer verpönten Motivlage zulassen, jedoch eine Gesamtschau mehrerer Einzeltatsachen die überwiegende Wahrscheinlichkeit einer Kausalbeziehung zu dem verpönten Merkmal begründet, so beginnt die Frist erst mit Kenntniserlangung der letzten, die Gesamtschau iSv. § 22 AGG ermöglichenden Einzeltatsachen (BAG, U. v. 15.03.2012, a.a.O., RZ. 61 -66 m. w. N.).bb) Der Kläger hatte auf seine Bewerbung kein Ablehnungsschreiben erhalten. Tatsächlich hatte der Kläger von der Beklagten erst durch die E-Mail ihrer Mitarbeiterin Frau E vom 11. September 2013 auf Nachfrage erfahren, dass die Stelle bereits besetzt worden war. Für den Fristbeginn der Frist des § 15 Abs. 4 AGG ist vor dem Hintergrund der vorgenannten Ausführungen des Bundesarbeitsgerichtes aber nicht auf diese E-Mail von Frau E abzustellen. Vielmehr ist, da es kein A
blehnungsschreiben gegeben hat, darauf abzustellen, wann der Kläger Kenntnis von Hilfstatsachen hatte, die auf eine anspruchsauslösende Motivlage des Arbeitgebers schließen lassen, insbesondere wann dem Kläger Tatsachen positiv bekannt geworden sind, die tatsächlich geeignet sind, die Beweislastumkehr nach § 22 AGG zu bewirken. Abzustellen ist auf den Zeitpunkt, zu dem der Kläger aufgrund seiner Tatsachenkenntnis eine hinreichend aussichtsreiche, wenn auch nicht risikolose (nicht notwendig zu beziffernde) Entschädigungsklage erheben konnte. Die Frist beginnt deshalb mit der Kenntniserlangung von solchen Hilfstatsachen, die einen Prozess jedenfalls hinreichend aussichtsreich erscheinen lassen. Der Kläger stellt bezüglich seines behaupteten Anspruches auf § 15 Abs. 2 AGG auf den Inhalt der Stellenausschreibung und insbesondere das Anforderungskriterium “Deutsch als Muttersprache” ab. Diese Tatsache war dem Kläger jedoch bereits mit dem Erhalt der Stellenausschreibung, die ihm am 11. Februar 2013 zuging, bekannt. Der Umstand, dass er die Stelle nicht erhielt, war ihm spätestens mit Beginn des von der Beklagten und der Agentur genannten Beschäftigungszeitraumes, nämlich dem 18. März bzw. 15. April bekannt. Spätestens aber nachdem der Beschäftigungszeitraum endgültig zu Ende gegangen war, nämlich am 17. Mai, und der Kläger weder eine Reaktion noch eine Ablehnung erhalten hatte, war dem Kläger bekannt, dass seine Bewerbung auf diese Stellenausschreibung nicht berücksichtigt worden war. Die von ihm geäußerte Befürchtung, die er dann in seiner E-Mail an Frau E vom 13. Oktober 2013 formuliert hatte, dass seine ethnische Herkunft bei der Auswahlentscheidung eine Rolle gespielt habe, basierte also auf Tatsachen, die dem Kläger spätestens am 17. Mai 2013 bekannt gewesen sind. Die E-Mailkorrespondenz vom 09. und 11. September 2013 hat dazu keinen weiteren Aufschluss gegeben, insbesondere auch keine weiteren Tatsachen eingeführt, auf die der Kläger seinen Entschädigungsanspruch stützte. Der Kläger hat aber vom 17. Mai bis zum 09. September, also fast vier Monate gewartet, bis er überhaupt bei der Beklagten nachfragte, wie der Stand der Stellenausschreibung sei und das auch nur, wie er in seiner Klageschrift ausführte, nachdem er beim Sortieren seiner E-Mails Anfang September 2013 seine Bewerbung wiederentdeckt hatte und irritiert gewesen sei, da ihm eine Ablehnung niemals zugegangen war. Durch den von vornherein angegebenen befristeten Zeitraum des Beschäftigungsverhältnisses wusste der Kläger jedoch bereits spätestens am 17. Mai 2014, dass er zu einem Vorstellungsgespräch nicht eingeladen werden würde und das Besetzungsverfahren abgeschlossen war. Für eine hinreichend aussichtsreiche Entschädigungsklage und damit den Fristbeginn war es auch nicht notwendig, dass der Kläger Kenntnis weiterer Einzelheiten bzw. Hilfstatsachen hatte. Er stützt seine Klage, die er am 07. Februar 2014 bei Gericht erhob, genau auf den vorgenannten Punkt des Anforderungsprofils in der Stellenbeschreibung (“Deutsch als Muttersprache”) und die darauf beruhende, von ihm behauptete Nichtberücksichtigung seiner Bewerbung aufgrund seiner ethnischen Herkunft, insbesondere jedoch darauf, dass schon das Verlangen der deutschen Muttersprache im Anforderungsprofil nach Ansicht des Klägers bereits einen Verstoß gegen § 1AGG i. V. m. § 7 AGG darstellt. Dem Kläger, der sich in seinem Schriftsatz selbst darauf beruft, dass er die Erfolgsaussichten seiner Klage vor Anrufung des Arbeitsgerichtes geprüft und die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes auch einschlägig studiert und geprüft habe, waren damit am 17. Mai 2013 alle Tatsachen bekannt, die einen möglichen Entschädigungsanspruch begründen konnten. Die Frist zur Geltendmachung lief daher spätestens am 17. Juli 2013 ab, sodass die Geltendmachung des Klägers mit Schreiben vom 07. November 2013 verspätet ist.

Der Anspruch des Klägers ist damit verfallen.

II. Die Kostenentscheidung erging gemäß §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 Abs. 1 ZPO, da der Kläger mit seinem Antrag voll unterliegt.

III. Der Wert des Streitgegenstandes wurde gemäß §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 3, 5 ZPO entsprechend dem Wert des geltend gemachten Antrages festgesetzt, wobei das Gericht auf die Mitteilung des Klägers in seiner Klagebegründung abstellte, dass er eine Entschädigung von mindestens drei Monatsgehältern in Höhe von € 1.800,00 insgesamt für angemessen erachte.

IV. Wegen § 64 Abs. 3 a ArbGG war die Entscheidung über die Zulassung der Berufung in den Urteilstenor aufzunehmen. Es besteht keine in § 64 Abs. 3 ArbGG begründete Veranlassung, die Berufung zuzulassen.

Schlagworte

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

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Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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