Bayerisches Oberstes Landesgericht 1Z BR 86/95

September 14, 2017

Bayerisches Oberstes Landesgericht 1Z BR 86/95 Auslegung letztwilliger Verfügungen: Erneute Geltung einer aufgehobenen Verfügung wegen Wirkungslosigkeit eines späteren Testaments; Ausschluß von der gesetzlichen Erbfolge durch Pflichtteilsentziehung und Beseitigung des Ausschlusses; Wegfall einer – negativen – Enterbung durch Änderung – positiver – Erbeinsetzungen

  1. Ist eine letztwillige Verfügung aufgehoben, weil sie einer späteren letztwilligen Verfügung widerspricht, so bleibt die aufgehobene Verfügung grundsätzlich auch dann unwirksam, wenn die spätere Verfügung aus tatsächlichen Gründen (hier Vorversterben des Bedachten) keine Wirkungen entfaltet.
  2. Hat der Erblasser einem möglichen gesetzlichen Erben, der selbst nicht pflichtteilsberechtigt ist, durch letztwillige Verfügung den Pflichtteil entzogen, so liegt darin regelmäßig der Ausschluß des Betroffenen von der gesetzlichen Erbfolge gemäß BGB § 1938. Dieser Ausschluß ist nicht allein deshalb unwirksam, weil der Erblasser dem Betroffenen später verzeiht. Der Erblasser kann ihn dann nur durch letztwillige Verfügung beseitigen.
  3. Hat der Erblasser in einer letztwilligen Verfügung die Erbfolge durch positive Erbeinsetzungen abschließend geregelt und daneben einen Angehörigen, den er nicht zum Erben berufen hat, ausdrücklich auch von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen, so kann allein eine spätere Änderung der positiven Erbeinsetzung regelmäßig kein Anhaltspunkt dafür sein, daß die Erbfolge insgesamt abschließend neu geregelt werden sollte in dem Sinn, daß auch die (negative) Enterbung entfallen soll.
  4. Die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1 gegen den Beschluß des Landgerichts Würzburg vom 19. Mai 1995 wird zurückgewiesen.
  5. Die Beteiligte zu 1 hat der Beteiligten zu 2 die im Verfahren der weiteren Beschwerde entstandenen Kosten zu erstatten.

III. Der Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde wird auf 262.000 DM festgesetzt.

Gründe Bayerisches Oberstes Landesgericht 1Z BR 86/95

I.

Die im Alter von 73 Jahren verstorbene Erblasserin hat keine Abkömmlinge hinterlassen. Die Beteiligte zu 1 ist ihre Schwester. Zum Nachlaß gehören neben einem Hausgrundstück im wesentlichen Bankguthaben und Wertpapiere.

Bayerisches Oberstes Landesgericht 1Z BR 86/95

Die Erblasserin schloß am 19.9.1956 mit ihrem ersten Ehemann einen Erbvertrag, in dem sich die Ehegatten gegenseitig zu Alleinerben einsetzten. Nach Scheidung dieser Ehe heiratete die Erblasserin erneut und schloß am 3.6.1966 auch mit ihrem zweiten Ehemann einen Erbvertrag. Darin setzten sich die Ehegatten gegenseitig zu Alleinerben ein und bestimmten außerdem folgendes:

“II. … Für den Fall des gleichzeitigen Ablebens von uns beiden bezw. als Schlußerben nach dem Letztversterbenden von uns bestimmen wir als Erben je zur Hälfte unsere Patenkinder

  1. a) … (Beteiligter zu 3),
  2. b) … (Beteiligte zu 2).

Der Überlebende von uns ist jedoch berechtigt, diese Erbeinsetzung abzuändern.

III. Ich … (Erblasserin) entziehe hiermit meiner Mutter … und meiner Schwester … (Beteiligte zu 1) den Pflichtteil wegen Ehebruches mit meinem ersten Ehemann …”

Nach dem Tod ihres zweiten Ehemanns heiratete die Erblasserin ein drittes Mal. Am 1.3.1978 errichtete sie ein privatschriftliches Testament, in dem sie ihren dritten Ehemann zu ihrem “alleinigen ausschließlichen Erben” einsetzte. Weitere Verfügungen traf sie in diesem Testament nicht. Der dritte Ehemann ist vor der Erblasserin verstorben.

Die Beteiligten zu 2 und 3 haben jeweils einen gemeinschaftlichen Erbschein beantragt, der sie aufgrund des Erbvertrages vom 3.6.1966 als Miterben zu je zur Hälfte ausweisen soll. Sie sind der Auffassung, daß die Schlußerbeneinsetzung in diesem Erbvertrag wieder maßgebend sei, weil die abändernde Verfügung der Erblasserin in dem Testament vom 1.3.1978 durch den Tod des dritten Ehemannes gegenstandslos geworden ist. Die Beteiligte zu 1 hat einen Erbschein beantragt, der sie als Alleinerbin kraft Gesetzes ausweisen soll. Sie ist der Auffassung, daß gesetzliche Erbfolge eingetreten sei. Der Pflichtteilsentzug im Erbvertrag vom 3.6.1966 enthalte keine Enterbung und sei im übrigen durch das spätere Testament aufgehoben bzw. durch Verzeihung gegenstandslos.

Das Nachlaßgericht hat mit Vorbescheid vom 25.11.1994 angekündigt, es werde den Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 1 zurückweisen und einen Erbschein entsprechend den Anträgen der Beteiligten zu 2 und 3 erteilen. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1, mit der diese ihren Erbscheinsantrag weiterverfolgt hat, hat das Landgericht den Vorbescheid aufgehoben, die weitergehende Beschwerde der Beteiligten zu 1 zurückgewiesen und die Sache an das Nachlaßgericht zurückgegeben. Gegen diese Entscheidung richtet sich die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1. Die Beteiligte zu 2 ist dem Rechtsmittel entgegengetreten, die übrigen Beteiligten haben sich nicht geäußert.

II.

Bayerisches Oberstes Landesgericht 1Z BR 86/95

Die weitere Beschwerde ist zulässig. Insbesondere ist die Beteiligte zu 1 beschwerdebefugt. Dies ergibt sich, soweit ihre Erstbeschwerde zurückgewiesen wurde, bereits aus diesem Umstand (BayObLGZ 1986, 118/120), im übrigen daraus, daß das Landgericht ein Erbrecht der Beteiligten zu 1 verneint hat und durch diese für das Nachlaßgericht bindende (vgl. OLG Karlsruhe Rpfleger 1988, 315) Auffassung die von der Beteiligten zu 1 entsprechend ihrem Erbscheinsantrag in Anspruch genommene Erbenstellung beeinträchtigt wird (§ 20 Abs. 1 und 2 FGG).

Das Landgericht hat ausgeführt:

Der Vorbescheid sei sachlich unrichtig, da die Beteiligten zu 2 und 3 nicht aufgrund des Erbvertrags vom 3.6.1966 Erben geworden seien. Die Erblasserin habe durch ihr Testament vom 1.3.1978 von der ihr im Erbvertrag eingeräumten Änderungsbefugnis Gebrauch gemacht. Dadurch sei gemäß § 2258 BGB die Schlußerbeneinsetzung der Beteiligten zu 2 und 3 in dem Erbvertrag aufgehoben worden.

Da die Erblasserin in ihrem Testament nichts anderes zum Ausdruck gebracht habe, sei diese Rechtsfolge nicht dadurch entfallen, daß der als Erbe eingesetzte dritte Ehemann vor der Erblasserin verstorben sei und die im Testament getroffene Verfügung damit keine Wirkungen entfaltet hätte. Zu Ersatzerben seien die Beteiligten zu 2 und 3 nicht eingesetzt worden.

Soweit die Beteiligte zu 1 die Erteilung eines Erbscheins als Alleinerbin begehre, sei die Beschwerde unbegründet. Die Pflichtteilsentziehung in Abschnitt III des Erbvertrags vom 3.6.1966 sei dahin auszulegen, daß die Beteiligte zu 1 von jeder Beteiligung am Nachlaß der Erblasserin vollständig ausgeschlossen sein solle.

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Der somit angeordnete Ausschluß von der Erbfolge könne nur durch einen formgerechten Widerruf, nicht aber durch Verzeihung gemäß § 2337 BGB aufgehoben werden. Das Testament vom 1.3.1978 enthalte keinen Widerruf, da die dort getroffene Regelung mit dem Ausschluß der Beteiligten zu 1 von der Erbfolge nicht in Widerspruch stehe. Dem Testament sei auch nicht andeutungsweise zu entnehmen, daß die Erblasserin von ihrer in Abschnitt III des Erbvertrages getroffenen Bestimmung habe abrücken wollen. Es sei daher gesetzliche Erbfolge unter Ausschluß der Beteiligten zu 1 eingetreten.

Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 Satz 2 FGG, § 550 ZPO) stand.

a) Das Landgericht ist zu Recht zu dem Ergebnis gekommen, daß gesetzliche Erbfolge eingetreten ist.

aa) Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht angenommen, daß die letztwillige Verfügung in dem Erbvertrag vom 19.9.1956, durch die die Erblasserin ihren ersten Ehemann zum Alleinerben eingesetzt hatte, gemäß 2279 Abs. 1, § 2077 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam geworden ist, und daß die letztwillige Verfügung der Erblasserin in dem Erbvertrag vom 3.6.1966 zugunsten ihres zweiten Ehemannes im Hinblick auf dessen Vorversterben gegenstandslos ist.

bb) Mit Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, daß die Erblasserin die Einsetzung der Beteiligten zu 2 und 3 zu (Schluß- )Erben in dem Erbvertrag vom 3.6.1966 durch die spätere Erbeinsetzung ihres dritten Ehemannes in dem Testament vom 1.3.1978 wirksam aufgehoben hat. Aufgrund des zulässigen (vgl. Palandt/Edenhofer BGB 54. Aufl. § 2289 Rn. 3) Änderungsvorbehalts für den überlebenden Ehegatten in Abschnitt II des Erbvertrages durfte die Erblasserin nach Ableben ihres zweiten Ehemannes anstelle der Beteiligten zu 2 und 3 eine andere Person zu ihrem Erben und damit zum Schlußerben bestimmen, ohne daß diese Verfügung gemäß 2289 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam war.

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An der Gültigkeit des Testaments vom 1.3.1978, in dem diese anderweitige Verfügung getroffen ist, bestehen keine Zweifel. Die darin enthaltene Einsetzung des dritten Ehemannes zum Alleinerben widerspricht in vollem Umfang der früher verfügten Erbeinsetzung der Beteiligten zu 2 und 3. Gemäß § 2258 Abs. 1 BGB ist daher die frühere Verfügung aufgehoben worden. Darauf, ob die Erblasserin diese Folge bedacht hat, kommt es nicht an (Palandt/Edenhofer Rn. 1, Staudinger/Firsching BGB 12. AUfl. Rn. 9, MünchKomm/Burkart BGB 2. Aufl. Rn. 5, jeweils zu § 2258), da die Aufhebung gemäß § 2258 Abs. 1 BGB kraft Gesetzes eintritt (BGH NJW 1981, 2745).

cc) Die aufgehobene Verfügung zugunsten der Beteiligten zu 2 und 3 kann, wie das Landgericht zutreffend dargelegt hat, auch nicht deshalb für die Erbfolge Bedeutung erlangen, weil die Erbeinsetzung des dritten Ehemannes durch dessen Vorversterben wirkungslos geblieben ist.

(1) Die Aufhebung gemäß § 2258 Abs. 1 BGB setzt zwar voraus, daß der Erblasser das Folgetestament rechtswirksam errichtet hat, da ein ungültiges Testament, auch wenn diese Ungültigkeit wie bei einer Anfechtung erst rückwirkend eintritt, keine Rechtswirkungen hervorrufen kann (von Lübtow Erbrecht Band I S. 253 m.w.N.). Auch wird das frühere Testament gemäß § 2258 Abs. 2 BGB im Zweifel wieder wirksam, wenn das spätere Testament widerrufen wird. Anderes gilt aber, wenn das Testament lediglich aus tatsächlichen Gründen wirkungslos geblieben ist, etwa weil der eingesetzte Erbe ausschlägt oder, wie hier, vor dem Erblasser verstirbt.

In diesen Fällen bleibt die Aufhebungswirkung des gültigen späteren Testaments nach heute einhelliger Meinung bestehen (von Lübtow aaO m.w.N.; ebenso Palandt/Edenhofer Rn. 3, Staudinger/Firsching Rn. 6, Soergel/Harder BGB 12. Aufl. Rn. 4, RGRK/Kregel BGB 12. Aufl. Rn. 4, jeweils zu § 2258). Soweit einzelne Autoren diese Regel nur im Zweifel gelten lassen (Erman/Schmidt BGB 9. Aufl. Rn. 4, Dittmann/Reimann/Bengel Testament und Erbvertrag 2. Aufl. Rn. 12, jeweils zu § 2258), bezieht sich dies auf den hier nicht vorliegenden Sonderfall, daß der Inhalt des späteren Testaments wegen dessen Unauffindbarkeit nicht mehr mit Gewißheit feststellbar ist (vgl. dazu KG JW 1935, 3122).

(2) Eine Fortgeltung der früheren Verfügung kann unter diesen Umständen nur in Betracht kommen, wenn der späteren Verfügung der Wille des Erblassers entnommen werden kann, die frühere widersprechende Verfügung nur unter der Bedingung aufzuheben, daß die neue Verfügung nicht gegenstandslos wird (Planck-Strecker BGB 4. Aufl. § 2258 Anm. 2). Für einen solchen Willen der Erblasserin finden sich in dem Testament vom 1.3.1978 keine Anhaltspunkte. Gleiches gilt, wie das Landgericht zu Recht ausgeführt hat, für eine Ersatzerbenstellung der Beteiligten zu 2 und 3.

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Daher scheidet eine Auslegung des Testaments in dieser Richtung aus (BGHZ 80, 242 und Palandt/Edenhofer § 2084 Rn. 7 m.w.N.). Das Landgericht hat daher zu Recht von der Anhörung der von den Beteiligten zu 2 und 3 angebotenen Zeugen abgesehen.

b) Auch die Auffassung des Landgerichts, die Beteiligte zu 1 sei durch Abschnitt III des Erbvertrags vom 3.6.1966 als gesetzliche Erbin ausgeschlossen, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

aa) Zutreffend hat das Landgericht die dort ausgesprochene Entziehung des Pflichtteils dahin ausgelegt, daß die Erblasserin die Beteiligte zu 1 von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen hat ( 1938 BGB). Ein solcher Ausschluß muß nicht ausdrücklich erklärt werden; es genügt, wenn die entsprechende Bedeutung der Erklärung mit der notwendigen Sicherheit feststeht (sogenannte “stillschweigende Enterbung”, BayObLG FamRZ 1992, 986 m.w.N.).

Eine Pflichtteilsentziehung enthält regelmäßig zugleich die Kundgabe, der Betreffende solle überhaupt nichts aus dem Nachlaß erhalten, also auch von der Erbfolge ausgeschlossen sein (RGRK/Johannsen § 2336 Rn. 1; ebenso Staudinger/Otte 13. Aufl. § 1938 Rn. 7 und Staudinger/Ferid/Cieslar 12. Aufl. Vorbem. zu § 2333 Rn. 16 und 19; MünchKomm/Frank Rn. 4, Soergel/Dieckmann Rn. 1, jeweils zu § 2336; vgl. auch BayObLGZ 21, 328/331).

Der Umstand, daß die Pflichtteilsentziehung als solche keine Wirkung entfalten konnte, weil die Beteiligte zu 1 selbst nicht pflichtteilsberechtigt war, steht dem nicht entgegen; entscheidend ist allein der hier schon im Hinblick auf die Motivangabe deutlich zum Ausdruck gebrachte Wille der Erblasserin, daß die Beteiligte zu 1 nichts aus dem Nachlaß erhalten solle (ebenso für den Fall, daß die Pflichtteilsentziehung wegen Fehlens eines Entziehungsgrundes oder eines Formfehlers unwirksam ist, RGRK/Johannsen, Staudinger/Ferid/Cieslar, MünchKomm/Frank und Soergel/Dieckmann jeweils aaO).

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bb) Auch die Auffassung des Landgerichts, durch die von der Beteiligten zu 1 behauptete Verzeihung sei der im Erbvertrag verfügte Ausschluß von der gesetzlichen Erbfolge nicht wirkungslos geworden, ist nicht zu beanstanden.

Das Landgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, daß sich die Verzeihung gemäß 2337 Satz 1 BGB nur auf die Pflichtteilsentziehung bezieht und nur diese unwirksam macht (§ 2337 Satz 2 BGB). Ein in der Entziehung liegender Erbausschluß kann daher grundsätzlich nicht allein durch die Verzeihung, sondern nur durch eine neue formgültige letztwillige Verfügung beseitigt werden (OLG Hamm FamRZ 1972, 660/662; MünchKomm/Frank § 2336 Rn. 4).

Allerdings ist anerkannt, daß wegen des Zusammenhangs beider Verfügungen die Verzeihung über § 2337 Satz 2 BGB hinaus zur Unwirksamkeit auch der Enterbung führen kann, wenn ein entsprechender Wille des Erblassers anzunehmen ist (§ 2085 BGB).

Dies gilt nach herrschender Meinung auch, wenn die Pflichtteilsentziehung von Anfang an unwirksam war, weil ein sie rechtfertigender Grund (§§ 2333 bis 2335 BGB) nicht vorgelegen hat (OLG Hamm aaO; MünchKomm/Frank Rn. 4, Soergel/Dieckmann Rn. 1, jeweils zu § 2336; Staudinger/Ferid/Cieslar Vorbem. zu § 2333 Rn. 19).

Zu Recht wird in diesem Zusammenhang jedoch darauf hingewiesen, daß diese Grundsätze nicht ohne weiteres auf andere Unwirksamkeitsgründe übertragen werden können (so z.B. Soergel/Dieckmann aaO bei Unwirksamkeit der Entziehung, weil der Grund der Pflichtteilsentziehung entgegen § 2336 Abs. 2 BGB nicht in der Verfügung angegeben war). Auch im vorliegenden Fall scheidet ihre Anwendung aus.

Denn die Erblasserin hat in dem Erbvertrag hinsichtlich der Beteiligten zu 1 nur eine Verfügung, den Ausschluß von der gesetzlichen Erbfolge, getroffen. Der Umstand, daß dennoch die Worte “entziehe ich den Pflichtteil” gewählt worden ist, erklärt sich zwanglos daraus, daß die Erblasserin in derselben Anordnung sowohl ihre (nicht pflichtteilsberechtigte) Schwester, die Beteiligte zu 1, wie auch ihre (pflichtteilsberechtigte, § 2303 Abs. 2 Satz 1 BGB) Mutter von der Beteiligung am Nachlaß ausgeschlossen hat.

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Die Wortwahl in der durch einen Notar abgefaßten Urkunde diente ersichtlich nur einer Vereinfachung der Formulierung. Für eine Anwendung des § 2085, der zwei getrennte Verfügungen oder jedenfalls zwei getrennte Teilverfügungen voraussetzt, ist daher kein Raum.

cc) Zutreffend hat das Landgericht festgestellt, daß in dem Testament vom 1.3.1978 kein Widerruf und auch keine Aufhebung des im Erbvertrag angeordneten Ausschlusses der Beteiligten zu 1 von der gesetzlichen Erbfolge liegt.

(1) Ein Widerruf gemäß § 2254 BGB scheidet aus. Hierfür findet sich in dem Testament vom 1.3.1978 kein Anhaltspunkt, so daß ein Widerrufswille der Erblasserin, selbst wenn ein solcher vorhanden gewesen sein sollte, nicht formgerecht zum Ausdruck gebracht wäre (vgl. BGHZ 80, 242 und Palandt/Edenhofer § 2084 Rn. 7 m.w.N.).

(2) Der Ausschluß ist auch nicht deshalb aufgehoben, weil er zum Inhalt des Testaments vom 1.3.1978 in Widerspruch steht. Auch insoweit fehlt es an einer Andeutung im Testament.

Der durch § 2258 Abs. 1 BGB geforderte Widerspruch könnte wegen der sachlichen Vereinbarkeit des Ausschlusses der Beteiligten zu 1 von der gesetzlichen Erbfolge mit der im Testament vom 1.3.1978 angeordneten Erbeinsetzung des Ehemannes nur darin gesehen werden, daß die Erblasserin eine alleinige und ausschließliche Geltung des späteren Testaments wollte; ob ein solcher Wille vorhanden war, ist durch Auslegung zu ermitteln (BGH NJW 1981, 2745/2746; BayObLGZ 1991, 10/13 und BayObLG FamRZ 1994, 190/191; Palandt/Edenhofer § 2258 Rn. 2 m.w.N.).

Auch er müßte jedoch in der (späteren) letztwilligen Verfügung wenigstens angedeutet sein, damit er formgerecht erklärt wäre (BGHZ 80, 242). Denn durch die Auslegung darf nicht ein Wille in das Testament hineingetragen werden, der darin nicht irgendwie, sei es auch nur andeutungsweise, ausgedrückt ist (BayObLGZ 1981, 79/82).

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Im Regelfall kann ein Anhaltspunkt in dieser Richtung darin gefunden werden, daß der Erblasser neue Regelungen zu seiner Erbfolge trifft. Denn in dieser Neuregelung kann jedenfalls eine Andeutung dahin gesehen werden, daß der Erblasser seine früheren (positiven) Anordnungen zur Erbfolge vollständig ersetzen wollte (so etwa, wenn die Ehegatten in einem späteren gemeinschaftlichen Testament die frühere Schlußerbeneinsetzung nicht wiederholen, vgl. BayObLGZ 1991, 10/13 und BayObLG FamRZ 1994, 190/191, oder wenn die späteren Verfügungen den früheren im wesentlichen entsprechen, vgl. BayObLGZ 1965, 86/91).

Anders liegt es jedoch, wenn der Erblasser in der früheren Verfügung seine Erbfolge nicht nur positiv geregelt hat, sondern daneben und unabhängig davon ausdrücklich einen seiner Verwandten von der (nach der positiven Regelung ohnehin nicht zum Zuge kommenden) gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen hat.

Wird in einem solchen Fall die positive Regelung durch eine andere Erbeinsetzung ersetzt, so enthält diese in der Regel keinen Anhalt dafür, daß damit auch der frühere ausdrückliche Ausschluß einer anderen Person von der Erbfolge beseitigt werden soll.

So liegt es hier. Die Erblasserin hatte mit ihrem zweiten Ehemann in Abschnitt II des Erbvertrages eine umfassende Regelung der Erbfolge getroffen. Bereits diese führte dazu, daß die Beteiligte zu 1 von der Erbfolge ausgeschlossen war. Gleichwohl hat die Erblasserin in Abschnitt III der Urkunde nochmals gesondert den Ausschluß auch von der in dem Erbvertrag im übrigen überhaupt nicht angesprochenen gesetzlichen Erbfolge verfügt.

Unter diesen Umständen kann allein der Tatsache, daß die Erblasserin im Testament vom 1.3.1978 die frühere positive Erbenregelung abgeändert und ihren neuen Ehemann zum Erben eingesetzt hat, kein Hinweis darauf entnommen werden, daß auch hinsichtlich der (wiederum nicht angesprochenen) gesetzlichen Erbfolge Änderungen eintreten sollten.

In dem Testament vom 1.3.1978 sind auch im übrigen keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, daß nach dem Willen der Erblasserin hinsichtlich der Enterbung der Beteiligten zu 1 eine Änderung eintreten sollte.

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Das Landgericht hat daher zu Recht angenommen, daß für eine abschließende Regelung in dem neuen Testament in dem Sinn, daß auch die frühere negative Verfügung beseitigt werden sollte, jeder Anhalt fehlt.

Das Landgericht hat den Vorbescheid zu Recht auch insoweit aufgehoben, als darin die Abweisung des Erbscheinsantrags der Beteiligten zu 1 angekündigt worden ist. Die beabsichtigte Zurückweisung eines Erbscheinsantrags kann nicht Inhalt eines Vorbescheids sein (vgl. BayObLG NJW-RR 1992, 1223/1225).

Eine Entscheidung über die Gerichtskosten des Verfahrens der weiteren Beschwerde ist nicht veranlaßt.

Gemäß § 13a Abs. 1 Satz 2 FGG hat die Beteiligte zu 1 der Beteiligten zu 2 die dieser im Verfahren der weiteren Beschwerde entstandenen Kosten zu erstatten.

Im übrigen bedarf es einer Erstattungsanordnung nicht, weil die anderen Beteiligten im Verfahren der weiteren Beschwerde nicht hervorgetreten sind (vgl. Keidel/Zimmermann FGG 13. Aufl. § 13a Rn. 16).

Der Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde ist gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1, § 131 Abs. 2, § 30 Abs. 1 KostO entsprechend dem im Nachlaßverzeichnis ermittelten Gesamtwert des Nachlasses auf 262.000 DM festgesetzt worden.

Dies entspricht dem wirtschaftlichen Interesse der Beteiligten zu 1 am Erfolg ihres Rechtsmittels, da sie die Alleinerbenstellung für sich in Anspruch nimmt.

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Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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