BAG 4 AZR 768/08

Oktober 20, 2017

BAG 4 AZR 768/08 Keine Ablösung transformierter Tarifregelungen durch eine nach dem Betriebsübergang beim Betriebserwerber abgeschlossene Betriebsvereinbarung

RA und Notar Krau

Sachverhalt:

Der Kläger, ein Kassierer, war bei der Travelex beschäftigt, die Wechselstuben am Frankfurter Flughafen betrieb.

Nach einem Betriebsübergang auf die Beklagte wurde das Arbeitsverhältnis des Klägers zunächst durch einen dreiseitigen Vertrag beendet und mit der Beklagten neu begründet.

Der Vertrag sah die Übernahme der bisherigen Arbeitsbedingungen vor.

Später schloss die Beklagte eine Betriebsvereinbarung (BV 2005) ab, die die Gehaltssteigerungen für die ehemaligen Travelex-Mitarbeiter beschränkte.

Der Kläger klagte auf die ihm nach dem ursprünglichen Tarifvertrag zustehenden höheren Entgeltansprüche.

Entscheidung des BAG:

BAG 4 AZR 768/08

Das BAG wies die Revision der Beklagten zurück und bestätigte den Anspruch des Klägers auf die tariflichen Entgeltansprüche.

Zentrale Punkte des Urteils:

  • Kein Betriebsübergang: Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts lag kein Betriebsübergang im klassischen Sinne vor, da das Arbeitsverhältnis mit der Travelex durch den dreiseitigen Vertrag beendet und mit der Beklagten neu begründet wurde.
  • Individualvertragliche Übernahme der Tarifbedingungen: Der Übernahmevertrag enthielt eine individualvertragliche Vereinbarung zur Übernahme der bisherigen Arbeitsbedingungen, einschließlich der tariflichen Regelungen des Gehaltstarifvertrags (GTV).
  • Unzulässige Ablösung durch Betriebsvereinbarung: Die BV 2005 konnte die individualvertraglich vereinbarten Entgeltansprüche nicht abändern. Eine Ablösung transformierter Tarifregelungen durch eine Betriebsvereinbarung ist unzulässig.
  • Günstigkeitsprinzip: Die BV 2005 war im Verhältnis zu den individualvertraglichen Ansprüchen des Klägers nach dem Günstigkeitsprinzip unwirksam.
  • Keine Über-Kreuz-Ablösung: Eine sog. Über-Kreuz-Ablösung von Tarifnormen durch eine Betriebsvereinbarung ist auch dann ausgeschlossen, wenn der Übernahmevertrag eine solche Ablösung ermöglichen würde.

BAG 4 AZR 768/08

Detaillierte Begründung:

  • Das BAG stellte zunächst fest, dass die Revision der Beklagten zulässig war, da sie die Entscheidungsgründe des Landesarbeitsgerichts ausreichend angriff.
  • Das BAG folgte der Argumentation des Landesarbeitsgerichts, dass die Regelungen des GTV in das Arbeitsverhältnis des Klägers mit der Beklagten transformiert wurden. Allerdings ergab sich dies nicht aus einem Betriebsübergang nach § 613a BGB, sondern aus dem Übernahmevertrag.
  • Der Übernahmevertrag enthielt eine individualvertragliche Vereinbarung zur Übernahme der “bisherigen Arbeitsbedingungen”, worunter auch die tariflichen Regelungen des GTV fielen.
  • Die BV 2005 konnte diese individualvertraglich vereinbarten Entgeltansprüche nicht abändern. Das Günstigkeitsprinzip verbietet eine Verschlechterung der arbeitsvertraglichen Position des Arbeitnehmers durch eine Betriebsvereinbarung.
  • Das BAG stellte klar, dass eine sog. Über-Kreuz-Ablösung von Tarifnormen durch eine Betriebsvereinbarung auch dann unzulässig ist, wenn der Übernahmevertrag eine solche Ablösung ermöglichen würde. Dies würde dem Schutzzweck des § 613a BGB widersprechen.
  • Die BV 2005 war auch nicht deshalb wirksam, weil sie eine Beschäftigungsgarantie enthielt. Arbeitsentgelt und Beschäftigungsgarantie sind unterschiedliche Regelungsgegenstände, die nicht gegeneinander aufgerechnet werden können.

BAG 4 AZR 768/08

Fazit:

Das Urteil bestätigt den Schutz der Arbeitnehmerrechte bei Betriebsübergängen und verdeutlicht die Grenzen der Ablösung von Tarifnormen durch Betriebsvereinbarungen.

Individualvertraglich übernommene Tarifbedingungen genießen einen besonderen Schutz und können nicht ohne Weiteres durch eine Betriebsvereinbarung abgelöst werden.

 

Schlagworte

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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