BAG 6 AZR 801/16

Oktober 2, 2017

BAG 6 AZR 801/16 Urteil vom 27.7.2017, Altersteilzeit – Insolvenzgeld – Differenzvergütung – § 55 Abs. 3 Satz 1 InsO

RA und Notar Krau

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte in diesem Fall über die insolvenzrechtliche Einordnung von Differenzvergütungsansprüchen einer Arbeitnehmerin in Altersteilzeit zu entscheiden.

Kernfrage war, ob diese Ansprüche als Masseverbindlichkeiten oder als Insolvenzforderungen zu behandeln sind.

Sachverhalt:

Die Klägerin war seit 1993 bei der insolventen Drogeriekette Schlecker beschäftigt und hatte 2010 einen Altersteilzeitvertrag im Blockmodell abgeschlossen.

Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens im März 2012 wurde sie vom vorläufigen Insolvenzverwalter weiterbeschäftigt

und erhielt für Februar und März 2012 Insolvenzgeld, berechnet auf Basis ihres reduzierten Altersteilzeitgehalts.

Im Juli 2012 kündigte der Insolvenzverwalter das Arbeitsverhältnis.

Die Klägerin verlangte nun die Differenz zwischen ihrem regulären Vollzeitgehalt und dem erhaltenen Insolvenzgeld für die Monate Februar und März 2012.

BAG 6 AZR 801/16

Rechtliche Würdigung:

Das BAG entschied, dass die Klägerin grundsätzlich einen Anspruch auf die Differenzvergütung hat.

Dieser Anspruch ist als Masseverbindlichkeit einzustufen, da der vorläufige Insolvenzverwalter die Arbeitsleistung der Klägerin in Anspruch genommen hat (§ 55 Abs. 2 Satz 2 InsO).

Entgegen der Ansicht des Insolvenzverwalters greift die Herabstufung von Masseverbindlichkeiten zu Insolvenzforderungen gemäß § 55 Abs. 3 Satz 1 InsO in diesem Fall nicht.

Diese Vorschrift ist auf die auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangenen Ansprüche auf Arbeitsentgelt beschränkt und kann nicht analog auf andere Entgeltansprüche angewendet werden.

Begründung:

  • Forderungsübergang: Mit dem Antrag auf Insolvenzgeld gehen die Ansprüche auf Arbeitsentgelt, die einen Anspruch auf Insolvenzgeld begründen, auf die Bundesagentur für Arbeit über (§ 169 Satz 1 SGB III). Hierbei handelt es sich um den Bruttolohnanspruch, begrenzt auf die Höhe der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze. Die Differenz zwischen dem regulären Vollzeitgehalt und dem Altersteilzeitgehalt ist von diesem Forderungsübergang nicht erfasst.

BAG 6 AZR 801/16

  • Masseverbindlichkeiten: Der vorläufige Insolvenzverwalter hatte die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners und nahm die Arbeitsleistung der Klägerin in Anspruch. Daher sind die entsprechenden Entgeltansprüche als Masseverbindlichkeiten zu qualifizieren (§ 55 Abs. 2 Satz 2 InsO). Dies gilt auch für die Differenzvergütungsansprüche nach § 6 des Altersteilzeitvertrags, die erst durch die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgelöst wurden.

  • Keine analoge Anwendung von § 55 Abs. 3 Satz 1 InsO: Eine analoge Anwendung dieser Vorschrift auf nicht vom Forderungsübergang erfasste Entgeltansprüche scheidet aus. Der Wortlaut des § 55 Abs. 3 Satz 1 InsO ist eindeutig und beschränkt die Herabstufung zu Insolvenzforderungen auf die auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangenen Ansprüche. Eine planwidrige Regelungslücke, die eine analoge Anwendung rechtfertigen würde, liegt nicht vor. Der Gesetzgeber hat die insolvenzrechtliche Aufspaltung der Entgeltansprüche bewusst in Kauf genommen.

Höhe der Masseverbindlichkeit:

Die Höhe der Masseverbindlichkeit steht noch nicht fest.

Das BAG hat die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

BAG 6 AZR 801/16

Fazit:

Das Urteil verdeutlicht die Grenzen der Herabstufung von Masseverbindlichkeiten zu Insolvenzforderungen nach § 55 Abs. 3 InsO.

Die Vorschrift ist eng auszulegen und kann nicht analog auf andere Entgeltansprüche angewendet werden.

Arbeitnehmer in Altersteilzeit, die vom Insolvenzverwalter weiterbeschäftigt werden und Insolvenzgeld beziehen,

haben somit einen Anspruch auf die Differenz zwischen ihrem regulären Vollzeitgehalt und dem erhaltenen Insolvenzgeld.

Dieser Anspruch ist als Masseverbindlichkeit zu qualifizieren.

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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